Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

237-239

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Fischer, Johannes, Gruden, Stefan, Imhof, Esther, u. Jean-Daniel Strub

Titel/Untertitel:

Grundkurs Ethik. Grundbegriffe philosophischer und theologischer Ethik.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007 (2., überarb. Aufl. 2008). 418 (464) S. gr.8°. Kart. EUR 18,00 (22,00). ISBN 978-3-17-019945-3 (978-3-17-020755-4).

Rezensent:

Hartmut Kreß

Noch vor einem Jahrzehnt herrschte Mangel an Einführungen und Überblickswerken zur evangelisch-theologischen Ethik. Inzwischen ist diese Lücke geschlossen worden. Hierzu trägt auch der umfangreiche »Grundkurs Ethik« bei, der von Johannes Fischer gemeinsam mit drei Co-Autoren erarbeitet wurde. Das Buch ist in 14 »Lektionen« gegliedert. Es enthält Kontrollfragen und Übungsaufgaben, die im Verlauf des Studiums als anspruchsvolle Einführung in die theologische Ethik oder bei der Vorbereitung auf das Examen zur Wiederholung und Vertiefung genutzt werden können. Ganz zu Recht gehen die Autoren davon aus, dass die theologische Ethik heutzutage nur noch eine partikulare Perspektive darstellt und dass sich tradierte Geltungsansprüche, Leitbegriffe oder Argumentationen der theologischen Ethik nicht mehr ungebrochen fortführen lassen. Großen Wert legen sie auf Begriffsklärungen und -erläuterungen, nicht zuletzt zum Terminus »Ethik« selbst (vgl. Lektion 1). Methoden und Strukturen ethischer Argumente werden ausführlich erörtert (vgl. Lektion 4: »Methodologie moralischer Urteilsbildung«). Hilfreich ist es, dass die begrifflichen sowie methodischen Erläuterungen mit materialethischen Beispielen veranschaulicht werden, die oftmals aus der Medizinethik stammen. Besondere Beachtung findet die philosophische Ethik als Nachbar- bzw. als Basisdisziplin, auf die die theologische Ethik zwingend angewiesen ist (Lektion 3: »Ethik als philosophische Reflexion auf Moral«). Knapp wird im Rahmen der Lektionen 2 und 6 ferner das Verhältnis zwischen Ethik und Recht beleuchtet.
Das Buch enthält keine bereichs- oder materialethischen Kapitel, die sich exemplarisch etwa mit Wirtschaftsethik oder Wissenschaftsethik befassen würden. Allerdings wird im Schlussteil die Aufmerksamkeit auf »Menschenwürde und Menschenrechte« gelenkt (in Lektion 13). Diese beiden Leitideen bilden für gegenwärtige materialethische Urteilsfindungen von der Medizinethik bis zur Wirtschafts- und Arbeitsethik und zur Ethik der Interkulturalität die gedankliche Basis. Die Autoren widmen sich ihnen, weil das christliche Ethos an gesellschaftlich anerkannte Überzeugungen anknüpfen muss (347). Zu Recht wird »Menschenwürde« als deutungsoffener Begriff verstanden und in seiner Deutungspluralität vorgestellt (348 ff.). Das Buch gelangt zu der Einschätzung, Menschenwürde sei nicht nur im Sinn von Abwehrrechten, sondern auch im Blick auf Anspruchsrechte zu entfalten (355.367 f.).
Zu diskutieren wäre, ob es tatsächlich überzeugt, die Zuschreibung von »Würde« begrifflich davon abhängig zu machen, dass Menschen »Mitglieder der Anerkennungs- und Achtungsgemeinschaft menschlicher Sozialität« sind (355). Zudem beziehen die Autoren Menschenwürde explizit ausschließlich auf »geborene« Menschen. Gegen die kirchlichen, auch gegen die evangelisch-kirchlichen Positionen zum Embryonenschutz und gegen die kirchliche Kritik an In-vitro-Fertilisation und Reproduktionsmedizin erheben sie den Vorwurf des Biologismus und des Naturalismus (357). Es wäre jedoch genauer zu diskutieren, ob bei ihnen nicht in anderer Hinsicht eine Engführung wirksam wird, nämlich eine einseitig relationale Ontologie, für die die evangelische Theologie im 20. Jh. recht anfällig gewesen war. Zudem wäre genauer zu fragen, inwieweit vorgeburtlichem Leben nicht doch Würdeschutz zuzuschreiben ist. Dies braucht keinesfalls zu dem schroffen Nein zu führen, das kirchliche Stimmen häufig gegen Reproduktionsmedizin oder Forschung an Embryonen oder embryonalen Stamm­zellen äußern. Zu vorgeburtlichem Leben lässt sich ein gradualistisches Schutzkonzept plausibilisieren, das Abwägungen zugunsten von Reproduktionsmedizin und embryonaler Stammzellforschung ermöglicht, andererseits aber dem individuellen Schutzanspruch gerecht wird, den weit entwickelte Feten besitzen.
Diese und sonstige Sachfragen können hier indessen auf sich beruhen bleiben. Stattdessen ist zu betonen, dass das Buch dem Anspruch eines Grundkurses oder einer Einführung deshalb sehr gerecht wird, weil es zu Menschenwürde, zu Menschenrechten (Lektion 13) oder zum Person- oder zum Verantwortungsbegriff (Lektion 14) unterschiedliche Deutungen, Positionen und Argumentationen wiedergibt. Im Zentrum des Buches steht das Bemühen um eine heute adäquate theologische oder evangelische Ethik (in den Lektionen 7 bis 12). Christliche Ethik wird als Ethik der Lebensführung gedeutet (301). Das Buch ist einem deskriptiven Ethikverständnis verpflichtet (252). Es möchte zum »Verstehen und Verdeutlichen« anleiten, »welchen Unterschied christlicher Glaube für das Leben und Handeln macht« (310); und es grenzt sich von normativ-ethischen Konzeptionen ab, die im Protestantismus, vor allem aber auf katholischer Seite anzutreffen seien (311 f.). Dies leuchtet insofern ein, als man die Augen nicht davor verschließen darf, dass die katholische Normenethik immer wieder in einen Normativismus und in ein hierarchisch an das katholische Lehramt gebundenes Denkmodell umschlägt. Ein solcher Abweg ist im Rahmen normativer Ethik eigentlich aber unschwer vermeidbar. Seinerseits bringt der »Grundkurs Ethik« als Alternative zu normativen Konzepten eine Ethik der Spiritualität ins Spiel (Lektion 12). Hierdurch rezipiert er ein Leitbild, das lebensweltlich zurzeit eine Renaissance erlebt. Folgerichtig ist es, theologische Ethik dann in besonderer Nähe zur Praktischen Theologie zu verstehen (285).
Abschließend stellen die Autoren nochmals klar, dass sich ihr Ethikansatz von anderen Lehrbüchern inhaltlich abhebt. Das An­liegen ihres Buches bestehe darin, die Leser zu eigenständigen Argumentationen und Urteilsfindungen zu motivieren (402). Diesen Anspruch hat es aufgrund der in ihm enthaltenen präzisen Begriffsbestimmungen, Positions- und Sachdarstellungen zweifellos eingelöst. Innerhalb der Debatte zur Verhältnisbestimmung zwischen narrativen oder deskriptiven Ethikmodellen einerseits, einer normativen, die Begründungsplausibilität und Abwägungsrationalität in den Vordergrund rückenden Sichtweise andererseits setzt es einen eigenen Akzent und belebt es den Austausch von Argumenten.