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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

333-337

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bucer, Martin

Titel/Untertitel:

Deutsche Schriften. Ergänzungsbd.: Gropper, Johannes: Christliche und catholische Gegenberichtung. Re­print des 1544 in Köln erschienenen Drucks: Christliche vnd Catholische gegen berichtung eyns Erwirdigen Dhomcapittels zu Co[e]allen.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006. 356 S. gr.8° = Martini Buceri Opera. I: Deutsche Schriften. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-579-04312-8.

Rezensent:

Irene Dingel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Bucer, Martin: Deutsche Schriften. Bd. 11,3: Schriften zur Kölner Reformation (1545). Bearb. v. Th. Wilhelmi. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006. 728 S. gr.8° = Martini Buceri Opera Omnia Series I, 11/3. Geb. EUR 178,00. ISBN 978-3-579-04311-1.
Bucer, Martin: Deutsche Schriften. Bd. 12: Schriften zu Kirchengütern und zum Basler Universitätsstreit (1538–1545). Bearb. v. S. E. Buckwalter. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. 661 S. gr.8° = Martini Buceri Opera Omnia, Series I, 12. Geb. EUR 168,00. ISBN 978-3-579-04892-5.


Mit dem 2006 erschienenen dritten Teilband liegen die Schriften Martin Bucers zur Kölner Reformation aus den Jahren 1543–1545 nun komplett vor. Die vorangegangenen Bände 11,1, erschienen 1999, und 11,2, erschienen 2003, wurden bereits zu früherem Zeitpunkt ausführlich besprochen (vgl. ThLZ 130 [2005], 1081–1083, und ThLZ 132 [2007], 56–60). Den historischen Hintergrund für die in diesen drei Teilbänden edierten Quellen bildet der Reformationsversuch des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied. Er hatte den Straßburger Rat dazu bewegen können, Bucer für diese Aufgabe zeitweise zu beurlauben. Dass die Universität Köln und nicht zuletzt auch das Domkapitel selbst in strikte Opposition gegen die von Bucer vorgeschlagenen Maßnahmen traten, haben bereits die in den beiden ersten Teilbänden kritisch edierten Schriften gezeigt. Die Spannungen und die um die reformatorische Lehre geführten Auseinandersetzungen gipfelten schließlich in der ablehnenden Reaktion des Kölner Domkapitels auf den von Bucer verfassten und durch Hermann von Wied den Ständen präsentierten Reformationsentwurf von 1534, der unter dem Titel »Einfaltigs bedencken« in Bonn gedruckt worden war (vgl. BDS 11,1, Nr. 3, 147–432; im Inhaltsverzeichnis unter Verzicht auf die Nennung des Kurztitels als »Entwurf einer Reformation …« ausgewiesen). Diese ausführliche Widerlegung, die gezielt die Anliegen des Reformationsentwurfs aufgriff, aber auch auf Bucers zeitgleich erschienene Verteidigungsschriften Bezug nahm, liegt in der von Johannes Gropper federführend für das Domkapitel erstellten Schrift »Christliche und Catholische Gegenberichtung« vor. Sie stellt ihrerseits Grundlage und durchgehenden Bezugspunkt für Bucers abschließende voluminöse Stellungnahme in seiner »Bestendigen Verantwortung« von 1545 dar. Die zunächst in gutem Einvernehmen zueinander stehenden Theologen, Bucer und Gropper, hatten sich nun endgültig entzweit und theologisch voneinander abgegrenzt. Herausgeber und Bearbeiter der Deutschen Schriften Martin Bucers haben gut daran getan, Groppers Schrift ebenfalls zugänglich zu machen. Sie liegt in einem separaten Ergänzungsband der Editionsreihe vor, der einen reprographischen Nachdruck der 1544 in Köln erschienenen Schrift bietet. Ein knappes Nachwort von Thomas Wilhelmi liefert die notwendigen bibliographischen und historischen Informationen, die der Benutzer der Bucer-Edition benötigt, um die Schrift als Folie für die Argumentation Bucers in seiner »Bestendigen Verantwortung« mit Gewinn parallel konsultieren zu können.
Die nach Bucers Rückkehr nach Straßburg auf Veranlassung Hermanns von Wied entstandene und 1545 in Bonn gedruckte »Bestendige Verantwortung« füllt den gesamten dritten und letzten Teilband zur Kölner Reformation. Ihr steht eine apologetische Vorrede des Erzbischofs voran, die die Schrift in den Kontroverszusammenhang einordnet. Die Schrift selbst bildet in ihrer Antwort auf Groppers Widerlegung des Kölner Reformationsentwurfs dessen Gliederung und damit zusammenhängenden Argumentationsfortschritt genau ab. Dass die Frage der Sakramente, vor allem des Abendmahls, und die damit zusammenhängenden Lehrstücke einen Schwerpunkt in der Auseinandersetzung darstellen, wird sich sicherlich auch im Kontext des zurückliegenden Regensburger Religionsgesprächs nahegelegt haben und interpretieren lassen. Die Schrift erlaubt in jeder Hinsicht tiefen Einblick in die Theologie Bucers, die im Kontroverszusammenhang an Schärfe gewinnt.
Herausgeber und Bearbeiter haben sich entschieden, beginnend mit diesem Band, die Editionsrichtlinien so zu ändern, dass ein zügiges und unkompliziertes Erscheinen der weiteren Bände ge­währleistet ist. Das bedeutet u. a. die Beschränkung auf knappe Einleitungen und Kommentierungen, die lediglich das Textverständnis des Benutzers befördern sollen. Dies ist insofern zu begrüßen, als der Verzicht auf mitgelieferte Interpretationen die Edition offenhält für die möglichen, disziplinär und interdisziplinär durchaus unterschiedlichen Perspektiven der Forschung.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist aber nach wie vor der Versuch, das bereits reprographisch – wenn auch schwarzweiß – abgebildete Titelblatt durch einen in Klammern gesetzten Hinweis auf die verwendeten Druckerfarben oder durch die hybride Reproduktion eines im lateinischen Alphabet nicht vorhandenen langen »s« aufs Getreueste wiederzugeben (vgl. 14 f.). Das Ziel, dem Benutzer die Lektüre des Originals zu erleichtern, wird so gerade nicht erreicht. Ganz unüblich ist auch, dass der Bearbeiter trotz im Original vorhandener Foliierung, auf die auch das edierte Register bzw. Inhaltsverzeichnis der Bucer-Schrift rekurriert, zusätzlich die Lagenzählung in den Text einfügt, so dass zum Teil Angaben entstehen, über die der Benutzer stolpert (z. B. CCLXXVIb/Aaajb; vgl. 637). Auch hier könnte man die Editionsrichtlinien durchaus vereinfachen.
Im Übrigen stellt der Band, wie auch alle vorigen, ein ausgesprochen wertvolles Instrument der Forschung dar. Selbst wenn hier und in Zukunft auf ein Sachregister verzichtet wird – das gerade im Rahmen einer Edition nicht unbedingt einfach zu erstellen ist und, je nach Band, vor diverse Probleme stellen dürfte –, ist die Erschließung durch die Bibelstellen-, Personen- und Ortsregister sowie den Nachweis der Zitate aus Rechtscorpora vorzüglich möglich. Ausgesprochen hilfreich sind auch die alphabetischen und chronologischen Gesamtverzeichnisse zu Bucers deutschen Schriften (BDS) und seinen »Opera Latina« (BOL, eine Abkürzung, die für den ungeübten Erstbenutzer leider weder über Schwertner noch über das Abkürzungsverzeichnis des Bandes zu erschließen ist). – Wie die bereits vorliegenden Bände der Deutschen Schriften Martin Bucers zeichnet sich auch dieser Band durch editorische Zuverlässigkeit und gründliche Recherche aus. Nicht zu Unrecht gehört die Bucer-Ausgabe zu den führenden frühneuzeitlichen Editionsunternehmen. Sie macht Schriften eines Theologen zu­gänglich, der in seiner europäischen Wirkung nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Mit Band 12 der Deutschen Schriften Martin Bucers liegt der letzte noch unter der Herausgeberschaft des inzwischen verstorbenen Heidelberger Kirchenhistorikers Gottfried Seebaß erschienene Band der Edition vor, als deren Hauptverantwortlicher fortan sein Lehrstuhlnachfolger Christoph Strohm fungiert. Bereits diesen, von Stephen E. Buckwalter bearbeiteten Band hat er mit verantwortet. Es ist beeindruckend, welch großes Team von Helfern und Hinweisgebern darüber hinaus in die Bearbeitung eingebunden war. Die Danksagungen im Vorwort geben Einblick in das weit gespannte wissenschaftliche Netzwerk der Bucer-Edition.
Der Band mit seinen insgesamt 13 Stücken gliedert sich in zwei Teile mit inhaltlich unterschiedlichen Schwerpunkten. Während die ersten elf edierten Texte aus den Jahren 1538–1545 die durch die Reformation neu aufgeworfene und kontrovers diskutierte Frage der Verwendung der Kirchengüter behandeln, dokumentieren die alle in das Jahr 1539 fallenden letzten drei den Basler Universitätsstreit, in den sich Bucer, zusammen mit Wolfgang Capito, Johannes Calvin und Johannes Sturm, moderierend einbrachte. Bucers Suche nach Lösungen, die in der Frage der Kirchengüter für beide Positionen annehmbar sein konnten, und der Versuch, berechtigte Interessen der jeweiligen Gegenseite mit zu berücksichtigen, durchziehen das gesamte, in diesem Band dazu bereitgestellte Schrifttum. In meisterhafter Weise sprach der Straßburger dabei auch stets die rechtliche Legitimität der reformatorischen Anliegen sowie deren theologisch und pragmatisch begründbaren Anspruch auf Neu- bzw. Umgestaltung der Verhältnisse an.
Zu Recht weist der Bearbeiter in seiner Einleitung darauf hin, dass sich Bucer, parallel zu und nach seinen intensiven Bemühungen um eine theologische und kirchliche Einigung in den Religionsgesprächen, durch die Kirchengüterfrage vor mindestens ebenso große, wenn nicht sogar größere Herausforderungen ge­stellt sah. Denn die Vereinnahmung des Kirchenguts durch die Evangelischen Stände trug ihnen nach dem Augsburger Reichsabschied vom 19.11.1530 unter dem Vorwurf des Reichsfriedensbruchs eine Fülle von Reichskammergerichtsprozessen ein. Nicht selten – und sicherlich nicht in jedem Fall unberechtigt, wie die Ermahnungen Bucers zeigen – legte man ihnen auch eine Entfremdung der Kirchengüter für eigene Belange zur Last, während sie eigentlich, im reformatorischen Sinne, für Bildung, Armenversorgung und den Unterhalt von Pfarrern eingesetzt werden sollten. Dieser Band mit den diesbezüglichen Stellungnahmen Bucers gibt einen konzentrierten Einblick in die von evangelischer Seite ge­führte Argumentation. Denn der Straßburger Reformator nahm nicht nur situationsbezogen Stellung, sondern formulierte auch so, dass alle betroffenen Stände sich seine Sicht und Begründungsstrukturen zu eigen machen konnten, so z. B. in seiner »Fürstlichen Schrift« von 1539, einer Replik an Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel zugunsten der reformatorischen, sich auch auf das Kirchengut auswirkenden Maßnahmen des Rats der Stadt Braunschweig.
Dabei sticht die Argumentation mit dem in der Heiligen Schrift niedergelegten ius divinum, den Kirchenvätern, dem frühen kanonischen und dem römischen Recht hervor, die Bucer zugunsten der eigenen Position zum Sprechen zu bringen verstand und sozusagen als Phalanx gegen jeden Einspruch gegen die evangelischen Maßnahmen aufbaute. Zugleich tragen seine Äußerungen gelegentlich einen pragmatischen Zug. Denn Bucer zog sich keineswegs auf das Anprangern altgläubiger Missbräuche zurück, sondern war in der Lage, durchaus auch konkrete Vorschläge dazu zu unterbreiten, wie bei einer etwaigen Reformation geistlicher Fürstentümer und der Rückführung bischöflicher Verantwortlichkeit auf die seelsorgerlichen Pflichten dennoch eine standesgemäße Versorgung der Amtsinhaber gewährleistet bleiben konnte, sofern sie nicht überhaupt ausschieden. Man findet in den Texten ebenso Stellungnahmen zum ius reformandi der Reichsstädte wie – in diesem Band allerdings seltener – zu Bucers Ekklesiologie. Zentrales Stück ist die Abhandlung »Von Kirchengütern«, die in ihrer Auseinandersetzung mit dem katholischen Theologen und Beisitzer am Reichskammergericht Konrad Braun zusammenfassend all das bietet, was Bucer zur Frage der Kirchengüter und deren auch rechtlich legitimer Verwendung im evangelischen Bereich zu sagen hatte. Er scheute nicht davor zurück, die weltlichen Obrigkeiten anzumahnen, sich an die – nach reformatorischer Ansicht – drei legitimen Verwendungsbereiche des Kirchenguts zu halten und die Mittel der Bildung, dem Unterhalt der Pfarrerschaft und der Armenversorgung selbstbewusst zuzuführen. Interessant ist nicht zuletzt das Gutachten für den Hamburger Rat aus dem Jahre 1545, das insofern in einer politisch prekären Situation erfolgte, als sich König Christian III. von Dänemark unerwartet hinter die Forderungen des Domkapitels gestellt hatte, um seinem jüngeren Bruder Friedrich die Anwartschaft auf das Amt des Bremer Erzbischofs nicht zu vereiteln. Die Stadt stellte er durch diese unselige Allianz vor beachtliche Probleme.
Die sich an die Edition der Schriften zur Kirchengüterfrage an­schließenden weiteren drei Stücke werfen Licht auf einen in Basel ausgetragenen Streit, der – im weitesten Sinne – die Universitätsreform und ihre Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Rat und Universität sowie Pfarrerschaft und akademischer Theologie zum Gegenstand hatte und aufs Neue das moderierende Geschick des Straßburgers beanspruchte. Bucers in diesen Zusam­menhang ge­hörende Äußerungen thematisieren nicht nur die kontroversen Punkte, sondern werfen auch ein interessantes Licht auf seine von einer Beeinflussung durch Freundschaften unabhängige Meinung zur Relation zwischen Universität und Theologie, welcher er eine leitende Funktion im Zusammenspiel der Fakultäten und eine Prärogative im Blick auf Lehrinhalte und Lehrstuhlbesetzungen zusprach. Darüber hinaus wollte er Pfarramt und Universitätstheologie eng verbunden wissen und plädierte für eine Überordnung des Kirchenrats über die Universität, in welchem die juristische, die medizinische und artistische Fakultät durch jeweils einen Delegierten vertreten sein sollten.
Mit Band 12 der Deutschen Schriften Martin Bucers liegt ein thematisch und inhaltlich wichtiger Baustein der Edition vor, der nicht nur für theologische, sondern auch für historische und sozialwissenschaftliche Fragestellungen interessant sein dürfte. Die überwiegend handschriftlich überlieferten Quellen sind sowohl mit Blick auf den textkritischen Apparat als auch hinsichtlich der knapp gehaltenen sachlichen Erläuterungen verlässlich ediert und erlauben dem Benutzer einen unproblematischen, eigene Auswertungsperspektiven zulassenden Zugang. Nachweise vor allem in den juristischen Referenzwerken erschließen die rechtliche Versiertheit Bucers ebenso wie sein damit verbundenes argumentatives Ziel. Vorzüglich sind die den Schriften vorgeschalteten historischen Einleitungen, die eine präzise Situierung des jeweiligen Stücks ermöglichen und klar und problembewusst in den Kontext einführen. Die dem Band beigegebenen Register (Bibelstellen, Zitate aus Rechtscorpora, Personen, Orte) ermöglichen eine gezielte Benutzung und Auswertung. Sie werden ergänzt durch eine Synopse der Drucke des Werks »Von Kirchengütern«, um eine Parallellektüre verschiedener Ausgaben zu ermöglichen, sowie durch zwei Gesamtverzeichnisse – alphabetisch und chronologisch – der be­reits in der Reihe der deutschen und jener der lateinischen Schriften edierten Texte. Diese bereits in den vorangegangenen Band 11,3 aufgenommenen Listen dürften für die Bucer-Forschung ein wichtiges Hilfsmittel darstellen. Auch dieser Band belegt die hohe Qualität der Edition, auf deren weitere Bände man sich freuen darf.