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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

11–14

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Balz, Heinrich

Titel/Untertitel:

Where the Faith has to Live. Studies in Bakossi Society and Religion. Bd. 1 u. 2.

Verlag:

Berlin: Reimer 1995. XVI, 851 S. 4°. Kart. DM 198,­. ISBN 3-496-02563-8

Rezensent:

Theo Sundermeier

Als wir in den 60er Jahren nach Namibia ausreisten, wurde uns von verschiedenen Seiten der Rat gegeben, viel Literatur mitzunehmen, denn die Winterabende seien in Afrika lang. Auch wenn wir am College wenig davon gemerkt haben, ich hätte mir dennoch gewünscht, solch eine "indepth-study" zu einem Bantu-Stamm im Gepäck zu haben, wie ihn H. Balz vorgelegt hat. Sie vermittelt mehr als Informationen über einen besonderen Stamm in Kamerun. Sie läßt einen etwas von den langen gewundenen Erzählungen der Afrikaner spüren (gemischt mit schwäbischer Gründlichkeit und ­ man verzeihe ­ Umständlichkeit) und führt den Leser in kleinen Schritten immer tiefer in die Welt der Bakossi und ihrer Erforschung ein. Läßt man sich darauf ein, bekommt man ein faszinierendes Bild einer Ethnie vorgeführt, wie sie wahrscheinlich nur noch selten in Zukunft geschrieben werden wird. Forscher haben heute kaum mehr Zeit, sich so auf ein Volk einzulassen, um im Miterleben und im Nachvollziehen den innersten Kern seiner traditionellen Religion zu verstehen. Man kann den Bakossi nur gratulieren, daß sie nun "ihr Buch" haben und damit vor vielen anderen Ethnien Afrikas ausgezeichnet sind. Dem Vf. aber ist zu gratulieren, daß er sein Lebenswerk in solch perfekter Weise zu Ende bringen konnte.

1984 hatte H. Balz den ersten Teil ­ auch schon englisch geschrieben, weil er immer Kameruner als Leser vor Augen hatte und weniger an deutsche Akademiker dachte ­ in Heidelberg als Habilitationsschrift eingereicht. Glücklicherweise ist dieser Band inzwischen auch im Reimer Verlag zugänglich. Sozialanthropologisch orientiert, führt er in die Geschichte und die Sozialformen der Bakossi ein, in ihre Geheimgesellschaften und die Bedrohung der Moral durch Hexerei und Zauberei. Was seinerzeit von verschiedenen Rezensenten und Kritikern angemahnt wurde ­ das Fehlen religiöser und theologischer Dimensionen im engeren Sinn ­ wird in den vorliegenden zwei Bänden nun nachgeholt.

Stärker als im ersten Band werden drei Fragestellungen, resp. Forschungsmethoden miteinander verbunden, die sozialanthropologische, die religionsgeschichtliche und die missionswissenschaftliche. Das gibt dem Buch die Tiefe, die es vor vielen anderen auszeichnet. Im Mittelpunkt steht das Ahnenfest der Bakossi, Ndie (Kap. II), das der Vf., eine geniale Interpretation eines katholischen Bakossi aufgreifend, "die Kirche der traditionalen Bakossi Religion" nennt. Hier war das Zentrum der Religion, hier ihr Pulsschlag zu fühlen. Sorgfältig geht der Vf. den früheren Forschungen seitens der Missionare und Ethnologen nach, stellt seine eigenen Forschungen vor, interpretiert eine Reihe von Gebeten, die den Wandel zur Moderne und die Adaption zur christlich gewordenen Umgebung erkennen lassen und kommt zu dem Ergebnis, daß die Ahnen bei den Bakossi nicht Mittler zu Gott waren, sondern um ihrer selbst willen angerufen wurden. Darin unterscheiden sich die Bakossi offenbar von der Mehrzahl anderer Bantuvölker, auch wenn die faktische Ahnenverehrung auch bei anderen Stämmen so und nicht anders aussieht, wobei hier nicht nach den Gründen zu fragen ist, warum Gott so scheinbar abwesend ist und kaum direkt in den traditionellen Religionen angerufen wird. Soweit so gut, ja sehr gut. Auch im Blick auf die Darstellung der Trauerriten (Kap. I) und die Clan-Heiligtümer und die ihnen zugehörigen Riten (Kap. III) kann dieses Urteil gefällt werden. Schwierigkeiten habe ich eher mit den Teilen, wo der Vf. das Gespräch mit anderen Forschern und Theoretikern aufnimmt. Er stellt deren Theorien (offenbar im Blick auf seine afrikanischen Leser, die sie nicht kennen können) ausführlich dar, um dann seine Position zu verdeutlichen. Was der Vf. als Korrektur oder Infragestellung ansieht, ist jedoch oftmals nur die Regel von der Ausnahme. Bei solch einer Fülle von Religionen, die der afrikanische Kontinent birgt, ist es selbstverständlich, daß man zu jedem Detail einer Religion in einer anderen auch das genaue Gegenteil finden kann. Damit aber sind die Grundstrukturen nicht in Frage gestellt, denn diese wurden auch durch die Inversionen noch bestätigt. Es gehört zum Gesetz afrikanischer Analogiebildung, daß das Gleiche durch sein Gegenteil ausgesagt werden kann. Es ist dieses Gesetz analogischer Symbolbildung, das das Recht dazu gibt, höchst verschiedene Phänomene auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Wenn also der Ahnenglaube, wie das Ndie-Fest zeigt, selbstgenügsam und kein Weg zu Gott ist ­ diese These überzeugt und soll von mir nicht in Frage gestellt werden ­ muß dennoch geklärt werden, warum man im symbiotischen Austausch mit dem Christentum so leicht und ­ wie es scheint ­ völlig problemlos den Gottesgedanken in das Ndie-Fest einfügen und Gott in seinem Zusammenhang nennen kann. Ist der Gottesglaube vielleicht doch auf irgendeine Weise das Vorzeichen vor der Klammer der Ahnenreligion? Könnte die Gottespräsenz so selbstverständlich sein, daß man darauf nicht extra eingehen und Gottes nicht verbal gedenken muß? Oder nehmen wir den Gottesbegriff Njambi, der als bemerkenswerte Ausnahme bei den Bakossi im Plural gebraucht wird (645). Interessant wird dieser Hinweis erst, wenn genügend deutlich ist, daß wir es hier nicht mit einer versteckten Dualform zu tun haben oder der Plural in veralteter Sprachform verwendet wird. Weiter müßte man wissen, ob der Begriff auch bei den Bakossi wie bei vielen anderen Stämmen ein Wandername ist oder ursprünglich bei den Bakossi beheimatet war, denn die Wanderung von einem Stamm zum anderen ist ein Spezifikum gerade dieses Gottesnamens und ein Phänomen, das religionstheologisch gesondert zu bedenken ist. Bei den Herero in Namibia war er jedenfalls so heilig, daß er über ein halbes Jh. von den Missionaren nicht gehört wurde, bei den Menschen durch die Tabuisierung jedoch nicht vergessen war, sondern ganz tief im Herzen verankert blieb. ­ Ich nenne als drittes Beispiel meiner Fragen die Diskussion mit Horten u. a. am Schluß des Buches über die Bedeutung des Individuums in den afrikanischen Religionen. Ich kenne keinen Autor, der nicht sehr genau wahrgenommen hat, daß es auch in Afrika der Einzelne ist, der leidet, lacht, fromm ist oder die Gesetze der Väter vergißt. Gerade darum wird er ja gestraft. Aber ebenso sehr leidet die ganze Familie mit und ist oftmals kollektiver Strafe ausgesetzt. Kann man diese intensive Eingebundenheit des Einzelnen in seine Familie wirklich mit dem abendländischen Begriff des Individuums gleichsetzen oder gar mit dem religiösen Heilsindividualismus buddhistischer Prägung (818 f.)?

Der Vf. schreibt nicht nur als ethnologischer Forscher, sondern auch als Missionar und Theologe. Er will für die Kameruner Christen zeigen, "wo ihr Glaube lebt" und sich zu bewähren hat. So muß sein Buch in der Frage ausmünden, ob hier nicht etwas erforscht und beschrieben wurde, was im Aussterben begriffen ist und bald ganz der Vergangenheit angehört und eine afrikanische Theologie, die sich auf diese Traditionen bezieht, schon im Ansatz überholt ist? Ist nicht heute eine Befreiungstheologie nötig, wie sie z. B. J. Ela u. a. entwerfen? Der Vf. ist anderer Meinung. Und darin hat er recht. Die afrikanischen Traditionen sind nicht nur auf dem Lande, sondern auch in den Städten noch immer lebendig und bestimmen in hohem Maße das soziale Leben, die sozialen Bindungen und politischen Loyalitäten. Eine afrikanische Theologie muß das ernst nehmen und integrieren. Christlicher Glaube und traditionale Religion, beide sind Versöhnungsreligionen und haben sich sehr viel zu sagen. Es ist m.E. nicht zufällig, daß in Südafrika, einem Land allerschärfster politischer und rassischer Gegensätze, ein Gremium etabliert wurde, das ausschließlich den Auftrag hat, Versöhnung mitten im Streit zu bewirken. Daß es bisher unter der Führung des anglikanischen Erzbischofs in Südafrika erfolgreich ist, ist m.E. nur dadurch zu erklären, daß sich hier traditionale religiöse Leitvorstellungen und zentrale christliche Glaubensüberzeugungen gegenseitig stärken. Lange Zeit wurde das Verhältnis vom christlichen Glauben und traditionaler Religion in den Kategorien von Kontinuität und Diskontinuität diskutiert. Diese Studie macht deutlich, wie unzureichend sie sind. Man kann nur wünschen, daß sie nicht nur bei uns, sondern vor allem auch in Afrika aufmerksame Leser findet, die sich nach der Lektüre mit neuem Mut an die Aufgabe machen, die mit dem Stichwort "theologia africana" umschrieben wird.