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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

316-318

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Donfried, Karl Paul [Ed.]

Titel/Untertitel:

1 Timothy Reconsidered.

Verlag:

Leuven: Peeters 2008. VIII, 201 S. gr.8° = Colloquium Oecumenicum Paulinum, 18. Kart. EUR 46,00. ISBN 978-90-429-2091-0.

Rezensent:

Jens Herzer

Der Band versammelt die Beiträge zu verschiedenen Aspekten des 1Tim, dem das 19. Colloquium Oecumenicum Paulinum im September 2006 in Rom gewidmet war. Sechs Beiträge sind – wie bei der Arbeit des Kolloquiums üblich – den sechs Kapiteln des Briefes ge­widmet und werden einleitend durch den Herausgeber kurz vorgestellt. Daneben treten zwei Beiträge zu übergreifenden Themen. Wie der Titel des Bandes andeutet, geht es um ein erneutes Bedenken der wichtigsten Probleme des 1Tim, die durch die sehr kontroverse Forschung zu den Pastoralbriefen in den letzten Jahren erneut zutage getreten sind.
Der Beitrag von L. T. Johnson, »First Timothy 1,1–20: The Shape of the Struggle« (19–39), geht von der Authentizität des 1Tim aus (vgl. Johnsons Kommentar zu 1/2Tim in Anchor Bible 35A, 2001; dazu ThLZ 129 [2004], 1267–1282) und begründet dies noch einmal recht ausführlich. Formal versteht Johnson 1Tim als ein mandatum principis, so dass die von ihm zu untersuchende Passage dementsprechend als eine Einführung in den Inhalt des Mandats zu verstehen sei, der ab 2,1 entfaltet werde. Den besonderen Charakter dieser Einführung bestimme die Spannung zwischen den Ausführungen zum Gesetz, dem Profil der Selbstbeschreibung des Paulus und seines Dienstes sowie der daraus folgenden Ermahnung an Timotheus angesichts des Einflusses ›häretischer‹ Personen. Johnson sieht in 1Tim 1,1–20 den Versuch, den Kontrast zwischen Gotteserfahrung und menschlichem Streben deutlich zu machen, der sich in der persönlichen Geschichte des Paulus bündele und auch in anderen Paulusbriefen (besonders Gal) zu verifizieren sei.
Margaret M. Mitchell, »Corrective Composition, Corrective Exegesis: The Teaching on Prayer in 1Tim 2,1–15« (41–62), geht von anderen Voraussetzungen aus, indem sie für den 1Tim wie für die Past insgesamt annimmt, dass dem pseudepigraphischen Autor bereits ein Korpus von Paulusbriefen vorgelegen habe, dem er verpflichtet sei und das er durch seine Rezeption neu interpretiere. Damit folgt sie ausdrücklich dem Ansatz von A. Merz, die be­sonders für 1Tim 2,9–15 eine solche interpretatorisch-korrigierende Funktion hinsichtlich eines in der paulinischen Tradition umstrittenen Topos aufgezeigt hat. Mitchell macht allerdings zu Recht darauf aufmerksam, dass es eine solche hermeneutische Bemühung bereits bei Paulus selbst gegeben habe. In ihrem Beitrag versucht sie, in den »fictional self-references« von 2,1–8 auf die Paulustradition die Absicht zu erkennen, »to ›fix‹ Paul’s legacy on prayer as unambiguously in favor of prayer for Gentiles and em­perors in particular, and equally unambiguously against woman’s liturgical and didactic participation« (62) – freilich nicht ohne der Skepsis Ausdruck zu verleihen, ob dem »Pastor« dies gelungen sei.
In dem Beitrag »1 Timotheus 3: Der Episkopos und die Diakonie in der Kirche« (63–86) erörtert Thomas Söding das Thema Ekklesio­logie als maßgeblichen Aspekt der Past, die dabei bereits auf »die normativ gewordenen Termini der Amtstheologie, Episkopos, Presbyteroi und Diakonoi« zurückgreifen (63). Wichtig ist Söding festzuhalten, dass die Ekklesiologie der Past nur in Korrelation mit dem Ganzen der paulinischen Ekklesiologie verstanden werden und nicht für sich stehen oder gar die ekklesiologischen Aussagen der Hauptbriefe ersetzen könne. Auch wenn die Past und darin insbesondere der 1Tim den Schwerpunkt auf das Amt verlagerten, wird durch die Korrelation mit der Paulustradition gesichert, »dass die Charismen lebendig bleiben müssen, wenn das Amt Konturen gewinnt« (66).
Unter dem Titel »›Sois un modèle pour les croyants‹ – Timothée, un portrait exhortatif, 1 TM 4« (87–108) geht Yann Redalié den exhortativen Elementen des 1Tim nach, die gewissermaßen ein Porträt des Timotheus unter dieser Perspektive erkennen ließen, das zum Modell für die Glaubenden werde. Redalié geht davon aus, dass mit Timotheus die Christen in Ephesus angesprochen werden. Dabei komme dem 4. Kapitel als Zentrum des Briefes eine besondere Bedeutung zu, da hier Timotheus nicht nur als Beispiel für die Glaubenden, sondern auch als »»Gegenmodell« (90) im Blick auf die Gegner fungiere.
»Disciplining Performance and ›Placing‹ the Church: Widows, Elders and Slaves in the Household of God ( 1Tim 5,1–6,2)« lautet der Titel des Aufsatzes von David G. Horrell (109–134), in welchem er die in 1Tim 5 angesprochenen Gruppen im Kontext der Ekklesiologie des 1Tim erörtert. Um der Komplexität des Textes gerecht zu werden, plädiert er methodisch dafür, »to read the author’s rhetoric … with a degree of suspicion, and to resist taking … polemic at face value« (112). Horrell geht von einem kulturanthropologischen Ansatz aus, der Kultur als performance versteht, die sich in »konstruierten Räumen« (»church as oikos-type space«, 132) abspiele. Er kann dabei zwar plausibel zeigen, wie der Autor des 1Tim »constructs ecclesial space, and how this construction relates to the household space which is also a prominent concern« (114). Dass dies aber einem Verständnis der οἰκος θεοῦ-Metapher in 1Tim 3,15 als Ausdruck einer Transformation paulinischer Tempelmetaphorik zur Haushalts-Ekklesiologie des 1Tim entgegenstehen soll (133), ist nicht deutlich.
Vasile Mihoc, »The Final Admonition to Timothy (1Tim 6,3–21)« (135–152), untersucht schließlich das sechste Kapitel und bietet eine Reihe von interessanten Beobachtungen zum Text. So weise etwa der Begriff εὐσέβεια keineswegs auf eine ›bürgerliche Christlichkeit‹ hin, sondern sei theologisch im Christusgeschehen begründet (142). Im Blick auf die Ermahnung zur Bewahrung des Gebotes (1Tim 6,14) folgt Mihoc den Kirchenvätern und bezieht den Begriff ἐντολή, auf die Gesamtheit der ethischen Forderungen des Evangeliums (146). Bemerkenswert sind auch die Argumente von Mihoc für eine konsequente Verankerung der eigentümlichen Mahnung an die Reichen (1Tim 6,17–19) im Duktus des Briefes. Bei den sehr knappen Ausführungen zum Begriff der γνώσις in 1Tim 6,20 f. hätte man gern den Grund für das Urteil erfahren, er sei »surely not referring to later Gnosticism« (151).
Im Anschluss bietet der Herausgeber Karl P. Donfried, »Rethink­ing Scholarly Approaches to 1 Timothy« (153–182), einen substantiellen und die Diskussion um die Past weitsichtig aufnehmenden Beitrag, indem er die Hauptprobleme der Pastoralbriefforschung erörtert, damit notwendig über den Horizont der anderen Beiträge hinausgeht und auch neuere Perspektiven in den Blick nimmt. Zu Recht hebt er hervor, dass ein Brief wie der 1Tim – und man wird dies für die Past generell sagen können – nur dann angemessen interpretiert werden kann, wenn er »as part of … a larger Pauline trajectory« verstanden wird. Den mangelnden Konsens in der Paulusforschung versteht er als eine Herausforderung zu einem »more collaborative model of cooperative research« (170).
Den Abschluss des Bandes bildet der Aufsatz von László T. Simon, »Crescere nella ›bella professione di fede‹. La responsabilità per il vangelo secondo la Prima lettera a Timoteo« (183–199). Simon stellt noch einmal grundsätzliche Fragen zur Auslegung, die eine so späte neutestamentliche Schrift wie der 1Tim aufwirft. Er versteht den 1Tim vor allem aufgrund der engen Verbindung zur Paulustradition als ein Instrument und Zeugnis des Wachstums und der Verantwortung (186.190) einer neuen Generation, die vermittelt durch die literarische Person des Timotheus »eingeladen« (197) werde, diese Verantwortung in der Entwicklung der Tradition angesichts ihrer aktuellen Herausforderungen wahrzunehmen.
Dass sich das Colloquium Paulinum nun auch mit den Pastoralbriefen beschäftigt, ist sehr begrüßenswert, wird dadurch doch – wie es der Herausgeber als Wunsch für die Zukunft formuliert hatte – der internationale wissenschaftliche Austausch auf diesem inzwischen wieder so kontroversen Gebiet der neutestamentlichen Forschung maßgeblich befördert. Die in dem vorliegenden Band publizierten Beiträge zeigen anschaulich, dass in dieser Hinsicht noch viel Arbeit zu leisten ist.