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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

323-325

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

L’Apocalypse de Paul (NH V,2).

Titel/Untertitel:

Texte établi, traduit et intro­duit par J.-M. Rosenstiehl. Commenté par M. Kaler.

Verlag:

Louvain-Paris-Dudley: Peeters; Québec: Les Presses de l’Université Laval 2005. XXVII, 326 S. gr.8° = Bibliothèque copte de Nag Hammadi. Section »Textes«, 31. Kart. EUR 70,00. ISBN 978-90-429-1600-5 (Peeters); 2-7637-8321-X (Les Presses de l’Université Laval).

Rezensent:

Uwe-Karsten Plisch

Diese kommentierte Textedition hat die kleine und anspruchslose koptisch-gnostische Paulusapokalypse aus dem Handschriftenfund von Nag Hammadi zum Gegenstand, die nicht mit der vermutlich jüngeren, vielfach (auch koptisch) überlieferten und be­zeugten (Augustinus) Paulusapokalypse der Alten Kirche identisch ist.
Die hiesige Edition stellt in der frankophonen Reihe der »Bibliothèque copte de Nag Hammadi« insofern eine Besonderheit dar, als hier eine eingeleitete französische Textedition (durch Jean-Marc Rosenstiehl) auf einen englischsprachigen Kommentar trifft (durch Michael Kaler; er hat der Paulusapokalypse aus Nag Hammadi Codex V unlängst noch einmal eine eigene englischsprachige Un­tersuchung gewidmet: Ders., Flora Tells a Story. The Apocalypse of Paul and Its Context [ESCJ 19], o. O. [Wilfrid Laurier University Press] 2008.). Vergleichbare Beispiele für dieses Verfahren gibt es allerdings auch schon früher (etwa BCNH.T 24: Zostrien). Aus dem Verfahren ergeben sich etliche Dopplungen, da manche Dinge, die in der Einleitung auf Französisch verhandelt werden, im englischen Kommentar ebenfalls zur Sprache kommen. Das ist freilich kein Nachteil, weil beide Autoren nicht in allen Dingen einer Meinung sind. So wird der Leser zugleich Zeuge einer lebendigen Forschungsdiskussion. Der auf den ersten Blick ins Auge fallende beträchtliche Umfang des Bandes, der umso frappierender ist, wenn man bedenkt, dass der komplette Text der Paulusapokalypse ohne Weiteres in dieser Rezension Platz hätte, ist damit allerdings noch nicht hinreichend erklärt. Seine Ursache ist vielmehr darin zu suchen, dass die Autoren ihren Gegenstand gewissermaßen »lieb gewonnen« haben (wogegen ja nichts einzuwenden ist), so dass sie bemüht sind, ihm noch das letzte Quäntchen an Sinnpotential zu entlocken und wirklich alle erreichbaren religionsgeschichtlichen Bezüge und Hintergründe aufzuzeigen. Auch zeigt der Band gelegentlich Wachstumsringe, da die Textedition mit Übersetzung bereits in den 1980er Jahren erarbeitet wurde, der Kommentar da­gegen etwa 20 Jahre später. Trotz der Länge des Bandes ist es ein wenig bedauerlich, dass dem koptischen Text neben der französischen Übersetzung nicht noch eine englische Übersetzung beigesellt worden ist, was sich technisch sicher leicht hätte realisieren lassen und die Seitenzahl nur geringfügig erhöht hätte. Vielmehr wird im Kommentar neben dem koptischen Text jeweils auch die französische Übersetzung zitiert und dann englisch kommentiert. Der Aufbau des Bandes ist ansonsten der in der BCNH übliche. Die Textedition (98–113) bietet jeweils links zeilengetreu den koptischen Text und gegenüber ebenfalls zeilengetreu die französische Übersetzung. Im Apparat sind abweichende Textrekonstruktionen verzeichnet.
Der koptische Text der Paulusapokalypse ist nur fragmentarisch überliefert. Die vorliegende Edition bietet gegenüber früheren Editionen einige neue und originelle Vorschläge zu Textrekonstruktion und -verständnis.
In p. 18,7 ist nach jekaas die Rekonstruktion von eïnata]|mok vorzuziehen, vgl. die analogen Konstruktionen p. 18,11 f. und p. 23,14 f.; neu und originell ist die Rekonstruktion in p. 18,20: et[be] paï au[tnnoout šarok] »à cause de cela [j’ai été envoyé jusqu’à toi.]«; in der letzten Zeile des Apparats zu p. 18 (100) ist zu au[moute ... zu korrigieren; einen Fortschritt stellt weiterhin die Lesung hn n[i]a[r]kh[ē] in p. 19,3 (102) dar; eine Verbesserung ist die Lesung mn pm[ē]še in p. 19,5 (im Apparat verzeichnet als mn pmē[ē]še); am Ende der vorletzten Zeile des Apparats zu p. 19 (102) lies [a]u-; in p. 20,22 wäre auch die Rekonstruktion marou[tamoe]i (mit unsicherem i) »mögen sie mich unterrichten« statt des hiesigen marou[tamok] »qu’ils [t’informent] zu erwägen; weiterführend ist die Ergänzung am Ende von p. 21,25 und am Anfang von Z. 26, amou oua[hk]| [nsō]ï »viens, suis-moi«, die sich auch inhaltlich gut in den Zusammenhang fügt; bei der Interpretation (und Rekonstruktion) der syntaktisch schwierigen Passage p. 22,21–24 hat sich Rosenstiehl wohl für die am wenigsten plausibelste Variante entschieden.
Die wichtigste Verbesserung des koptischen Textes, von der der Rezensent freimütig bekennt, dass er gern selbst darauf gekommen wäre, findet sich allerdings gar nicht in der Textausgabe, sondern in der Einleitung (das ist einer der oben erwähnten Wachstumsringe). Sie betrifft den merkwürdigen Perspektivwechsel in p. 19,10, wo Paulus nach dem überlieferten koptischen Text plötzlich (und einmalig in dieser Schrift) direkt in der ersten Person angesprochen wird (»... und sagte zu mir«, koptisch naï) und der zu diversen literarkritischen Spekulationen Anlass gegeben hat. In der Einleitung (20–22) findet sich dagegen die einleuchtende Hypothese, dass es sich bei dem ominösen naï um eine – in der Tat leicht vorstellbare – Verschreibung von naf »zu ihm« handelt, so dass sich für die Einleitung der Paulusapokalypse ein geschlossener Text in der 3. Person ergibt (s. besonders 22). Dieser Hypothese folgt auch Kaler in seinem Kommentar (192 f.). Die Textausgabe liest dagegen noch naï und übersetzt entsprechend.
Der sprachliche Index am Schluss des Bandes (281–292) folgt dem in der BCNH etablierten Muster (auf S. 291 steht der Eintrag zum Présent II aus nicht ganz einsichtigen Gründen zwischen Futur relatif und Futur II). Dem sprachlichen Index schließt sich un­mittelbar ein sehr umfangreiches und hilfreiches Stellenregister an (292–323), wobei die Namen der biblischen Bücher konsequent französisch und englisch angegeben sind, die Namen aller übrigen Schriften dagegen nur französisch (307B lies ApocApocrPaul statt ApocApocPaul).
Die sehr umfangreiche Einleitung ist unterteilt in zwei Hauptteile (Première partie: Le texte, 1–25; Deuxième partie: Les motifs, 25–96). Im ersten Teil werden zunächst die alten Zeugnisse für eine Paulusapokalypse diskutiert. Dem alten Versuch von Puech, die hiesige Paulusapokalypse mit der bei Epiphanius (Panarion 38,2,5) genannten Ascensio Pauli zu identifizieren, begegnet auch Rosenstiehl mit Zurückhaltung. Die Sprache des Textes wird hier noch als »une forme du dialecte sahidique« (10) bestimmt (in Wirklichkeit handelt es sich um ein oberflächlich sahidisiertes Bohairisch, so zutreffend der Kommentar, 143), in den Textergänzungen der Textausgabe sind die tatsächlichen Dialektverhältnisse aber durchaus berücksichtigt. Sehr ausführlich werden die topographischen Verhältnisse (»der Berg von Jericho«) erörtert (Abschnitt III: La topographie, 26–34). Den umfangreichsten Teil der Einleitung bildet Abschnitt IV. Les motifs de l’ascension (34–77), der mit Ab­schnitt V. La scène du jugment (77–88) im Grunde eine Art problemorientierten thematischen Kommentar zur Paulusapokalypse ergibt. Als ein herausragender Verweistext fungiert für Rosenstiehl hier das Testament Abrahams. Aus der Nähe der ApcPl zum TestAbr möchte Rosenstiehl wiederum auf einen judenchristlichen Hintergrund des Autors und eine ägyptische Herkunft der ApcPl schließen (96). Allerdings sind Einordnung, Datierung und Verortung von TestAbr ihrerseits umstritten.
Der Kommentar von Michael Kaler verfolgt zwei Hauptanliegen: »the commentary will illustrate the Apocalypse of Paul’s literary context« und »A Sitz im Leben will be proposed« (116). Die ApcPl wird treffend charakterisiert als »(a) little story of ascension, which hides its secrets beneath a surface of banality and vagueness« (116). In seinem forschungsgeschichtlichen Überblick (117–128) versteht Kaler die ApcPl im Anschluss an Murdoch als Werk valentinianischer Propaganda, betont aber, in Abgrenzung von diesem, den exoterischen Aspekt des Textes. Kalers ausführliche Begründung des valentinianischen Charakters der ApcPl (153–158) ist allerdings eher dazu angetan, die bestehenden Zweifel an dieser Einordnung zu verstärken. Die ApcPl wird von Kaler relativ früh datiert (Ende 2./Anfang 3. Jh.; 141), aber später als von Rosenstiehl (um 150; 96). Zu den augenfälligen Problemen der Paulusapokalypse gehört, dass nach der Beschreibung des Durchgangs des Paulus durch die sieben Himmel (mit Seelengericht und dem Gespräch mit dem Demiurgen im siebten Himmel), der Besuch des achten, neunten und zehnten Himmels nur noch ganz kunstlos nachgetragen wird. Kalers Erklärung dieses Problems – »There are no dangers above the seventh heaven, and so no description is necessary« (142) – vermag nicht recht zu befriedigen. Die Seiten 172–280 schließlich enthalten den eigentlichen, d. h. fortlaufenden Kommentar. P. 17,20 erwägt K., da nach der Partikel nči die Reste eines p erhalten sind, die bedenkenswerte Ergänzung zu nči p[aulos … Hinsichtlich der Merkwürdigkeit, dass der achte Himmel p. 24,1 nicht eben so, sondern »Ogdoas« genannt wird, verweist Kaler auf Irenäus, Adv.Haer. I 5,2, wonach »Ogdoas« eine valentinianische Bezeichnung für die Achamoth ist, die im achten Himmel residiert (187 und 272). Die abschließende Schau der (übrigen) Apostel durch Paulus in der Ogdoas wird von Kaler als Begegnung interpretiert und (daher) die Lokalisierung der Apostel in der Ogdoas als »an extremely irenic gesture« (273), die einen Ausgleich schaffe zwischen valentinianischem und »orthodoxem« Christentum.
Wer immer sich künftig mit der Paulusapokalypse aus Nag Hammadi beschäftigen will, wird an diesem Werk nicht vorbeikommen.