Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2010

Spalte:

267-282

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Florian Wilk

Titel/Untertitel:

Gottesgerechtigkeit – Gesetzeswerke – eigene Gerechtigkeit
Überlegungen zur geschichtlichen Verwurzelung und theologischen Bedeutung paulinischer Rechtfertigungsaussagen im Anschluss an die »New Perspective«*

Die »New Perspective on Paul«1 hat eine breite Forschungsdebatte ausgelöst,2 die schon mehrfach selbst zum Gegenstand der Reflexion gemacht wurde.3 Auch wenn jüngst noch ganz andere Sichtweisen auf Paulus in den Vordergrund gerückt wurden,4 finden die Impulse jener Perspektive nach wie vor starken Widerhall. Der aktuelle Gesprächsstand ist allerdings nicht in jeder Hinsicht be­friedigend.

1. Zum Stand der Diskussion


1.1 Das prinzipielle Anliegen der »New Perspective«, Paulus in seinem historischen Kontext wahrzunehmen und dabei ein den antiken Quellen entsprechendes Bild des zeitgenössischen Judentums zugrunde zu legen, wird in der Forschung akzeptiert. Zudem ha­ben einige dadurch eröffnete Einsichten zum geschichtlichen Ort der Rechtfertigungslehre weitgehende Anerkennung gefunden: a) Paulus hat diese Lehre im Kontext der Völkermission ausgebildet5 (Krister Stendahl); b) das antike Judentum ist nicht als Religion gesetzlicher Werkgerechtigkeit zu begreifen (Ed Sanders); c) in der hellenistisch-römischen Welt sicherte Thoragehorsam die Identität des jüdischen Volkes (Dunn).6 Viel Zustimmung erfuhr ferner die von Sanders entwickelte Vorstellung des »covenantal nomism«.

Ihr zufolge dient jüdischer Gesetzesgehorsam nicht dazu, in eine Gottesbeziehung einzutreten; vielmehr gelte die Thora als Urkunde des Bundes, den Gott gestiftet hat, und Thoratreue sei Israels Antwort auf seine Erwählung. Indem es die Gebote beachte – und im Fall der Übertretung die bereitgestellten Sühnemittel gebrauche –, bleibe es in diesem Bund.7

Gewiss stieß das Postulat solch eines »pattern of religion« auch auf Protest: Sanders missachte die Richtungsvielfalt im antiken Judentum und unterschätze die soteriologische Relevanz, die jüdische Quellen dem Thoragehorsam beimessen.8 Es erscheint indes kaum angebracht, die Suche nach einem gemeinsamen Nenner jener Richtungen für unzulässig zu erklären und stattdessen von mehreren »Judaisms« zu reden;9 und der skizzierte Zusammenhang von Erwählung und Thora lässt sich jedenfalls bei den meis­ten jüdischen Gruppen verifizieren.10

1.2 Aus der geschichtlichen Kontextualisierung haben Stendahl und Sanders Anti-Thesen zur »lutherischen« Deutung der Rechtfertigungslehre abgeleitet. Diese haben sich in der weiteren Dis­kussion jedoch nicht bewährt und sind von Dunn in ein komplementäres Interpretationsmodell überführt worden:

1.2.1 Nach Stendahl hat jene Lehre des Paulus »ihren theologischen Kontext in seinen Gedanken über die Beziehung zwischen Juden und Heiden; sie steht nicht im Zusammenhang mit der Frage, wie der Mensch erlöst werden kann«11. Dagegen wurde geltend ge­macht, dass seine Rechtfertigungsaussagen wesentlich mit seiner vertieften Hamartiologie und universalisierten Anthropologie verknüpft sind.12 Daher beschränkt sich Dunn auf das Urteil, das paulinische Ringen um die Integration von Nichtjuden in das Got-tesvolk bilde ›einen der wichtigsten Aspekte‹ jener Lehre.13 Dann aber gehören das individual-soteriologische und das sozial-ekklesiologische Verständnis der Rechtfertigung zusammen.

1.2.2 Nach Sanders interpretieren »wir … Paulus falsch, wenn wir ihn mit Luthers Augen sehen«. Seine Annahme eines »bloß zugerechneten Charakters der Gerechtigkeit« und seine perspektivische Deutung der Formel simul iustus et peccator – »›gerecht‹ aus der Sicht Gottes, doch ein ›Sünder‹ in der alltäglichen Erfahrung« – treffen die Paulus durchaus nahe kommende Intention Luthers jedoch nicht.14 Dementsprechend begreift Dunn die »New Perspective« als Ergänzung, nicht als Alternative zu einer an Luther orientierten Paulusdeutung.15

1.2.3 Sanders sieht in den Rechtfertigungsaussagen den Vorgang des »getting in« bezeichnet; den aber bringe Paulus in der Rede von der Teilhabe an Christus viel klarer zum Ausdruck.16 Dagegen wurde eingewendet, dass sich diese Hierarchisierung mit gutem Grund umkehren lasse, und betont, jene Sichtweise vernachlässige den Bezug der paulinischen Aussagen auf das Endgericht.17 Demgemäß hat Dunn in seiner Deutung der Theologie des Apostels die Motivkreise der Rechtfertigung, der Christusgemeinschaft und des Gerichts miteinander verwoben.18

1.3 Bei zentralen Fragen ist die Auseinandersetzung im Zuge der »New Perspective« weiter differenziert, nicht aber einem Ergebnis näher gebracht worden:

1.3.1 Wie ist δικαιοσύνη θεοῦ in Röm 1,17 u. ö. vor dem Horizont des alttestamentlichen und antik-jüdischen Sprachgebrauchs zu interpretieren? Bezeichnet der Begriff (I) (a) eine Eigenschaft, (b) das Handeln oder (c) eine Gabe Gottes?19 Geht es (II) primär um (a) das Rettungsgeschehen oder (b) den Vollzug des gerechten Gerichtes Gottes?20 Wird dabei (III) Gottes »Treue« primär auf (a) Gott selbst, (b) den Bund mit Israel oder (c) die Schöpfung bezogen?21 Und steht (IV) (a) der normative oder (b) der relationale Sinn des Begriffs im Vordergrund?22 Oder sind – bei einzelnen und im Zu­sammenspiel der zu gebenden Antworten – mehrere Aspekte miteinander zu verknüpfen?23 Offen ist demzufolge auch, in welcher Weise Gottes Gerechtigkeit denjenigen Israeliten gilt, die das Evangelium von Jesus als dem Christus ablehnen.24

1.3.2 Was bedeutet die Aussage, dass »ein Mensch ἐξ ἔργων νόμου nicht gerechtfertigt wird« (Gal 2,16 u. ä.)? Geht es hier (I.) um (a) Regelungen der Thora, (b) von ihr gebotene Handlungen oder (c) im Gehorsam vollbrachte Taten?25 Bezeichnet sie (II.) (a) den Thoragehorsam im umfassenden Sinn, (b) bestimmte jüdische Ritual- bzw. Kulthandlungen oder (c) die Erfüllung einer besonderen Halacha?26 Wird (III.) die avisierte Orientierung an der Thora von Christus her als (a) grundsätzlich verfehlt oder (b) zwangsläufig defizitär gewertet?27 Ist dabei (IV.) die Thora(-Praxis) als Garant (a) jüdischer Identität gegenüber den »Heiden«, (b) einer exklusiv jü­dischen Gottesbeziehung oder (c) des Heils überhaupt im Blick?28 Und bietet (V.) 4QMMT dazu (a) eine Sachparallele oder (b) nicht?29

1.3.3 Was besagen die Hinweise des Paulus, ihm selbst eigne in der Christusgemeinschaft »nicht meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz« (Phil 3,9), die nicht christusgläubigen Israeliten hingegen bemühten sich um »die eigene (ἰδία) Gerechtigkeit« (Röm 10,3)?

Spricht er vom Menschen, »der der eigenen Kraft … vertraut« und sich seine Gerechtigkeit »durch die Erfüllung der ἔργα νόμου zu erwirken bemüht«30, oder von den Juden, die Christus gegenüber »auf den vorchristlichen Bedingungen der Rechtfertigung durch das Tun des Gesetzes« beharren?31 Ist dabei die Überzeugung im Blick, die Teilhabe an der Erwählung Israels impliziere »auch schon die Gewissheit von Rettung und Heil« – auf der jetzt zu beharren bedeute, »die Gerechtigkeit aus dem Gesetz als eigenen Heilsweg gegen Gottes Heilsentscheid in Christus aufrichten zu wollen«?32 Oder beziehen sich jene Hinweise auf »the status of orthodox Jewish covenant membership« – bzw. auf die Vorzüge des frommen Juden gegenüber Nichtjuden, die aus seiner ethnischen Identität und seinem Eifer für die Thora erwachsen?33

Oder liegen die beiden Aussagen gar nicht auf einer Ebene?34

1.4 Unklar ist endlich, inwieweit die im Zuge der »New Perspective« gewonnenen Einsichten zum geschichtlichen Sinn paulinischer Rechtfertigungsaussagen helfen können, deren Bedeutung für die Gegenwart zu erschließen.

Etliche Neutestamentler haben versucht, den »neuen« Ansatz in der Paulusforschung hinsichtlich seiner Bedeutung für die Theologie zu erschließen.35 Doch außerhalb der exegetischen Fachwelt sind die mit ihm verbundenen Impulse bisher kaum rezipiert worden. Dies zeigen die »Gemeinsame Erklärung« des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche oder – mit Ausnahmen – die Studie des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses (DÖSTA) zur Rechtfertigungslehre36 ebenso wie neuere systematisch-theologische Arbeiten zum Thema.37 Wo aber die Auseinandersetzung geführt wird, fällt das Urteil kritisch aus. Signifikant ist das Fazit von Westerholm: »As I see things, the critics have rightly defined the occasion that elicited the formulation of Paul’s doctrine and have reminded us of its first-century social and strategic significance; the ›Lutherans‹, for their part, rightly captured Paul’s rationale and basic point. For those … bent on applying Paul’s words to contemporary situations, it is the point rather than the historical occasion of the formulation that is crucial. Students of early Christianity must attempt to do justice to both.« 38

2. Zur Exegese der paulinischen Rechtfertigungsaussagen



Angesichts dieser Diskussionslage möchte ich in den folgenden Kapiteln darlegen, welche Anstöße zu einer Neuorientierung im Verständnis der Rechtfertigungslehre ich hinsichtlich der unter Punkt 1.3 genannten Streitfragen in der »New Perspective« wahrnehme. Dazu werde ich – im Sinne des in Punkt (1.1) genannten Anliegens – die Briefe des Paulus zunächst je für sich betrachten. In einem weiteren Schritt können dann die Ergebnisse gebündelt und ausgewertet werden.

2.1 Zur Auslegung des Grund-Satzes von der Rechtfertigung im Galaterbrief

In Gal 2,14–16a präsentiert Paulus den Grundsatz, dass »der Mensch nicht ἐξ ἔργων νόμου gerechtfertigt wird, sondern durch den Jesus-Christus-Glauben«, als Allgemeingut aller in Antiochia zum Christusglauben gekommenen Juden. Wie er ihn deutet, lässt sich aus dem literarischen Kontext ableiten:39

a) Seinen Bezugspunkt bildet der Streit um die Bedingungen einer Tischgemeinschaft von Juden- und »Heiden«-Christen in Antiochia (2,11–14), seinen Hintergrund die beim Apostelkonvent vereinbarte Gleichstellung von Juden- und beschneidungsfreier »Heiden«-Mission (2,1–10). Den Grundsatz führt Paulus also im Horizont der Integration von Nichtjuden in die Chris­tengemeinde und im Blick auf spezifisch jüdische Thorapraktiken an.40

b) Der Ausdruck Ἰουδαϊκῶς ζῆν in 2,14c erinnert an 1,13 f.: Paulus selbst war einst im Ἰουδαϊσμός tätig, einer Bewegung, die jeder Bestrebung entgegentrat, die Treue zum Gesetz im Zuge einer Hellenisierung jüdischen Lebens zu relativieren.41 Der Grundsatz bezieht sich demnach auf eine intensivierte Thorapraxis.

Dazu passt die Formulierung, Petrus habe »mit den ›Heiden‹ zusammen gegessen« (2,12). Sie deutet ja nicht auf eine thorawid­rige Speisepraxis, sondern auf eine anstößige Tischgemeinschaft hin; und dieser Lebensbereich ist in der Schrift nicht klar geregelt. Vermutlich wurde beanstandet, dass daran Menschen teilnahmen, die sich nur bedingt an die Thora hielten.42

c) Dass Petrus sich von den »Heiden«-Christen »absonderte« (2,12), kritisiert Paulus, weil sie dadurch »gezwungen« würden, »jüdischen Sitten zu folgen«, um gemeinschaftsfähig zu sein (2,14d, vgl. 2,3). Welche Regeln jüdischer Mahlpraxis ihnen auferlegt wurden, muss offenbleiben; auf jeden Fall sieht Paulus darin eine unzulässige Ausweitung der Thoraobservanz.

d) In 2,15–17 stellt er im Namen aller Judenchristen fest: Das Rechtfertigungsgeschehen identifiziert auch Juden als »Sünder« (als welche Nichtjuden immer schon gelten). Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass ἔργα νόμου in seiner Wahrnehmung dazu gedacht sind, die Identität des Gottesvolkes zu sichern.43

e) Nach 2,18–20 hat Paulus selbst die frühere Abgrenzung von »Heiden« um Christi willen »niedergerissen«. Sie in der Gemeinde mittels einer besonderen Halacha für Nichtjuden »wieder aufzurichten«, liefe Gottes Heilshandeln zuwider.44 Man würde dann ja Letztere nicht als gleichberechtigte »Kinder Gottes« (4,5 f.) ansehen; und damit wäre die Kraft der Gnade Gottes negiert (2,21), das Wirken des Paulus also ebenso hinfällig wie die Rechtfertigung aller Christusgläubigen.45 Seine Kritik der ἔργα νόμου entzündet sich demnach an einer Form von jüdischem Partikularismus; sie richtet sich aber generell gegen die Idee, intensivierter Thoragehorsam eröffne Menschen den Zugang zum Gottesvolk.46

f) Der Konflikt in Galatien war ähnlich gelagert: Die Gegner des Apostels verweigerten »Heiden«-Christen die Gemeinschaft (4,17), um diese zu zwingen, sich beschneiden zu lassen (6,12). Paulus zufolge wird hier das Beschneidungsgebot auf Nichtjuden übertragen. Derart ausgeweitete Thoraobservanz müsste aber seines Er­achtens dazu führen, dass sie das ganze Gesetz tun (5,3). Mit ἔργα νόμου meint er daher die punktuell intensivierte und so für alle (potentiellen) Mitglieder verpflichtende Thorapraxis einer Gruppe von Juden(christen).

Diese Rückschlüsse aus dem Kontext bestätigt ein Blick auf 2,16a–c. Paulus wendet ja den jeden »Menschen« betreffenden Grundsatz auf Judenchristen an, wenn er sagt: »auch wir sind zum Glauben an Christus Jesus gekommen, auf dass wir gerechtfertigt würden aus dem Christusglauben und nicht ἐξ ἔργων νόμου«.

Damit beseitigt er auch zwei Ambivalenzen des Grundsatzes: a) ἐὰν μή ist nicht im Sinn von »es sei denn«, 2,16a also nicht komplementär zu deuten; b) πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ bezeichnet den Glauben an ihn, nicht seine eigene Treue.47

Es geht also um zwei alternative Konzepte, wie eine Gruppe von Menschen aufgrund göttlicher Zuwendung eine intakte Gottesbeziehung zu unterhalten gedenkt: Während »wir« im Glauben auf das Christusgeschehen antworten, in die Christusgemeinschaft eintreten und darin Rechtfertigung sowie Lebensorientierung (2,19 f.) empfangen, wollen andere mit ἔργα νόμου auf die Gabe des Gesetzes antworten, in eine intensive Thorapraxis eintreten und darin Gerechtigkeit finden. Jener Begriff bezeichnet daher die Übernahme einer besonderen Halacha.48

Somit steht 2,16 nahe bei der Rede von »Gesetzeswerken« in 4QMMT. Am Ende dieses Briefes an einen Machthaber in Jerusalem heißt es ja: »wir haben an dich geschrieben etliches von den Thora-Praktiken [הרותה ישעמ], die wir als gut für dich und dein Volk befunden haben … Betrachte dies alles vor Ihm [sc. Gott], … damit es dir zur Gerechtigkeit angerechnet wird, da du das Rechte vor Ihm tust …«49 Vergleichbar sind manche Aussagen in Gemeinderegel und Habakuk-Pescher.50 Der »Gemeinde« angehören konnte demnach ja nur, wer der Thoraauslegung ihres Lehrers folgte, gerade bei rituellen und rechtlichen Fragen, auf die er spezifische Antworten gab. Vor diesem Hintergrund ist die vorgetragene Deutung von Gal 2,16 auch traditionsgeschichtlich plausibel.

Auf welcher theologischen Basis aber ruht der Grundsatz? Die Antwort, die sich in der Anspielung auf Ps 142,2LXX in Gal 2,16d andeutet, ergibt sich aus 3,1–14. Hier legt Paulus im Rückgriff auf die Schrift dar, woher den galatischen Christen der Geist, das Zeichen ihrer Gotteskindschaft (4,6), zugekommen ist (3,1–5): Kraft ihres Glaubens sind sie Söhne Abrahams, die gerechtfertigt werden und den ihm verheißenen Segen empfangen (3,6–9). Wer indes seine Gottesbeziehung ἐξ ἔργων νόμου ableitet,51 tritt in den Machtbereich des Fluchs ein, der dem droht, der sich nicht an sämtliche Gebote der Thora hält, um sie zu tun (3,10).52

Die gängige Auslegung des Satzes basiert auf der Annahme, Paulus zufolge sei das Gesetz unerfüllbar oder faktisch nie erfüllt worden, weshalb sein Fluch die Menschen getroffen habe.53 Die Verfehlung und die Verfluchung erscheinen jedoch in 3,10 nicht als Fakten, sondern als Gefahren für den, der sich den ἔργα νόμου verschrieben hat.

Damit steckt er nämlich in der Seinsweise des (unaufhörlichen) Tuns fest, die ihm ein irdisches »Leben in den Geboten« gewährt, nicht aber zur Rechtfertigung führt; denn diese und mit ihr die Zusage ewigen Lebens wird allein dem Glauben zuteil (3,11 f.).54 Eine Existenz ἐξ ἔργων νόμου ist dabei ganz »unzeitgemäß«; Chris­tus hat ja alle, die an ihn glauben, aus der Gewalt jenes Fluchs befreit, indem er ihn am Kreuz stellvertretend auf sich lud (3,13). Daher empfangen sie im Glauben den Geist, der dem eschatologischen Gottesvolk verheißen ist; und in dieses werden, wie Abraham zugesagt, auch die Weltvölker einbezogen (3,14).

In summa: Im Galaterbrief entfaltet Paulus den Grundsatz von der Rechtfertigung im Streit mit Judenchristen, die »Heiden« bestimmte jüdische Thorapraktiken auferlegen. Er sieht darin das Programm jüdischer Gruppen adaptiert, Gerechtigkeit in einer intensivierten Thorapraxis zu finden, und insofern Gottes Gnade, die in Christus wirksam ist, außer Kraft gesetzt. Von der Schrift her legt er dar: Solch ein »Leben in den Geboten« steht unter der Macht des Fluchs; da diese aber am Kreuz Christi gebrochen wurde, werden »Heiden« wie Juden im Christusglauben gerechtfertigt und somit zu Gliedern des eschatologischen Gottesvolkes.

2.2 Zur Rede von »Gerechtigkeit« im Philipperbrief

Phil 3,1–4,1 soll die Adressaten ermuntern, ihre Orientierung am »Herrn« festzuhalten. Dazu müssen sie ihre Verbundenheit mit ihrem Apostel bestätigen, indem sie die Lebensgestaltung nach­ahmen, die an ihm und seinen Mitarbeitern zu beobachten ist (3,17).55 Offenbar sieht Paulus sie in der Gefahr, anderen nachzueifern, die ihre Beschneidung herausstellen; er präsentiert jene Leute daher als negative Vorbilder und karikiert ihre Selbstdarstellung (3,2. 19).56

Da 3,2 f. (polemischer Appell im Blick auf die Gegner/Selbstporträt: »wir«) in 3,17–19 (Appell im Blick auf »uns«/polemische Gegnerdarstellung) sein Gegenstück hat, wird jeweils dieselbe »Front« gemeint sein. Die These, es handele sich um Missionare, die die Gemeinde bedrängen, hat freilich am Text keinen Anhalt. Andererseits deutet seine Polemik darauf hin, dass die Gegner in Philippi auftreten; dabei lässt vor allem 3,18 an nichtchristliche Juden denken.57

Dass deren Auftreten die Gemeindeglieder zu einem Leben im Zeichen der Beschneidung verlocken könnte, fürchtete Paulus wohl gerade deshalb, weil diese nach 1,28–30 öffentlich, gemäß dem Vergleich mit seinem eigenen »Kampf« wohl sogar behördlich, bedrängt wurden; da konnte eine jüdische Gemeinschaft mit ihren rechtlichen Privilegien als attraktiver Zufluchtsort erscheinen.

Die Gegnerpolemik in Phil 3 hängt also mit dem Blick auf die »Widersacher« in 1,28 zusammen. Daher dürfte sich die Rede vom πολι­τεύ­εσθαι und vom himmlischen πολίτευμα (1,27; 3,20) sowohl auf das römische Bürgerrecht als auch auf den Status jüdischer Diasporagemeinden beziehen.58

Solcher Werbung begegnet Paulus, indem er ihren Trägern ein »Sinnen auf Irdisches« (3,19c) sowie ein »Vertrauen auf das Fleisch« (3,4b) zuschreibt und im Kontrast dazu schildert, wie er alle Vorzüge seiner jüdischen Identität für wertlos geachtet hat, um in die Christusgemeinschaft einzutreten (3,5–8). Darin habe er nämlich an Christi Leiden teil, erfahre zugleich die Kraft seiner Auferstehung und könne auf die Auferstehung aus den Toten hoffen (3,1 0f.). Deshalb richte er sich ganz auf das endzeitliche Ziel der Berufung Gottes aus (3,12–14) – und erweise sich damit als Mitglied des himmlischen πολίτευμα (3,20 f.). Genau diese eschatologische Le­bensorientierung, die die Abkehr vom auf Erden Erlangten einschließt (3,13d), sollen die Philipper vom Apostel übernehmen (3,15–17).

In diesem Kontext ist der Verweis auf »meine Gerechtigkeit … aus dem Gesetz« nicht polemisch, sondern biographisch – und insofern auch paradigmatisch – gemeint: Solche Gerechtigkeit hat Paulus hinter sich gelassen, weil ihm »durch den Christusglauben die Gerechtigkeit aus Gott« (3,9b–c) zuteil geworden ist.59

Die doppelte, chiastisch aufgebaute Gegenüberstellung von Gesetz und Chris­tusglaube sowie von »mein« und »aus Gott« entspricht genau dem Übergang von 3,5e–6 zu 3,7–9a.

In 3,5e.6b redet Paulus ja von seiner pharisäischen Thorapraxis, die dem Maßstab der »Gerechtigkeit, die im Gesetz [vorgesehen ist]« tadellos entsprochen habe, betont also die Vorzüglichkeit seiner Lebensführung im Vergleich mit anderen.60 Auf diese Selbstabgrenzung weist ἐμήν in 3,9 hin.61 Gewiss hält er solch eine persönliche »Gerechtigkeit aus dem Gesetz« jetzt – als »Verlust« und »Unrat« (3,7 f.) – für unvereinbar mit der Gerechtigkeit, die Gott im Christusglauben zueignet; doch diese Unvereinbarkeit resultiert nicht aus ihrem Erwerbscharakter, sondern daraus, dass sie Paulus im »Eifer« für die Wahrung jüdischer Identität zum »Verfolger der Gemeinde« Jesu werden ließ (Phil 3,6a). 62

So zeigt sich: Im Rahmen seines Versuchs, sich selbst als das den jüdischen Gegnern überlegene Vorbild für die Philipper darzustellen, erläutert Paulus seine Lebenswende mit dem Kontrast zweier Gerechtigkeiten. Dabei gilt die »Gerechtigkeit aus dem Gesetz« als relativ wertlos, da sie, auf »fleischlichen« Vorzügen basierend, in einer hervorragenden Lebensführung besteht, also im Bereich des Irdischen bleibt – während die Glaubensgerechtigkeit Anteil am eschatologischen Heil gibt. Zudem steht dieser »von Gott« kommenden Gerechtigkeit jene andere als »private« entgegen, sofern sie auf die Abgrenzung jüdischen Lebens von nichtjüdischen Einflüssen zielt und daher die Universalität der »Gemeinde«, wie sie dann vor allem in der Mission des Paulus zum Zuge kommt, bestreiten muss.

2.3 Gottesgerechtigkeit, Gesetzeswerke und eigene Gerechtigkeit im Römerbrief

Mit dem Römerbrief will Paulus die ihm unbekannte Gemeinde für eine »apostolische Partnerschaft«63 gewinnen (Röm 1,9–12; 15,14 f.), um mit ihrer Hilfe in Spanien seine Mission fortzusetzen (15,22–29). Er empfiehlt sich ihr deshalb als der Apostel Christi für die Weltvölker (1,5 f.; 15,15 f.) und legt ihr seine Botschaft dar. Dazu benennt er das Briefthema (1,16 f.), entfaltet die damit gesetzte These nach ihrer negativen und positiven Seite (1,18–5,21), beantwortet kritische Rückfragen zu seiner Christuspredigt (6–11, vgl. 3,1–8) und weist die Adressaten in eine Gottes Willen entsprechende Le­bensgestaltung ein (12,1–15,13).

Im Rückgriff auf zeitgenössischen Sprachgebrauch, zumal den der Septuaginta,64 bekennt sich Paulus im Themasatz 1,16 zu­nächst zum »Evangelium«, d. h. zu der Kunde von dem die Verheißungen der Schrift erfüllenden Heilshandeln Gottes, um dann das Evangelium als »Gottes Kraft zur Rettung« zu definieren – und damit anzuzeigen: In ihm hat Gottes Macht, seinen Heilswillen in der Geschichte durchzusetzen, ihre eschatologische Gestalt gewonnen. In beiden Aussagen spiegelt der Satz frühchristliches Gemeingut wider. Die Doppelthese des Römerbriefs lautet nun: In jener Gestalt ist Gottes Rettungsmacht universal wirksam, weil sie sich Juden wie Griechen im Glauben erschließt; gleichwohl wird durch sie die besondere Gottesbeziehung des jüdischen Volkes bekräftigt.65

Vers 17 erläutert diesen Themasatz in rückläufiger Aufnahme seiner Glieder.

Indem Paulus den Glauben als Medium und Ziel (ἐκ πίστεως εἰς πίστιν) der Offenbarungstat Gottes darstellt, also seine Suffizienz im Heilsgeschehen betont,66 greift er παντὶ τῷ πιστεύοντι auf; das Hab-Zitat, das die paulinische Interpretation des Evangeliums in der Schrift verankert, lenkt mit dem endzeitlich konnotierten ζήσεται auf δύναμις … εἰς σωτηρίαν zu­rück.

Demnach bringt die Rede von »Gottes Gerechtigkeit« im Anschluss an 1,16c die Universalität sowie den primären Israelbezug des Evangeliums zur Geltung. Der Ausdruck bezeichnet dann die Selbstverpflichtung Gottes, Israels Erwählung ihrem Ziel zuzuführen.

Da ἀποκαλύπτεται die Enthüllung einer von Gott gesetzten Wirklichkeit in der Geschichte anzeigt (vgl. 8,18 f. u. ö.), meint δικαιοσύνη θεοῦ hier eine Haltung Gottes gegenüber den Menschen, nicht seine Tat oder Gabe.67 Dafür spricht auch der Kontrast zum »Zorn Gottes« (1,18).

Paulus rezipiert damit das biblische Motiv der Gottesgerechtigkeit, die im Zuge ihrer Offenbarung Israel und mit ihm den Weltvölkern eschatologisches Heil zuteil werden lässt; dabei entspricht 1,16–18 diversen zeitgenössisch-jüdischen Texten, denen zufolge durch jene Gerechtigkeit der Zorn Gottes überwunden, Schuld vergeben, menschliche Gerechtigkeit hergestellt oder die Aufnahme in das endzeitliche Gottesvolk vollzogen wird.68 So, auf die Juden und »Heiden« zugute vollzogene »Bundesgerechtigkeit« Gottes gedeutet,69 bildet 1,16 f. – nebst 1,2–5 – das sachliche Gegenstück zu 15,7–13 »als Summe des Römerbriefs«70.

Die übrigen Belege im Römerbrief stützen diese Interpretation. In 3,5 ergibt sich der relationale Sinn von θεοῦ δικαιοσύνη aus der Zusammenstellung mit Gottes »Treue« und »Wahrhaftigkeit« (3,3.7), der Bezug auf Israel und somit alle Völker aus dem Anschluss an 3,1–4. Diesem Passus zufolge kann ja die Untreue »einiger« gegenüber den allen Juden anvertrauten Worten Gottes dessen Treue ihnen gegenüber schon deshalb nicht aufheben, weil im Gericht einst jeder Mensch als Lügner, Gott aber in seinem Sieg über die Lüge als gerecht erwiesen wird.71 Wenn aber nach Paulus gerade »unsere«72 Ungerechtigkeit die Gerechtigkeit Gottes in Aktion treten lässt (3,5a), dann deutet er Letztere als Selbstverpflichtung Gottes, Juden und »Heiden« durch ihr Versagen hindurch zu retten.

In 3,21–26 wird Gottes jetzt offenbar gewordene Gerechtigkeit näher charakterisiert. Dabei kommen vor allem drei Aspekte zur Sprache: 1) Sie ist durch die Schrift bezeugt (3,21fin.). 2) Sie antwortet auf den schon von Adam erlittenen Verlust der Herrlichkeit Gottes und vollzieht sich am Menschen durch den Glauben, hat also universale Bedeutung (3,22 f.). 3) Sie erweist sich zum einen darin, dass Gott, infolge der bisher nur nachgesehenen Verfehlungen, den Gekreuzigten anstelle des Jerusalemer Tempels zum eschatologischen »Ort der Gottespräsenz und Gottesbegegnung« gemacht hat (3,25–26a),73 zum andern darin, dass Menschen aufgrund dieser Erlösungstat geschenkweise gerechtfertigt werden (3,24.26b). Insofern zielt Gottes Offenbarungshandeln darauf, dass Gott selbst gerecht ist und den, dessen Existenz auf dem Glauben an Jesus gründet, gerecht macht (3,26c). Aus alledem folgt, dass δικαιοσύνη θεοῦ (auch) hier Gottes Verpflichtung bezeichnet, die Geschichte mit Israel zum Ziel zu führen; und das geschieht, indem der Christusglaube eine Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch realisiert, die beide im Status der Gerechtigkeit verbindet.

Im Umfeld dieser thetischen Skizze zur Gottesgerechtigkeit finden sich die beiden Römerbrief-Belege für ἔργα νόμου (3,20.28). Die erste Aussage stimmt fast wörtlich mit Gal 2,16d überein, hat jedoch in ihrem Kontext eine andere Funktion. Der Gedankengang Röm 1,18–3,8 führt zu dem Ergebnis, dass »Juden wie Griechen unter der Sünde sind«, was ein langes Schriftzitat belegt (3,9–18). Als ein den Juden geltendes74 Wort soll es »jeden Mund stopfen« (3,19); es wehrt also zumal dem »Rühmen« dessen, der »sich Jude nennt« und mit seiner Gesetzesauslegung als »Lehrer der Unmündigen« auftritt (2,17–20).75 Wenn Paulus nun diese Zweckangabe mit der Feststellung begründet,76 im Gericht könne »ἐξ ἔργων νόμου kein Fleisch als gerecht anerkannt werden«, dann redet er von einer Thoraobservanz, durch die manche Juden sich vor »Heiden« hervorzutun suchen. Zugleich setzt die Erläuterung, das Gesetz bewirke »Erkenntnis der Sünde«, voraus, dass er vom Gesetz gebotene Taten im Blick hat.77

3,19 f. besagt demnach, dass auch die Übernahme einer besonderen Halacha den Menschen keinen Weg aus der Sündenverfallenheit eröffne, da diese im Gesetz selbst bezeugt sei. Eben darum ist die Offenbarung der Gottesgerechtigkeit »ohne Gesetz« erfolgt (3,21).

Dazu passt der Befund in 3,28. Das an Gal 2,16a erinnernde Urteil: »Gerechtfertigt wird der Mensch durch Glauben, ohne Gesetzeswerke«, begründet ja die These, dass die Rechtfertigung ein Rühmen – nämlich von Juden- gegenüber »Heiden«-Christen – ausschließe (Röm 3,27),78 und wird seinerseits durch den Hinweis bekräftigt, dass Gott auch der »Heiden«, nicht allein der Juden Gott sei (3,29). ῎Eργα νόμου meint also auch hier eine intensivierte Form jüdischer Orientierung an der Thora. So wird die in Gal 2–3 vollzogene Deutung des Begriffs in Röm 3 trotz veränderter Gesprächslage beibehalten.

Von »Gottes Gerechtigkeit« ist dann ein letztes Mal in 10,3 die Rede, und zwar im Kontrast zu der von etlichen Israeliten angestrebten »eigenen Gerechtigkeit«.

In Röm 9–11 weist Paulus nach, dass die Wahrheit des Evangeliums und die Gewissheit der Heilszusage an Israel als das Volk der Erwählung einander, allem Anschein zum Trotz, nicht ausschließen. Dazu legt er in 9,6–10,21 dar, wie 1. die Juden-Christen als Unterpfand der Treue Gottes zu ganz Israel, 2. die »Heiden«-Christen als Medium der Fürsorge Gottes für die nicht christusgläubigen Israeliten dienen. Auf dieser Basis kündigt er dann im Rahmen einer Paränese an, dass Christus sich bei der Völkerwallfahrt zum Zion an ganz Israel als Retter erweisen wird (Röm 11). 79

Schon in 9,30–33 stellt Paulus fest, dass Israeliten, die an Christus »Anstoß nehmen«, das Gesetz verfehlen. Im Weiteren sucht er da­her, dessen Relation zum Christusgeschehen zu klären. Aufgrund von Thoraworten, in denen er den Ruf zum Christusglauben bezeugt sieht (10,6–8), und Prophetenworten, die diesen als Me­dium der Rettung für Juden und Griechen erweisen (10,9–13), benennt er als Ziel des Gesetzes, dass Christus jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit wird (10,4). Die aus dem Gesetz abgeleitete Gerechtigkeit dagegen führe Mose zufolge nicht weiter als zu einem Leben in den Geboten (10,5).80 Insofern haben nicht christusgläubige Israeliten, die sich um das Gesetz bemühen, zwar »Eifer um Gott«; sie eifern aber »nicht in der [jetzt angezeigten] Erkenntnis«, da sie »der Ge­rechtigkeit Gottes nicht gehorchten« (10,2 f.), die doch im Gesetz bezeugt und im Evangelium, Glaubensgerechtigkeit vermittelnd, verkündet wird. δικαιοσύνη θεοῦ meint hier also die Willenserklärung Gottes, die Heilsgeschichte mit Israel und allen Menschen durch Christus zu vollenden.

Jenen Mangel an Erkenntnis führt Paulus nun auf das fehlende Verständnis für die Gottesgerechtigkeit zurück;81 dieses äußere sich in dem Versuch, »die eigene Gerechtigkeit zur Geltung zu bringen« (10,3a). Anders als in 10,5 (und Phil 3,6b) geht es hier also um eine Reaktion auf das Evangelium; und die dürfte gemäß Röm 9,32b in dem Vorhaben bestehen, dem Gesetz »aus Werken« zu entsprechen. Damit kann aber kaum etwas anderes gemeint sein als das schon in 3,20 (und Gal 2) bestrittene Programm der ἔργα νό­μου.82 Demnach läuft die Suche nach »eigener« Gerechtigkeit der Gerechtigkeit Gottes auf doppelte Weise zuwider: Die Verankerung der Gerechtigkeit in intensiviertem Thoragehorsam steht der Glaubensgerechtigkeit, die Distanzierung von den »Heiden« der Universalität des Evangeliums entgegen. An der Durchsetzungskraft der Gottesgerechtigkeit aber hält Paulus fest und bittet daher noch angesichts jenes Mangels an Erkenntnis um die Rettung der nicht christusgläubigen Juden (Röm 10,1).

Ich fasse zusammen: Im Römerbrief rückt Paulus seine Rechtfertigungsaussagen in den Horizont der δικαιοσύνη θεοῦ, d. h. der Selbstverpflichtung Gottes, Israels Erwählung dadurch ihrem Ziel zuzuführen, dass Juden wie »Heiden«, im Einklang mit Gesetz und Propheten, aus dem Christusglauben gerechtfertigt werden – und Christus sich dann im Zuge der Parusie an ganz Israel als Retter erweist. Damit ist das Konzept der »Gesetzeswerke«, bei dem Juden Gerechtigkeit in intensivierter Thoraobservanz suchen, ausgeschlossen – mitsamt seinen infolge des Christusgeschehens entstandenen Spielarten: dem Versuch nicht christusgläubiger Juden, »die eigene Gerechtigkeit« zu etablieren, und dem Ansinnen mancher Judenchristen, Nichtjuden im Rechtfertigungsgeschehen ein Mindestmaß an Thoraobservanz aufzuerlegen.

3. Zusammenfassende Auswertung


In den drei betrachteten Briefen erörtert der Apostel das Thema Rechtfertigung aus unterschiedlichen Anlässen und entfaltet es daher mit je anderen Akzenten: In Abwehr einer judenchristlichen Forderung, »Heiden«-Christen müssten sich durch Thorapraktiken als Glieder des Gottesvolks ausweisen, kontrastiert er die Rechtfertigung aus Glauben mit dem Programm der ἔργα νόμου (Gal); gegenüber einem jüdischen Werben für ein Leben im Raum der Beschneidung stellt er anhand seiner Biographie den Verzicht auf jüdische Vorzüge, inklusive »[s]einer Gerechtigkeit«, als Implikat des Empfangs der »Gerechtigkeit aus Gott« dar (Phil); angesichts des Einwands, sein Evangelium widerstreite der Treue Gottes zu Israel, deutet er es als Medium der Offenbarung der δικαιοσύνη θεοῦ, die jede Variante der ἔργα νόμου, also auch den Versuch, die ἰδία δικαιοσύνη zur Geltung zu bringen, ausschließt (Röm).

Der Sache nach sind seine Rechtfertigungsaussagen aber weitgehend kohärent: Paulus deutet die Offenbarung der Gottes- als Quelle der Glaubensgerechtigkeit, setzt diese der »eigenen« Gerechtigkeit entgegen und führt Letztere auf »Gesetzeswerke« zurück, also auf den Versuch, sich die im Gesetz vorgesehene und darum aus ihm abzuleitende Gerechtigkeit83 durch Eifer gegenüber Nicht­juden als »meine Gerechtigkeit« anzueignen. Allerdings macht er erst im Römerbrief deutlich, dass Gottes Gerechtigkeit am Ende auch ihre Zurückweisung seitens der nicht christusgläubigen Israeliten überwinden wird.

Diese Einsichten sind geeignet, gängige Interpretationen der Rechtfertigungslehre des Apostels teils zu modifizieren, teils zu korrigieren – mit beachtlichen Folgen für die Rezeption dieser Lehre in der Gegenwart:

a) All seine Rechtfertigungsaussagen weisen in ihrem jeweiligen geschichtlich-literarischen Zusammenhang zurück auf »den Ur­sprung der Kirche in Israel«84. Paulus definiert mit ihnen ja die Identität der Christengemeinde aus Juden und »Heiden« auf der Basis (und weithin durch Auslegung) der Heiligen Schrift, im Kontext antik-jüdischer Traditionen und im Disput mit alternativen, jüdischen oder judenchristlichen, Gerechtigkeitskonzeptionen. Der durch die »New Perspective« neu angefachte Streit, ob die Rechtfertigungslehre einen »Nebenkrater«85 oder das Zentrum pau­linischer Theologie bildet, ist daher jedenfalls insoweit obsolet, als er auf der Basis einer anthropologisch orientierten Deutung dieser Theologie stattfindet. Die erörterten Aussagen definieren die Gottesbeziehung des Menschen im Rahmen seiner Zugehörigkeit zum eschatologischen Gottesvolk, stellen also Soteriologie und Ekklesiologie in eine Wechselbeziehung zueinander86 sowie in den Horizont der Geschichte Gottes mit Israel. Diese heilsgeschichtlich-ekklesiologische Grundausrichtung der Rechtfertigungslehre des Paulus ist bei ihrer Interpretation für die Gegenwart unbedingt festzuhalten.87

b) Paulus bekämpft in den ἔργα νόμου keine vermeintlich jedem frommen Menschen eigene oder typisch jüdische »Werkgerechtigkeit«, sondern ein im Ἰουδαϊσμός wurzelndes Konzept, mit dem einige jüdische und judenchristliche Gruppen auf je eigene Weise intensivierten Thoragehorsam zur Bedingung der Mitgliedschaft und damit der Teilhabe am endzeitlichen Heil er­heben.88 Aus seiner Sicht lebt man dabei unter dem Zwang unaufhörlichen Tuns. Demgegenüber verkündet er, dass Juden wie »Heiden« durch den Christusglauben gerechtfertigt und so zu gleichberechtigten Gliedern des Gottesvolkes werden. Damit tritt er freilich in­sofern in einen grundsätzlichen Dissens mit vielen jüdischen Zeitgenossen, als er sich zum Gekreuzigten als dem Ort der Gottesbegegnung bekennt und dem Gesetz die Kraft abspricht, Menschen aus der Macht der Sünde zu befreien. Ein unausweichliches Scheitern des Menschen (oder Juden) am Gesetz hat er jedoch ebenso wenig im Blick wie einen Versuch, durch »fromme … Leistungen Gott in unsere Abhängigkeit zu bringen« 89. Bei einer Übertragung jener Botschaft in die Gegenwart müssen daher entsprechende Klischees vermieden, die »soteriologische[ ] Inklusivität«90 der Rechtfertigung aber muss zur Geltung gebracht werden.

c) Die »persönliche« Gerechtigkeit, die Juden durch Thoraobservanz finden können, wird als solche vom Apostel nicht kritisiert. Freilich trennt er sie vom Rechtfertigungsgeschehen, wertet sie ihm gegenüber (als rein irdisches Phänomen) ab und hält sie dann für unvereinbar mit ihm, wenn sie im Eifer für die Wahrung jüdischer Identität als »private« Gerechtigkeit begriffen wird, die zum Kampf gegen die Juden und »Heiden« vereinigende Christengemeinde führt. Von der Enthüllung einer falschen – jüdischen oder pharisäischen – Heilssicherheit oder gar einem Abschied von »dem« Judentum ist in diesem Zusammenhang (und auch sonst) jedoch keine Rede. Diese Gedanken darf man darum auch in eine aktuelle Deutung der paulinischen Rechtfertigungsaussagen nicht eintragen. 91 Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Paulus besagte Ab­wertung im Kontext seines Eintritts in die Christusgemeinschaft vornimmt, die ihn an den Leiden Christi teilhaben und nur in Verbindung damit auf die Auferstehung von den Toten hoffen lässt.

d) Mit der Rede von »Gottes Gerechtigkeit« wird das (im eigentlichen Wortsinn) theologische Fundament der Rechtfertigungsbotschaft dergestalt sichtbar gemacht, dass zugleich deren heilsgeschichtliche Einbettung mit all ihren Implikationen zutage tritt. Indem Paulus diese Botschaft in den prophetischen Verheißungen und der Thora verankert, zeigt er den umfassenden Charakter des rechtfertigenden Handelns Gottes auf: Es hat in Abraham seine Wurzel, realisiert sich im Heil schaffenden Tod Christi, führt so­wohl Juden – zuerst! – als auch »Heiden« im Christusglauben zu­sammen und wird mit der Überwindung des »Neins« vieler Israeliten zum Evangelium bei der Parusie Christi, also mit der endzeitlichen Rettung ganz Israels, vollendet. Nur so verstanden erweist sich die Rede vom Rechtfertigungsgeschehen als das Zentrum der paulinischen Theologie. Die anfängliche, bleibende und letztgül­tige Einbindung dieses Geschehens in die Erwählungs- und Verheißungsgeschichte Israels gilt es deshalb auch im Kontext seiner Erschließung für die Gegenwart zu würdigen.92

Summary


Although the »New Perspective on Paul« has initiated a fruitful debate about the historical roots and the theological significance of his language of justification, there is still considerable disagreement with regard to the terms »righteousness of God,« »works of the Law«, and a person’s »own righteousness.« A close reading of the relevant passages in the letters to the Galatians, the Philippians, and the Romans facilitates the interpretation of those terms against the background of early Jewish traditions. Paul’s teaching on justification is opposed to specific Jewish (and Jewish-Christian) conceptions of an intact relationship with God that imply an intensified observance of the Torah, and it is concerned with God’s commitment to unite Jews and Gentiles in Christ, thereby bringing the history of God’s dealings with Israel to its eschatological conclusion. These exegetical insights are of fundamental importance for any attempt to explicate the doctrine of justification for today.

Fussnoten:

*) Für Rat und Hilfe danke ich Karl-Wilhelm Niebuhr und Frank Schleritt.
1) Vgl. grundlegend K. Stendahl, The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West, HThR 56 (1963), 199–215; E. P. Sanders, Paul and Pales­tinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religion, London 1977; N. T. Wright, The Paul of History and the Apostle of Faith, TynB 29 (1978), 61–88; J. D. G. Dunn, The New Perspective on Paul [1983], in: Ders., The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005, 89–110.
2) Vgl. u. a. D. A. Carson/P. T. O’Brien/M. A. Seifrid (Hrsg.), Justification and Variegated Nomism. I: The Complexities of Second Temple Judaism, II: The Paradoxes of Paul, WUNT II/140.181, Tübingen-Grand Rapids 2001/2004; M. Bachmann (Hrsg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005.
3) Vgl. C. Strecker, Paulus aus einer »neuen Perspektive«. Der Paradigmenwechsel in der jüngeren Paulusforschung, KuI 11 (1996), 3–18; E. Lohse, Theologie der Rechtfertigung im kritischen Disput – zu einigen neuen Perspektiven in der Interpretation der Theologie des Apostels Paulus, GGA 249 (1997), 66–81; S. Westerholm, Perspectives Old and New on Paul. The »Lutheran« Paul and His Critics, Grand Rapids 2004; M. Wolter, Eine neue paulinische Perspektive, ZNT 14 (2004), 2–9; K. Haacker, Merits and Limits of the »New Perspective on the Apostle Paul«, in: S.-W. Son (Hrsg.), History and Exegesis. FS E. Earle Ellis, New York-London 2006, 275–289 (s. auch u. Anm. 9); C. Landmesser, Umstrittener Paulus. Die gegenwärtige Diskussion um die paulinische Theologie, ZThK 105 (2008), 387–410 – sowie (aus der Binnenperspektive) J. D. G. Dunn, The New Perspective: whence, what and whither? [2005], in: Ders., Essays, 1–88.
4) Vgl. etwa R. A. Horsley (Hrsg.), Paul and the Roman Imperial Order, Harrisburg u. a. 2004; A. J. M. Wedderburn, Eine neuere Paulusperspektive?, in: E.-M. Becker/P. Pilhofer (Hrsg.), Biographie und Persönlichkeit des Paulus, WUNT 187, Tübingen 2005, 46–64 (mit Bezug auf J. G. Gager, Reinventing Paul, Oxford-New York 2000); A. Gignac, Neue Wege der Auslegung. Die Paulus-Interpretation von Alain Badiou und Giorgio Agamben, ZNT 18 (2006), 15–25.
5) Ob der entscheidende Anstoß dazu bereits mit seiner Berufung erfolgte oder später, bleibt freilich umstritten.
6) S. Anm. 1 und vgl. ferner K. Stendahl, Der Jude Paulus und wir Heiden. Anfragen an das abendländische Christentum, München 1978 (engl.: Philadelphia 1976); E. P. Sanders, Paulus. Eine Einführung, RUB 9365, Stuttgart 1995 (engl.: Oxford 1991); J. D. G. Dunn, The Theology of Paul the Apostle, Edinburgh 1998.
7) Vgl. Sanders, Paul, 75 u. ö.
8) Vgl. D. A. Carson, Summaries and Conclusions, in: Carson u. a., Justification I, 505–548, sowie F. Avemarie, Tora und Leben. Untersuchungen zur Heilsbedeutung der Tora in der frühen rabbinischen Literatur, TSAJ 55, Tübingen 1996; S. J. Gathercole, Where is Boasting? Early Jewish Soteriology and Paul’s Response in Romans 1–5, Grand Rapids-Cambridge 2002.
9) So K. Müller, Neutestamentliche Wissenschaft und Judaistik, in: L. Doering/H.-G. Waubke/F. Wilk (Hrsg.), Judaistik und neutestamentliche Wissenschaft. Standorte – Grenzen – Beziehungen, FRLANT 226, Göttingen 2008, 32–60; vgl. die Kritik von K. Haacker, Verdienste und Grenzen der »neuen Pers­pektive« der Paulus-Auslegung, in: Bachmann, Beiträge, 1–15 (5 f.).
10) Vgl. Dunn, whence, 55–63. Das bestätigt letztlich auch Gathercole, Boas­ting [s. Anm. 8], der antik-jüdische Heilszuversicht auf die Erwählung Israels und den Gesetzesgehorsam des Einzelnen gegründet sieht (194 u. ö.).
11) Stendahl, Jude, 40.
12) Vgl. E. Käsemann, Rechtfertigung und Heilsgeschichte im Römerbrief, in: Ders., Paulinische Perspektiven, Tübingen 31993, 108–139 (127–129); F. W. Horn, Juden und Heiden. Aspekte der Verhältnisbestimmung in den paulinischen Briefen. Ein Gespräch mit Krister Stendahl, in: Bachmann, Beiträge, 17–39 (30 f.).
13) Vgl. Dunn, whence, 87.
14) Gegen Sanders, Einführung, 64 f., vgl. W. Härle, Paulus und Luther. Ein kritischer Blick auf die »New Perspective« [2006], in: Ders., Spurensuche nach Gott. Studien zur Fundamentaltheologie und Gotteslehre, Berlin-New York 2008, 202–239 (221.227–230.235 f.).
15) Vgl. Dunn, whence, 17–22.
16) Vgl. Sanders, Paul, 502–508.
17) Vgl. H. Hübner, Pauli theologiae proprium, NTS 26 (1979/80), 445–473, sowie P. Stuhlmacher, Zum Thema Rechtfertigung, in: Ders., Biblische Theologie und Evangelium. Gesammelte Aufsätze, WUNT 146, Tübingen 2002, 23–65.
18) Vgl. Dunn, whence, 63–86.
19) Vgl. (a) N. T. Wright, The Letter to the Romans. Introduction, Commentary, and Reflections, in: The New Interpreter’s Bible X, Nashville 2002, 393–770 (398–406); (b) D. A. Campbell, The Rhetoric of Righteousness in Romans 3.21–26, JSNT.S 65, Sheffield 1992, 156–165; (c) M. Seifried, Justification by Faith. The Origin and Development of a Central Pauline Theme, NT.S 68, Leiden u. a. 1992, 211–219 [doch s. Anm. 20].
20) Vgl. (a) J. D. G. Dunn, The Justice of God. A renewed perspective on justification by faith [1991], in: Ders., Essays, 187–205; (b) M. Seifried, Christ, Our Righteousness. Paul’s Theology of Justification, NSBT 9, Leicester 2000, 35–93.
21) Vgl. (a) J. Piper, The Justification of God. An Exegetical and Theological Study of Romans 9:1–23, Grand Rapids 21993, 103–134.148–150; (b) M. Theobald, Der Römerbrief, EdF 294, Darmstadt 2000, 206–212; (c) E. Käsemann, Gottesgerechtigkeit bei Paulus, in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen II, Göttingen 61970, 181–193.
22) (a) T. Laato, ›God’s Righteousness‹ – Once Again, in: L. Aejmelaeus/A. Mustakallio (Hrsg.), The Nordic Paul. Finnish Approaches to Pauline Theology, Library of New Testament Studies 374, London-New York 2008, 40–73; (b) J. A. Ziesler, The Meaning of Righteousness in Paul. A Linguistic and Theological Enquiry, MSSNTS 20, Cambridge 1972, 186–189.
23) Vgl. z. B. D. J. Southall, Rediscovering Righteousness in Romans. Personified dikaiosyne- within Metaphoric and Narratorial Settings, WUNT II/240, Tübingen 2008, 221–232.284–294 (I.a.b, II.a, III.a.c, IV.a.b).
24) Vgl. dazu W. Kraus, Gottes Gerechtigkeit und Gottes Volk. Ökumenisch-ekklesiologische Aspekte der New Perspective on Paul, in: Bachmann, Beiträge, 329–347; D. J. Moo, Israel and the Law in Romans 5–11: Interaction with the New Perspective, in: Carson u. a., Justification II, 185–216; F. Wilk/J. R. Wagner (Hrsg.), Between Gospel and Election (erscheint 2010 in WUNT).
25) Vgl. (a) M. Bachmann, Keil oder Mikroskop? Zur jüngeren Diskussion um den Ausdruck »›Werke‹ des Gesetzes«, in: Ders., Beiträge, 69–134; (b) R. Bergmeier, Vom Tun der Tora, a. a. O., 161–181; (c) J. Schröter, Die Universalisierung des Gesetzes im Galaterbrief. Ein Beitrag zum Gesetzesverständnis des Paulus, in: Ders., Von Jesus zum Neuen Testament. Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons, WUNT 204, Tübingen 2007, 171–201.
26) Vgl. (a) Theobald, Römerbrief [s. Anm. 21], 195–197; (b) Haacker, Ver­diens­te [s. Anm. 9], 13 f.; (c) C. Burchard, Nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus – seit wann? [1996], in: Ders., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments, hrsg. v. D. Sänger, WUNT 107, Tübingen 1998, 230–240.
27) Vgl. (a) R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 81980, 264–268; (b) U. Wilckens, Der Brief an die Römer I: Röm 1–5, EKK VI/1, Zürich u.a. 1978, 174–180.
28) Vgl. (a) J. D. G. Dunn, Noch einmal ›Works of the Law‹: The Dialogue Continues [2002], in: Ders., Essays, 407–422; (b) H. Boers, The Justification of the Gentiles. Paul’s Letters to the Galatians and Romans, Peabody 1994, 101–105. 150 f.; (c) Käsemann, Rechtfertigung [s. Anm. 12], 127–129.
29) Vgl. (a) J. D. G. Dunn, 4QMMT and Galatians, in: Ders., Essays, 333–340; (b) O. Hofius, »Werke des Gesetzes«. Untersuchungen zu der paulinischen Rede von den ἔργα νόμου [2006], in: Ders., Exegetische Studien, WUNT 223, Tübingen 2008, 49–88.
30) Bultmann, Theologie [s. Anm. 27], 240.285; vgl. P. T. O’Brien, Was Paul Converted?, in: Carson u. a., Justification II, 361–391 (373 f.).
31) So U. Wilckens, Der Brief an die Römer II: Röm 6–11, EKK VI/2, Zürich u. a. 1980, 220; ähnlich A. Lindemann, Paulus – Pharisäer und Apostel, in: D. Sänger/U. Mell (Hrsg.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 311–351, mit Verweis auf PsSal (329–337).
32) So M. Theobald, Paulus und Polykarp an die Philipper. Schlaglichter auf die frühe Rezeption des Basissatzes von der Rechtfertigung, in: Bachmann, Beiträge, 349–388 (366–368); ähnlich schon K.-W. Niebuhr, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 100 f.
33) Vgl. N. T. Wright, What Saint Paul Really Said, Grand Rapids 1997, 124, bzw. J. D. G. Dunn, Philippians 3.2–14 and the New Perspective on Paul, in: Ders., Essays, 463–484 (476 f.).
34) Einen Unterschied zwischen dem »Aspekt … des Existenzwandels« (Phil 3) und dem »des Wandels der Heilsordnung« (Röm 10) notiert Wilckens, Brief II [s. Anm. 31], 221.
35) Ich nenne nur K.-W. Niebuhr (QD 180 [s. Anm. 39], 106–130), W. Klaiber (BTSP 20, Göttingen 2000), M. Karrer (KuD 46 [2000], 126–155), T. Söding (ZThK 97 [2000], 404–433; ÖR.B 78 [s. Anm. 36], 299–330), J. Roloff (WUNT 162, Tübingen 2003, 275–300) und D. E. Aune (Hrsg.), Rereading Paul Together. Protestant and Catholic Perspectives on Justification, Grand Rapids 2006.
36) S. Texte aus der VELKD 87 (1999), 1–11 (zur Diskussion vgl. die Hinweise in: BThZ 18 [2001], 169–171), sowie U. Swarat/J. Oeldemann/D. Heller (Hrsg.), Von Gott angenommen – in Christus verwandelt. Die Rechtfertigungslehre im multilateralen ökumenischen Dialog, ÖR.B 78, Frankfurt 2006, 13–54 (vgl. immerhin Absatz 87 [dazu s. o. bei Anm. 5]).
37) Vgl. M. Beintker, Rechtfertigung in der neuzeitlichen Lebenswelt. Theologische Erkundigungen, Tübingen 1998; E. Maurer, Rechtfertigung. Konfessionstrennend oder konfessionsverbindend?, BenshH 87, Göttingen 1998; E. Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens. Eine theologische Studie in ökumenischer Absicht, Tübingen 31999; M. Honecker, Zur ökumenischen Debatte um die »Rechtfertigung«, Wiesbaden 2001; W. Härle, Menschsein in Beziehungen. Studien zur Rechtfertigungslehre und Anthropologie, Tübingen 2005.
38) Westerholm, Perspectives [s. Anm. 3], 445. Kritik üben auch Härle, Paulus [s. Anm. 14], sowie T. George, Modernizing Luther, Domesticating Paul: Another Perspective, und H. Blocher, Justification of the Ungodly (Sola Fide): Theological Reflections, in: Carson u. a., Justification II, 437–463.465–500.
39) Zu den Versuchen, den Entstehungszusammenhang des Grundsatzes zu eruieren, vgl. die Diskussion bei M. Theobald, Der Kanon von der Rechtfertigung (Gal 2,16; Röm 3,28) – Eigentum des Paulus oder Gemeingut der Kirche?, in: T. Söding (Hrsg.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der »Gemeinsamen Erklärung« von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, QD 180, Freiburg u. a. 1999, 131–192.
40) Vgl. Dunn, Perspective [s. Anm. 1], 95–107.
41) Vgl. vor allem 2Makk 2,21; 8,1; 14,38 sowie J. D. G. Dunn, Paul’s Conversion: A Light to Twentieth Century Disputes [1997], in: Ders., Essays, 341–359 (351–354).
42) Vgl. zu συνεσθίω Ps 100,5LXX; Lk 15,2; Apg 11,3, ferner Jub 22,16; JosAs 7,1. Auch in 1Kor 5,11 verweist das Verb (in anderem Sachzusammenhang) auf die Problematik eines Mahls, das gemeindliche Verbundenheit anzeigt. Wo die Zulässigkeit bestimmter Speisen in Frage steht (vgl. 1Kor 8–10; Röm 14 f.), verwendet Paulus andere Begriffe.
43) Vgl. Bergmeier, Tun [s. Anm. 25], 173 f.
44) Die »Übertretung« würde im Wiederaufbau des Abgerissenen stattfinden; sie bezieht sich daher (anders als in Röm 2,23–27) auf das Christusgeschehen (vgl. M. Bachmann, Sünder oder Übertreter. Studien zur Argumentation in Gal 2,15 ff., WUNT 59, Tübingen 1992, 55–83).
45) Paulus redet hier einerseits als Apostel (vgl. Gal 2,21a mit 1,6.15; 2,9), andererseits als Paradigma für Judenchristen (vgl. 2,20fin. mit 1,4a).
46) Vgl. Burchard, Nicht [s. Anm. 26], 236.238 f.
47) Dabei schließt die Wendung den Gedanken, dass Christus selbst den Glauben weckt, ein; vgl. D. Rusam, Was versteht Paulus unter der ΠΙΣΤΙΣ (ΙΗΣΟΥ) ΧΡΙΣΤΟΥ (Röm 3,22.26; Gal 2,16.20; 3,22; Phil 3,9)?, Protokolle zur Bibel 11 (2002), 47–70.
48) Dass der Begriff Gebotenes, nicht Gebote meint (so O. Hofius, »Werke des Gesetzes« – Zwei Nachträge, in: Ders., Studien [s. Anm. 29], 89–94), belegt auch der Kontrast zum Glauben. Gerade dies aber lässt an (im Blick auf die Rechtfertigung) noch zu vollbringende Taten denken.
49) 4Q398 Frg. 14 II,2–8; Übersetzung nach J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer. Band II: Die Texte der Höhle 4, München-Basel 1995, 375 f.
50) Vgl. 1QS V,21; VI,18; 4Q258 Frg. 1 II,2–4: wer in die Gemeinschaft eintreten wolle, sei auf »seine Taten in der Thora« (הרותב וישעמ) hin zu prüfen (ähnlich CD 20,6 f.); 1QpHab VII,11; VIII,1: die Anhänger des Lehrers der Gerechtigkeit seien »Täter der Thora« (הרותה ישוע).
51) Zu Gal 3,10a vgl. M. Silva, Faith Versus Works of the Law in Galatians, in: Carson u. a., Justification II, 217–248 (222–226).
52) Vgl. W. Reinbold, Gal 3,6–14 und das Problem der Erfüllbarkeit des Gesetzes bei Paulus, ZNW 91 (2000), 91–106 (98 f.); ähnlich Boers, Justification [s. Anm. 28], 131.
53) Auch J. D. G. Dunn, Works of the Law and the curse of the Law [1985], in: Ders., Essays, 111–130 (123–125; vgl. ders., whence, 38–41), der hier ein nationales Missverständnis des Gesetzes kritisiert sieht, setzt voraus, dass die Gegner Letzteres nicht in Gänze erfüllt hätten.
54) Vgl. C. Burchard, Glaubensgerechtigkeit als Weisung der Tora bei Paulus, in: Ders., Studien [s. Anm. 26], 241–262 (247 f.); ähnlich N. Chibici-Revneanu, Leben im Gesetz. Die paulinische Interpretation von Lev 18:5 (Gal 3:12; Röm 10:5), NT 50 (2008), 105–119 (112–116).
55) Das »wir« in Phil 3,17 weist über 3,3 auf das »Lob« der Mitarbeiter in 2,19–30 zurück.
56) Vgl. P. Wick, Der Philipperbrief. Der formale Aufbau des Briefes als Schlüssel zum Verständnis seines Inhalts, BWANT VII/15, Stuttgart u. a. 1994, 92. Zu βλέπετε vgl. 1Kor 10,18 u. ö.
57) Vgl. Röm 9,2 (Trauer); 11,28 (»Feinde«); 1Kor 1,22 f.; Gal 6,12 (Ablehnung des Kreuzes).
58) Zur Diskussion vgl. S. Vollenweider, Politische Theologie im Philipperbrief, in: Sänger/Mell, Paulus [s. Anm. 31], 457–469 (465 f.).
59) Ähnlich H. Boers, Antwort auf Hans-Joachim Ecksteins »Rechtfertigungstheologie«, ZNT 14 (2004), 49–54 (50).
60) Vgl. zu ἄμεμπτος Phil 2,15 und Hi 1,8; 2,3; Sap 10,5.15, zur Sache Gal 1,14 und zum Ganzen Dunn, Philippians [s. Anm. 33], 472–474.
61) Vgl. τὴν ἐμὴν ἀναστροφήν in Gal 1,13.
62) Ähnlich Wilckens, Brief I [s. Anm. 27], 178.
63) Theobald, Römerbrief [s. Anm. 21], 41.
64) Vgl. F. Wilk, Verblendet oder verstockt? Gottes Macht und der Misserfolg des Evangeliums, in: R. G. Kratz/H. Spieckermann (Hrsg.), Vorsehung, Schicksal und göttliche Macht. Antike Stimmen zu einem aktuellen Thema, Tübingen 2008, 193–214 (199–202).
65) Dass πρῶτον mehr als einen missionsgeschichtlichen Vorrang meint, belegt Röm 2,9 f.
66) Vgl. E. Lohse, Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 2003, 78.
67) Dieses Verständnis ist kontextuell begründet. Dass der Begriff »Ge­rechtigkeit (Gottes)« im biblischen und antik-jüdischen Gebrauch nicht nur relationalen und/oder heilvollen Sinn hat (vgl. M. Seifried, Paul’s Use of Right­eousness Language Against Its Hellenistic Background, in: Carson u. a., Jus­tification II, 39–74), bleibt davon unberührt. Auch Paulus kann ihn anders verwenden; in 2Kor 5,21 bezeichnet er den Status derer, die zu Christus gehören.
68) Vgl. (im jeweiligen Kontext) Ps 97,2LXX; Jes 56,1MT und 4Esr 8,36; 1QH VI[XIV],16, ferner Mi 7,9; Jes 59,17–20; Dan 9,16LXX sowie CD XX,20; 1QH XII[IV],37; 1QS XI,11–15.
69) Ähnlich Wilckens, Brief I [s. Anm. 27], 211.
70) G. Saß, Röm 15,7–13 als Summe des Römerbriefs gelesen, EvTh 53 (1993), 510–527.
71) Vgl. zu den Schriftbezügen in Röm 3,4c.e deren Kontexte: Ps 50,3–9LXX; 115,1–4LXX.
72) Die 1. Person Pl. bezieht wie in Röm 2,2 die Adressaten ein; vgl. dazu Gal 2,17.
73) Vgl. W. Kraus, Der Erweis der Gerechtigkeit Gottes im Tod Jesu nach Röm 3,21–26, in: Doering u. a., Judaistik [s. Anm. 9], 192–216 (215).
74) Zu Röm 3,19a vgl. 2,12c sowie Bergmeier, Tun [s. Anm. 25], 165.
75) Anders Dunn, whence, 41–43, der dabei generell an »Israel’s pride in its privileged status« denkt. – Zum Konnex zwischen »Ruhm« und φράσσω vgl. 2Kor 11,10.
76) Zu διότι vgl. Reinbold, Problem [s. Anm. 52], 102 f.
77) Vgl. Bachmann, Keil [s. Anm. 25], 99, der aber von »Regelungen« spricht.
78) Vgl. Burchard, Glaubensgerechtigkeit [s. Anm. 54], 249 f., der zu Recht den Bezug auf Röm 2,17–24 betont. Vgl. ferner F. Wilk, Ruhm coram Deo bei Paulus? (erscheint in ZNW 101).
79) Vgl. F. Wilk, Rahmen und Aufbau von Röm 9–11, in: Wilk/Wagner, Between [s. Anm. 24].
80) Vgl. Burchard, Glaubensgerechtigkeit [s. Anm. 54], 254–262; W. Reinbold, Das Ziel des Gesetzes nach Röm 10,4–13, in: Doering u. a., Judaistik [s. Anm. 9], 297–312; F. Avemarie, Israels rätselhafter Ungehorsam. Römer 10 als Anatomie eines von Gott provozierten Unglaubens, in: Wilk/Wagner, Between [s. Anm. 24].
81) Zu ἀγνοέω im Sinn von »verkennen« vgl. Röm 2,4b. Gründe für solch ein Unverständnis nennt Paulus nicht; doch kann man von 9,33 und 10,2.4 her an seine Predigt des Kreuzes und seine These von der Ausnutzung des Gesetzes durch die Sünde denken.
82) Vgl. auch den Anklang an Gal 1,14b im Stichwort ζῆλος (Röm 10,2).
83) Im Galaterbrief trennt Paulus die Wortgruppe δικαιο- strikt vom Gesetz (Gal 2,21; 3,11 f.21; 5,4) und bezieht sie allein auf die Rechtfertigung aus Glauben, inklusive ihrer Bestätigung im Gericht (vgl. 2,16d; 5,5). Dies dürfte dem polemischen Charakter des Briefs geschuldet sein, bildet also keinen sachlichen Gegensatz zu den Aussagen in Phil 3,6.9; Röm 10,5.
84) Theobald, Römerbrief [s. Anm. 21], 193, mit Bezug auf Wilckens, Dunn u. a.
85) Vgl. A. Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 21954, 220.
86) Zu einseitig urteilt T. Söding, Die Rechtfertigungstheologie des Galaterbriefes im Streit der Interpretationen, ThLZ 131.10 (2006), 1003–1020: Paulus löse »die Ekklesiozentrik der [sc. gegnerischen] Perspektive auf, indem er sie auf die Soteriologie zurückführt« (1010).
87) Das versäumt E. Maurer, Rechtfertigung [s. Anm. 37], 9, der behauptet: »Wie trifft … das Christusgeschehen die einzelne menschliche Person? Darauf zielt der theologische Begriff ›Rechtfertigung‹ im engeren Sinne.« Auch die Definition als »Aufnahme in die Gemeinschaft mit Gott« in Absatz 11 der »Ge­meinsamen Erklärung« (Texte [s. Anm. 36], 3) greift zu kurz.
88) Insofern kann man diesem Konzept mit Absatz 85 der Studie des DÖSTA (s. Anm. 36) auch die Annahme einer »Heilssuffizienz des Gesetzes« zuschreiben.
89) Käsemann, Rechtfertigung [s. Anm. 12], 129; ähnlich Härle, Paulus [s. Anm. 14], 238.
90) Wolter, Perspektive [s. Anm. 3], 7.
91) Gegen Beintker, Rechtfertigung [s. Anm. 37], 12, der von der »im Namen des Evangeliums bekämpfte[n] Werkfrömmigkeit des Pharisäismus« spricht.
92) Die berechtigte Forderung von W. Härle, Die Bedeutung der Rechtfertigungslehre. Thesen und Erläuterungen, in: Ders., Menschsein [s. Anm. 37], 53–66, nach der »Wiedergewinnung … eines umfassenden Interpretationsmodells für die Rechtfertigungslehre« (55) ist daher nicht schon mit dem – den Blick auf »die Erneuerung der einzelnen Menschen« ergänzenden – Rekurs auf »deren soziale Bedeutung« (63) erfüllt. Gerade weil »[d]ie Rechtfertigungslehre in ihrem grundlegenden soteriologischen Sinn … Gottes Bundestreue im Evangelium von Christus Jesus« (63) thematisiert, muss in ihre theologische Entfaltung Israel als der Adressat des Bundes und als der erste (und letzte!) Empfänger jener Bundestreue einbezogen werden.