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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

181-183

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Scholz, Stefan

Titel/Untertitel:

Ideologien des Verstehens. Eine Diskurskritik der neutestamentlichen Hermeneutiken von Klaus Berger, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Peter Stuhlmacher und Hans Weder.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 2008. 396 S. gr.8° = Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, 13. Kart. EUR 58,00. ISBN 978-3-7720-8246-7.

Rezensent:

Christof Landmesser

Die Frage nach dem Verstehen hat Konjunktur in der neutestamentlichen Wissenschaft. Wenn Scholz in seiner neutestamentlichen Dissertation an der Universität Erlangen-Nürnberg eine Analyse neutestamentlicher Hermeneutiken vorlegt, dann ist dies ein Versuch, die Texte des Neuen Testaments in ihrer gegenwärtigen Relevanz wahrzunehmen. Dies ist die originäre Aufgabe der neutestamentlichen Wissenschaft.
In der Einleitung (Ideologien des Verstehens [15–30]) beschreibt Sch. die Frage nach dem Verstehen als ein Ringen verschiedener Ideologien um die Deutung der biblischen Texte, die immer auch mit der Machtfrage verbunden sei (15). Damit sei neutestamentliche Hermeneutik notwendig auf eine Analyse der Gegenwart und die diese bestimmenden sozio-kulturellen Faktoren verwiesen (20 f.). – Zunächst stellt Sch. seine kulturwissenschaftliche Methodik vor (Teil A), dann analysiert er die im Titel genannten Hermeneutiken (Teil B) und fasst seine Ergebnisse noch einmal zusammen (Teil C), um zuletzt seinen Blick auf die diskutierten Texte im Horizont von exemplarischen Auslegungen zu überprüfen (Teil D).
In Teil A (Methodenreflexion [31–71]) skizziert Sch. seine eigenen systematischen Grundlagen. Dieses Fundament der Arbeit wird weniger argumentativ zugänglich gemacht als vielmehr thetisch angedeutet. In einer kurzen Skizze wird der Begriff ›Ideologie‹ um­rissen. Ideologien sieht Sch. eng verbunden mit einer für die neutes­tamentliche Hermeneutik notwendigen Positionalität, die zu­gleich mit dem Kampf um Herrschaft verbunden sei (48 f.). Die Diskursanalyse, die Sch. als Kulturtheorie verstanden haben will (55), ermögliche eine Diskussion der vorliegenden Entwürfe. Dabei stellt er sich die Aufgabe, »deren intertextuelle und interdiskursive Beziehungen freizulegen« (65). Sch. geht in drei Schritten vor. In einer Textanalyse werden die Hermeneutiken vorgestellt. Unter dem Stichwort Ideologiekritik soll aufgezeigt werden, von welchen anderen Positionen sich die Hermeneutiken abgrenzen bzw. an welche sie produktiv anschließen. Die Diskursanalyse soll deutlich machen, in welche Diskurse sich die untersuchten Texte einschalten. Zuletzt werden alle Ansätze einer Diskurskritik unterzogen.
In Teil B (Einzelanalyse der vier hermeneutischen Basistexte [73–264]) werden die vier Hermeneutiken vorgestellt. – Die Hermeneutik von Klaus Berger (75–120) habe als ein Kennzeichen die strenge Trennung von Exegese und Applikation (76). Kennzeichnend für diese Arbeit seien die ethische Grundorientierung, die personal verstandene Wahrheitsfrage, die Hervorhebung des Subjekts, die Ab­lehnung einer abstrakten Systematizität, die Wahrnehmung von Fremdheit, die Zirkularität des Verstehens (79–83). Hinzu komme später die Ästhetik »zur Erschließung hermeneutisch schwieriger Texte« (88). Berger wende sich gegen dogmatisches Denken, etwa in der Wahrheitsfrage, wobei in der Darstellung von Sch. deutlich wird, dass Berger solcherlei abgelehnte Positionen nicht argumentativ aufarbeitet, sondern nur als Negativfolie benutzt. Insgesamt konstatiert Sch. bei Berger einen »monologartige[n] Grundcharakter« (95). Sch. zeigt die Verbindungen zu anderen Diskursen auf, die Berger aufzunehmen vorgibt. Er würdigt die an­geblich »progressive Grundhaltung« Bergers (119), wobei auch ein gewisser Konservativismus bei Berger zu beobachten sei (120).
Nach Elisabeth Schüssler Fiorenza (121–168) soll eine Bibelinterpretation ›lebensbestärkend‹ sein (121), was gerade mittels einer feministischen Hermeneutik erreicht werden könne. Der Ort einer solchen Bibelinterpretation sei »die Frauen-Kirche«, an der auch Männer teilhaben könnten (123). Dieser Ansatz sei geprägt durch vier Aspekte: die Hermeneutik des Verdachts, die Verkündigung, das Erinnern und die kreative Aktualisierung (126). Schüssler Fiorenza vertrete ein pastoraltheologisches Paradigma, um direkt an der konkreten Erfahrung von Männern und Frauen anzusetzen (127 f.). Eine solche Hermeneutik solle »einen Dialog zwischen vergangenem Text und heutiger Anwendung herstellen« (135). – Auch Schüssler Fiorenza gestalte ihre Hermeneutik im Wesentlichen als Monolog (143).
Peter Stuhlmacher postuliert eine »Hermeneutik des Einverständnisses« (169–216). Eine neutestamentliche Hermeneutik habe sich an der Schrift und an der kirchlichen Tradition, insbesondere an den Bekenntnissen zu orientieren. Der Kanon in seiner Gesamtheit bilde durch Christus eine Einheit (173). Wesentlich sei für Stuhlmacher auch die mit 2Tim 3,16 und 2Petr 1,16–21 begründete Vorstellung der Inspiration. Dies dokumentiere, dass sich Stuhlmacher »an den hermeneutischen Setzungen des Neuen Testamentes selbst orientieren« wolle (175). Für Stuhlmacher sei die Kategorie des Vernehmens fundamental, Sachkritik sei nur von der Mitte der Schrift aus möglich (185). Diese Hermeneutik ziele auf eine »Synthese von Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit« (195). – Überraschend ist, dass Sch. gerade für diese Hermeneutik einen »dialogische[n] Grundcharakter« konstatiert (ebd.). Dieses Urteil gründet sich auf die vielen Hinweise auf die hermeneutische Tradition, die sich bei Stuhlmacher finden. Allerdings bedeuten solche oberflächlichen Verweise noch keinen argumentativen Dialog.
Besonders kritisch scheint Sch. die Hermeneutik von Hans Weder zu lesen (217–264). Weder ziele auf die Entdeckung des hermeneutischen Potentials der neutestamentlichen Texte. Dabei sei es nach Weder notwendig, deren »mythologische Prägung« wahrzunehmen (223). Dem Verstehen stehe die »Sünde im Verstehen« entgegen, es bedürfe einer »Kehre des Wahrnehmungsvorgangs«, insofern sich der Mensch als ein von Gott Verstandener verstehe (ebd.). Entscheidend sei für Weder die Anredefunktion neutestamentlicher Texte, die sich insbesondere in der Metaphorik der Gleichnisreden Jesu dokumentiere (224), die aber auch in anderen Textsorten erkennbar sei. Mit dem Gedanken der Inkarnation werde die Geschichtlichkeit dieser Texte hervorgehoben, aber zugleich auch deren Fremdheit bewahrt (231). – Weders Hermeneutik sieht Sch. »im Stil einer monologischen Programmrede gehalten« (240). Hier werden Weders metaphern- und sprachtheoretische Diskurse deutlich unterschätzt. Weders Ansatz sei konservativ, da er postuliere, dass eine neutestamentliche Hermeneutik »sich primär daran ausrichten [müsse], was das Neue Testament selbst zu verstehen gibt« (263). Auch sieht Sch. bei Weder eine »Rezeption des traditionell paternalistischen Gottesbildes« (264). Insofern Weder die Fremdheit der Texte wahrnehme, habe seine Hermeneutik auch ein progressives Element (ebd.).
In Teil C (Diskurskritik [265–314]) stellt Sch. seine Ergebnisse zusammen und ergänzt diese mit sehr wenigen einordnenden und kritischen Hinweisen. Sch. sieht die Aufgabe einer neutestamentlichen Hermeneutik »in der Präsentation spezifischer Verstehensmodelle … und in der kritischen Reflexion dieser Deutungsprozesse« (366; im Original kursiv). Eine so verstandene Hermeneutik beteilige sich am »Projekt Postmoderne, hierarchische und totalitäre Strukturen in ein demokratisches Konvivenzmodell zu überführen« (369). Wie dies aussehen soll, bleibt offen.
Insgesamt bietet Sch. eine instruktive Einführung in die vier Hermeneutiken. Dies geschieht jedoch ohne hinreichende An­knüpfung an die bereits vorliegenden Diskussionen dieser Texte. Sch. bleibt weitgehend im Modus der Darstellung, eine kritische Durchdringung der inneren Argumentationskraft der Hermeneutiken findet sich nur gelegentlich. Vielleicht gehört dies aber auch zu seinem Verständnis der Postmoderne.