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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

337-339

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Fast, Heinold, u. Gottfried Seebaß [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Briefe und Schriften oberdeutscher Täufer 1527–1555. Das ›Kunstbuch‹ des Jörg Probst Rotenfelder gen. Maler (Burgerbibliothek Bern, Cod. 464). Bearb. v. H. Fast u. M. Rothkegel.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. 775 S. gr.8° = Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 78: Quellen zur Geschichte der Täufer, XVII. Geb. EUR 128,00. ISBN 978-3-579-01646-7.

Rezensent:

Matthias Deuschle

Trotz der Kontroversen, die die Täuferforschung nach wie vor beschäftigen, und unabhängig von der Frage, ob man eine theologische, sozialgeschichtliche oder – wie in jüngster Zeit – kulturgeschichtliche Perspektive bei der Beurteilung des Täufertums für die angemessene hält, herrscht unter Forschern doch in einem Punkt heute weitgehend Einigkeit: Das Täufertum lässt sich aufgrund seiner Vielgestaltigkeit nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Eine genaue Beschäftigung mit den verschiedenen Richtungen ist allerdings dadurch erschwert, dass nur wenige Schriften führender Täufer ediert zur Verfügung stehen. Der zu besprechende 17. Band der »Quellen zur Geschichte der Täufer« – nach 19 Jahren Pause die erste Neuerscheinung in dieser Reihe! – ist ein willkommener Beitrag, diesem Mangel abzuhelfen.
Bereits vor über 50 Jahren entdeckte der renommierte mennonitische Täuferforscher Heinold Fast gemeinsam mit J. F. G. Goeters in der Burgerbibliothek in Bern eine von Jörg Maler verfasste Handschrift mit dem Titel »Das Kunstbuch«. Sie entpuppte sich als eine Sammlung von bisher größtenteils unbekannten Briefen und Schriften des Täuferführers Pilgram Marpeck und seines Kreises. Fast hat den Fund, der neue Einblicke in die von diesem originellen Denker bestimmte Täufergruppe bietet, bereits 1956 der Öffentlichkeit vorgestellt, und Vorbereitungen für eine Edition haben ihn jahrzehntelang beschäftigt, doch konnte er sie krankheitshalber nicht zum Abschluss bringen (6). In Zusammenarbeit mit Gottfried Seebaß, dem Fast seine Arbeiten an der Edition übergab, hat dies nun Martin Rothkegel, ein durch seine Arbeiten zu den mährischen Täufern und Sakramentierern bestens ausgewiesener Kenner der Materie, übernommen. In kürzester Zeit hat er nicht nur Fasts Manu­skript überarbeitet, sondern die Transkription der Handschrift noch einmal vollständig überprüft, die Editionsgrundsätze vereinfacht und den textkritischen Apparat neu erstellt (7). Herausgekommen ist eine vorbildliche Edition, die den Text des Kunstbuches nicht nur in ansprechender Form darbietet, sondern zu jeder Einzelschrift kurze klare Einleitungen liefert und das Ganze mit einem detaillierten Namensindex und einem Register der Bibelstellen erschließt.
Der eigentlichen Edition vorangestellt sind zwei einführende Aufsätze von H. Fast. Bei dem ersten handelt es sich um die Präsentation des Fundes von 1956. Durch ihn erhält man einen schnellen Überblick über die in der Sammlung enthaltenen Quellen und ihre Bedeutung. Darüber hinaus wird in ihm die Auffassung begründet, warum der Marpeck-Kreis als eigenständige Gruppe innerhalb der Täuferbewegung anzusehen ist (26 f.33 f.38). Der zweite Aufsatz widmet sich Jörg Probst Rotenfelder, gen. Maler, dem Sammler und Schreiber des 1561 entstandenen Kunstbuches. Anhand des Lebensweges des aus Augsburg stammenden Malers wird auf die Vielgestaltigkeit des Täufertums aufmerksam gemacht: Malers Weg führte von den Täufern in Augsburg zu den Schweizer Brüdern in St. Gallen und Appenzell, wo auch der Kontakt zu Pilgram Marpeck entstand, dessen Einfluss ihn den Schweizern entfremdete. Wieder zurück in Augsburg gehörte er dort 1548–50 zu Marpecks engstem Kreis, bevor er wiederum ausgewiesen wurde und wahrscheinlich einige Zeit lang als Bote des Marpeck-Kreises durch die Lande zog. Im Alter ging er dann wieder auf Distanz zu Marpeck, was für die Beurteilung der im Kunstbuch gesammelten Schriften von Bedeutung ist: Als Sammlung derjenigen Briefe und Schriften, »die für sein [scil. Malers] Leben von Bedeutung gewesen waren« (70), ist das Kunstbuch nämlich nicht zuletzt Zeugnis dafür, wie sich selbst innerhalb eines bestimmten Täuferkreises individuelle Auffassungen ausbilden konnten (vgl. 42 f.58 f. 68 u. 41, Anm. 114).
Das Gros der im Kunstbuch überlieferten Schriften stammt aus den Jahren 1540–55, die acht älteren Stücke werden von Fast unter dem Stichwort »Märtyrerzeugnisse aus der Anfangszeit« (18) zusammengefasst, von denen Huts Ein Anfang eines rechten christlichen Lebens von 1527 (Kunstbuch, Nr. 6) am bekanntesten ist; es wird hiermit in einer Rezension des Marpeck-Kreises zugänglich (vgl. 165 f.). Von den Schriften nach 1540 stammen allein 16 von Marpeck selbst, sechs von seinem engen Vertrauten Leupolt Scharnschlager, drei eigene Schriften und mehrere Zwischentexte hat der Kompilator Jörg Maler beigetragen. Bei den Übrigen handelt es sich um Briefe und Schriften anderer Marpeck-Anhänger. Besonders hervorzuheben ist Marpecks Brief an die Schweizer Brüder (Kunstbuch, Nr. 7). Er dokumentiert die Diskussion um die angemessene Kirchenzucht in Täuferkreisen und bietet mit seinen Ausführungen zur christlichen Freiheit eine gute Einführung in Marpecks Denken und ein instruktives Pendant zu Luthers Freiheitstraktat. Wichtig ist auch Scharnschlagers Gemeine Ordnung der Glieder Christi in sieben Artikeln (Nr. 19) – sie erlaubt einen Einblick in die innere Struktur einer Täufergemeinschaft. In einer modernisierten Fassung hatte sie Fast bereits 1962 in seine Quellensammlung Der linke Flügel der Reformation (Bremen 1962) aufgenommen.
Von den 42 Schriften der Malerschen Sammlung sind sechs auch außerhalb des Kunstbuches überliefert (Nr. 6.9.10.12.39.41); der übersichtliche textkritische Apparat der vorliegenden Edition er­möglicht einen schnellen Vergleich der verschiedenen Versionen. Aber auch die nur im Kunstbuch enthaltenen Schriften sind seit ihrer Entdeckung nicht alle unveröffentlicht geblieben. Kurioserweise sind z. B. die 16 Marpeckschriften bereits seit 30 Jahren in englischer Übersetzung zugänglich, in den von W. Klassen u. W. Klaassen herausgegebenen Werken Marpecks (The Writings of Pilgram Marpeck, Kitchener, Ont./Scottdale, Pa. 1978). Auch in der Sekundärliteratur über Marpeck wird schon seit Jahrzehnten auf das Kunstbuch zurückgegriffen – umso erfreulicher, dass die Texte nun im Original studiert werden können. Erstmals veröffentlicht sind Jörg Malers eigene und mehrere kleinere Schriften aus dem weiteren Marpeck-Kreis. Darüber hinaus bietet die Edition neben den von Maler dem eigentlichen Schriftenkorpus vorausgestellten Texten und Zwischenstücken die Familienchronik eines späteren Besitzers und einen Anhang, in dem zum einen Dokumente zu Malers Leben, die Fasts einführenden Aufsatz unterfüttern, und zum anderen Ulmer Täuferakten aus den Jahren 1554–1561 (als Ergänzung zu Marpecks Schreiben an die Täufer in Ulm; Kunstbuch, Nr. 15) dargeboten werden.
Druckfehler haben sich in die sorgfältigen Edition – soweit das beurteilt werden kann – nur wenige eingeschlichen (vor allem die Fastschen Aufsätze wurden nicht fehlerfrei reproduziert), ein Wermutstropfen ist, dass sie keine Zeilenzählung bietet. Der erläuternde Apparat ist erfreulich knapp gehalten, für die Verwendung in der Lehre wären allerdings mehr Worterläuterungen nötig gewesen (z. B. werden nur wenige Studenten erkennen, dass »pluee« [211 u. ö.] Blüte heißt). Ein gewisses Manko ist, dass die Edition keine aktuelle und auf die Edition zugeschnittene Einführung bietet. Die verdienstvollen Aufsätze Fasts können sie nicht wirklich ersetzen (Fast spricht z. B. von 19 im Kunstbuch enthaltenen Briefen und Schriften Marpecks [42], in der Edition finde ich aber nur 16).
Doch abgesehen davon ist es höchst verdienstvoll, dass die schon lange angekündigte Edition nun so schnell und in so exzellenter Gestalt erscheinen konnte. Sie erinnert aber auch daran, dass es immer noch nicht möglich ist, alle Schriften eines Täuferführers wie Marpeck in einer einzigen Edition zu lesen. Wenn man möchte, dass die verschiedenen Lehren der Täufer nicht nur von einigen Eingeweihten studiert werden, muss man in Zukunft besonders solche Editionen in Angriff nehmen, die einen unkomplizierten Einblick in das Denken einzelner Täuferführer zulassen (wie z. B. die Edition der Hubmaierschen Schriften, in: Quellen zur Ge­schichte der Täufer, 9). Freilich: Es bedürfte »einer großen Anstrengung, um diese Lücke wirklich zu schließen« (Seebaß im Vorwort [5]).