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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

314-316

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bauckham, Richard, and Carl Mosser [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Gospel of John and Christian Theology.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2008. XXIV, 404 S. gr.8°. Kart. US$ 32,00. ISBN 978-0-8028-2717-3.

Rezensent:

Thomas Knöppler

Der Band vereint Referate einer 2003 an der University of St. An­drews abgehaltenen Tagung, die dem Dialog von Exegeten und Systematischen Theologen diente. Auf eine kurze Einführung (R. Bauckham) folgen Beiträge zur Opposition von johanneischem Dualismus und modernem Pluralismus (St. C. Barton, M. Volf), zur Auslegungsgeschichte (D. J. Bingham, R. Williams, T. Larsson), zur Frage der Historizität (C. St. Evans, R. Bauckham), zum Anti-Judaismus (St. Motyer, J. Lieu, T. Griffith, S. K. Tonstad), zur Auferweckung des Lazarus (A. T. Lincoln, M. M. Thompson, A. J. Tor­rance), zur johanneischen Christologie (M. Hengel, M. Rae, P. N. Anderson, K. B. Larsen) und zur gegenwärtigen theologischen Relevanz (A. Scrutton, J. Moltmann). Autorenverzeichnis und Register bilden den Schluss.
Die ersten beiden Beiträge stellen den johanneischen Dualis­mus und den heutigen Kulturpluralismus einander gegenüber. Beide Autoren (Exeget Barton und Systematischer Theologe Volf) wissen um die Kontextbezogenheit der dualistischen Aussagen und hinterfragen den normierenden Anspruch des Pluralismus. Sie kommen je auf ihre Weise zum Ergebnis, dass »the very particular dualistic language and thought-forms« (Barton, 18) im Johannesevangelium eine »salutary« (Volf, 48) Funktion zukomme. – Ein fruchtbarer Dialog der theologischen Fachgebiete ist hier klar erkennbar.
Die Beiträge zur Auslegungsgeschichte befassen sich mit dem Einfluss des johanneischen Gottesbildes auf Irenäus (Bingham), beschreiben einen gemeinsamen Hintergrund der Johannesexegese von vier prominenten Anglikanern (Williams) und umreißen christologische Auslegungsmuster des 16. und 20. Jh.s (Larsson).
Historizität sei gegeben, wenn der historische Verlässlichkeit voraussetzende Leser durch das Evangelium eine genaue Vorstellung von der Jesusgeschichte erhalte; der erkenntnistheoretische Wert einer Zeugenaussage gelte auch ohne Beweise (Philosoph Evans). Dem Zeugnis des Lieblingsjüngers komme historische wie theologische Relevanz zu: dieser Augenzeuge der göttlichen Herrlichkeit Jesu sei aufgrund eigener Anschauung besonders qualifiziert (Exeget Bauckham). – So zutreffend die Betonung der Augenzeugenschaft ist, so sehr lässt dieser Ansatz doch eine angemessene Bezugnahme auf die literarische und theologische Genese des Evangeliums vermissen (vgl. die Kritik von J. Schröter in: Die Evangelien als Augenzeugenberichte? Zur Auseinandersetzung mit Richard Bauckham, ThR 73 [2008], 219–233). Unverständlich bleibt zudem, warum der Herausgeber dem Tagungskonzept zuwider einen Philosophen hinzuzieht.
In der Frage des Anti-Judaismus sei die negative Redeweise von den »Juden« auf der Folie des exklusiven christlichen Anspruchs zu begreifen; letztlich strebe das vierte Evangelium aber eine Gemeinschaft der Christen mit den Juden an (Motyer). Die Detailliertheit der Jesusgeschichte stehe einer Verallgemeinerung der »Juden« als Exponenten der gottfeindlichen Welt entgegen (Lieu). Die harten Worte Jesu gegen die glaubenden Juden in Joh 8,31–47 müsse man auf die Apostaten von 6,66–71 beziehen (Griffith). In Joh 12,20–33 seien nicht »die Juden«, sondern der Teufel der eigentliche Widersacher Jesu (Tonstad). – Die Ausführungen zu dieser Frage sind interessant, halten aber nicht in jedem Fall der Überprüfung durch den Primärtext stand.
Die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus könne im Blick auf ihre literarischen Merkmale, rhetorische Intention und theologische Thematik als »the Fourth Gospel in miniature« (Lincoln, 232) gelten. Die drei Artikel des Credo seien als Interpretationsrahmen für die theologischen Aussagen in Joh 11 tauglich (Thompson). Unter bestimmten philosophischen und theologischen Prämissen sei eine historisch sachgerechte Bewertung der Lazaruserzählung möglich (Torrance). – Das unterschiedliche Niveau dieser Vorträge dürfte unverkennbar sein.
Als spannend erweisen sich die Beiträge zum gewichtigen Thema der Christologie. Ausgehend von einer Gegenüberstellung des ersten und des vierten Evangeliums legt Martin Hengel eine theologische Exegese des Prologs vor (Offenbarungsgeschichte, Klimax in der Aussage über Inkarnation und Herrlichkeit, implizite theologia crucis, Antizipation der Zweinaturenlehre) und zieht daraus Schlussfolgerungen mit theologiegeschichtlichen Bezügen. »The Prologue is the most influential christological text in the New Testament. It leads us into Johannine Christology and cannot be separated from it. More­over, it showed the early church the way to christological truth« (Hengel, 289). – Aufgrund seiner tiefsinnigen Beobachtungen und weitgespannten Bögen zu zentralen christologischen Fragen gehört Hengels Beitrag völlig zu Recht zu den »highlights of the conference« (Bauckham, XX).
Der systematische Theologe Murray Rae sieht die Klimax des Prologs dagegen in den Schöpfungsaussagen, die im Evangelium mit der Rede von Jesu Wirken des göttlichen Werks aufgenommen und mit den Begriffen Licht und Leben sowie dem Vorgang der Neuschöpfung verbunden werden. Die Aussagen über das schöpferische Wort Gottes seien der hermeneutische Schlüssel für das ganze Evangelium mit der Folge, dass sich die Passion Christi von Jes 42,14 her als »something like the labor of a woman in travail« (Rae, 309) darstelle. – Raes Ausführungen eröffnen neue Perspektiven, implizieren jedoch eine erhebliche Verschiebung der theologischen Akzente des vierten Evangeliums.
Der Exeget Paul N. Anderson fordert, dass die christologischen und theologischen Spannungen im Johannesevangelium nicht mittels Quellenkritik und Redaktionsgeschichte aufzulösen, sondern als absichtsvolle Dialektik zu verstehen seien; impliziert sei »a conjunctive approach to truth exploration in which opposites are not eliminated but are held together in tension« (328). – Andersons Forderung und seine Ausführungen zu den Ursachen der Spannungen sowie zu deren Manifestationen im Prolog verdienen eine Berücksichtigung in der weiteren exegetischen Diskussion.
In Anlehnung an Ernst Käsemanns Feststellung über den »naiven Doketismus« der johanneischen Christologie sieht der Exeget Kasper Bro Larsen im vierten Evangelium literarisch ein »narrative docetism« (354). Zur Begründung verweist er auf die Dominanz der kognitiven Dimension gegenüber dem pragmatischen Aspekt sowie auf die durchgängige Darstellung Jesu als des sou­veränen Herrn jeder Situation. – Larsens Analyse wird jedoch (anders als etwa die von P. Bühler in: Ist Johannes ein Kreuzestheologe? Exegetisch-systematische Bemerkungen zu einer noch offenen Debatte, FS J. Zumstein, Zürich 1991, 191–207) der Komplexität des im Johannesevangelium vorliegenden narratologischen Konzepts nicht gerecht.
Abschließend wird die Soteriologie des Johannesevangeliums mit gegenwärtigen theologischen Reflexionen zum Thema verbunden (Scrutton) und dessen Relevanz für eine trinitarische Eschatologie herausgestellt (Moltmann mit vielen Verweisen auf eigene Publikationen und ohne Kenntnis des dreibändigen Werks von J. Frey).

Interdisziplinärer Dialog der theologischen Fachgebiete mit ihren nichttheologischen Nachbardisziplinen ist ein unverzichtbares Kommunikationsgeschehen zur Profilierung wissenschaftlicher Arbeit. Dieser Austausch sollte aber die Kommunikation der theologischen Fächer untereinander nicht verdrängen. Es ist das Verdienst der in St. Andrews versammelten Exegeten und Systematischen Theologen, den Dialog untereinander befördert und durch den vorgelegten Band bereichert zu haben.