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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

243-245

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Finsterbusch, Karin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bibel nach Plan? Biblische Theologie und schulischer Religionsunterricht.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 194 S. m. 2 Abb. gr.8°. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-525-61033-6.

Rezensent:

Gabriele Obst

»Welche biblischen Texte müssen SchülerInnen im Sinne eines Bibelgrundwissens unbedingt kennen lernen? Welche biblischen Texte können SchülerInnen insbesondere helfen, sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden? Wie ist mit biblischen Positionen umzugehen, die aus heutiger Sicht unbequem und anstößig erscheinen? Wie sind biblische Texte zu erschließen?« (Einführung, 7). – Diese unstrittig zentralen Fragen des Religionsunterrichts und der Bibeldidaktik bilden den Problemhorizont des von Karin Finsterbusch herausgegebenen Sammelbandes, der auf eine interdisziplinäre Tagung an der Universität Koblenz-Landau im November 2005 zurückgeht, auf der Vertreterinnen und Vertreter der exegetischen Fächer und der Religionspädagogik gemeinsam nach Antworten suchten.
Der erste Teil beginnt mit drei alttestamentlichen Beiträgen: Karin Finsterbusch geht einer verharmlosenden Deutung der Gottesvorstellung der Eliaerzählung (1Kön 19) in Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien nach: Nicht, wie dort vielfach behauptet, lasse sich die Sanftheit Gottes dem Text entnehmen, vielmehr provoziere der Text die Auseinandersetzung mit Gottesvorstellungen, die gewalttätige Züge beinhalten. Besonders dieser Beitrag macht deutlich, wie lohnend es sein kann, wenn Exegetinnen und Exegeten den religionspädagogischen Umgang mit biblischen Texten sichten und aus ihrer Perspektive kritisch beleuchten. Religionspädagogisch hilfreich ist ihr Monitum, dass schwierige biblische Texte im Religionsunterricht nicht retuschiert werden dürfen (28). Eher vage bleiben aber ihre Überlegungen, wie mit solchen Texten religionspädagogisch verantwortlich umgegangen werden soll. Ähnlich ist der Aufsatz von Beate Ego angelegt: Sie nimmt zunächst das wachsende religionspädagogische Interesse am Buch Esther wahr und arbeitet heraus, dass Esther in Unterrichtsmaterialien als Identifikationsfigur präsentiert wird. Das Thema der Gewalt im Kontext der Gegenwehr der Juden werde aber entweder tabuisiert, verharmlost oder aber inhaltlich unzureichend dargestellt. In ihrer Exegese weist sie nach, dass die Gewaltthematik im Estherbuch ambivalent zu beurteilen und keineswegs allein im Rahmen des weisheitlichen »Reversal-Motivs« zu erklären sei, nach dem sich negatives Planen und Handeln letztlich gegen den Initiator selbst wenden. Auch in ihrem Text bleiben die Überlegungen, was die gewonnenen exegetischen Erkenntnisse für den Unterricht bedeuten können, andeutungshaft; immerhin zeigt sie einleuchtende Perspektiven auf, an die die religionspädagogische Arbeit anknüpfen könnte. Während in den Aufsätzen von K. Finsterbusch und B. Ego der konkrete Umgang mit biblischen Texten in religionspädagogischen Materialien überprüft wird, ist Bernd Janowskis Auseinandersetzung mit den Bildern von Tod und Leben in den Psalmen zwar ausgesprochen anregend, er geht aber auf die vielfältige religionspädagogische Diskussion insbesondere zur Bedeutung der Psalmen im Religionsunterricht (z. B. bereits bei Baldermann) nicht ein. Insofern ist in diesem Beitrag die auf der Tagung angestrebte Verknüpfung von Bibelwissenschaft, Bibeldidaktik und Religionspädagogik nicht recht erkennbar.
Der zweite Teil versammelt vier neutestamentliche Beiträge. Besonders in den drei ersten Aufsätzen von Peter Müller, Christina Hoegen-Rohls und Hanna Roose gelingt es dem Autor bzw. den Autorinnen, exegetische Überlegungen mit dem religionspädagogischen Diskurs zu Gleichnissen, neutestamentlichen Wundergeschichten und dem Johannesevangelium zu verschränken. Es geht weniger darum, aus exegetischer Perspektive Unterrichtsmaterialien kritisch zu analysieren, als vielmehr darum, den didaktischen Gehalt der neutestamentlichen Texte selbst zu erschließen. Peter Müller stellt die Gleichnisdidaktik in den Zusammenhang der Elementarisierungsdebatte und benennt Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler insbesondere der Grundschule in der Auseinandersetzung mit Gleichnissen erwerben können. Christina Hoegen-Rohls erschließt die neutestamentlichen Wundergeschichten vor dem Hintergrund der alttestamentlichen Psalmen als kommunikatives Geschehen zwischen Gott und Mensch, das entsprechend eine »performative Lese-, Sprech- und Klangdidaktik« (109) im Unterricht erfordere, damit Schülerinnen und Schüler die »Tiefendimension von Hören und Sprechen im religionsunterrichtlichen Kontext selbst erleben« können (ebd.). Ein solcher Ansatz fordere auch die Hochschuldidaktik heraus: »Wir müssen an der Hochschule den Gewinn sensibler theologischer Textlektüre so plastisch und plausibel vermitteln, dass die Studierenden in ihrem künftigen Beruf als Lehrerinnen und Lehrer von diesem Gewinn weitreichend zehren können bis dahin, diesen Gewinn nicht verspielen zu wollen, sondern weiterzuschenken an ihre Schülerinnen und Schüler.« (113) Sie plädiert schließlich für mehr Mut zur Hermeneutik, mehr Mut zur Theologie und mehr Mut zu kreativer Textarbeit in der Auseinandersetzung mit biblischen Texten im Religionsunterricht. Eher allgemein erläutert Florian Wilk in seinem Beitrag, dass die paulinische Rede vom ›Christus‹ ein Medium der unterrichtlichen Annäherung an eine biblische Theologie sein könne. Seine Überlegungen bleiben ganz im fachlichen Kontext, während die didaktische Ebene außer Acht gelassen wird.
Der letzte Teil des Buches enthält drei religionspädagogische Beiträge: Ausgehend von Umfragen, die eine erschreckende Un­kenntnis biblischer Inhalte zeigen, untersucht Michael Landgraf systematisch die Lehrpläne von zehn Bundesländern und wertet aus, welche biblischen Texte in ihnen vorkommen. Er bilanziert, dass anders, als häufig vermutet wird, biblische Inhalte in den Lehrplänen nicht zu kurz kommen, ja dass man sogar Grundtexte erheben könne, die in allen Bundesländern in bestimmten Jahrgangsstufen unterrichtet werden. Faktisch gebe es also einen bestimmten Kanon biblischer Texte, gleichwohl stehe eine breitere Diskussion über einen Grundkanon noch aus. Die Behauptung Landgrafs, dass die Kompetenzdiskussion eine solche Festlegung eher erschwere, ist nur bei einem einseitig methodisch ausgerichteten Kompetenzbegriff einleuchtend. Fachliche Kompetenzen zeigen sich erst im Zusammenspiel von Wissen und Können, insofern verlangt die Diskussion um Kompetenzen die Verständigung auf ein inhaltliches und methodisches Kerncurriculum und darum auch auf einen Grundbestand biblischen Textwissens. Der Zusammenhang von Bibelwissen und »Bibelkönnen« steht im Mittelpunkt des Aufsatzes von Hartmut Rupp. Es gelingt dem Autor, kenntnisreich Fragen biblischer Didaktik in den Zusam­menhang von Kompetenzorientierung zu stellen. Allerdings bleibt er leider bei den Vorarbeiten zu einem Bibelcurriculum stehen. Sicher wäre ein solches Curriculum kaum aus der Feder eines Einzelnen zu erwarten, wohl aber hätte man sich am Ende einer solchen Tagung aus dem Zusammenspiel von Exegese und Bibeldidaktik einen ersten Vorschlag gewünscht. Martina Steinkühler begründet, warum die Verfremdungs- und Fragmentendidaktik im Umgang mit der Bibel zugunsten einer Fremdsprachendidaktik der Ganzschrift Bibel überwunden werden sollte. Ein Ziel des Religionsunterrichts sei es, die biblische Fremdsprache zu lernen und in ihr sprechen zu können. Dass sie am Ende ausgerechnet 1Kön 19 als ein Beispiel eines Gottesverständnisses jenseits von Macht- und Racheinteressen benennt, ohne die Überlegungen Karin Finsterbuschs im gleichen Band zu berücksichtigen, verdeutlicht ein grundsätzliches Problem des Sammelbandes:
Der Versuch, Exegese und Religionspädagogik über zentrale Fragen der Bibeldidaktik ins Gespräch zu bringen, ist hoch zu würdigen. Allerdings stehen die einzelnen Beiträge unverbunden nebeneinander. Die Chance einer solchen Tagung, in einen wirklichen Dialog zu treten, ist leider – zumindest in der schriftlichen Form – nicht so genutzt worden, wie es das gemeinsame Anliegen erfordert hätte. Die Perspektive hätte erweitert werden können, wenn auch der reflektierende Praktiker bzw. die Praktikerin zu Wort gekommen wäre. Manche praktischen Vorschläge, die in den Texten als wünschenswerte Innovation empfohlen werden (z. B. die Lektüre von biblischen Texten als Ganzschriften, vgl. 171), sind längst gängige Praxis im Religionsunterricht. Die Antworten auf die eingangs genannten zentralen Fragen werden wohl am ehes­ten im Zusammenwirken von Praktikern und Wissenschaftlern, Exegeten, Didaktikern und Religionspädagogen gefunden werden. In diesem Sinne ist dem Band eine breite Rezeption zu wünschen.