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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

241-243

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Oermann, Nils Ole

Titel/Untertitel:

Anständig Geld verdienen? Protestantische Wirtschaftsethik unter den Bedingungen globaler Märkte. Mit Geleitworten v. N. Chomsky, S. Hoffmann u. J. D. Sachs.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. 438 S. 8°. Geb. EUR 29,95. ISBN 978-3-579-08034-5.

Rezensent:

Ludger Honnefelder

Die weltweite Krise der Ökonomie hat die Verantwortung der Topmanager im globalen Wirtschafts- und Finanzwesen zu einem akuten Thema werden lassen. Denn nach allgemeinem Urteil wird sich der weltweite Crash nur dann nicht wiederholen, wenn das zu dem wirtschaftlichen Desaster führende Handeln maßgeblicher Verantwortungsträger für die Zukunft ausgeschlossen werden kann. Damit steht »Wirtschaftsethik« erneut und wie kaum zuvor auf der Agenda. Doch von welcher Wirtschaftsethik ist hier zu reden? Wirtschaftsethiken, die sich auf ein bloßes Gefüge von Prinzipien beschränken, werden nicht ausreichen, ebenso wenig wie ein allgemeiner moralischer Appell an die Handelnden oder eine Erinnerung an den Tugendkanon des ehrbaren Kaufmanns. Auch eine an die ökonomische Rationalität anknüpfende Rahmenethik genügt nicht, hat sich doch gerade die Fokussierung dieser Rationalität auf die Perspektive des homo oeconomicus als zu eng erwiesen. Andererseits wird keine wirtschaftsethische Konzeption überzeugen können, die sich nicht auf die ökonomische Rationalität und deren Rahmendaten bezieht. Doch wird sie mehr als diese Rationalität ins Spiel bringen müssen. Dazu gehören vor allem Handlungsmotivationen, die ein gehaltvolles anthropologisches Konzept zum Hintergrund haben und ein Kriteriengefüge, das wirksame Intervention erlaubt.
Damit ist der Hintergrund skizziert, auf dem die im Gütersloher Verlagshaus unter dem Titel »Anständig Geld verdienen? Protestantische Wirtschaftsethik unter den Bedingungen globaler Märkte« 2007 (noch vor Ausbruch der Wirtschaftskrise) erschienene und zuvor als Habilitationsschrift der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig vorgelegte Studie von Nils Ole Oermann besonderes Interesse gewinnt.
Denn O. geht in seiner Studie von den ethischen Defiziten aus, die schon vor der aktuellen Finanzkrise bestanden, und sieht deren Grund in der anthropologischen Engführung, die mit der methodologischen Restriktion auf den homo oeconomicus verbunden ist, sowie in dem Mangel an einer zu konkreter Intervention führenden ethischen Motivation. Auf beide Defizite – so die These – vermag eine protestantische Wirtschaftsethik wirksam zu antworten, weil sie von einer Anthropologie ausgeht, die den Menschen in einer umfassenderen Perspektive, nämlich in der des homo simul iustus et peccator sieht, dessen Glaube an das Gerechtfertigtsein aus Gnade eine spezifische Handlungsmotivation vermittelt, die von mehr als nur der Gerechtigkeit bestimmt ist und die ihn in der gegebenen Situation sachgerecht und wirksam intervenieren lässt.
Diese These wird auf einem breit angelegten Tableau entwi­ckelt, das in Form eines umfangreichen Essays eine Durchsicht der Ansätze theologischer Ethik und insbesondere theologischer Wirtschaftsethik (Teil I) umfasst, dem eine Analyse maßgeblicher wirtschaftsethischer Grundbegriffe (Teil II), eine Synopse der aus der Sicht der Ökonomie vorgelegten Ansätze der Wirtschaftsethik (Teil III) und der durch einige Fallstudien ergänzte Versuch einer »Symbiose von Theologie, Ethik und Entwicklungsökonomie« (Teil IV) folgen.
Um die These zu begründen, dass eine protestantische Wirtschaftsethik nicht in einer Art »christlicher Sonderwirtschaftsethik« bestehen kann, sondern in einer »anthropologisch-hermeneutischen« Perspektive erfolgen muss, greift O. auf den refor­matorischen Ansatz (insbesondere bei Luther und Calvin), die Re­ligionsoziologie von M. Weber und E. Troeltsch, die katholische Soziallehre (in ihrer älteren Form), die wirtschaftsethischen Ansätze aus evangelisch-theologischer Perspektive bei G. Wünsch, A. Rich und E. Herms und die neueren kirchlichen Verlautbarungen zurück, wobei er die Würdigung der in seiner Sicht jeweils weiterführenden Aspekte mit einer Analyse verbleibender Defizite verbindet.
Auch eine theologische Wirtschaftsethik, die von der von O. apos­trophierten Perspektive ausgeht, ist auf Grundbegriffe wie Menschenwürde und Gerechtigkeit bezogen, erweitert sie jedoch, wie O. in Auseinandersetzung mit dem Rawlsschen Ansatz zu zeigen versucht, um die Perspektive der »Option für die Armen«. Die ökonomische Rationalität steht dem nicht einfach entgegen, bezieht sie sich doch ihrerseits durchaus auf mehr als das Eigeninteresse des homo oeconomicus, nicht zuletzt, wenn sie sich selbst, wie O. an A. Smith verdeutlicht, von religiösen und ethischen Impulsen leiten lässt. Auch in Bezug auf die neueren wirtschaftsethischen Konzepte von P. Ulrich bis zur amerikanischen Business Ethics sucht O. den von ihm urgierten Ansatz teils kritisch, teils bestätigend herauszuarbeiten.
Dass ein solcher Ansatz auch zu effizienter Intervention bei ethischen Missständen führt, sucht O. in den Fallstudien konkret zu zeigen, so etwa im Blick auf den Umgang mit failed states, also Staaten, in denen die Staatlichkeit zusammengebrochen ist und in denen nicht allein ökonomische und politische Gründe, sondern der Blick auf den betroffenen Einzelnen und dessen Würde zu einer– gerade durch Nichtregierungsorganisationen wahrgenommenen – Intervention führt. Auch im Blick auf andere Phänomene wie die Demographie (Stichwort: Generationengerechtigkeit), die Entschuldung von Entwicklungsländern und den (ungleichen) Zu­gang zur modernen Informationstechnologie ist es – so O. – der theologisch besonders motivierte Blick auf den Einzelnen, der die Problematik in ihrer besonderen Dringlichkeit wahrnehmen lässt und die Intervention veranlasst. Welche Bedeutung der Motivierung des Einzelnen zukommt, zeigt sich – so die letzte Fallstudie – auch an der Unternehmensethik, insofern ihre Problematik nicht im Konsens über Ziele und Werte liegt, sondern in deren Umsetzung, vor allem durch die Verantwortungsträger selbst.
Die ebenso komplexen wie wichtigen Beziehungen zwischen theologischer Ethik und Wirtschaft in aller Breite erneut zum Gegenstand gemacht zu haben, wie dies O. in seinem Buch tut, ist angesichts der aktuellen Lage allein schon ein Verdienst, zumal wenn eine Fülle der dazugehörigen Aspekte in einer – auch für den Nichtfachmann – lesbaren Form ausgebreitet wird und der besondere Akzent auf dem Handeln der Verantwortungsträger liegt. Ohne Zweifel ist auch der These zuzustimmen, dass Herausforderungen in der angewandten Ethik wirksam nur aufgenommen werden können, wenn die praktische Überlegung nicht exklusiv einem bestimmten (›reinen‹) ethischen Ansatz folgt, sondern moralische Intuitionen und Evidenzen verschiedener Art miteinander verbindet. In einer auf diese Weise als angewandte Ethik verstandenen Wirtschaftsethik kommt selbstredend dem leitenden Menschenbild und der daraus erwachsenden Motivation eine wichtige Rolle zu. Konsequenterweise gibt dies dem christlichen Glauben mit seinem hohen Motivationspotential für das wirtschaftliche Handeln eine besondere Bedeutung.
Doch bleiben auch weitergehende Fragen: Lässt nur der christliche Glaube in der von O. beschriebenen Weise das Notwendige erkennen und tun oder geschieht dies im Horizont des Glaubens nur in besonders paradigmatischer Weise, und was bedeutet dabei das von O. betonte Prinzip der ›Konfessionalität‹? Wie zudem O.s Bezugnahme auf die wirtschaftsethischen Grundbegriffe von Gerechtigkeit, Menschenwürde, Gemeinwohl etc. deutlich macht, stehen anthropologischer Kontext und Motivationspotential in einem engen Verweisungszusammenhang mit anderen Faktoren, so dass es nicht nur auf einzelne Handlungselemente ankommt, sondern darauf, wie sich die maßgeblichen Bezugspunkte einer Wirtschaftsethik miteinander verbinden. Deshalb wird eine theologische Wirtschaftsethik wohl gerade dann ihre volle Wirksamkeit entfalten können, wenn sie zu zeigen versucht, wie sich – gleichsam in ökumenischer Fluchtlinie – der von der katholischen Soziallehre explizierte Gemeinwohlbezug und der in evangelischer Sicht betonte Bezug auf den Einzelnen (als je konfessionell und paradigmatisch eingebrachte, aber der Sache nach komplementäre Aspekte) miteinander verbinden, was eine bestimmte Apostrophierung nicht ausschließt. Richtig ist, dass – wie O. betont – ein solches Konzept nur dann wirksam ist, wenn es auf das konkrete Engagement des einzelnen Verantwortungsträgers rechnen kann.