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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

195-197

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Louth, Andrew

Titel/Untertitel:

Greek East and Latin West. The Church AD 681–1071.

Verlag:

Crestwood-New York: St Vladimir’s Seminary Press 2007. XVI, 382 S. u. 11 Taf. m. 18 Abb. u. 8 Ktn. gr.8° = The Church in History, 3. Kart. US$ 26,00. ISBN 978-0-88141-320-5.

Rezensent:

Peter Gemeinhardt

Dieser Band ist Teil einer auf sechs Bände konzipierten Gesamtdarstellung der Kirchengeschichte, deren Charakteristikum darin besteht, dass orthodoxe Theologen sich der Geschichte der gesamten Kirche widmen – nicht nur der eigenen Tradition, sondern auch der des lateinischen Westens, zu der bekanntlich seit dem Mittelalter ein spannungsvolles, oft krisenhaftes Verhältnis be­steht, das auch in der Ökumene der Gegenwart noch spürbar ist. Initiator war der 1992 verstorbene John Meyendorff, der auch selbst den ersten Band verfasste (Imperial Unity and Christian Divisions: The Church AD 450–680, 1989) und zum zweiten Band (Aristeides Papadakis, The Christian East and the Papacy: The Church AD 1071–1453, 1994) noch einen Beitrag beisteuerte. Mittlerweile hat der in Durham lehrende Patristiker und Byzantinist Andrew Louth die Gesamtherausgeberschaft übernommen und auch den hier zu besprechenden Band »Greek East and Latin West: The Church AD 681–1071« veröffentlicht; zeitgleich legte Veselin Kesich den ersten (Halb-)Band der Reihe (Formation and Struggle: The Church AD 33–450, Part 1: The Birth of the Church AD 33–200, 2007) vor. Drei weitere Bände, die die Zeiträume 200–450, 1453–1782 sowie 1782 bis zur Gegenwart behandeln sollen, sind angekündigt (XIII). Wie die Darstellung der Neuzeit angelegt sein wird, darf mit Spannung erwartet werden. Für die drei Bände, die sich mit dem Jahrtausend zwischen dem Konzil von Chalkedon (451) und dem Fall Konstantinopels (1453) befassen, kann jetzt schon gesagt werden, dass die Verfasser eine fundierte, in vieler Hinsicht bereichernde Ergänzung der die Lehrbücher oft prägenden Konzentration auf West- und Mitteleuropa bieten.
Die Bandabgrenzung spiegelt diese orthodoxe Sicht der Ge­schichte wider: So dienen das VI. Ökumenische Konzil in Konstantinopel (680/81) und die byzantinische Doppelniederlage in Bari gegen die Normannen und bei Mantzikert gegen die Seldschuken (1071) kaum einmal als Epochengrenzen für Kirchenhistorie und Mediävistik. Im Blick auf die Reformbewegungen des 11. Jh.s in Mittel- und Westeuropa ist das nicht ganz glücklich, wie L. weiß (271). Man mag durchaus auch aus byzantinistischer Sicht fragen, ob der Bilderstreit des 8./9. Jh.s nicht auch als Ausläufer der christologischen Debatten der Spätantike behandelt werden könnte statt als Eröffnung einer neuen Epoche. Andererseits legt L. den Akzent weniger auf klassische Periodisierungen der Dogmengeschichte, sondern auf die Entwicklung »der« einen Kirche in ihren pluralen Erscheinungsformen in Ost und West, die sich in dem benannten Zeitraum sukzessive als unterschiedlich erkannten, bis diese Differenzen erstmals 1054 in Konstantinopel zu Eruptionen und Ex­kommunikationen führten. Dabei will L. keineswegs nur die Entstehung des Schismas darstellen (XV, in Abgrenzung u. a. gegen Henry Chadwick, East and West: The Making of a Rift in the Church, Oxford 2003), das er völlig zu Recht von dem Datum 1054 unterscheidet, das in der jeweiligen Erinnerung zunächst keine bleibenden Spuren hinterlassen zu haben scheint (271.316). Im Zentrum steht die Kirche als Institution und soziale Formation, die in ihre gesellschaftliche Umwelt eingebunden war und diese ebenso prägte, wie sie von ihr geprägt wurde. Behandelt werden – grob nach Zenturien gegliedert – das Verhältnis von Kirche und Staat, das Mönchtum als kontinuierliche Reformbewegung, das geistige Leben, die Mission in Nord- und Osteuropa, die theologischen Debatten sowie die Frage der kirchlichen Autorität. Der Fokus liegt vor allem auf Byzanz, Rom und dem Frankenreich bzw. dessen Nachfolgestaaten; die nichtchalkedonensischen Kirchen des Os­tens – die unter islamischer Herrschaft lebten und, so z. B. die »Nestorianer«, durchaus aufblühten – werden fast völlig außer Acht gelassen (vgl. aber 163–166 zu Christen unter den Arabern in Palästina). Anders wäre die thematische Breite für den gewählten Zeit­raum auch kaum durchzuhalten gewesen, zieht man den knapp dreimal so umfangreichen Band IV der »Geschichte des Christentums« (hrsg. von Gilbert Dagron, deutsche Ausgabe hrsg. von Egon Boshof, Freiburg u. a. 1994 = 2007) für die Jahre von 642 bis 1054 zum Vergleich heran. L. verzichtet auf ausführliche Quellenbelege und Literaturnachweise, die sparsam eingesetzten Fußnoten und die Bibliographie bilden gleichwohl den status quaestionis ab – mit Einschränkungen, was neuere deutsche Titel angeht; man vermisst z. B. die Studien von Johannes Bernhard Uphus (Der Horos des Zweiten Konzils von Nizäa 787, Paderborn u. a. 2004) und Hans Georg Thümmel (Die Konzilien zur Bilderfrage im 8. und 9. Jahrhundert. Das 7. ökumenische Konzil von Nikaia 787, Paderborn u.a. 2005) zum Bilderstreit sowie von Georgij Avvakumov (Die Entstehung des Unionsgedankens. Die lateinische Theologie des Hochmittelalters in der Auseinandersetzung mit dem Ritus der Ostkirche, Berlin 2002) zur Azymenkontroverse. Statt auf kritische Editionen wird meist auf englische Übersetzungen verwiesen, was gerade in angelsächsischen Publikationen zunehmend der Fall ist. Auf die in der Buchmitte präsentierten Abbildungen wird im Text leider kaum eingegangen.
Die Stärke des Bandes liegt darin, parallele Entwicklungen zu beschreiben, die aufgrund der spezialisierten Forschungslandschaft nur selten von einem Autor unter einer einheitlichen Perspektive untersucht werden. So ist es z. B. erhellend, dass im 10./11. Jh. sowohl in Mitteleuropa als auch auf dem Athos monastische Lebensformen entstanden, deren Urimpuls in der Nachahmung der Wüstenväter bestand, literarisch repräsentiert durch die Vita Patrum bzw. die »Apophthegmata Patrum« (275 f.), und zu einem ganz ähnlichen Stil monastischen Lebens führte, der Laura (des Einsiedlerdaseins in der Nähe eines Klosters). Der Hintergrund dieser Aufbrüche bestand in einem durchaus vergleichbaren Streben nach ernsthafter Askese und Freiheit von äußerer Bevormundung. Unterschiede ergeben sich vor allem bei der Frage der kirchlichen Autorität: Statt der »Symphonia« von Kaiser und Patriarch in Konstantinopel stand im Westen die zuerst überwältigende, nach dem Ende der Karolingerzeit schwindende Stärke des Kaisertums dem sich zunehmend als Universalgewalt verstehenden Papsttum gegenüber. Ebenso zentral wie diese Konfliktlinie, die L. präzise durch den gesamten Darstellungszeitraum hindurch rekonstruiert, ist das Aufblühen geistigen Lebens in beiden Kulturräumen: Der »Carolingian Renovatio« steht im 9. Jh. eine »byzantinische Re­naissance« gegenüber (139–162), die im 10. Jh. – anders als im Wes­ten– auf durchaus hohem Niveau fortlebt und im 11. Jh. mit Mi­chael Psellos (antizyklisch zum politischen Niedergang nach dem Tod Kaiser Basilius’ II. 1025) noch eine Steigerung erfährt. Hier zeigen sich nun Sinn und Grenze der vorgenommenen Zeiteinteilung: Während in Konstantinopel mit der Verurteilung des Psellos-Schülers Johannes Italos 1082 der Streit zwischen »the outer and the inner wisdom« zugunsten letzterer entschieden wurde (320), hebt diese Debatte mit Berengar von Tours und Lanfranc im Westen gerade erst an (vgl. 300–303, aber nicht auf das Verhältnis von Philosophie und Theologie bezogen) und gewinnt mit Anselm von Canterbury und Abaelard erst wirklich an Fahrt. Andererseits kann L. m. E. überzeugend darlegen, dass Psellos ebenso wie der eine Generation ältere Symeon »der neue Theologe« nicht als Alternative zwischen einer Verherrlichung hellenistischer Philosophie und einer Konzentration auf spirituelle Theologie wahrgenommen werden sollte: »Sy­meon and Psellos did not belong to entirely separate worlds« (343).
Solche Kapitel (»Spiritual and Intellectual Life in Byzantium«, 319–343) lassen erkennen, wo das theologische Herz von L. schlägt, und machen exemplarisch den Wert des vorliegenden Bandes aus, der nicht auf Vollständigkeit bedacht ist, sondern Momente der Herausbildung von »Greek East and Latin West« aus orthodoxer Perspektive mit großer Sensibilität gegenüber dem Westen und mit angemessener Kritik gegenüber der eigenen Tradition nachzeichnet. So regt der Band – bei aller Knappheit im Detail und bei manchen Verkürzungen – zum Nachdenken darüber an, was es heißt, nach »the Church in History« zu fragen, insofern ja das beiden Traditionen gemeinsame nizäno-konstantinopolitanische Credo eine Kirche zu bekennen lehrt und sie damit verbindet (durch das »Filioque« aber selbst Teil des Problems ist!). Dem vorliegenden Band und der Reihe insgesamt ist daher in Ost und West rege Aufmerksamkeit zu wünschen.