Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

230-232

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Matondo-Tuzizila, Simon

Titel/Untertitel:

Afrikanisches Christentum – An­spruch und Theologie. Ein Beitrag zum Verhältnis von Offenbarung und Kontext. M. e. Vorwort v. K. H. Neufeld.

Verlag:

Hamburg: Kovač 2008. XX, 658 S. 8° = Theos, 83. Kart. EUR 138,00. ISBN 978-3-8300-3516-9.

Rezensent:

Heinrich Balz

Die 2004 in Innsbruck eingereichte, bei K. H. Neufeld geschriebene Dissertation überrascht und erfreut den mit afrikanischer Theologie und im deutschen Sprachraum von Afrikanern geschriebenen Dissertationen vertrauten Leser darin, wodurch sie sich vom Üb­lichen unterscheidet: dass sie sich mit einer Vielzahl von afrikanisch-theologischen Positionen, vorwiegend frankophonen aus Kamerun und dem Kongo, interpretierend und kritisch auseinandersetzt, die Gegensätze zwischen ihnen nicht harmoniesüchtig verwischt, sondern im Gegenteil zuspitzt und damit der Vertiefung der Diskussion zuführt. In der Streitbarkeit des Diskurses knüpft der Kongolese Matondo an den Kameruner Ex-Jesuiten F. Eboussi Boulaga an, führt aber auch über diesen hinaus, nicht nur, indem er mit der katholischen Kirche Frieden hält, sondern indem er seine Mitafrikaner in Texten und Büchern geduldig aufsucht, Gedankengänge nachvollzieht und latente Spannungen bei von ihm ge­schätzten Autoren aufweist und sich zunutze macht. Das ist neu. Man könnte fragen, ob es überhaupt afrikanisch ist. Aber das ist es wohl und läutet, wie unter den Anglophonen etwa K. Bediako aus Ghana, den Stil einer neuen Generation ein, die man die hermeneutische nennen kann. M.s sehr umfangreiche, in eingängigem Deutsch geschriebene Doktorarbeit ist aber nicht nur hermeneutisch und historisch, sie hat auch streng systematischen Anspruch, sie steigt von Peripherem in Etappen zur eigenen Position auf. Die Lektüre erfordert einen langen Atem, belohnt aber das Mitgehen, wo nicht mit abschließenden Lösungen, so doch mit neuen Perspektiven auf alte, scheinbar längst ausdiskutierte Fragen.
Das andeutende Referat muss hier notwendig vereinfachen. Teil I (19–288) handelt in drei Kapiteln bestandaufnehmend vom »An­spruch afrikanischen Christentums«. Dessen Glaubwürdigkeit und Strukturprinzip hängt an der »doppelten Treue« zum Christlichen und zum Afrikanischen, wie sie Kardinal Malula vom Kongo 1973 formulierte (76–78). In der geschichtlichen Begegnung Afrikas mit dem Christentum in den letzten 500 Jahren sind »entschlossene Ablehnung« und »bedingte Zustimmung« bis heute dialektisch miteinander verbunden; die Akzentuierung entweder nur auf die positive Rezeption des Glaubens und die Zugehörigkeit der Afrikaner zum Christlichen, so O. Bimwenyi-Kweshi 1981, oder aber nur auf den rebellischen und listenreichen Widerstand, so A. Mbembe 1988, kann den komplexen Prozess nicht fassen. Das Alte, durch den Glauben zu Überwindende ist insgesamt sozial destruktive »Hexerei«. Zur afrikanisch christlichen Erfahrung gehört, zumal im Kongo, die geschichtliche Verflochtenheit der Mission mit dem Sklavenhandel und später der Kolonisation. M. findet die eigentliche Antwort der Opfer auf diese Schuldgeschichte in den Afrikanisch- Unabhängigen Kirchen, denen er einen erheblichen »Vertrauensvorschuß« (177) gibt. Die »Treue zum christlichen Glauben als afrikanische Aufgabe«, Kapitel 2, 191–210, ist den afrikanischen Chris­ten vom kirchlichen Lehramt und durch die Erklärungen zweier Päpste, Pauls VI. und Johannes Pauls II., vorgegeben. Sie gehen in die gute Richtung, greifen aber, durch fehlende geschichtliche Erinnerung, nicht tief genug. Die komplementäre »Treue zu Afrika als christliche Aufgabe«, Kapitel 3 (211–288), zeichnet ausführlicher die Etappen afrikanischer Identitätssuche seit dem 19. Jh. nach und sieht in der älteren Lehre von der »Anpassung« des Christentums an Afrika eine ungenügende, aber tendenziell richtige Bewegung, insofern »Subjektwerden«, eigene Handlungsfähigkeit ihr Ziel ist. Verbunden ist mit ihr das, auf katholischer Seite eher verspätete, Streben nach relativer Autonomie und ortskirchlicher Eigenständigkeit afrikanischen Christentums.
Kapitel 4, »Die theologischen Paradigmen: Ihre Möglichkeiten und Grenzen« (291–418), geht von der Bestandsaufnahme zum theo­logischen Anspruch afrikanischen Christentums über und setzt sich interpretierend mit den gängigen Paradigmen afrikanischer Theologie, nämlich Inkulturation, Befreiung und Wiederaufbau, auseinander. Sie haben je ihren begrenzten Wert, versagen aber an den konkreten Afrikanern, die an Christus glauben und mit Eboussi Boulaga wissen, dass »Afrikanersein richtig nicht als Zustand, sondern als Aufgabe« aufzufassen ist (307). Ein aktiver, ethischer Grundton herrscht vor. Von der Inkulturation gilt, dass sie mit ihrer Gegenüberstellung von »Glaube und Kultur« das Wesen christlichen Glaubens, welches M. mit G. Ebeling deutet (323–331 und passim), indem sie an Lehrinhalten hängen bleibt, letztlich verfehlt. Näher kommt ihm, von seiner lateinamerikanischen polit-ökonomischen Verengung befreit, das Paradigma der Befreiung: »Befreiungspraxis als Gotteserkenntnis« (sic. 394) gilt auch für die afrikanische Rezeption des Glaubens, die aber stärker als die amerikanische zwischen Hoffnungshorizont und innergeschichtlicher Befreiungswirklichkeit unterscheidet. Das dritte, in Afrika im ökumenischen Protestantismus nach 1989 entstandene Paradigma des Wie­deraufbaus, réconstruction, hat beim Kongolesen Kä Mana, auf den M.s Darstellung sich beschränkt, den biblisch-alttestamentlichen Bezug und den Sinn für afrikanische Krisen und Katastrophen für sich; es hat aber gegen sich, dass es Offenbarung und Wort Gottes als »ungeschichtlich-ewige Größe« voraussetzt und so nicht hinreichend an die Erfahrung des Glaubens bindet. – Dieses vierte Kapitel kann als das wichtigste, die Klimax der ganzen Untersuchung gelesen werden; die temperamentvolle Auseinandersetzung mit den herrschenden großen Trends lässt die eigene Haltung aufblitzen, deren theologische Explikation danach folgen soll.
Das lange fünfte und letzte Kapitel, »Offenbarung und Kontext« (419–608), das die systematische Begründung verspricht, ist mühsamer zu lesen und in seiner sehr detaillierten Auseinandersetzung mit gegenwärtigen katholischen europäischen Positionen – die Afrikaner kommen hier nicht mehr vor – weniger ausgereift und souverän. Auf die Herausforderung der pluralistischen Theologie der Religionen antwortet für M. rechtens die notwendige »Kehrtwendung zu Selbstvergewisserung«: In ihr erfährt der christliche Glaube, was es mit dem Bekenntnis zu geschehender Offenbarung auf sich hat. Christozentrik und Soteriologie haben so sehr den Primat, dass M. – unerhört für afrikanische Theologen – das Bestehen auf ungebrochener Kontinuität zwischen alter vorchristlicher Gotteserkenntnis und christlichem Glauben an Gott als »eines der fatalsten Missverständnisse auf diesem Gebiet« ansieht (458). Der Hauptgedanke des Kapitels aber ist, in Abgrenzung und Überbietung des üblichen theologischen Unterscheidens von Text und Kontext und im eingehenden Gespräch mit Gegnern und Befürwortern kontextueller Theologie, »Kontext« ganz neu und anders zu verstehen, nämlich so, dass jeweils die aktuelle Glaubenspraxis ihrerseits der Kontext ergangener Offenbarung des Wortes Gottes wird (567–583), wofür sich M. auf die Konstitution Dei Verbum des Vatikanum II und auf E. Schillebeeckx beruft. Paradox heißt dies weiter auch, dass ein Text der Offenbarung »real nur aus seinem ›Kontext‹ besteht« (584).
Diese neue, streng theologische Umwendung des Kontext-Be­griffs schafft neue Perspektiven, sie beantwortet aber nicht die alten Fragen der Kultur- und Geschichtsbedingtheit christlicher Theologie in Afrika. Hier bleibt aber M.s Insistieren auf den »wirklichen« christlich glaubenden Afrikanern, dem »einfachen Volk« und dem Ausdruck, den dieses sich vornehmlich in den Unabhängigen Kirchen geschaffen hat: Hier könnten andere Erfahrungen und Begegnungen mit dem neuen Volksglauben, etwa der Kim­banguis­tenkirche im Kongo, weitere und kritischere Akzente setzen. Mit den frankophonen Kameruner Theologen, E. Mveng und J.-M. Ela, teilt M. den Tiefsinn und die Stärke im Methodischen, Prinzipiellen; doch ein intensiverer Seitenblick auf die älteren und jüngeren Anglophonen in der afrikanischen Theologie: B. E. Idowu und J. S. Mbiti, K. Bediako und J. N. K. Mugambi würde ihn mit mehr Konkretheit und afrikanischer Erdenschwere sinnvoll belas­ten. Ähnliches gilt in anderer Hinsicht für die Konfessionendifferenz. M. ist bewusst auf der Seite des Lehramts und der Päpste, aber für die Rezeption des christlichen Glaubens, der auch in Afrika mehr als die Zustimmung zu Sätzen ist, hält er sich entschlossen an G. Ebeling, ohne ihn doch in die neuzeitlich protes­tantische und reformatorische Tradition hineinzustellen und sich mit dieser auseinanderzusetzen. Luther und, mit Einschränkung, Paulus fallen aus: Das starke Interesse am Glauben der Afrikaner als Praxis, Selbsthingabe und Nachfolge lässt keinen Raum für die Unterscheidung von Glaube und Werken. Doch dazu sind auch die Evangelischen in der afrikanischen Theologie eher schweigsam. So oder so bringt M. mit der Schärfe seiner Thesen auf Gedanken und verdient, aufmerksam gelesen zu werden, nicht nur in Afrika und nicht nur von Katholiken.