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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

302-306

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Römer, Thomas [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Books of Leviticus and Numbers.

Verlag:

Leuven-Paris-Dudley: Peeters 2008. XXVII, 742 S. gr.8° = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 215. Kart. EUR 85,00. ISBN 978-90-429-2094-1.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

Der umfangreiche Band enthält die Vorträge, die auf dem 55. Colloquium Biblicum Lovaniense (August 2006) gehalten wurden. Die Gesamtgliederung unterscheidet zwischen Hauptvorträgen (3–369) und individuellen, außerhalb des Kolloquiums gehaltenen Beiträgen (370–684).
Auf eine kurze, die Inhalte der Beiträge zusammenfassende Einführung des Herausgebers (XIII–XXVII) folgt als erster Hauptvortrag unter der Überschrift »De la périphérie au centre: les livres du Lévitique et des Nombres dans le débat actuel sur le Pentateuque« (3–34) eine informative Darstellung T. Römers über die Rolle der Bücher Lev und Num in der aktuellen Pentateuchdebatte. Römer macht hier seinem Ruf als stets umfassend orientierter Berichterstatter alle Ehre. Die fast ausschließlich redaktionsgeschichtliche/-kritische Ausrichtung der gegenwärtigen Pentateuchforschung wird dabei überaus erkennbar.
Das wird bei den beiden an den Anfang gestellten Beiträgen sofort deutlich. Ihr Blick richtet sich auf die Struktur des Pentateuchs als Ganzem und die Position von Leviticus-Numeri in seinem Gesamtaufbau: E. Zenger und C. Frevelbehandeln gemeinsam »Die Bücher Leviticus und Numeri als Teile der Pentateuchkomposition« (35–74). Für den Aufbau von Lev wird davon ausgegangen, »daß das Buch Levitikus fast ausschließlich eine Aneinanderreihung direkter Gottesreden ist« (39). Daraus ergibt sich ein siebenteiliger Aufbau. Methodentypisch ist dabei, dass allein der Endtext in den Blick kommt. Die narrativen Einleitungen sind jedoch offensichtlich das Ergebnis einer letzten Rahmung in einer Sammlung noch klar erkennbarer Einzelüberlieferungen, meist kultischer Ordnungen. Dies lehnen die Verfasser allerdings ab; sie sehen vielmehr in Lev 16–17 mit der »Botschaft vom versöhnungswilligen Gott« das Zentrum des Buches (41). Der Aufbau des Buches Num wird dagegen »spatial« erklärt: Es wird eine Achse erkennbar, die sich als Bewegung »Ägypten-Sinai-Wüste-Moab-Kanaan« (55) herausstellt. Sie verbindet mit Dtn (Pentateuch) und Jos (Hexateuch) (72–74). Die gleiche Thematik behandelt F. García López, La Place du Lévitique et des Nombres dans la Formation du Pentateuque (75–98). Für ihn bilden Gen-Lev einen durchlaufenden »Tetrateuch«; Num ist eine gesonderte Einheit. Num 1–10,10 bezieht sich auf Ex-Lev; 10,11–36,13 auf Dt-Jos. Num ist das Zentrum einer späten »hexateuchischen Redaktion« (96), die Triateuch und Dt-Jos verbindet, Patriachen- und Exodusüberlieferung (97–98).
Auf das vieldiskutierte Problem des vermutlichen Endes der Priesterschrift (auch s. u.) geht E. Noort in dem Beitrag »Bis zur Grenze des Landes? Num 27,12–23 und das Ende der Priesterschrift« (99–119) erneut ein. Nach einem Überblick über frühere Thesen wendet er sich dem Numeritext zu. Ergebnis: Num 27,12–23 bildet das Ende von P. Von einem Hexateuch kann nicht geredet werden.
O. Artus, »Le problème de l’unité littéraire et de la spécifité théologique du livre des Nombres« (121–143), diskutiert zunächst (I.) einige frühere Thesen für den Aufbau von Num (II.). Eigener Strukturvorschlag (138–39): unabhängige Position im Pentateuch; dreigliederige Struktur entsprechend der Topographie: (1.) Num 1,1–10,10: Sinai; (2.) Num 22–36: Moab-Ebene; (3.) Num 11–21: Weg Israels vom Sinai nach Moab, mit zentraler Sektion unter dem Ortsnamen Kadesch. Abfolge von drei Generationen. Bezug von Num 1–10 zu Ex. (III.) Eine »Theologie« des Buches Numeri? Die erste Sektion beschreibt den Gemeindeaufbau in der Wüste, die zweite die Verzögerung der Landnahme durch die Fehler der ersten Generation, die dritte setzt [besonders durch den Festkalender Num 28/29] schon die Landnahme voraus. Strukturell herrscht eine Einheit, theologisch die Heterogenität von Num vor.
R. Achenbach, »Das Heiligkeitsgesetz und die sakralen Ordnungen des Numeribuches im Horizont der Pentateuchredaktion« (145–175). Als Schüler von E. Otto besonders auf redaktionsgeschichtliche Aspekte ausgerichtet, sieht Achenbach H als einen ursprünglich selbständigen Text, durch den P »im Kontext der Neubearbeitung der Sinai-Perikope im Rahmen einer Pentateuchredaktion« (175) zur Eintragung priesterlicher Akzente ergänzt worden ist. In nach-pentateuchischer Zeit (wahrscheinlich erst im 4. Jh.) gab es noch weitere redaktionelle Ergänzungen durch zadokidische Kreise.
Christophe Nihan, Schüler von T. Römer, vergleicht, wie schon der Titel seines Beitrags: »Israel’s Festival Calendars in Leviticus 23 and Num 28–29 and the Formation of ›Priestly‹ Literature« (177–231) verrät, die in vielen Formulierungen einander entsprechenden Festkalender. Sein Standpunkt wird sogleicht deutlich: »their liter­ary dependence can hardly be disputed« (Hervorhebung vom Rezensenten). Nachdem Nihan gezeigt hat, dass Lev 23 »is built on the systematic reception of all other biblical calenders« (218) kommt er zum Schluss, dass Num 28–29 (gegen Knohl, Milgrom u. a.) jünger ist als P. Für die »priesterlichen« Texte in Num schließt sich Nihan dem Vorschlag von Achenbach an, es handle sich um eine »Theokratische Bearbeitung«.
H. Seebaß, der inzwischen seinen Kommentar »Numeri« (BKAT IV; 2003–2007) abgeschlossen hat, informiert über »Das Buch Numeri in der heutigen Pentateuchdiskussion« (233–259). (II.) Auch er betrachtet Num als das späteste Buch im Pentateuch und durch eine Redaktion gegen Ende 4. Jh. (»Num-Komposition«; 238) vollendet. Seebaß folgt den traditionellen Quellen E und J (sowie Pg, zwischen 539–520), die jedoch nur einen geringen Anteil an Num ausmachen.
T. E. Dozeman, »The Midianites in the Formation of the Book of Numbers« (261–284) diskutiert den Widerspruch zwischen der positiven (Num 10,29–36: Verbindung Israels zu Midian durch Moses Heirat; hilfreicher Schwiegervater) und der negativen Bewertung Mideans (Num 23–31: Pinehas und Midian: Externe Bedrohung durch Heirat). Dozeman führt die Spannung auf zwei Autoren zurück. Ihr Gegensatz spiegelt eine Debatte zur Zeit des zweiten Tempels: Der nicht-priesterliche Verfasser der Erzählungen über Moses Heirat und seinen midanitischen Schwiegervater hält die Möglichkeit der Aufnahme von Proselyten in den JHWH-Glauben aufrecht. Der priesterliche Autor der Erzählungen über Pinehas und die Midianiter schließt diese Möglichkeit zugunsten der Reinheit des Kultes und einer einzigen Linie von Priestern für seine Verwaltung aus.
A. Marx, »Le système sacrificiel de P et la formation du Penta­teuque« (285–303) hält für besonders wichtig, dass das Erzählprogramm von P ab Ex 29 beginnt, Kulttexte dagegen schon in Gen und dem Anfang von Ex. Gen 1,1–2.4a. Die Siebenzahl im Kult komme von dort. Ebenso das vegetabile Opfer, das von Gen 1 her nur bei P vorkomme. Dass dessen Bedeutung ohne den Bezug auf Gen 1 »parfaitement incompréhensible« sei (294) ist allerdings ein der redaktionskritischen Methode geschuldeter Irrtum – ebenso der Datierungsversuch mit dem Hinweis auf den Zoroastrismus, dessen Gründer Gewalt gegen Tiere verboten habe (295).
James W. Watts, bekannt als Vertreter der Rhetorik als Zentralmethode, kommt auch hier mit seinem Ansatz zu Worte: »Ritual Rhetoric in the Pentateuch. The Case of Leviticus 1–16« (305–318). Der Schwierigkeit, gerade in Lev 1–16 einen rhetorischen Aufbau zu finden, begegnet W. zunächst mit dem Hinweis, Tora sei, biblischen Hinweisen entsprechend, zum mündlichen Vortrag be­stimmt gewesen (305). Um eine rhetorische Absicht hinter Lev 1–16 plausibel erscheinen zu lassen, muss Watts auf Lev 8–10 verweisen, das einzige narrative Stück in Lev. Es diente (einschließlich Lev 10) der Legitimation der aaronidischen Priesterschaft. Watts will speziell auch Lev 4–5 und 12–16 mit diesem Ziel in Verbindung bringen, schließt aber grundsätzlich die übrigen Kapitel in diese Intention ein.
Thematisch benachbart ist auch der Beitrag von B. Luciani, »Structure et théologie en LV 1,1–3,17« (319–327). Luciani, der bereits dem gesamten Buch Lev eine ausführliche Darstellung seiner literarischen Struktur gewidmet hatte (»Sainteté et pardon. I: Structure littéraire du Lévitique«, Leuven 2005), zeigt sein Vorgehen an dem »mikrostrukturellen« Beispiel des ersten Abschnittes der Sektion Lev 1–7. Inhaltlich bringt Luciani eigentlich keine neuen Erkenntnisse.
H. Liss behandelt »Ritual Purity and the Construction of Identity« (329–354) von einem jüdischen Traditionshintergrund her und zugleich in Kenntnis des exegetischen Forschungsstandes. Auch ihr ist der biblische Endtext entscheidend. Der Rahmen als Jahwereden bestimmt den Text als Gotteswort, die 3. Person seinen narrativen Charakter, dies unbeschadet dessen, dass literarhistorische Forschung viele priesterliche Manuale (Tora) entdecken mag. Unreinheit, die durch Berühren übertragen wird, ist der Gegensatz zu (Gottes) Heiligkeit. Wie andere Ausleger versucht auch Liss, mit dem Begriff des »Trennens« einen Bogen zu P’s Schöpfungserzählung zu schlagen.
T. Staubli, »Hühneropfer im Alten Israel. Zum Verständnis von Lev 1,14 im Kontext der antiken Kulturgeschichte« (355–369) stellt die These auf, die in Palästina heimischen Hühnervögel (Halsbandfrankolin, Chukarhuhn und Arabisches Wüstenhuhn) seien unter dem Namen רות im biblisch-hebräischen Opfersystem vertreten. Das verteidigt er durch altorientalische Sprachbelege, durch ornithologische Nachweise und durch exegetische Begründungen. Am wichtigsten: Die »Turteltaube« kann mit רות, dem scheuen Wildvogel, als Opfertier nicht gemeint sein. – Auch der Begriff ארק bezeichnet Wildhühner. Bei den im städtischen Milieu beheimateten Rabbinen wird daraus »Turteltaube«.
Von den freiwillig angebotenen Vorträgen soll nur eine Auswahl zur Sprache kommen: Unter ihnen steht der von I. Himbaza »Le Lévitique dans la nouvelle Biblia Hebraica (BHQ)« (373–381) voran. Da im Jahre 2008 (und noch 2009) dieser Band noch nicht erschienen ist, beschränkt sich Himbaza auf Lev 1–7. Als Mitarbeiter bei der Edition erwähnt Himbaza in Abschnitt I. einige Wiedergabebeispiele in den verschiedenen Textformen Sm, G und S und auch anderen Textzeugen. Abschnitt II. behandelt verschiedene Übersetzungen des Wortes ינפל in der Lev-Septuaginta. Alternativen sind ἔναντι, das regelmäßig gebraucht wird, wenn es sich um das Gericht JHWHs handelt, während ἐνώπιον mehr lokale Bedeutung hat.
T. van der Louw, »Translation and Writing in 4QLXXLevA« (383–396), untersucht penibel den Qumrantext, der Teile von Lev 26,2–1 mit zahlreichen Varianten zur offiziellen LXX bietet. Gegen E. Tov, der trotzdem mit einem gemeinsamen Ursprung beider Textfassungen rechnet, hält Louw den Qumrantext für älter, LXXed für jünger.
H. J. Koorevaar, »Exodus, Leviticus and Numbers, and the Macro-Structural Problem of the Pentateuch« (423–453), kommt bei der Untersuchung der Grenzen zwischen den Büchern der Tora zu der These, dass diese zwischen Ex-Lev-Num nur intern sind, dagegen zu Gen und Dtn echte Buchgrenzen (441). Statt eines Pentateuchs ist von einem Triptychon und zwei separaten Büchern zu sprechen. Methodisch ist der übliche Ausgang vom Pentateuch als Ganzem ein falscher Ansatz (425). Das ist ein beachtlicher Diskussionsbeitrag, der grundsätzliche Schwächen der heute gängigen exegetischen Vorgehensweise aufdeckt.
Gegenwärtige Versuche, eine »Kohärenz im Buch Numeri« narratologisch oder literarkritisch nachzuweisen, stellt U. Sals (491–506) im Vergleich mit einem Beispiel mittelalterlicher Literatur (der »Weltchronik« des Rudolf von Ems) infrage. Könnten unsere Bewertungen gegenüber einem vormodernen Dokument anachronistisch sein?
F. Mirguet, »La représentation littéraire d’une réalité à venir. La terre promise dans les Nombres« (507–519), geht auf die Beschreibungen des Heiligen Landes in Num als eines noch für den künftigen Besitz des Volkes in Aussicht gestellten Terrains ein. Auffallend ist die mangelnde Konkretion der Beschreibungen dieses Landes, sein symbolischer Charakter, der nur in der Allwissenheit (omniscience) Gottes begründet ist.
A. Abela, »Shaming Miriam, Moses’ Sister, in Num 12,1–16« (521–534), will die beiden Methoden Biblische Erzählkritik und Diskursanalyse kombiniert anwenden. Narrativ auffällig ist die Rahmung der Erzählung durch zwei Reiseberichte (Num 11,35 und 12,16). Dies kennzeichnet den gerahmten Text als »Miriam-Erzählung«.
A. Wénin, »Le serpent de NB 21,4–9 et de GN 3.1« (547–554), analysiert zuerst die Episode mit der ehernen Schlange (Num 21,4–9). Er meint eine Reihe offener Fragen, besonders den Eindruck von Magie in Num, durch das Auftreten der Schlange in Gen 3, also durch Intertextualität beantworten zu können. Ein Zusammenhang von Num mit Gen bleibt aber umstritten (vgl. o.).
H.-P. Mathys, »Numeri und Chronik: Nahe Verwandte« (555–578). Im Kontext wachsender Neigung zur Spätdatierung rücken Num und Chron auch thematisch nahe zueinander. Beide legen vorliegende Literatur aus, ergänzen und vollenden sie.
V. Sénéchal (Phnom Phen), »Quel horizon d’Écriture pour NB 14,11–25?« (609–629), behandelt die redaktionskritisch, speziell im Verhältnis zu den inhaltlich parallelen Abschnitten Ex 32,7–14 und Dtn 9,12–14.26–29 umstrittene Perikope über Moses Klage und die Ernennung der 70 Ältesten in Num 14,11–25. Nach einem detaillierten Überblick über die zahlreichen neueren Standpunkte der Forschung, wobei er sich der Spätdatierung E. Ottos (post-P; post dtr; 620) anschließt, und ausführlicher eigener Exegese kommt er zu dem Urteil, Num 14,11b–23a sei das jüngste der drei parallelen Stücke, Dtn 9,12–14.26–29 unabhängig, sui generis (626). Die Angleichungen zwischen den drei Abschnitten deuteten auf das Bemühen um eine Parallelisierung der beiden Hauptsünden Israels: des goldenen Kalbs und der Querelen in Qadesh.
L. Ska, »Le récit sacerdotal: Une histoire sans fin?« (631–653), wendet sich erneut dem umstrittenen Ende von P zu. Der mangelnde Konsens könne auch daran liegen, dass P kein befriedigendes Ende gefunden habe (636). Es könne auch die Enttäuschung beschreiben, die der großen Erwartung (vor dem Einzug ins Land) gefolgt sei, weil nach Num 13–14 Mose und Aaron das Land nicht betreten konnten (641). – Ecclesia militans oder wanderndes Volk? (643–647) Num 14,9 könnte die Schwierigkeiten der Rückkehrer aus dem Exil andeuten (646).
D. Nocquet, »NB 27,12–23, la succession de Moïse et la place d’Éléazar dans le livre des Nombres« (655–675), will die spezielle Bedeutung dieses Abschnittes zwischen anderen Sukzessionsberichten unter redaktionellem und historischem Aspekt und die Rolle des Priesters untersuchen. Berührungen zu Dtn 3,27; 32,49–52; 34,1 zeigen die lokale Übereinstimmung zwischen dem Schluss von Num und Dtn, der Vergleich der Todesankündigungen Num 27,12–14 dagegen wichtige Unterschiede (657 f.). Originell ist die Einführung Josuas vor Eleazar und der Gemeinschaft (Num 27,12–23; 662). Eleazar spielt in Num eine große Rolle; das Priesteramt wird jedoch kollegial ausgeübt. Ergebnis einer intertextuellen Lektüre: Mose hat zwei Nachfolger: Eleazar und Josua.
Der Rest des voluminösen Sammelwerkes wird von zahlreichen Indizes (685–742) gefüllt. Im Ganzen liegt das Gewicht der meist kürzeren Beiträge von recht unterschiedlicher Qualität auf dem Buch Numeri.