Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2010

Spalte:

295-297

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Kogan, Michael S.

Titel/Untertitel:

Opening the Covenant. A Jewish Theology of Christianity.

Verlag:

Oxford-New York: Oxford University Press 2008. XIV, 284 S. gr.8°. Geb. £ 19,99. ISBN 978-0-19-511259-7.

Rezensent:

Matthias Morgenstern

Die letzten Jahrzehnte des 20. Jh.s haben auf christlicher Seite bekanntlich Veränderungen im Verhältnis zum Judentum hervorgebracht. Der Autor, Religionswissenschaftler an der Montclair Universität in New Jersey, legt hier eine Reihe von Aufsätzen vor, die aus jüdischer Sicht auf positive Dialogentwicklungen reagieren. Sind Juden – als Antwort auf den christlichen Verzicht auf die Substitutionstheorie und die Anerkennung des ungekündigten Bundes Gottes mit Israel – willig und in der Lage, für wahr zu halten, dass derselbe Gott auch in und durch Jesus von Nazareth, im Leben der Urkirche und bei der Verbreitung des christlichen Glaubens in der Welt wirksam gewesen sei (XIII)?
K. plädiert dafür, den Messianismus der »Nazarenersekte«, aus der später das Christentum entstand, als eine im Rahmen des Judentums des 1. Jh.s legitime Entwicklungsmöglichkeit einzuordnen (67), die von den Rabbinen freilich – mit guten und für heutige Juden weiterhin ausschlaggebenden Gründen – verworfen worden sei. Dennoch könnten Juden es heute dankbar annehmen, dass ihr eigener Bund mit dem Gott Israels durch das neutestamentliche Geschehen für die Weltvölker geöffnet worden und das Christentum als eine besondere Form des »Jewish outreach into the world« (68) zu verstehen sei. K. verwendet das Bild von den Geschwistern im Glauben (»sisters in faith, not identical twins«, 13); er bezeichnet sowohl die Tora als auch Christus als »Wort Gottes«, die Tora (»etz hayim«) und das Kreuz in paralleler Weise als Lebensbaum (35), und geht so weit, mit der dem paulinischen Ölbaumgleichnis entnommenen Dis­tinktion »Israel, Jewish root« – »Israel, Christian branch« (35; vgl. auch 211) auch seinen Dialogpartnern den Ehrennamen »Israel« zuzubilligen. Resümierend kommt er zur Formel von dem einen Gott der zwei Offenbarungen und der zwei wahren Religionen. Diese Logik solle Juden und Christen letztlich auch zur Öffnung denjenigen Wahrheiten gegenüber führen, die möglicherweise in anderen großen Religionen geoffenbart worden seien (35); dabei hat K. insbesondere den Islam im Blick (32). Im Sinne des Voranschreitens im Dialog sei es namentlich angebracht, aktiv danach zu suchen, wo beide Religionen voneinander lernen könnten, etwa im Hinblick auf die individuelle Aneignung des Heils bei Christen im Gegenüber zur kollektiven Heilserfahrung auf jüdischer Seite.
K. trägt seine Überlegungen anfangs grundsätzlich, dann in der Auseinandersetzung mit klassisch-jüdischen Autoren wie dem Talmudkommentator Menachem Ha-Me´iri (1249–1315), dem Philosophen Moses Mendelssohn (1729–1786) und dem italienischen Rabbiner und Theoretiker der noachidischen Gebote Elijah Benamozegh (1823–1900) vor (69–84), bevor er sich in aufschlussreichen, gelegentlich aber etwas redundanten Ausführungen den Initiatoren des Dialogs im 20. Jh. auf jüdischer Seite (Franz Rosenzweig, Martin Buber, Abraham Heschel; 87–98) und den christlichen Antworten (Paul von Buren, A. Roy Eckardt, Clark M. Wil­liamson; 99–111) zuwendet und die jeweiligen Ansätze resümiert und kritisch diskutiert. Ergänzt werden die theoretischen Überlegungen durch Erfahrungsberichte von jüdisch-christlichem »Kanzeltausch«, gemeinsamen Gottesdiensten von Synagogen- und Kirchengemeinden sowie von Kursen über das Neue Testament in der jüdischen und Vorträgen über jüdische Themen in der christlichen Erwachsenenbildung. Zu erwähnen ist schließlich ein sehr sachlich geschriebenes Kapitel über jüngste Irrititationen im Dialog, die durch kriegerische Ereignisse im Nahen Osten und darauf folgende christliche Reaktionen – Resolutionen der Presbyterianischen Kirche in den USA, die den Abbau der Grenzmauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten forderten und zum Teil bis zur Drohung eines Israelboykotts gingen – ausgelöst wurden. In diesem Zusammenhang kommt auch das Paradox zur Sprache, dass es die fundamentalistische protestantische Rechte ist, die nie auf die Judenmission verzichtet hat, die die Politik der israelischen Regierungen bedingungslos unterstützt, während die liberalchristlichen Dialogpartner eher zur Palästinasolidarität neigen.
So interessant und teilweise auch bewegend die Texte von K. zu lesen sind, so irritierend wirkt bei fortlaufender Lektüre, dass häufig unklar bleibt, ob er jeweils als akademischer Religionswissenschaftler, als engagierter jüdischer Theologe, als Katechet, als Apologet des Zionismus oder als Geschichtsmetaphysiker spricht (146: »Auschwitz … without Zion reborn would be like Christianity with the crucifixion but without the resurrection«). Bemerkenswert ist auch die anfängliche Nachzeichnung der jüdischen Dialogposition, eine Art Kurzdarstellung jüdischer Theologie (4–14), die ganz auf die liberalen nordamerikanischen Reformgemeinden ausgerichtet ist. Hier konzentriert sich K. auf die Auslegung narrativer Texte der Hebräischen Bibel und verzichtet weitgehend auf nachbiblisches, vor allem halachisches Material. Eine Berufung auf den Talmud erfolgt, nach Zitaten von Kierkegaard – dessen Verständnis von Religion dient als positiver Anknüpfungspunkt (9) – und James Joyce, erst an vierter und fünfter Stelle. So wundert nicht, dass dem Leser immer wieder der Spachgebrauch der amerikanisch-konfessionellen Umwelt begegnet, wenn etwa erörtert wird, zu welchen Bedingungen Nichtjuden wie Juden »errettet« würden (»saved«, 13). Auch das jüdische Interesse am Neuen Testament (»Jews and Chris­tians also share the New Testament«, 209) ist vielleicht weniger Resultat des Dialoges als dem Vergewisserungsbedürfnis geschuldet, das sich einer Epoche zuwendet, die chronologisch vor den Festlegungen der rabbinischen Halacha liegt.
Dazu passt die Tendenz, im historischen Rückblick die Unterschiede zwischen Judentum und Christentum einzuebnen, etwa im Hinblick auf das biblische Imago-Dei-Motiv, bei dem die Rabbinen es sich ja – was K. verschweigt – meist angelegen sein ließen, vor den Gefahren des An­thro­pomor­phis­mus zu warnen und den Text (Gen 1,27) gegen seinen Literalsinn zu interpretieren. Auch die Feststellung »there is no precreation theo-biography in the Torah« (160) ist ergänzungsbedürftig – nicht nur mit Blick auf das Theologoumenon von der präexistenten Tora, das in Texten greifbar ist, die nach rabbinischem Verständnis ja zur mündlichen Tora gehören, sondern auch hinsichtlich kabbalistischer Traditionen. Wer als christlicher Theo­loge den Reichtum der jüdischen Literatur in Talmud und Kabbala schätzen und lieben gelernt hat, hat zunächst den Eindruck, dass einem hier etwas vorenthalten wird.
Angemessen für weitere Schritte im Dialog ist eher die Erkenntnis, dass die »Pluralist Theology of Judaism«, die K. in seinem letzten Beitrag anvisiert (231–246), darauf abzielen wird, dass, je nach liberalem oder orthodoxem Herkommen der jüdischen (wie übrigens auch der konfessionellen Provenienz der christlichen) Dialogpartner, künftig mehrere Dialoge nebeneinander zu führen sind.