Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

190-195

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kaufmann, Thomas, Kottje, Raymund, Moeller, Bernd, u. Hu­bert Wolf [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ökumenische Kirchengeschichte. 3 Bde.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Mittelalter. V. M. Ebner, W. Hartmann, B. Kötting (†), Ch. Markschies u. A. Schindler. Hrsg. v. B. Moeller. 2006. 272 S. gr. 8°. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-534-15804-1. Bd. 2: Vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit. V. J. Helmrath, A. Holzem, Th. Kaufmann, L. Körntgen, V. Leppin, B. Moeller, M. Ohst, R. Reinhardt (†), H. Schneider u. H. Smolinsky. Hrsg. v. Th. Kaufmann u. R. Kottje. 2008. 586 S. gr. 8°. Geb. EUR 79,90. ISBN 978-3-534-19238-0. Bd. 3: Von der Französischen Revolution bis 1989. V. Th. Bremer, J.-Ch. Kaiser, K. Nowak (†), J. Pilvousek u. H. Wolf. Hrsg. v. H. Wolf. 2007. 464 S. gr. 8°. Geb. EUR 64,90. ISBN 978-3-534-19247-2.

Rezensent:

Wolf-Dieter Hauschild

Ein bemerkenswertes Ereignis: Nach einer Generation erscheint ein klassisches Sammelwerk in stark veränderter Neufassung, getragen von teilweise neuen Herausgebern, weithin neuen Autoren und einem neuen Verlag. 1970–74 kam es erstmals heraus (in den Verlagen Grünewald/Kaiser), geprägt von dem Anspruch, seiner Konzeption nach »ein neuartiges Unternehmen« zu sein (so die damaligen Hauptherausgeber Raymund Kottje und Bernd Moeller [Bd. I, V], die jetzt gleichsam die Kontinuität repräsentieren, der Bonner katholische und der Göttinger evangelische Kirchenhistoriker). Die fünf Auflagen bis 1993, in jedem der drei Bände mit Änderungen, bekundeten, dass dieses Gemeinschaftswerk katholischer und evangelischer Kirchenhistoriker – damals wie heute oh­ne Beteiligung einer Frau – verdientermaßen eine breite Leserschaft fand. »Ökumenisch« war an ihm nicht eine die Konfessionsdifferenzen transzendierende oder harmonisierende Konzeption (seinerzeit wohl mit Recht als »Illusionismus« abgetan; ebd.), son­dern die Kooperation von 22 evangelischen und katholischen Verfassern, die ihre Einzelbeiträge mehr oder weniger intensiv aufeinander abstimmten. Das ist jetzt – bei 21 Autoren und vier Herausgebern – im Prinzip so geblieben, allerdings in der Einzelausführung nicht so deutlich koordiniert, obwohl die Herausgeber betonen, es sei »stärker zu einem Gemeinschaftswerk geworden« (Bd. 1, 10). Zweifellos sind die konfessionellen Unterschiede bei der Wertung und Gewichtung der Kirchengeschichte in der vergangenen Generation noch weiter zurückgetreten, so dass sehr oft evangelische und katholische Forscher zu übereinstimmenden Resultaten kommen. (Ein Indiz dafür ist auch, dass die 1. Auflage in jedem Band die Konfessionszugehörigkeit aller Autoren vermerkte, während Derartiges jetzt fehlt.)
Ob man das als »ökumenisch« titulieren sollte, mag dahingestellt bleiben, auch wenn nunmehr die »Ostkirchen« etwas breiter berücksichtigt werden (Bd. 3, 251–416, gegenüber Bd. I, 226–269). Neuartig ist es jedenfalls nicht mehr, wenn man das grandiose französisch-deutsche Werk »Die Geschichte des Christentums« (hrsg. v. J.-M. Mayeur u. a., 14 Bde., 1991–2004) bedenkt. Fraglos be­achtlich bleibt die hohe fachwissenschaftliche Kompetenz der auf allgemein verständliche Lesbarkeit konzentrierten »Überblicksdarstellung« (Bd. 3, 15). Keine konzeptionell-historiographische Neuorientierung hinsichtlich der Epochendifferenzierung, sondern ein dem heutigen Erkenntnisstand entsprechender Pragmatismus bestimmt die Einteilung der Kirchengeschichte in den drei Bänden, die 1970 ff. konventionell als »Alte Kirche und Ostkirche«, »Mittelalter und Reformation« sowie »Neuzeit« bestimmt war. Jetzt werden einerseits die fließenden Übergänge zwischen Spätantike und Frühmittelalter so berücksichtigt, dass Bd. 1 die Zeit vom 1. bis zum 11. Jh. behandelt, und andererseits die Kontinuitäten zwischen dem Hochmittelalter und der Frühen Neuzeit (12.–18. Jh.) in der Anlage von Bd. 2 insofern beachtet, als neben den epochalen Umbrüchen wie vor allem der Reformation »auch Momente der längeren Dauer in der Geschichte der lateineuropäischen Christenheit angemessen« dargestellt werden (so Bd. 2, 11). Bd. 3 beginnt jetzt mit der Französischen Revolution 1789 ff. als dem »entscheidenden Einschnitt« (15), nicht mehr mit dem Westfälischen Frieden 1648. Die veränderte Gesamtanlage wirkt sich in der Gewichtung der Einzeldarstellungen aus.
Weiterhin recht kurz kommt die Alte Kirche weg (Bd. 1, 15–180). Im Abschnitt I »Die Kirche in vorkonstantinischer Zeit« fehlt jegliche übergreifend-systematische Reflexion zum Spezifikum dieser Periode, desgleichen eine Klärung der infrage kommenden Be­grifflichkeit. Der Münsteraner Neutestamentler Martin Ebner schreibt in kenntnisreicher, eigenständiger Zusammenfassung des Forschungsstandes über die Zeit »Von den Anfängen bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts« (15–57), die er eher undeutlich als »Urchristentum« bezeichnet, ohne diesen Begriff zu erläutern (16.57 u. ö.). Er versteht die Entwicklung von den »Anfänge(n)« des Christentums bei Jesus über die Gemeinden in Jerusalem und Antiochia, in den paulinischen und anderweitigen Missionsgebieten bis zum »Weg zur Institutionalisierung« (42–57) im Wesentlichen als Kontinuität der verschiedenen religiösen Richtungen und Organisationsformen. Warum seit ca. 90/100 eine »Institutionalisierung« zu konstatieren ist, wird nicht als Zäsur gegenüber der Vorzeit triftig begründet (vgl. auf S. 46 terminologisch unklar: »Aus Funktionen werden Ämter«; d. h. »Monopolisierung«, »Professionalisierung«, »Sazerdotalisierung«, »Ent-Feminisierung« und »Hierarchisierung« bestimmen seitdem das Amt – eine problematische Verallgemeinerung, die für die Zeit vor 150 wohl nur selten zutrifft). Charakteristisch für den Generationenwechsel in der Forschung ist, dass 1970 ein spezielles Kapitel die »frühkatholische Kirche« behandelte (Eduard Lohse in Bd. I, 61–69); das entsprach der damals intensiv geführten Diskussion um das Problem des »Frühkatholizis­mus«, welches heute als obsolet gilt. Für das differenziert und sachkundig von Ebner erörterte Verhältnis zum Judentum als Kontinuitätselement bis ca. 150 war die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 zweifellos eine entscheidende Zäsur (16). Verweist diese nicht wohl doch – zusammen mit anderen Veränderungen – auf das Ende der »urchristlichen« Zeit? Terminologisch markierte bzw. historiographisch reflektierte Bemerkungen zur Periodisierung finden sich ebenso knapp in dem zweiten Beitrag des Abschnitts I von Christoph Markschies, dem Berliner evangelischen Patristiker (»Von der Mitte des 2. bis zum Ende des 3. Jahrhunderts«, 59–98). Die für diesen Zeitraum feststellbaren Veränderungen der Kirchenstrukturen werden nicht entsprechend berücksichtigt. Markschies verwendet für die Eigenart jener Periode von ca. 150–311/324 den fragwürdigen, jedenfalls wenig aussagekräftigen Begriff »Das lange dritte Jahrhundert« (59.71 u. ö.) und für das schwer definierbare Phänomen einer sich – in Abgrenzung von anderen christlichen Gruppen – »katholisch« bzw. »orthodox« nennenden Institution den kaum treffenderen Begriff »Mehrheitskirche« ohne weitere Begründung oder Erläuterung (75.88 u. ö.). Er bietet eine kluge, allgemeinverständliche Übersicht über strukturelle Probleme in vorwiegend sozialgeschichtlicher Perspektive, besonders ausführlich über das Leben der Christen in einer paganen Umwelt mit seinen religiös-kirchlichen Formen (59–86), ferner über »Die Formierung einer wissenschaftlichen Theologie« und »Christliche Sondergruppen« (die sog. Häresien, 86–98). Dass die sog. Konstantinische Wende von 311–324 eine epochale Zäsur bedeutet, gilt als so selbstverständlich, dass es keiner Erörterung bedarf (Abschnitt II: »Die Reichskirche bis zum Ausgang der Antike«). Dass scheinbar zu dieser bis zum 6./7. Jh. dauernden Periode keine neuen Forschungsergebnisse vorliegen, die zu berücksichtigen wären, könnte eine unkundige Leserschaft aus der wohl rein technisch-editorisch be­dingten Verlegenheitslösung folgern, wonach die alten, in mancher Hinsicht überholten Beiträge von 1970 ohne jede Änderung abgedruckt werden (»Kirche und Staat«, »Die großräumige Gliederung der Kirche« von Bernhard Kötting, 101–136; »Die theologische und dogmatische Entwicklung«, »Die Anfänge des Mönchtums« von Alfred Schindler, 136–180). Nachteilig wirkt es sich hier wie im ganzen Bd. 1 aus, dass der Herausgeberkreis auch diesmal keinen Patristiker enthält.
Abschnitt III »Das frühe Mittelalter« bringt mit der historiographischen Erörterung Raymund Kottjes zur Chronologie und Terminologie (Bd. 1, 183–185) ebenso eine unveränderte Übernahme des Textes von 1973 wie mit dessen Darstellung der Germanenbekehrung und der kirchlichen Verfassungsentwicklung bis ca. 750 (185–209). Dann folgt eine Neubearbeitung für das Zeitalter der Karolinger, Ottonen und frühen Salier sowie für die Epoche von »Kirchenreform und Investiturstreit« (210–243), verfasst von dem Tübinger Mediävisten Wilfried Hartmann. Begann die Darstellung des Hochmittelalters in der Erstfassung 1973 mit der Gregorianischen Kirchenreform, so eröffnet jetzt Abschnitt IV »Das Hohe Mittelalter« den zweiten Band, der von der zweiten Hälfte des 12. Jh.s bis zur Aufklärung im 18. Jh. reicht und insgesamt stärker ereignisgeschichtlich-chronologisch orientiert ist als der erste, vor allem strukturgeschichtlich verfahrende Band. Begriffsbestimmungen zur Periodisierung finden sich auch hier nur sporadisch (auch später nicht zu den Begriffen »Reformation«, »Konfessionelles Zeitalter« und »Frühe Neuzeit«). Die konventionelle Aufteilung in Hoch- und Spätmittelalter spielt für die pragmatische Konzeption des Lehrbuchs keine wesentliche Rolle, wobei die Problematik von Epochenabgrenzungen u. a. auch darin zutage tritt, dass der Humanismus dem Spätmittelalter zugeteilt wird (Bd. 2, 215–228), was chronologisch zwar zutrifft, aber unter wirkungsgeschichtlichem Aspekt zeigt, wie offen jene Epoche zur Neuzeit hin war.
Die Darstellung des Hochmittelalters – eines Zeitalters voller epochaler Ereignisse und Strukturänderungen – ist in zwei Teile gegliedert: »Die Kirche im 12. Jahrhundert« (17–61) und »Die Kirche im 13. Jahrhundert« (63–119), bearbeitet von dem katholischen Bayreuther Mediävisten Ludger Körntgen und dem evangelischen Wuppertaler Kirchenhistoriker Martin Ohst. Diese scheinbar äußerliche Gliederung wird von beiden Autoren kurz begründet (15 f. und 63 f.), wobei interessant ist, dass der Protestant Ohst die Periodenabgrenzung allein mit dem Wandel der päpstlichen Position zwischen Innozenz III. (seit 1198 ff.) und Bonifatius VIII. (bis 1303) begründet und dass er auf das zweifellos bedeutsame Laterankonzil 1215 sehr ausführlich eingeht, während Körntgen das papalistische Element mit anderen Aspekten verbindet. Beide Beiträge bieten in gut lesbarer Form eine komprimierte Übersicht über die wesentlichen Ereignisse und Personen sowie über die kirchlichen Strukturen und die religiösen Tendenzen. Sie verdeutlichen – wie alle anderen Beiträge der drei Bände auch –, dass die wissenschaftliche Arbeit in den letzten 40 Jahren einerseits eine Kontinuität hinsichtlich der großen Linien bewahrt, andererseits wichtige Erkenntnisfortschritte hinsichtlich vieler Einzelphänomene er­bracht hat. Das zeigt sich noch deutlicher bei der Erforschung des 14./15. Jh.s, des sog. Spätmittelalters. Dessen differenzierte Komplexität im Blick auf Theologie und Frömmigkeit stellt der evangelische Jenaer Kirchenhistoriker Volker Leppin inhaltsreich im Detail und aufschlussreich im Blick auf die großen Linien dar (178–228). Dagegen konzentriert sich der katholische Berliner Mediävist Johannes Helmrath auf die fortschreitende Institutionalisierung der Papstkirche samt deren Verflechtungen mit der abendländischen Politik; er berichtet relativ ausführlich über die Konflikte zwischen Konziliarismus und Papalismus bzw. über den Verlauf der Reformkonzile 1414–1439 und gibt eine instruktive Übersicht über das »Renaissancepapsttum« (123–177).
Grundlegende Interpretationsveränderungen, die von der vergangenen Forschergeneration bewerkstelligt worden sind, wirken sich in den Abschnitten VI (»Das Zeitalter der Reformation«, 231–330) und VII (»Das konfessionelle Zeitalter«, 333–448) teilweise aus. Das erkennt man schon an dem Umstand, dass zwar wie 1973 die Voraussetzungen und Anfänge der Reformation bis 1530 von einem katholischen Gelehrten behandelt werden, dass aber an die Stelle von Remigius Bäumer der »Ökumeniker« Heribert Smolinsky, Kirchenhistoriker in Freiburg, getreten ist, dessen Darstellung der Ereignisse und Sachverhalte (231–273) ebenso von einem evangelischen Kirchenhistoriker stammen könnte. Bernd Moeller hat seinen Beitrag von 1973 über die Zürcher Reformation und die Täufer sowie über die Epoche 1525–1555 geringfügig modifiziert, z. B. durch Zusammenfassung vorher verstreuter Kapitel (274–311). Manches kommt hier zu knapp vor, etwa Melanchthons Wirken (252.263.307), der Bauernkrieg (218 f.), Zwinglis Theologie (276.278) oder die Berücksichtigung anderer wirkungskräftiger Reformatoren wie Andreas Osiander, Martin Bucer, Johannes Bugenhagen u.a. Durch die starke Konzentration auf Luther wird die Pluriformität der reformatorischen Bewegung nicht hinreichend sichtbar. Smolinskys Calvin-Darstellung (308–330) berücksichtigt neuere Forschungsergebnisse zu wenig. Die hier geleistete Integration von Kirchen- und Theologiegeschichte, ohne welche die Reformation unverständlich bleiben müsste, wird auch in dem folgenden Ab­schnitt konsequent zum Leitfaden der Darstellung, während man auch hier eine Besinnung auf den spezifisch dogmengeschichtlichen Aspekt – das Dogma als Fundament von Kirche – vermisst, etwa bei der Confessio Augustana, die nur marginal und recht äußerlich angesprochen wird (272 f.340 f.). Der generationsbedingte Unterschied zeigt sich am Wechsel der Überschriften: Statt der Entgegensetzung von Konsolidierung der reformatorischen Kirchen und »katholischer Reform und Gegenreformation« (so 1973) kommt nun der neuere Forschungsstand relativ breit und differenziert zum Tragen in den Ausführungen über die »Konfessionalisierung« (parallel im evangelischen wie im katholischen Bereich) und über die politisch-sozialen Wirkungen der konfessionell neu ge­prägten Religionen in spezifischen »konfessionellen Kulturen«. Durch wegweisende Studien zu diesem Zeitalter zwischen 1555 und 1648 haben sich die Bearbeiter, der evangelische Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann und der katholische Tübinger Kirchenhistoriker Andreas Holzem, profiliert; das kommt den zwischen ihnen aufgeteilten Darstellungen der entsprechenden Ereignisse und Strukturen zugute, auch wenn manches (z. B. Kaufmanns Übersicht über die »Protestantischen Bekenntnisbildungen« und Holzems Skizze zum Trienter Konzil sowie zum Je­su­itenorden, 340–355 bzw. 355–372) konventionell erscheint. Der Dreißigjährige Krieg markiert das Ende des konfessionellen Zeital ters (Holzem, 430–438 – warum nicht im Sinne einer »ökumenischen« Bemühung ergänzt um einige Ausführungen von Kaufmann?); nach dem Frieden von 1648 beginnt eine neue Epoche, die – durch keine Definitionsbemühung erläuterte – »Frühe Neuzeit« (Abschnitt VIII, 451–531). Der jüngst verstorbene Tübinger Kirchenhistoriker Rudolf Reinhardt hat seinen Beitrag von 1973 (»Die katholische Kirche 1648–1789«, 451–484; u. a. über Gallikanismus, Jansenismus, Josephinismus) nicht mehr überarbeiten können. Wie stark sich in evangelischen Forscherkreisen die Sicht von Orthodoxie, Pietismus und Aufklärung gewandelt hat, demons­triert die informative Darstellung des Marburger Kirchenhistorikers Hans Schneider (»Der Protestantismus«, 485–531). Die Parallelen in der Entwicklung beider Konfessionen sind signifikant; dies hätte gerne in einer zusammenfassenden »ökumenischen« Auswertung bedacht werden können.
Zwischen 1974 und 2007, zwischen dem jeweils dritten Band, hat sich die wissenschaftliche Bearbeitung der Kirchen- und Theologiegeschichte des 19. und 20. Jh.s beachtlich spezialisiert und erweitert. Das kommt dem neuen Werk zugute. Abschnitt IX gilt dem 19. Jh. Gleichsam die Kurzfassung eines Teils seines monumentalen Buches »Geschichte des Christentums« vom 18. bis 20. Jh., 1995, als Beitrag über den deutschen Protestantismus zwischen 1789 und 1918 (19–90) präsentiert der allzu früh verstorbene Leipziger evangelische Kirchenhistoriker Kurt Nowak. Er verbindet die mentalitäts- und die sozialgeschichtlichen, die kirchenstruktur- und die theologiegeschichtlichen Elemente zu einer Gesamtdarstellung, welche die spannungsvolle Pluralität von evangelischer Kirche, Vereinstätigkeit, Gruppenbildung, Frömmigkeit und Theologie sichtbar macht. Analoges präsentiert der Münsteraner katholische Kirchenhistoriker Hubert Wolf in einer kenntnisreichen, detaillierten Übersicht zur Geschichte der katholischen Kirche – nicht nur in Deutschland – von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg (91–177). Zwei parallele Teile zum 20. Jh. schließen sich an (Abschnitt X). Der Marburger evangelische Kirchenhistoriker Jochen-Christoph Kaiser, ein ausgewiesener Kenner, fasst drei von der Forschung unterschiedlich intensiv traktierte Komplexe (Protestantismus und Weimarer Republik, Kirche unter der NS-Herrschaft, Nachkriegszeit 1945 ff.) prägnant zusammen, wobei es der dürftigen Forschungslage entspricht, dass die Zeit 1950–1990 nur sehr knapp vorkommt (258.261–270). Der Erfurter katholische Kirchenhistoriker Josef Pilvousek behandelt die NS-Zeit relativ kurz, jedoch das Vaticanum II und dessen Wirkungsgeschichte ausführlicher (»Die katholische Kirche vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart«, 271–349). Gleichsam einen Anhang zu Bd. 1–3 bildet die von mehreren Autoren – vor allem von dem katholischen Münsteraner Theologen Thomas Bremer – gestaltete Übersicht im letzten, dem XI. Abschnitt »Die Ostkirchen«, 351–416, die dem entspricht, was in der 1. Auflage in Bd. I, 225–269, und III, 349–356, kürzer und weniger systematisch begegnete. Für alle drei Bände ist eine – gegenüber 1974 veränderte – achtseitige Zeittafel beigefügt, deren Nutzen größer wäre, wenn sie zu den jeweiligen Daten Hinweise auf die entsprechenden Darstellungen mit Seitenangaben geboten hätte. Das Fehlen eines Sachregisters ist ein ernsthaftes Manko. Dagegen sind die jedem Band beigefügten Literaturverzeichnisse hilfreich.
Schloss das Werk 1974 mit einer methodologischen Reflexion über »Sinn und Grenzen einer ökumenischen Kirchengeschichte« (III, 357–360), so fehlt Entsprechendes jetzt. Damit stößt man nochmals auf das Problem der Titulatur bzw. die pragmatische Konzeption dieses Werkes, die dazu geführt hat, dass evangelische und katholische Historiker jeweils separat einzelne Darstellungen von beeindruckendem Informationsgehalt geliefert haben, orientiert allein am fachwissenschaftlichen Standard ihrer Arbeitsgebiete, der durchweg eine inhaltliche und methodische Konvergenz bekundet, welche die alten Konfessionsdifferenzen überholt. Aus Gründen semantischer Redlichkeit sollte man ein solches Unternehmen wohl besser nicht »ökumenisch« nennen. Eine »ökumenische Kirchengeschichte« ist die Geschichte sämtlicher Kirchen, die sich in irgendeinem historischen Zusammenhang miteinander, gegeneinander und nebeneinander entwickelt haben. Eine »ökumenische« Darstellung derselben müsste z. B. in historisch-systematischen Summarien parallel zu den geschichtlichen Epochen Konsens und Dissens hinsichtlich der Beurteilung und Sichtweise benennen. Sie müsste die wesentlichen ekklesiologischen Probleme und Divergenzen ansprechen, z. B. im Blick auf das Verständnis des Wesens der Kirche, des Amtes/der Ämter (einschließlich des Papsttums), des Wesens und der Bedeutung von Dogmen und Bekenntnissen. Dabei ginge es nicht um eine gemeinsame dogmatische Position, sondern um metahistorische Reflexionen. Gerade weil die Geschichtsdarstellungen heutzutage bei Katholiken und Protestanten so weit übereinstimmen, wie auch das vorliegende Werk zeigt, wäre ein derartiges Unternehmen kein »Illusionis­mus«, sondern ein wichtiger Beitrag zur Verständigung der Konfessionen.