Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

204-206

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Liebenberg, Roland

Titel/Untertitel:

Der Gott der feldgrauen Männer. Die theozentrische Erfahrungstheologie von Paul Althaus d. J. im Ersten Weltkrieg.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2008. 585 S. gr.8° = Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 22. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-374-02603-6.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Diese Studie ist die überarbeitete Fassung der Dissertationsschrift R. Liebenbergs, die der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg 2006 unter dem gleichen Titel vorgelegt wurde. Gegen­über der älteren Forschung, deren Beschränkung auf bestimmte theologische Topoi und deren Vorliebe für liberale theologische Positionen bei der Beschreibung von Althaus’ und anderer Theologen Anfälligkeit für den Nationalsozialismus L. in der Einleitung und im Epilog als zu oberflächlich kritisiert, kommt er aufgrund seines methodischen Ansatzes zu tiefergreifenden Ergebnissen.
Der von L. gewählte methodische Ansatz geht – Jürgen Habermas verpflichtet – aus von der »Interdependenz von theologischen, mentalen, ideologischen und politischen Faktoren innerhalb konkreter sozialer Bezüge« und weiß sich so der »Pluralität der Lesarten« verpflichtet. Chronologisch und Althaus’ Biographie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs folgend untersucht L. von diesem methodischen Ansatz aus in akribischer Kleinarbeit eine außerordentlich beachtliche Menge von unveröffentlichten und gedruck­ten Quellen, darunter allein 263 veröffentlichte Andachten und Predigten, wobei die Erörterung der feinen, in einzelnen Textana­lysen aufgespürten Nuancen in der Entwicklung des Theologen mitunter auch etwas mühsam scheint und vereinzelt auch andere Deutungsmöglichkeiten zulässt. Die präzisen einzelnen Untersuchungen werden unter Heranziehung weiterer Quellen und umfangreicher Sekundärliteratur zur Entwicklung der militärischen Niederlage im Ersten Weltkrieg im Gegensatz zu Althaus und seinen der völkischen Ideologie verpflichteten Kontaktpersonen nicht zuletzt von einem umfangreiche Ergänzungen bietenden Anmerkungsapparat begleitet. Hilfreich ist, dass der jeweilige Ertrag der aufwendigen Detailanalyse in übersichtlichen Zusam­menfassungen dargestellt wird. L. geht von der Darlegung seiner methodischen Grundlagen in der Einleitung aus, wobei der Begriff der in den Titel der Monographie aufgenommenen, sich ge­gen die anthropozentrische liberale Theologie wendenden »theo­zen­trischen Erfahrungstheologie« die tragende Rolle spielt. Gott als Herr der Geschichte ist für Althaus in der Vermittlung zur zeitgenössischen Politik, zu den völkischen Ideologien und darin eingebetteter subjektiver Erfahrung durch die ganze Zeit hindurch zentral. Dabei spielen – dargestellt in den ersten beiden Kapiteln – zunächst das Aufwachsen in einem bildungsbürgerlichen Elternhaus, der theologische Einfluss des Vaters und die Prägung durch die ältere Erlanger Theologie, die kritische Auseinandersetzung mit der Religionsgeschichtlichen Schule, der Einfluss der theologischen Lehrer Adolf Schlatter und Karl Holl in der Tübinger Studienzeit, die Auseinandersetzung mit dem Werk Leopold von Rankes sowie das Studium bei dem Profanhistoriker und »Neorankeaner« Max Lehmann in Göttingen eine Rolle. Von Bedeutung ist, dass die Geschichtswissenschaft vor der »antihistorischen Revolution« in der spätwilhelminischen Zeit nicht zurückschreckt, sondern im Gegenteil parallel zur Theologie ihren Beitrag zum »Antihistorismus« leistet, im Gefolge Rankes den Machtstaat als historisches Individuum aufgrund seines Selbstbehauptungswillens für sittlich hält, kriegsverherrlichend für eine aggressive Außenpolitik votiert und daran glaubt, dass der Verlauf der Geschichte von großen Männern bestimmt wird. Erst im Predigerseminar in Hannover ergänzt Althaus sein theologisches Fundament durch eine Auseinandersetzung mit Karl Heim und dessen durch die Rezeption von Søren Kierkegaard entwickelter dialektischer Dogmatik, die eine Vermittlung zwischen göttlicher Offenbarung und persönlichem Erleben ermöglicht.
Mit dem darin zentral angesprochenen »Problem der Gewissheit« setzt sich Althaus in seiner Dissertation über »Vernunft und Offenbarung in der reformierten Dogmatik um 1600« auseinander, die er 1913 vorlegte, gefolgt von seiner nur ein halbes Jahr später vollendeten Habilitation. In der Studienzeit prägte ihn aber nicht nur das Kulturluthertum, sondern vor allem auch seine Mitgliedschaft in einer studentischen Korporation des Schwarzburgbundes. Hier und in der Auseinandersetzung mit der Jugendbewegung entwickelte sich bei dem Theologen ein das Bild von der sittlichen Persönlichkeit prägendes soldatisches, nämlich an den Werten Tapferkeit und Opferbereitschaft orientiertes Männlichkeitsideal, an dem Althaus bis zum Ende des Krieges und darüber hinaus festhielt und das sich mit völkischer Ideologie unter dem Dach theozentrischer Erfahrungstheologie »legierte«.
Dieses Denken prägt, wie L. überzeugend darlegt, die verschlei­erte Wirklichkeitswahrnehmung des Theologen, macht ihn für die Friedenssehnsucht der kriegsmüden Soldaten so unempfänglich wie für den Wunsch einer seelsorgerlichen Tröstung auf der Basis von Mitleid, resistent gegen jede Art von Verständigungsfrieden, lässt ihn vielmehr auch bei noch so misslicher militärischer Lage zum »Durchhalten« aufrufen in der Gewissheit, dass der »Herr der Geschichte« dem sittlich überlegenen Volk, dem überdies eine welterzieherische Aufgabe zukommt (Einfluss von Emanuel Geibel), letztlich den Sieg nicht versagen werde. Hier lehnt sich Althaus auch an völkisches Schrifttum an. Insofern liest man heute die Predigtanalysen L.s mit Interesse, aber auch mit einiger Erschütterung, werden doch auch das Gottes- und Christusbild für die Verherrlichung von Krieg und Soldatentod in Anspruch genommen, unter Berufung auf den zornigen Lenker der Geschichte einerseits, auf den Opfergedanken andererseits. In diesem Sinne stellt L. die Tätigkeit von Althaus und die erfahrungstheologische Standortbestimmung im Kampf um die deutsche Zukunft im Kongresspolen bis 1916 im 3. Kapitel und die erfahrungstheologischen Weichenstellungen während der Lodzer »Schutzarbeit« bis zum erzwungenen Abschied aus Polen im 4. Kapitel dar. So fordert Althaus in seinen Predigten und Andachten von den Soldaten den »heiligen Hass auf die Feinde«, einen Hass, der dem züchtigenden Zorn Gottes entspreche. Hass wird »zu einer unbedingten emotionalen Notwendigkeit im Kampf gegen die Feinde des … durch den Krieg geläuterten und jetzt moralisch integren deutschen Volkes«, wird Althaus von L. sinngemäß zitiert (186). In den Dienst solcher Anschauungen stellt Althaus seine Theorie von der dreifachen Geschichte, der politischen Geschichte, der Geistesgeschichte und der Eschatologie. In diesem Sinne kämpft er an der Seite des völkischen Aktivisten Adolf Eichle r– sich nicht zuletzt auf den »deutschen Luther« berufend – im »Deutschen Verein« und später im »Deutschen Schutzbund« für das Deutschtum in Polen und letztlich für eine »alldeutsche« Lösung, die Annexion der besetzten Gebiete Polens und kann seine Enttäuschung nicht verhehlen, als 1916 im Sinne der Außenpolitik des Deutschen Reichs das unabhängige Königreich Polen proklamiert wird. In diesem Zusammenhang kämpft er auch gegen die Kollegen der Evangelisch-Augsburgischen Kirche im Königreich Polen, die Neutralität in der völkischen Frage wahren. So wendet sich Althaus auch vehement gegen jede Art nicht »artgemäßer« Demokratie, tritt ein für den autoritären Führerstaat, nimmt 1917 in seinem Beitrag zum Reformationsjubiläum Luther für die völkische Ideologie in Anspruch, adaptiert auch den Rassebegriff im Rahmen eines »biologisch-organischen Lebensgesetzes«, predigt nach dem Erlebnis der Januarstreiks schon im Februar 1918 eine Dolchstoßlegende, indem er den streikenden Arbeitern vorwirft, den bis aufs Blut kämpfenden Soldaten in den Rücken zu fallen. Ideologisch dermaßen geprägt musste der Theologe, dem es auch nach dem Weltkrieg an jeglicher Einsicht mangelte, in Hitler und dem Zweiten Weltkrieg eine neue Chance sehen.
Die umfangreiche Studie bietet eine verdienstvolle Vertiefung der bisherigen theologiegeschichtlichen Darstellungen, die am Beispiel des Theologen Althaus die Anfälligkeit konservativer Theologen für den Nationalsozialismus plausibel macht.