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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

220-221

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Crisp, Oliver D., and Michael C. Rea [Eds.]

Titel/Untertitel:

Analytic Theology. New Essays in the Philosophy of Theology.

Verlag:

Oxford-New York: Oxford University Press 2009. IX, 316 S. gr.8°. Lw. £ 50,00. ISBN 978-0-19-920356-7.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Über alles lässt sich philosophieren, auch über Theologie. Die Frage ist freilich, wie. In den letzten Jahrzehnten hat sich die analytische Religionsphilosophie angelsächsischer Provenienz in ihrem populären theistischen Strang mehr und mehr zu einer selbsternannten Konkurrenzunternehmung der systematischen Theologie entwickelt. Weil diese durch das konfuse kontinentale Denken infiziert sei und auf weite Strecken ihren theologischen Aufgaben nicht mehr nachkomme, haben sich analytische Philosophen daran gemacht, die Zentrallehren der christlichen Theologie selbst zu bearbeiten. Das Resultat kann man hier besichtigen. Sofern es philosophische Kritik noch gibt, richtet sie sich nicht, wie es seit der Frühaufklärung die Regel war, gegen überkommene christliche Lehrbestände wie die Lehre von der Schrift, von Jesus Christus, der Erbsünde oder der Trinität. Die Kritik gilt vielmehr den Be­mühungen der systematischen Theologie der Moderne, die überkommenen Lehren zu ›entschärfen‹, um sie mit dem neuzeitlichen Denken kompatibel zu machen, und sie gilt noch mehr der hermeneutischen Postmoderne, deren konfusem ›weichem‹ Denken – akademischer ›bullshit‹, wie Randall Rauser das am Beispiel von Sallie McFague und Moltmann polemisch meint charakterisieren zu müssen (70–84) – die eigene »robust version of Christianity« (57) mit Überlegenheitsgestus entgegensetzt wird.
Michael C. Rea bemüht sich in seiner Einleitung (1–30), dem Pro und Contra dieser aktuellen Debatte auf faire Weise gerecht zu werden, auch wenn er seine Kenntnis systematischer Theologie im Allgemeinen und ihrer europäischen Versionen im Besonderen weitgehend aus zweiter Hand bezieht.
Teil I (In Defense of Analytic Theology: 33–84) präsentiert mit Oliver D. Crisp, William J. Abraham und Randall Rauser drei Prot­agonisten analytischer Theologie, die jedenfalls darin übereinstimmen, dass Theologie ihren Aufgaben nur nachkomme, wenn sie metaphysische Erklärungen biete, analytisch klar argumentiere und realistische Wahrheitsansprüche vertrete.
Teil II (Historical Perspectives: 87–168) bietet vier Beiträge, die das Projekt einer analytischen Theologie in der Tradition christlicher Theologie angelegt sehen. John Lamont geht auf die Glaubenskonzeption der griechischen Kirchenväter zurück, Andrew Chignell versucht zu zeigen, dass aus Kants kritischer Philosophie keine stichhaltigen Einwände gegen das Projekt einer analytischen Theologie zu gewinnen sind, und Andrew Dole bemüht sich um den Nachweis, dass der Einspruch von Schleiermachers »Theological Anti-Realism« gegen metaphysische Erklärungen nicht allzu ernst zu nehmen sei. Nicholas Wolterstorff schließlich gibt einen knappen Überblick »How Philosophical Theology Became Possible within the Analytic Tradition of Philosophy«.
Teil III (On the Data for Theology: Scripture, Reason, and Experience: 171–247) geht in vier Beiträgen den Quellen nach, aus denen Theologie ihre Informationen beziehe: der Schrift als Wort Gottes (Thomas McCall) und als göttlich inspirierter Quelle (Thomas M. Crisp); der religiösen Erfahrung (Michael Sudduth); und der Debatte zwischen Naturwissenschaft und Religion (Michael J. Murray). Alle vier Beiträge versuchen auf unterschiedliche Weise zu zeigen, dass analytische Theologie nicht mit einem kurzsichtigen Rationalismus oder einer bloßen Anpassung an einen engstirnigen Empirismus verwechselt werden dürfe.
Teil IV schließlich (Analytic Approaches Reconsidered: 251 ff.) bietet drei Beiträge von Eleonore Stump (»The Problem of Evil: Analytic Philosophy and Narrative«), Merold Westphal (»Hermeneutics and Holiness«) und Sarah Coakley (»Dark Contemplation and Epis­temic Transformation: The Analytic Theologian Re-Meets Teresa of Ávila«), die auf methodologische Verkürzungen der analytischen Theologie aufmerksam machen (Stump), phänomenologisch-hermeneutische Alternativen aufzeigen (Westphal) oder die mystisch-apophatische Tradition als Gegenentwurf ins Feld führen (Coak­ley). Ein Begriffs- und Namenregister beschließt den Band.
Insgesamt bietet der Band einen guten Einstieg in diese aktu­elle Debatte, die wohl erst am Anfang steht. Wer sich einen ersten Eindruck von der Art der Argumentation ihrer Protagonisten machen will, sollte mit den Beiträgen von Rauser (»Theology as a Bull Session«) und Crisp (»On Believing that the Scriptures are Divinely Inspired«) beginnen. Der Erste kämpft mit Verve gegen theologische Positionen, die er nicht verstanden hat. Der Zweite bietet ausgefeilte probabilistische Argumente in Auseinandersetzung mit Plantingas »Principle of Dwindling Probabilities« dafür, dass es keine überzeugenden Gründe gebe, auf der Basis der » authoritative testimonial doxastic practice« (209) der eigenen Tradition nicht zu glauben, dass die Bibel inspiriert sei. Autoritatives Zeugnis, nicht Argumente der natürlichen Theologie oder das testimonium spiritus sancti internum seien die Rationalitätsbasis für einen rational vertretbaren Inspirationsglauben.
Im Hintergrund der ganzen Auseinandersetzung analytischer Theologie mit der systematischen Theologie der Zeit stehen ungeklärte Fragen eines metaphysisch-theologischen Realismus, der In­terpretation der Schrift, der (pauschalen) Neuzeitkritik, der Überlegenheitspose gegenüber den kontinentalen Traditionen nach Kant und der Unwilligkeit oder Unfähigkeit, die Entwicklungen der Theologie im 20. Jh. nicht nur als konfuse Abirrungen mo­dernitätssüchtiger Neuerer zu kritisieren, sondern den Versuch zu machen, diese Entwicklungen im Licht der Probleme zu verstehen, auf die sie eine Antwort zu geben versuch(t)en.