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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1204 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Gerosa, Libero

Titel/Untertitel:

Exkommunikation und freier Glaubensgehorsam. Theologische Erwägungen zur Grundlegung und Anwendbarkeit der kanonischen Sanktionen

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 1995. 429 S. gr.8°. geb. DM 109,-. ISBN 3-87088-851-2.

Rezensent:

Stephan Kotzula

In seiner Monographie von 362 Textseiten zeigt Libero Gerosa auf, daß es im kanonischen "Strafrecht" eine "Strafe" im eigentlichen Sinn nicht gibt, obwohl dort der Rechtsterminus "Strafe" verwendet wird. Vielmehr stellt die Strafe eine "ekklesiale Gegebenheit" dar, die in ihrer rechtlichen Fassung so nur das kanonische Recht kennt. Die im VI. Buch des CIC aufgeführten Zensuren, insbesondere die Exkommunikation als die "grundlegende Strafe (poena princeps)" im Kirchenrecht, wie auch die sogenannten Sühnestrafen unterscheiden sich in ihrem Wesen vom zivilen Strafrecht dadurch, daß sie zwar rechtlich gehandhabt werden, aber "ekklesiologisch" bestimmt sind. Dieser Sachverhalt kommt aber in den Normen des CIC noch nicht überall zufriedenstellend zum Ausdruck.

Im ersten Teil der Monographie (21-293) wird aufgezeigt, wie sich aufgrund einer veränderten Ekklesiologie auch ein Wandel in der kanonischen Strafgesetzgebung vollzogen hat. Solange die Kirche als eine "Gemeinschaft, die alles besitzt, was zu ihrem gemeinschaftlichen Leben wie zu ihrem Gemeingut (Bonum commune) nötig ist", also als "Societas perfecta" betrachtet wurde, wie es dem noch die Kanonistik der Gegenwart beeinflussenden Ius Publicum Ecclesiasticum (IPE) des 18./19. Jh.s zugrunde liegt, kommt der Kirche selbstverständlich das Recht zu, Zwangs- und Strafgewalt auszuüben; sie muß sich ja selbst und ihre Glieder vor Glaubensverfälschungen wie vor Mißachtung ihrer Disziplin schützen und aufgrund dessen den hartnäckig Zuwiderhandelnden strafrechtlich ahnden. Dabei trägt die verhängte Beuge- oder Sühnestrafe stets den der "Kirche eigenen" Bußcharakter; ebenso bleibt der der Exkommunikation eigentümliche Anspruch des mit dieser "Strafe" Sanktionierten auf Absolution davon bei offenkundiger Besserung als das dieser Sanktion eigene "ekklesiale" Merkmal immer gewahrt.

Versteht man hingegen die Kirche als "die Gemeinschaft der Christgläubigen mit Gott und untereinander", wofür nach dem II. Vatikanum der Begriff "Communio" als ekklesiologischer Terminus technicus verwendet wird, so kommt, wenn auch im kanonischen Recht noch nicht voll und ganz ausgereift, schon deutlicher zum Ausdruck, daß sich derjenige, der sich ganz bewußt von der Communio der Kirche distanziert, demzufolge gleichsam "zwangsläufig" auch nicht mehr an deren Gütern und Rechten Anteil haben kann, es sei denn, er fügt sich wieder in diese Communio ein. Dieser ekklesiale Tatbestand hat aber nichts, wie Libero Gerosa mehrfach aufweist (siehe u. a. 188-192, 227, 249, 275, 277, 284, 299, 378 f.), mit einer Strafe im Sinn von Bestrafung, Züchtigung oder Zwangsmaßnahme zu tun, wie es das zivile Strafrecht intendiert (siehe u. a. 263, 271, 273, 277). Hier wird vielmehr aufgezeigt, daß sich die Kirche als Communio selbst in Frage stellen würde, wenn sie nicht demjenigen, der sich von ihr bewußt distanziert, also "seine Communio" ihr gegenüber aufkündigt, dessen Status in Form einer rechtswirksamen Verfügung klar machen würde.

Unter ökumenischem Gesichtspunkt treffen sämtliche kanonischen Sanktionen nur für Katholiken zu (dazu 238), die nach der Lehre des II. Vatikanums in der "vollen Gemeinschaft (Communio plena)" mit der Kirche stehen. Die Christgläubigen der anderen Gliedkirchen, in denen die volle Gemeinschaft nicht "voll und ganz" verwirklicht ist, können folglich auch nicht die Güter und Rechte der katholischen Kirche beanspruchen, da sie diese Güter und Rechte zum Teil durch ihr eigenes Glaubensbekenntnis negieren. Deswegen entbehrt deren Status, obgleich er bisweilen "de facto" dem eines "strafrechtlich" sanktionierten Katholiken gleichkommt, völlig jeglichen Strafcharakters. Die Nichtkatholiken handeln ja nicht "bewußt" der katholischen Kirche zuwider, sondern befinden sich in einer Communio mit der Kirche, die aber mit der Communio plena der katholischen Kirche nicht voll und ganz identisch ist. Wenn sie nun nicht an allen Gütern und Rechten der katholischen Kirche teilhaben können, so ist das nie eine "Strafe", sondern ein ekklesialer Tatbestand (siehe u. a. 207, 227, 239, 331).

Wenngleich diese Sichtweise der Communioekklesiologie auch den sogenannten Sühnestrafen im CIC zumindest grundsätzlich zugrunde liegt, so läßt sie sich bei deren rechtlichen Handhabungen, besonders, was die Lehrprüfungsverfahren anbelangt, noch nicht in der ihr gerecht werdenden Weise feststellen, da der in Verdacht Geratene sich rechtlich geschützt nicht hinreichend verteidigen kann, um seinen ekklesialen Status gebührend darzulegen (siehe 375, 379).

Für den Leser dieser ziemlich gründlichen Monographie wäre es allerdings sehr hilfreich, so darf kritisch angemerkt werden, wenn deren Autor seine Systematik durch Straffung des Textes etwas vereinfacht, und im Text selbst durch eine einheitliche Ausdrucksweise auf die sehr häufig vorkommenden fremdsprachlichen Phrasologismen verzichtet hätte. Obgleich dieses Werk keine erschöpfende wie abschließende Antwort auf alle Fragen, welche die dort behandelte Thematik aufwirft, gibt, ja geben kann, so ist es dennoch für das weitere kanonistische Nachdenken darüber unentbehrlich.