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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

281-283

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Markschies, Christoph, u. Johannes Zachhuber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Welt als Bild. Interdisziplinäre Beiträge zur Visualität von Weltbildern.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2008. 257 S. m. Abb. gr.8° = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 107. Lw. EUR 88,00. ISBN 978-3-11-020029-4.

Rezensent:

Reinhard Hoeps

Inwiefern sind Weltbilder Bilder? Diese Frage von Martin Heidegger bedarf unter den Bedingungen eines in den Wissenschaften neu erwachten Interesses sowohl an Bildern selbst als auch an Bildlichkeit im grundsätzlichen Sinne einer Wiederaufnahme, der sich der vorliegende Band widmet. Seine Beiträge gehen auf die Gründungstagung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Februar 2004 zurück.
Weltbilder, ob sie als Grunddispositionen für menschliches Denken, Handeln und Kommunizieren einer Epoche oder Kultur bestimmt sind oder als das Gesamt aller Vorstellungen und Ideen von der Wirklichkeit in einer Kultur oder einer Epoche, lenken Wahrnehmung und Erkenntnis der Welt und strukturieren sie, haben vor allem auch eine fundamental orientierende Funktion. Diese grundsätzliche Bedeutung resultiert aus dem Konstrukt eines Ganzen der Wirklichkeit, ist aber auch durch das spezifisch Bildliche dieser Konstruktion bestimmt. Die Herausgeber verfolgen die These, »dass in einem Weltbild Modellierung, Bildlichkeit und Visualisierung keine sekundären Akte sind, die etwas wesentlich Abstraktes veranschaulichen sollen. ... Vielmehr gehörte die bildliche Dimension von Weltbildern zum Kern dessen, was ein Weltbild ausmacht.« (10) Der Klärung bedarf, welche Bedeutung genau das Bildliche für die Konstitution des Weltbildes hat, aber auch umgekehrt, wie das Weltbild einer Kultur oder Epoche deren Konzept von Bildlichkeit bestimmt. Die Beiträge des Bandes nehmen dazu zentrale Epochen vom Alten Orient bis zum 19. Jh. in den Blick und beleuchten fachspezifische Perspektiven aus Wissenschafts-, Philosophie- und Theologiegeschichte, schließlich auch der Kunstgeschichte.
Was als Weltbild in Betracht kommt, erklärt sich aus dem Begriffsgebrauch der beteiligten Wissenschaften. Ausgewählt werden durchgängig kosmologische Theorien und Vorstellungen, deren Aspekte von Bildlichkeit in den Beiträgen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen entfaltet werden: Mit der Entwick­lung zum Monotheismus im Alten Testament wandelt sich die doppelte Präsenz Gottes in Kosmos und Kultbild bei altorienta­lischen Kulturen zu einer Transzendenz Gottes gegenüber dem Kosmos, die ein Kultbildverbot mit sich führt ( Hartenstein, Pfeiffer). Kosmologische Debatten der christlichen Spätantike sind nicht zuletzt auf Divergenzen hinsichtlich des Status der bildlichen Repräsentation ihrer Theoreme zurückzuführen (Markschies). Origenes expliziert seine theologische Kritik der platonisierenden Kosmologie durch eine Revision von deren bildlichem Sphärenmodell (Köckert). Die wissenschaftstheoretische Brisanz von Weltbildern erwächst vor allem aus dem Umstand, dass sie in der Regel im Plural auftreten, wie R. Schröder an den epochalen Konflikten des 16./17. Jh.s zeigt. Dabei steht die heutige Rezeption dieser Weltbilder in Abhängigkeit von den Bildern, die das 18./19. Jh. von ihnen entwarf.
Jenseits ihrer Konflikte sind Weltbilder wegen des Anspruchs auf Totalität grundsätzlich strittig. Sie gehorchen Ansprüchen um­greifender Ordnung und Harmonie und rekonstruieren den Kosmos in quasi göttlicher Perspektive. Sehen wäre hier richtigergeistig als ein Denken aufzufassen, dem nach Kepler die geometrische Konstruktionszeichnung eher entspricht als ein bloß symbolisch zu verstehendes kosmologisches Bild (Weichenhan). Bilder werden deshalb in der philosophischen Rezeption physikalischer Theorie leicht überschätzt (Henrich). Vor der theoretischen Vernunft bleibt der Anspruch einer Vorstellung von Ganzheit problematisch, worauf schon Schleiermacher eine noch heute anregende Antwort suchte (Zachhuber). Auch die heutige Physik vermag keine Anschauung vom Ganzen des Universums zu entwerfen – zumal von ihm nur ein Bruchteil für das menschliche Auge sichtbar ist. Insofern die Physik gleichwohl am Anspruch des Ganzen festhält, ist sie trotz und wegen des Anschauungsverzichts auf Modelle der Welt angewiesen (Sedlmayr). Damit bleibt ihr eine Affinität zu theologischen Perspektiven erhalten, wie sie bereits die Kritik neuzeitlicher Physik am Weltbild antiker Naturwissenschaften auszeichnete (Knobloch).
Das thematische Spektrum des Bandes ist nicht nur hinsichtlich der historischen Spannweite enorm. Den roten Faden bildet die Entwicklung der Kosmologie in ihrer jeweiligen Beziehung zur Theologie. Dem scheint die Frage nach der Bildlichkeit der Weltbilder in einigen Beiträgen durchaus untergeordnet. Gegenüber der Bildlichkeit kosmologischer Konzepte herrscht bisweilen Skepsis (Henrich); ihre Relevanz wird relativiert (Metzler, Perler). Von der metaphorischen Vielfalt, die das Bildliche des Weltbildes bietet, wird ausgiebig Gebrauch gemacht.
Dem bestimmteren Problemaufriss der Einleitung scheint mir der Beitrag von S. Siegel nicht nur deshalb am nächsten, weil er von realen kosmologischen Bildern handelt, sondern vor allem, weil er an der Rekonstruktion visueller Argumentation interessiert ist und die Bedingungen für die Vorstellung der Welt als Bildzeichen untersucht. Die Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Kosmologie habe ich mit großem Gewinn gelesen, doch scheinen mir die Möglichkeiten unterschätzt, die eine buchstäblichere Auffassung des Bildes für das Verständnis des Komplexes Weltbild eröffnet. Untersuchungen zur Diagrammatik, auch zur Emblematik sind dazu erforderlich; weitere Unterstützung von kunstwissenschaftlicher Seite ist zu wünschen. Auch das Potential bildlicher Dar­stellungen der Welt in christlicher Tradition bedarf größerer Aufmerksamkeit – gerade im Zusammenhang der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Theologie und Naturwissenschaften. Nicht zu­letzt könnte der Blick in die christliche Bildgeschichte den Horizont der Weltbilder über das thematische Spektrum der Kosmologie hinaus weiten.