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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

318-320

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Flebbe, Jochen

Titel/Untertitel:

Solus Deus. Untersuchungen zur Rede von Gott im Brief des Paulus an die Römer.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2008. XIII, 509 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 158. Lw. EUR 118,00. ISBN 978-3-11-020217-5.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

Diese im Wintersemester 2006/07 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn angenommene und zuvor von Michael Wolter betreute Dissertation bearbeitet ein Thema, das in der Paulusforschung am Rand steht, eventuell wohl auch einfach unter der Dominanz einer christologischen oder anthropologischen Ausrichtung der Rekonstruktion der Theologie des Apostels unter die Räder geraten ist: die Rede von Gott. Eine Forschungsgeschichte zum Thema ist schnell geschrieben. Sie kann auf nur wenige Monographien und einige eher beiläufige Ausführungen reduziert werden (9–17), die sich gegenseitig größtenteils nicht einmal wirklich wahrgenommen haben. Der vielleicht führenden Arbeit zum Thema im deutschen Sprachraum, ebenfalls einer Dissertation von P.-G. Klumbies aus dem Jahr 1992, hält F. vor: »Wir haben den leichten Verdacht, dass P.-G. Klumbies bei seiner Untersuchung insgesamt von einem bestimmten dogmatischen Vorverständnis geprägt ist, das ihm die Sicht auf die Texte verstellt« (14). Der Untertitel zeigt an, was F. in seiner Arbeit leisten will. Er beschränkt sich ausschließlich und in großer Strenge auf den Römerbrief, also auf diejenige Schrift, die »die klarste rhetorische Struktur der paulinischen Briefe aufweist und somit für die Funktion der Rede von Gott in der Argumentation hier die sichers­ten und klarsten Aussagen zu gewinnen sind« (6). Und um es präzise aufzunehmen: »Wir untersuchen nicht Gott, sondern die Rede von Gott – und ganz exakt gefasst untersuchen wir Paulus-Rede, die das Wort ›Gott‹ verwendet« (9) – im Übrigen das im Corpus Paulinum am häufigsten verwendete Substantiv (1). Es wird ein Ergebnis dieser Arbeit sein, dass Paulus weit davon entfernt ist, dogmatische Aussagen über Gott zu treffen, sondern dass er perspektivisch unterschiedliche Zugänge sucht und beschreibt (262). Dass zukünftig die Rede von Gott auch in weiteren Briefen des Apostels zu analysieren sein wird und irgendwann eine Gesamtdarstellung der Rede von Gott durch Paulus zu schreiben ist, steht als Aufgabe nun dank dieser Dissertation im Raum.
F. nähert sich dem Thema, indem er zunächst eine Textauswahl aus dem Römerbrief trifft und ausführliche, bisweilen kommentarähnliche, textlinguistisch-rhetorisch orientierte Analysen dieser Texte darlegt, deren Ertrag hier auch nicht nur annähernd wiedergegeben oder besprochen werden kann. Zur Sprache kommen Röm 3,21–31 als Aufnahme und Ausführung der propositio, 11,25–36 als Ende des argumentierenden Hauptteils und 15,7–13 als peroratio. Daneben werden, insofern das Gottesthema das Verhältnis Evangelium und Israel anspricht, als weitere Texte Röm 3,1–8, Röm 4 und Röm 9 untersucht. Mit dieser Auswahl sieht F. dem Sachverhalt Rechnung getragen, dass Röm 1–4 und 9–11 in besonderer Weise durch die Rede von Gott geprägt sind (19). Die Analyse dieser Texte und das Erfassen der intentio operis nehmen mit Ab­stand den größten Raum dieser Dissertation ein (20–443). F. bietet sehr gediegene exegetische Arbeit. Er argumentiert behutsam abwägend, aber stets eindeutig. Jede Textanalyse wird durch ein Fazit abgeschlossen. Ein Schlussfazit schließlich bündelt die Ein­zel­ergebnisse in insgesamt acht Aspekte, die eine differenzierte, aber klare Position des Exegeten F. vermitteln und gewiss auch dazu führen können, die Rede von Gott im Römerbrief in allen theologischen Disziplinen neu zu bedenken.
Als wesentliches Ergebnis dieser Studie erkenne ich den Nachweis, dass die Wirklichkeit Gottes und seines Handelns nach Paulus nicht von der Person oder dem Werk Jesu Christi und auch nicht vom Wesen des Menschen her beschrieben wird. Aus der vorgängigen Wirklichkeit Gottes hingegen, so F. mehrfach und nach­drück­lich, leitet sich alles ab (444 und 456). Damit stellt F. sowohl die anthropologische Reduktion Bultmanns infrage (»Jeder Satz über Gott ist zugleich ein Satz über den Menschen und umgekehrt«) als auch die christologische Entsprechung, die etwa Udo Schnelle vorgetragen hat (»Im … Christusgeschehen zeigt sich definitiv, wer Gott ist«). Gleichzeitig aber widerspricht F. all denen, die Paulus in einer völligen Entsprechung zum alttestamentlich-jüdischen Gottesbild verorten und dieses undiskutiert einfach voraussetzen. Es gilt hingegen, in Letzterem zunächst die ungeheure Vielfalt anzuerkennen, die jegliche Fixierung auf einen einzigen Aspekt ausschließt. Es ist sodann charakteristisch für Paulus, dass »von einer teils pointierten Vergegenwärtigung Gottes mit radikalen Konsequenzen geredet werden muss, bei der die Rede von Gott von der alttestamentlich-jüdischen Tradition her erfolgt und sich in diesen Rahmen einordnen lässt« (456). Als grundlegend für die Bestimmung Gottes müssen seine Souveränität und seine Freiheit gelten, in der Gott jeglichen Gegensatz zwischen Juden und Heiden aufhebt. Gottes Wille zum Heil realisiert sich eschatisch in einer heilvoll geeinten Menschheit. Die Auferweckung Jesu von den Toten wird als eine neue, noch nicht da gewesene Handlung Gottes begriffen, die dazu dient, das universale Heilserbe der gesamten Menschheit zu sichern. Bereits zu Röm 3,1–8 hat F. die These in den Raum gestellt, dass mit der kategorialen Differenz zwischen Gott und Mensch die unterschiedslose Einheit der Menschheit als Argument so dasteht, dass hiermit nicht das jüdische Gottesbild ersetzt wird, sondern dass Paulus im Gegenteil einen pointierten Umgang mit Schrift und Tradition vollzieht (59).
F. betont in seiner Exegese zu Röm 3,21–31, dass Paulus den Rahmen von Gesetz und Propheten aufspannt, um deutlich werden zu lassen, dass Gott in Christus nicht neu handelt, um sich neu zu definieren, sondern um sich zu bestätigen (161). Anthropologie und Christologie spielen in diesem Kapitel also keine zentrale Rolle (162). Röm 4 ist nicht, wie zumeist behauptet, ein Abrahamkapitel, sondern ein Gotteskapitel. »Damit ist in Röm 4 die paulinische Verkündigung und ihre Mission keine Frage von Christologie oder Anthropologie, sondern allein eine Frage der Theo-logie [sic!]« (267). Die Exegese zu Röm 11 erkennt einen gewissen Sonderweg an, der sich aus folgendem Sachverhalt ergibt. Nach F. stellt sich das Verhältnis zwischen Verkündigung und Schrift und Tradition immer für Paulus als einfach dar, wenn es entweder um Gott und sein Handeln oder um Israel geht. Schwierig wird es, wenn Paulus Gott und Israel vor dem Hintergrund seiner Verkündigung zu­sam­menbringen muss. In Röm 11 findet F. eine höhere Gewichtung des sola scriptura über das solus Christus, andernfalls »wäre die Rechtfertigungslehre als Ausdruck des totalen Heils Gottes, das von Menschen nicht zu erreichen ist und Gottes wesentliches Kennzeichen darstellt, gefährdet« (404).
F.s Arbeit ist ein kräftiger Einspruch gegen die forschungsgeschichtlich bestimmenden Ansätze, die Rede von Gott entweder ganz in den Bahnen alttestamentlich-jüdischen Denkens belassen oder sie im Gegenteil ganz von der Christologie oder der Anthropologie her bestimmen. F. bietet mit starken Argumenten den Nachweis, dass »die paulinische Rede von Gott als konsequentes und radikales Ernstnehmen des traditionellen Gottesbildes mit bisher in dieser Form kaum dagewesenen Konsequenzen zu be­schreiben ist …« (449).