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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

306-309

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ruppert, Lothar

Titel/Untertitel:

Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar 4. Teilbd.: Gen 37,1–50,26.

Verlag:

Würzburg: Echter 2008. 576 S. gr.8° = Forschung zur Bibel, 118. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-429-03010-0.

Rezensent:

Horst Seebaß

Nachdem der Rezensent die drei ersten Teilbände zu besprechen hatte (1. Teilbd.: Gen 1,1–11,26, fzb 70, 1992; 2. Teilbd.: Gen 11,27–25,18, fzb 98, 2002; 3. Teilbd.: Gen 25,19–36,43, fzb 106, 2005) und weil der Vf. den Genesis-Kommentar des Rezensenten als besonderen Gesprächspartner betrachtet, fiel ihm nun erneut die Pflicht zu, den letzten Teilband vorzustellen.
Der Vf. gliedert diesen Kommentarband in: »Einleitung in die Josefserzählung im Horizont neuer Wege der Pentateuchkritik« (17–53), »Literatur« (55–82), »Kommentar (83–547, ebenfalls mit sehr viel Literatur) sowie »Rückblick und Ausblick« (549–576). Man darf einleitend hervorheben, dass der Vf. außerordentlich viel an internationaler Literatur zur Geltung gebracht und diskutiert hat, wobei man Vollständigkeit bei der herrschenden Literaturflut kaum mehr erreichen kann. Wie in den bisherigen drei Teilbänden hat der Vf. sich auch diesmal nicht dem Druck mancher nationaler und internationaler Forschungsliteratur gebeugt, die klassische, letzten Endes auf J. Wellhausen zurückgehende und von M. Noth modifizierte Theorie der Pentateuchquellen J(ahwist), E(lohist), Je(howist), D(euteronomistische Schicht), P(riesterschrift), P s aufzugeben, was in dem komplizierenden Fall von Gen 37–50 seit Wellhausen relativ leicht hätte geschehen können. Für den Vf. steht aber fest, dass diese Quellen in der Genesis existieren und ihre Fortsetzung mindestens im Buch Exodus haben (30–34). Über dem allen muss und darf stehen, dass die Josephsgeschichte zwar zu den literarisch schönsten, aber leider auch zu den analytisch schwierigen Partien des Pentateuchs gehört. Der Vf. wird beidem in einfühlender, oft auch erzählender Sprache in hohem Maße gerecht. Wie die drei ersten Bände ist auch dieser letzte ganz von kritischer Arbeit am Text in allen Facetten und gleichgewichtig von theologischer Würdigung der jeweiligen Texte geprägt – ein unbestreitbarer Gewinn für den sachgemäßen Umgang mit der Genesis als Buch. Die Rezension muss sich vor allem den jeweiligen Textauffassungen des Vf.s widmen, nach deren Gesamt erst das Bild der Josephsgeschichte erstehen kann.
In der Gliederung des Stoffes fällt lediglich auf, dass der Vf. die Verse 47,27 und 47,28 als zwei getrennte Einheiten diskutiert (403–407), wohl weil 47,28 eindeutig P sei, 47,27 aber eine Mischung aus J und Ps. Wie in den früheren Bänden begegnet auch diesmal die Annahme einer starken Beteiligung des sog. Jehowisten (Je neben J und E), zu den einstigen Vorschlägen J. Wellhausens passend (s. o.). Da dies zu den Kernideen des Vf.s in all seinen Teilbänden gehört, muss der Rezensent darauf hier nur ausnahmsweise näher eingehen. Wichtig für das Verstehen der Analysen ist dazu, dass der Vf. die Schicht J am Ende des 10. Jh.s, die Schicht E um ca. 740 v. Chr. gegen Ende des noch bestehenden Nordreichs Israel, den Jehowis­ten aber bereits um 700 v. Chr. datiert (37–41) und diesen damit in der Hiskiazeit ansiedelt, als wahrscheinlich Jerusalem-Juda Zu­wanderungen aus dem ehemaligen Nordreich erfuhr. Vorweg sei erwähnt, dass die vom Vf. angenommene josianische Redaktion (41 f.; jR, kurz vor 600 v. Chr.) dem Rezensenten wie schon in den ersten drei Bänden nirgendwo plausibel geworden ist. Nachdrück­lich darf der Rezensent noch vermerken, dass der Vf. im Rahmen seiner guten Literaturverarbeitung an all den Stellen, an denen ägyptologisches Vergleichsmaterial zur Deutung erforderlich ist, dieses kritisch überzeugend sichtet und das seiner Meinung nach Wichtige aufnimmt. Im Einzelnen:
Der Vf. gibt eine ausgezeichnete Analyse zu 37,1–36 (83–126). Der Abschnitt geht ihm zufolge im Wesentlichen auf J und E zurück, wobei er zwei verdienstvolle Vorschläge einbringt: 1. Die Vorbereitung und Einfügung des zweiten Traums von Joseph in 9–10.11b schreibt der Vf. einer erst nachexilischen Redaktion zu, weil die Josephserzählung selbst nichts von einer Verneigung der Mutter Josephs zu berichten weiß, seine Mutter vielmehr nach Gen 35,16–20 längst verstarb und begraben wurde (93). 2. Der Vf. tilgt 26a.27b einleuchtend als Nachtrag des Jehowisten, weil Juda nicht, wie im Nachtrag behauptet, in gleicher Position wie Ruben, der Erstgeborene war, um seine Brüder zu einem bestimmten Handeln zu animieren (86.96 f.).
Von Gen 38, das der Vf. ganz dem Je zuschreibt (?, üblich: Jahwist; 127–158), trennt er den Schlusspassus 27–30 plausibel als nicht zum Korpus gehörig ab, weil 27–30 dem in späterer Zeit wachsend prominenten Haus Davids gewidmet sind. Dass 27–30 der josianischen Redaktion (s. o.) zugeschrieben wird und nicht eher späterer Redaktion, erscheint unbegründet.
Bei Gen 39, dessen Auslegung (159–188) einschließlich des Vergleichs mit dem ägyptischen Brüdermärchen nur bestens zu nennen ist, gibt es leider eine Verunstaltung durch einen gravierenden Druckfehler (das Buch wimmelt an leicht korrigierbaren Druck­fehlern). Der Vf. 164 endet mit einem Satzanfang: »Als um die Mitte …«, der auf S. 165 keine Fortsetzung findet.
Bei Gen 40 hat der Vf. alte literarkritische Probleme dadurch hinter sich gelassen, dass er die Elemente, die zum Teil J zugeschrieben wurden, als Nachträge des Je erklärt und damit einen einheitlichen E-Je-Text erhält, den er vorzüglich auslegt (189–204). 40,15, also die Notiz, nach der Joseph sich als gestohlen bezeichnet, sieht der Vf. mit Recht als Nachtrag an.
Zu Gen 41, das als eines der wichtigsten Kapitel genauer anzusehen ist, führt der Vf. mit der Annahme von Nachträgen zumindest an drei Stellen Plausibles an (205–243): 1. Die Verse 29–31 wiederholen unnötig die Erläuterung der zweimal sieben Jahre »Überfluss«. 2. Die Verse 34a.35–36 führen wohl nur erläuternd aus, auf welche Weise der Pharao das Einsammeln von Getreide durch Hilfskräfte für einen »weisen und verständigen Mann« bewerkstelligen sollte. 3. Die Ausstattung Josephs mit Siegelring und Byssusgewand (V. 42) geht ebenso auf einen Nachtrag zurück wie wohl auch die Notiz der städteweisen Einsammlung des Korns V. 48b. Jedoch wird die Ge­samt­erklärung nach Meinung des Rezensenten vor allem den zum Teil in sich widersprüchlichen Angaben nur teilweise gerecht. Mindestens zwei philologische Punkte seien hier genannt: 1. Zu dem berüchtigten jischschaq in V. 40a gibt der Vf. 210 Nr.q eine inzwischen verfehlte Deutung. Ihm wie dem Rezensenten (Jo­sephs­geschichte, 64 f.) ist M. Görg, Zu einem »Verstehensproblem« der Josefsgeschichte: BN 75 (1994) 13–17, entgangen. Görg leitet den Be­griff plausibel vom ägyptischen jsq »innehalten, warten« ab, Ges18 857 hat es übernommen. Bei Görg, a. a. O., fand also auch das hyp­akusetai »man wartet« der LXX eine angemessene Erklärung. 2. Der Vf. übernimmt die gängige Deutung des Joseph-Titels Zaphenat Paaneach von 45 aus ägyptisch D-d-p3-nt-r-iwf-cnḫ (233). Die vom Rezensenten (Josephsgeschichte, 71 f.) genannten ägyptologischen Gegenbedenken erwähnt der Vf. nicht. – Gen 41 zu exegesieren bleibt schwierig, die schlagende Lösung ist wohl noch nicht gefunden. Nur so viel bleibt eindeutig: Die Verse 41,40 f. erklären, dass Joseph zum zweiten Mann Ägyptens nach dem Pharao wurde, was er an anderen Stellen der Josephsgeschichte nicht ist (sicher nicht in 50,1–14.22–26).
Bei Gen 42 findet man eine gut begründete Exegese zur hier ganz überwiegenden E-Schicht, nur dass der Vf. wohl mehr als nötig neben J und E dem Jehowisten oder der Redaktion zuschreibt (245–265).
Der Vf. unterteilt die zu einem Spannungsbogen gehörenden Kapitel Gen 43 f. (267–307). Die Seiten 267–285 sind 43,1–34 J mit Erweiterung durch den Jehowisten (Je) und einer möglichen Glosse in 43,14 gewidmet. Einiges spricht dafür, 43,17b–23 mit dem Vf. als Einschub des Je zu sehen (273; mit Vf., 268, dann auch V. 12). Ferner könnte der Vf. damit Recht haben, dass das nach V. 16 (nicht 15, so Vf.) zweite Sehen Benjamins durch Joseph in den Versen 29–31, mit dessen anschließendem Weinen, der Szene 42,21–24 nachempfunden ist (anders als Vf., 242, dort kaum erst Je). Die Anspielungen in den Versen 31–34 auf (angeblich) ägyptische Bräuche erklärt der Vf. 281 f. überzeugend. Auf den Seiten 287–303 behandelt der Vf. Gen 44. Die Auslegung des Wortlauts kann man nur vorzüglich nennen und die Annahme von Zusätzen in 1b.2ab.8–10 plausibel (Geld zurück vom Majordomus). Dass aber der Vf. den Passus 17–34 dem J aberkennt und dem Je zuschreibt (288 f.291–293), nimmt (trotz Berufung auf J. Wellhausen: 292) dem großartigen Kapitel 44 seine überragende Zuspitzung des Dramas.
Den Abschnitt 45,1–15, der eine erste Deutung für das aus einem Verbrechen der Brüder an Joseph wunderbar gewandelte Geschehen einer Rettung erst Josephs und Ägyptens, dann der Familie Josefs enthält, erklärt der Vf. literarisch vorzüglich (309–327). Über 45,16–24.25–28 (329–339) kann man, da wenig problemhaft, hinweggehen (in 45,16–26 scheint dem Rezensenten eher P als Ps angemessen).
Den Abschnitt 46,31–47,12 diskutiert der Vf. in all seinen diplomatischen Einzelzügen ausgiebig und überzeugend (369–384). Das allgemein als Nachtrag angesehene Element 47,13–26, das wegen seiner Landbesitzvorstellungen in Altisrael anstößig wäre, erklärt der Vf. als eine Erzählung von der Rettung der Ägypter durch den Israeliten Joseph aus Hungersnot und Verarmung durch Selbstverkauf an den Pharao in (ungenauer) Anlehnung an urägyptische Vorstellungen (385–401).
Das schöne Element 47,29–31 J diskutiert der Vf. gründlich unter dem Titel »Israels Letzter Wille« (409–415), nach dem der Vater Joseph verpflichtete, ihn nicht in Ägypten begraben zu lassen.
Es folgt der schwer zu analysierende Abschnitt 48,1–22 (417–440). So gewiss der Vf. relativ unumstrittene Passagen wie 3–6.(7) P, die Formel 15b–16 und die Segensformel in 20 treffend erläutert, so wenig hat er oft den tatsächlichen Wortlaut gelten lassen.
Ein kleines Werk für sich legt der Vf. zu 49,1–33 (Jakobssegen) vor (441–508). Es steht nicht zu erwarten, dass die Ausleger sich in nächs­ter Zukunft bei dieser ebenso großartigen wie textkritisch schwierigen Tradition mehrheitlich auf ein plausibles Verständnis einigen, wenn man von dem P-Anhang 29–*33 (mit dem wohl älteren Element 33ab) absieht. Die vom Vf. geleistete Diskussion ist äußerst respektabel und trägt dem Rechnung, dass 49,1–27 ein selbständiges Element ist, das in die Josephserzählung einbezogen wurde. Ein Konsens könnte sich, so der Vf., darin abzeichnen, dass die Sprüche zu Sebulon, Issachar, Dan, Gad, Ascher und Naftali eine altertümliche, ins Nordreich weisende Gruppe für sich bilden, während die Sprüche zu Ruben, Simeon und Levi (ohne 7b) und Juda durch das gemeinsame »Du« der Anrede eine Judas Dominanz vorbereitende sein dürften. Der Josephsspruch wird schon aus textkritischen Gründen umstritten bleiben.
Die Abschnitte 50,1–14 und 50,15–21 interpretiert der Vf. sachgemäß als integrierte, abschließende Teile der Josephserzählung (509–522.523–536). Nicht einverstanden ist der Rezensent mit der Eskamotierung von »Kanaaniter« und »jenseits des Jordan« (V. 11) in 50,1–14, weil die auf die ägyptische Größe Kanaan zurückzuführende alttestamentliche Größe Kanaan nirgendwo definitive Grenzen hatte (s. Rezensent, Numeri, Kapitel 22,2–36,13: BKAT IV,3 [2007] 405 f.). Zu 50,22–26 stellt der Vf. zunächst heraus, dass 24 ein von 25 angeleiteter Zusatz ist, der im Schluss auch noch typische dtr Wendungen zeitigt (537–547). Den verbleibenden Bestand könnte man ohne Weiteres als Einheit, abgeleitet von E, deuten. Aber theorie­bedingt (er brauchte hier J) wählt der Vf. die Zersplitterung in vier kleinste Einheiten 22/23/24/25 f. und rechnet nach 50,*1–14 J(-Abschluss) unnötigerweise 22 zu J statt zu E (539). Auf dieser Basis kommt es dann zu der kaum begreiflichen Annahme, die Einbalsamierung Josephs und die Bewahrung der balsamierten Leiche in einem Kasten/Schrein/Mumiensarg sei aus 50,2 f. J abzuleiten. Die Szenen sind je so unvergleichbar wie möglich.
Der Band schließt mit einem zusammenfassenden Rückblick und Ausblick (549–576), in denen der Vf. sinnvoll noch einmal die Grundlinien seiner Erklärung zusammenfasst und danach das äußerst dürftige alttestamentliche Echo auf die Josephsgeschichte in Ps 105 mit eigenen Anwendungen (»Josef als Opfer wird zu einer Art Märtyrer mit prophetischen Zügen« 557), vier frühjüdische Reminiszenzen in JesSir, Weish. Sal., 1Makk und in Tobit erwähnt und schließlich das knappe neutestamentliche Echo in Apg 7 und Hebr 11,21 f. anführt.
Zusammenfassend kann der Rezensent uneingeschränkt sagen: Der Vf. hat mit seinen gründlichen Auslegungen trotz hin und wieder erwähnter Einzelkritik ein wissenschaftlich und theologisch hilfreiches Werk präsentiert, mit dem er sich sozusagen selbst eine Festschrift aus Anlass seines 75. Geburtstages schuf.