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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

218-219

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Stinglhammer, Hermann

Titel/Untertitel:

Libertas semper bona. Gottesgedanke und menschliche Freiheit bei Gabriel Biel. Ein Beitrag zur christlichen Legitimität der Neuzeit.

Verlag:

Winzer: Duschl 2006. VIII, 277 S. gr. 8°. Geb. EUR 34,90. ISBN 978-3-933047-97-7.

Rezensent:

Christoph Burger

Diese Arbeit wurde im Dezember 2000 der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls-Universität Tübingen als Habilitationsschrift vorgelegt. Das Buch ist nicht eben durchsichtig gegliedert. Auf die Einleitung (9–14) folgen drei sehr ungleich lange Abschnitte, die lediglich als ›A‹ (15–36), ›B‹ (37–242) und ›C‹ (243–255) bezeichnet werden. Unterhalb dieser höchsten Gliederungsebene enthält allein ›B‹ ›Hauptteile‹ und unterhalb dieser fünf ›Hauptteile‹ wiederum ›Kapitel‹, ›A‹ und ›C‹ dagegen haben keine ›Hauptteile‹, sondern nur ›Kapitel‹.
Der Scholastiker Biel hätte es nicht gebilligt, dass der Vf. in seiner Reihe von fünf Motti das Bibelzitat Joh 8,32 erst als drittes nennt, noch dazu erst nach einer Aussage des Regisseurs Lars von Trier. Nicht umsonst stammen das erste und das letzte der Motti von Hermann Krings (3). Seine Werke werden in diesem Buch oft angeführt. Die Einleitung setzt sich mit der Vermutung auseinander, eine Arbeit über den Scholastiker Biel werde auf freundliches Desinteresse stoßen (9), begründet die Konzentration auf dessen ›Collectorium‹, auch wenn es nicht »in Deutsch oder eine andere moderne Fremdsprache« übersetzt sei (11), und bezeichnet Biels Freiheitstheologie als eine Gnadentheologie (13).
Der Abschnitt ›A‹ bietet unter der Überschrift »Entwicklung eines Fragehorizontes auf das Gottesbild Gabriel Biels in seiner Bedeutung für die moderne Freiheitsgestalt« Aussagen zur Forschungsgeschichte: zur »traditionelle[n] Lesart Biels« (15–18), zur »Neu­bewertung der Theologie Biels« (18–24), zur »These Hans Blu­men­bergs: Neuzeit als Notwehr gegen den Gottesbegriff des No­minalismus« (25–30) und zu »Einsprüche[n] gegenüber Blumenberg« (30–35). Als Ziel seiner Darstellung formuliert der Vf.: »Wenn in all diesen Zusammenhängen die Freiheit Gottes als der tragende Referenzpunkt aufgewiesen werden könnte, der die Rationalität und Subjekthaftigkeit der endlichen Freiheit nicht nur ermöglicht und verbürgt, sondern sie in diesem Verhältnis zu sich selber freisetzt, wäre damit die positive Sicht des nominalistischen Gottesgedankens in seinen freiheitsstärkenden Impulsen für die Moderne erwiesen« (36). Gerne läse der Rezensent schon in Abschnitt ›A‹ eine kurze Auseinandersetzung mit davon abweichenden Positionen, die der Vf. immerhin in der Form knapper Referate mitteilt. So resümiert er beispielsweise an späterer Stelle eine Aussage von Leif Grane, Luther könne »in der augustinisch-lombardischen Tradition einer Totalkorrumption [sic!] der menschlichen Natur Freiheit und Gnade nur noch in kontradiktorischer Weise auffassen ...« (122, Anm. 84).
In Abschnitt ›B‹ (»Die Sentenzentheologie Gabriel Biels als Ex­plikation autonomer Freiheit«) unternimmt der Vf. einen Durchgang durch Gabriel Biels Aussagen zu Gottes und des Menschen Freiheit in seinem Sentenzenkommentar (zur Auswahl vgl. etwa 94, Anm. 38: »Wir benennen nur die für unsere Problemstellung relevanten Gliederungspunkte …«). Die Hauptteile stellen Biels Lehre von Gott, von der Schöpfung, seine Christologie, seine Aussagen über die theologischen Tugenden und von den Letzten Dingen dar (letztere aufgrund von Predigten, weil Biel starb, bevor er die Eschatologie hätte darstellen können; 225 f.). Statt der freilich ausführlichen Binnengliederung des Sentenzenkommentars führt der Vf. lediglich die »Nummern der jeweiligen Bände« (der Vf. spricht konsequent von ›Bänden‹ statt von ›Büchern‹) und Distinktionen an. Wenn er Quellenbelege aus Biels Sentenzenkommentar bietet, beschränkt er sich »der heutigen Form entsprechend« auf die An­gabe der Seitenzahlen in der modernen kritischen Edition (12). Er erschwert seinem Leser das Aufsuchen der zitierten Stellen da­durch, dass er die in dieser hervorragenden Edition vergebene Zeilenzählung nicht übernimmt. Nimmt man dennoch eine Stichprobe vor, dann stellt man etwa fest, dass Biel an der angegebenen Stelle aus den ›Moralia‹ Gregors des Großen zitiert (110, Anm. 60; Collectorium: lib. II, dist. 10, quaestio unica, articulus 3, conclusio; Bd. 2, 281, Zeilen 25 f.). Auch wenn Biel der Aussage Gregors zu­stimmt, wird sie dadurch noch nicht zu seiner eigenen. Es müsste dem Leser mitgeteilt werden, dass Biel hier zitiert. Die Zahl der Satzfehler ist oft entmutigend (82, Anm. 49: sieben in vier Textzeilen, dabei einmal ›acceptat‹ anstelle von ›adoptat‹‹; zwei Wörter wurden ausgelassen).
Abschnitt ›C‹ zieht das Fazit unter dem Titel: »Der Nominalismus Gabriel Biels – Theologie aus dem Geist der Freiheit«. Hier heißt es etwa: »Im Gegensatz zur aristotelisch-thomanischen Tradition ist nunmehr dem göttlichen Willen kein ihn fundierender ordo mehr vorgegeben.« (245), und: »Kreatürliche Freiheit hat sich daher nach Biel in ihrer Praxis stets am göttlichen Grund der Freiheit selbst zu vergewissern, wie er durch die Offenbarung des Evangeliums und Auslegung in der lehramtlichen und sakramentalen Tradition der Kirche in geschichtlicher Weise an sie herantritt.« (252)
Das Quellen- und Literaturverzeichnis (256–274) verliert da­durch an Übersichtlichkeit, dass »Literatur zu Gabriel Biel, Spätscholastik/Nominalismus und Moderne« (257–268) von »Übrige Literatur« (268–274) getrennt aufgeführt worden ist. Ein Register der zitierten Autoren (275–277) schließt den Band ab.
Die Sprachgestalt der Arbeit überzeugt den Rezensenten nicht; Kursivierungen in diesem Absatz stammen vom Rezensenten). Der Vf. will beispielsweise die »geistesgeschichtliche Bedeutung Gabriel Biels … bemessen« (10), er spricht von der »Sentenzentheologie des Collectoriums« Biels (10), und er schreibt, Ockham wolle »keinen Willkürgott formulieren« (20). Erstaunt liest der Rezensent »im Rückgriff auf die Ockhamsche Allmacht Gottes« (20) oder »ein kritisches Interpretament, mit dem sich der biblische Gott … reformulieren lasse« (20), damit wurde aber »theologisch ein Maximalgott ins Recht gesetzt …« (28), »der negative Absolutpol« (148). Es kommt vor, dass lateinische Zitate in deutsche Sätze eingefügt werden, ohne dass der Vf. darauf geachtet hätte, ob sie wirklich passen: »Es geht daher zunächst um ›eius constitutione in esse naturali‹. (II d. 16, 356).« (111, Anm. 1) Anstelle des deutschen »um« hätte der Vf. das lateinische »de« zitieren sollen.
Die Aufmachung des Buches ist nicht tadelsfrei. So steht über der ersten Seite des Abschnitts ›A‹ als lebende Kolumne zu Unrecht nochmals ›Einleitung‹ (15). Die verwendeten Häkchen (› ‹) und die Exponenten in Fußnoten stammen offensichtlich aus einem größeren Zeichensatz als dem, der für den übrigen Text verwendet worden ist. Das Verhältnis von Satzspiegel zu Seitengröße ist ungünstig, das Inhaltsverzeichnis wenig einladend gesetzt (V–VII). Der Lektor des Verlags hätte dem Vf. davon abraten müssen, seine Aussagen über einige gewichtige Beiträge zur Neubewertung des Nominalismus in überlange Fußnoten zu verstecken (18 f., Anm. 38–43).