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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

176-181

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pokorný, Petr, u. Ulrich Heckel

Titel/Untertitel:

Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XXIX, 795 S. m. Abb. 8° = UTB 2789. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-8252-2798-2 (UTB); 978-3-16-148011-9 (Mohr Siebeck).

Rezensent:

Michael Reichardt

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Schnelle, Udo: Einleitung in das Neue Testament. 6., neu bearb. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 607 S. m. Ktn. 8° = UTB 1830. Kart. EUR 30,90. ISBN 978-3-8252-1830-0.
Broer, Ingo: Einleitung in das Neue Testament. Studienausgabe. Würzburg: Echter 2006. 731 S. gr.8°. Kart. EUR 27,80. ISBN 978-3-429-02846-6.
Ebner, Martin, u. Stefan Schreiber [Hrsg.]: Einleitung in das Neue Testament. Stuttgart: Kohlhammer 2008. 595 S. m. Abb. u. Ktn. gr.8° = Studienbücher Theologie, 6. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-17-018875-4.


Im deutschsprachigen Raum konkurrieren in der neutestamentlichen (wie übrigens auch in der alttestamentlichen) Einleitungswissenschaft mittlerweile vier umfangreiche Werke um die Gunst des Publikums.
Die erste Auflage der »Einleitung in das Neue Testament« von Udo Schnelle (vgl. Rezension I. Broer, ThLZ 121 [1996], 358 ff.), evangelischer Professor für Neues Testament in Halle, erschien im Jahr 1994. Sie wurde seitdem mehrmals durchgesehen bzw. neu bearbeitet und erschien zuletzt 2007 in sechster Auflage. Schon allein aus diesem Grund dürfte sie gegenwärtig das Standardwerk der neu­tes­tamentlichen Einleitungswissenschaft darstellen. Schnelle be­nennt als Ziel der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft die »Erhellung der historischen Entstehungssituation und theologischen Intentionen der neutestamentlichen bzw. urchristlichen Schriften« (26). Nach einer kurzen Einführung in die Problematik des Kanons aus der Sicht der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft behandelt er in Anschluss an die Paulusbriefe als die äl­tes­ten neutestamentlichen Schriften die synoptischen Evangelien, die Apostelgeschichte, die deuteropaulinischen Briefe, den He­bräerbrief, die katholischen Briefe, die Schriften der johanneischen Schule (ohne Offb!) und die Johannesoffenbarung. Am konsequentesten von allen hier vorgestellten Werken geht Schnelle hierbei nach den Gesichtspunkten Literatur, Verfasser, Ort und Zeit der Abfassung, Empfänger, Gliederung/Aufbau/Form, literarische In­tegrität, Tradition/Quellen, religionsgeschichtliche Stellung, theologische Grundgedanken und Tendenzen der neueren Forschung vor (vgl. 29). Ausdrücklich verweist er auf seine im gleichen Jahr erschienene »Theologie des Neuen Testaments« als »Pendant« (5) zu seiner Einleitung. Neben den neutestamentlichen Schriften erörtert Schnelle teilweise in Form eines Exkurses die Chronologie des paulinischen Wirkens, die Schule des Paulus, den antiken Brief, methodische Überlegungen zu Teilungshypothesen paulinischer Briefe, die Gattung Evangelium, das synoptische Problem, die Lo­gienquelle, die Pseudepigraphie als historisches und theologisches Phänomen, die Sammlung der Paulusbriefe, das Werden des Ka­nons und die johanneische Schule. Eine Zeittafel zum frühen Chris­tentum, ein Autoren- und Personen- sowie ein Stellenregister beschließen den Band.
1998 erschien der erste, drei Jahre später der zweite Band der »Einleitung in das Neue Testament« von Ingo Broer (vgl. Rezension T. Holtz, ThLZ 124 [1999], 1118 ff.; 128 [2003], 44 ff.), mittlerweile emeritierter katholischer Professor für Neues Testament an der Universität Siegen. Beide Bände sind seit 2006 auch als preisgünstige einbändige Studienausgabe erhältlich. Wie Schnelle bemüht sich auch Broer in seiner Einleitung um die Klärung von »Vorfragen, die für das adäquate Verständnis der Bibel, hier speziell des Neuen Testaments, von Bedeutung sind« (14). Neben den fünf klassischen W-Fragen (»Wer schreibt wann, wo, wem und warum?« [vgl. 15]) geht es ihm hierbei darum, »nach Möglichkeit alles für die Einzelinterpretation Notwendige bereitzustellen« (15), um vor allem den situativen Kontext bzw. die Ursprungssituation eines Textes zu erhellen (vgl. 19). Sein erklärtes Ziel ist es hierbei, »wenn eben möglich den Hauptströmungen in der neutestamentlichen Wissenschaft zu folgen« bzw. »den Gang der Diskussion vorzustellen und den ... am plausibelsten erscheinenden Weg aufzuzeigen« (289 im Vorwort zum zweiten Band [fehlt in der Studienausgabe!]). Da die Reihe »Die Neue Echter Bibel« für die Ergänzungsbände keine Fußnoten vorsieht, muss die Auseinandersetzung mit der Forschung (leider etwas leserunfreundlich!) im Haupttext erfolgen. Broer gliedert seine Einleitung vor allem nach der Abfolge der Schriftgruppen im Neuen Testament in sieben Teile, nämlich die synoptischen Evangelien und die Apostelgeschichte, das johanneische Schrifttum (ohne Offb!), die echten Paulusbriefe, die unechten Paulusbriefe (mit Hebr!), die katholischen Briefe (ohne 1–3Joh!), die apokalyptische Literatur im Neuen Testament (Offb) und die Entwicklung der neutestamentlichen Schriften zum Kanon Heiliger Schriften. Wie Schnelle behandelt auch Broer die einzelnen Schriften vor allem hinsichtlich der Aspekte Gliederung, Abfassungsanlass, Verfasser, Abfassungszeit, Abfassungsort, Zusammensetzung der Gemeinde, Quellen, Sprache/Stil und theologische Anschauungen. Zudem erörtert er bei einzelnen Schriften Fragen der Textüberlieferung, der Gattung, des Geschichtswertes, der Entstehung, des religionsgeschichtlichen Hintergrundes, der Einheitlichkeit, der Gegner und des Verhältnisses zur antiken Rhetorik. Als einziges der hier vorgestellten Werke informieren die einleitenden Kapitel in die entsprechenden Briefe über die geographische Lage, die Geschichte, die Religion(en) und die christliche Gemeinde in den Städten Thessalonich, Korinth, Philippi, Rom und Kolossä sowie der Landschaft Galatien. Neben den neutestamentlichen Schriften erörtert Broer grundsätzliche Fragen einer Einleitung in das Neue Testament, die Gattung »Evangelium«, die synoptische Frage, die Lo­gienquelle Q, die neutestamentlichen Briefe und das Briefwesen der Antike (mit einem Exkurs über die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben und das Postwesen in der Antike sowie einem Anhang über sechs Briefe aus neutestamentlicher Zeit), echte und unechte Paulusbriefe, das Leben und Wirken des Apostels Paulus (mit einem Exkurs über das Reisen in der Antike und die Reisen des Paulus) und die Bildung des neutestamentlichen Kanons. Ein äußerst hilfreiches Glossar sowie ein Stellen-, Personen-, Sach- und Ortsregis­ter beschließen den Band.
2007 erschien die von Petr Pokorný, emeritierter evangelischer Professor für Neues Testament an der Universität Prag, bereits 2003 verfasste und seitdem zusammen mit Ulrich Heckel, evangelischer Professor für Neues Testament in Tübingen, vor allem im Bereich der Paulinen und Deuteropaulinen überarbeitete und um Informationen zur Zeitgeschichte, theologische Exkurse und thematische Längsschnitte erweiterte »Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick«. Wie bereits der Untertitel andeutet, möchte das Lehrbuch »einen zuverlässigen Überblick über alle unentbehrlichen Informationen zum literarischen Aufbau, den Entstehungsverhältnissen und vor allem der Theologie der jeweiligen Schriften bieten« (VIII). Anders als bei Broer erfolgt die Auseinandersetzung mit der Forschung vor allem in den Fußnoten. Das Werk gliedert sich in eine allgemeine Einleitung und spezielle Einleitungen zu den einzelnen neutestamentlichen Schriften (vgl. IX). Die allgemeine Einleitung beschäftigt sich mit der Geschichte der Einleitungswissenschaft und hermeneutischen Grundfragen, den historischen, kulturellen und religiösen Voraussetzungen der Entstehung des Neuen Testaments, der Geschichte der Kanonbildung und der handschriftlichen Überlieferung. Die speziellen Einleitungen thematisieren in vier Kapiteln zunächst die paulinischen Briefe als die ältesten neutestamentlichen Schriften (vgl. IX), dann die synoptischen Evangelien und die Apostelgeschichte, die johanneischen Schriften und die Schriften des Paulinismus anhand der Aspekte Gliederung und Inhalt, literarische Integrität, Anlass, Zeit und Ort der Abfassung, Verfasser, Adressaten und Theologie. An sie schließt sich eine Schlussbetrachtung über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Theologie der neutestamentlichen Schriften an. Der Behandlung der einzelnen paulinischen Schriften gehen Ausführungen über die Bedeutung der Briefe für die frühe Kirche, die von Paulus verwendeten Traditionen (mit einem Exkurs über Stellvertretung, Sühne und Versöhnung), das Briefformular, die Biographie des Paulus und die Sammlung der Briefe zu einem Briefkorpus voraus. Ähnlich erfolgt die Erörterung der synoptischen Evangelien (mit Exkursen über die vormarkinische Passionsgeschichte, die Wunder und die Gleichnisse) und der Apostelgeschichte im Anschluss an ein Teilkapitel über die synoptische Frage (mit Exkursen über die Traditions- und Redaktionskritik), in dem die Logienquelle leider nur sehr knapp vorgestellt wird. Der Behandlung der johanneischen Schriften dienen aufgrund der unterschiedlichen Autoren (vgl. 543.587) zwei Teilkapitel über das Evangelium einschließlich der Briefe und die Johannesoffenbarung (mit Exkursen über die Apokalyptik und den Kaiserkult). Unter der Überschrift »Die Schriften des Paulinismus« erörtern die Autoren nach einem Teilkapitel über die Paulusschulen und ihre Wirkung sowie einem Exkurs über die Pseudepigraphie diejenigen Briefe, die sich explizit auf Paulus berufen (Kol, Eph, 2Thess und Past mit Exkursen über die Haustafeln und die Kirche und ihre Ämter), die in einem weiteren Sinn von der paulinischen Theologie beeinflusst sind (Hebr, 1/2Petr und Jud) oder sich kritisch mit ihr auseinandersetzen (Jak) (vgl. 616). Zeittafeln, ein Glossar, eine Bibliographie mit Quellenausgaben, Nachschlagwerken und Kommentarreihen und ein Stellen- und Sachregister beschließen den Band, der mit fast 800 Seiten die weitaus umfangreichste der besprochenen Einleitungen darstellt.
2008 erschien die von den beiden katholischen Münsteraner Neu­testamentlern Martin Ebner und Stefan Schreiber herausgegebene »Einleitung in das Neue Testament«, die in der Reihe »Studienbücher Theologie« des Kohlhammer Verlages das Pendant zu der »Einleitung in das Alte Testament« von Erich Zenger bildet. Handelte es sich bei den bisher genannten Einleitungen entweder um reine Monographien oder um ein Gemeinschaftswerk zweier Autoren, so zeichnen für die verschiedenen Kapitel dieser Einleitung sieben katholische und drei evangelische Autorinnen und Autoren verantwortlich, nämlich Martin Ebner (für die Beiträge zum christlichen Kanon, zu der synoptischen Frage, der Spruchquelle Q, dem Begriff »Evangelium« sowie Mt, Mk und Phlm), Marlis Gielen (für 1/2Petr und Jud), Gerd Häfner (für Past), Martin Karrer (für Hebr), Matthias Konrad (für Jak), Joachim Kügler (für Joh und 1–3Joh), Dietrich Rüsam (für Lk und Apg), Thomas Schmeller (für 1/2Kor), Stefan Schreiber (für die Beiträge zum Text und zu der Briefliteratur des Neuen Testaments, der paulinischen Chronologie sowie Röm, 1/2Thess und Offb) und Michael Theobald (für Gal, Phil, Eph und Kol). Die Herausgeber möchten mit ihrem Band »grundlegende Fragen klären, die sich vor der Lektüre eines neutes­tamentlichen Buches stellen« (7). Der Aufbau des Buches orientiert sich weder an der vermeintlichen Entstehungsreihenfolge der neutestamentlichen Schriften (wie bei Schnelle und Pokorn ý/Heckel) noch an Schriftgruppen (wie bei Broer), sondern weitgehend an deren Abfolge im Kanon (vgl. 7). Der Band gliedert sich in fünf Teile: Auf eine Einführung zum Kanon und Text des Neuen Testaments (Teil A) folgen die vier Evangelien (Teil B), die Apostelgeschichte (Teil C), die Briefe (Teil D; unterteilt in Paulusbriefe, Deuteropaulinen und Katholische Briefe) und die Offenbarung des Johannes (Teil E). Übergreifende Fragestellungen wie das synoptische Problem, die Spruchquelle Q und der Begriff »Evangelium« (Teil B), die Briefliteratur im Neuen Testament (mit Ausführungen zur Briefpraxis, zu der Klassifizierung von Briefen, dem Briefformular, den Briefen im Neuen Testament, der rhetorischen Analyse, den Teilungshypothesen und der Pseudepigraphie) und die paulinische Chronologie (Teil D) oder die apokalyptische Literatur (Teil E) sind dabei in jedem Teil an den Anfang gestellt. Die Behandlung der einzelnen neutestamentlichen Schriften erfolgt einheitlich in den drei Abschnitten Struktur (innere Struktur der Erzählung bei narrativen Texten, Struktur der Argumentation bei diskursiven Texten), Entstehung (Abfassungszeit, verarbeitete Quellen und Traditionen, Vorstufen des Textes, Teilungshypothesen) und Diskurs (Darstellung der durch die jeweilige geschichtliche Situation bedingten Theologie). Drei Anhänge mit Abkürzungen, Glossar und Karten beschließen den Band.
Das konkrete Vorgehen der vier Einleitungen bei der Behandlung der neutestamentlichen Schriften lässt sich anhand des Markusevangeliums gut exemplarisch aufzeigen. Umstritten ist in der Markusforschung nach wie vor die Frage nach dem ursprünglichen Schluss des Evangeliums. Aufgrund der Ankündigung von Erscheinungen Jesu in Galiläa in Mk 14,28 und 16,7 rechnet Schnelle mit der Möglichkeit eines Verlustes des ursprünglichen Evangelienschlusses nach Mk 16,8 (vgl. 248 f.). Die anderen Autoren lehnen eine solche Verlustthese mit der Überlegung, mit Mk 16,9 müsse dann ein neues (ebendas verloren gegangene!) Blatt begonnen haben (vgl. Broer, 89), mit Verweis auf offene Buchschlüsse in anderen Werken wie der Apg (Pokorn ý/Heckel, 428 f.) und unter Hinweis auf die klare Textüberlieferung (vgl. Ebner, 157) ab.
Hinsichtlich der Gliederung vertritt Schnelle eine Dreiteilung in 1,1–8,26 (Jesu Wirken innerhalb und außerhalb Galiläas), 8,27–10,52 (Jesu Weg zur Passion) und 11,1–16,8 (Jesus in Jerusalem; vgl. 246 f.), bei der Broer noch 1,1–13 als Prolog unterscheidet (vgl. 74; vgl. auch Pokorný/Heckel, 366, die letztendlich jedoch eine Gliederung in sechs Teile vertreten). Die von Ebner im Anschluss an B. M. F. van Iersel (Markus, Düsseldorf 1993, 272–300) aufgrund der topographischen Angaben vorgeschlagene Gliederung in die fünf Teile 1,1–13 (in der Wüste), 1,16–8,21 (an den beiden Ufern des Meeres von Galiläa), 8,27–10,45 (auf dem Weg), 11,1–15,39 (zwischen Berg und Tempel in Jerusalem) und 15,42–16,8 (im Grabmal) stellt im Wesentlichen eine Weiterentwicklung dieser Dreigliederung dar.
Generell rechnet man mit der Aufnahme verschiedener, sich teilweise überlappender mündlicher oder schriftlicher Traditionen durch Markus, so vor allem für die galiläischen Streitgespräche 2,1–3,6*, die Gleichnisse 4,1–34*, die Wundergeschichten 4,35–6,52*, das Gemeindekapitel c. 10*, die apokalyptische Rede c. 13* und die Passionsgeschichte cc. 14–16* (vgl. Schnelle, 249–251; Broer, 89; Pokorny´/Heckel, 377 f.; Ebner, 164–168).
Bei der Frage nach dem Verfasser des Markusevangeliums setzen die Autoren bei der von Eusebius von Cäsarea in seiner Kirchengeschichte III 39,15 überlieferten, auf einen Presbyter mit dem Namen Johannes zurückgehenden Papiastradition ein, nach der Markus ein Dolmetscher des Petrus war. Unter Verweis auf diese Tradition, die Kenntnis des Aramäischen, die Abfassung des Markusevangeliums in Griechisch und die »herausragende Bedeutung des Petrus im Markusevangelium« (374) halten es Pokorn ý/Heckel für naheliegend, dass Markus ein Begleiter des Petrus und somit ein für Heidenchristen schreibender Judenchrist (375) war. Der Großteil der Autoren lehnt diese Tradition allerdings aus guten Gründen mit Hinweis auf die fehlende petrinische Theologie und die kaum über die Vorgaben der Tradition hinausgehende Rolle des Petrus im Markusevangelium (vgl. Schnelle, 241), die markinischen Ungenauigkeiten in der Geographie Palästinas (vgl. Broer, 78 f., und Ebner, 170) sowie die Erklärung jüdischer Bräuche (vgl. Broer, 79 f.) ab und hält Markus für einen Heidenchristen (vgl. Schnelle, 242; Ebner, 170) bzw. einen »heidnischen Frommen aus dem Umkreis der Synagoge, also einen früheren sog. Gottesfürchtigen« (Broer, 88).
Als Adressat des Markusevangeliums nimmt man allgemein eine Gemeinde mit einer heidenchristlichen Mehrheit (vgl. 5,1–20; 7,24–30; 13,10 und 14,9) und einer judenchristlichen Minderheit (vgl. 7,1–23) an (vgl. Schnelle, 244 f.; Broer ,87 f.; Pokorný/Heckel, 377; Ebner, 172 f.). Für die Abfassungszeit verweist man vor allem auf die Ansage der Tempelzerstörung in Mk 13,2, die auf die Eroberung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. anspielt und eine Frühdatierung des Evangeliums in die 40/50er Jahre, wie sie vereinzelt unter Verweis auf 7Q5 vertreten wird, ausschließt (vgl. Pokorný/Heckel, 376 f.; Ebner, 171 f.). Nach Schnelle, 243 f., und Ebner, 170 f., spricht die in Mk 13,2 angesagte, aber nicht vorhersehbare vollständige Zerstörung der gesamten Tempelanlage (vgl. Josephus, Bellum VI 261.265 f.281 f.) für ein Verständnis dieses Verses als Prophetie post factum (vaticinium ex eventu) und somit für eine Entstehung des Markusevangeliums kurz nach 70 n. Chr. Broer zufolge lässt sich Mk 13,2 zwar nicht eindeutig als vaticinium ex eventu ausmachen, doch setzt die markinische Unterscheidung zwischen dem Jüdischen Krieg (66–70) und der Endzeit in Mk 13 das Ende des Krieges voraus und legt somit eine Abfassung des Markusevangeliums nach der Zerstörung Jerusalems nahe (vgl. 85 f.). Die Autoren gelangen also auf unterschiedlichem Weg zum gleichen Ergebnis.
Bei der Frage nach dem Abfassungsort setzen die meisten Autoren bei der von Eusebius von Cäsarea, Kirchengeschichte VI 14,6, überlieferten Nachricht des Clemens von Alexandrien ein, nach der Markus sein Werk in Rom verfasst hat. Pokorný/Heckel halten diese Angabe aufgrund der zahlreichen Latinismen im Evangelium für historisch (vgl. 375 mit Anm. 143). Doch belegen diese lediglich die Präsenz des römischen Militär- und Geldsystems am Abfassungsort (vgl. Broer, 86 f.; Schnelle, 242; Ebner, 171). Nach Ebner, 171 f., spricht dagegen die Gleichsetzung von zwei Lepta (kleine, unter Herodes oder den späteren Prokuratoren geprägte Münzen) mit einem Quadrans (kleinste römische Münze, die fast ausschließlich in der westlichen Reichshälfte und dort vor allem in Rom in Gebrauch war) in Mk 12,42 eindeutig für eine Abfassung des zweiten Evangeliums in Rom. Das sich hierdurch ergebende Problem einer Lokalisierung der ganz unterschiedlichen durch Markus rezipierten Jesusüberlieferungen in Rom löst Ebner durch die noch näher zu erhärtende Annahme, diese Traditionen seien auf dem Seeweg von Palästina nach Rom gelangt. Dieses neuerliche Plädoyer für Rom als Abfassungsort des Markusevangeliums ist allerdings nicht unumstritten. Nach Schnelle verweisen die Übersetzung hebräischer bzw. aramäischer Ausdrücke ins Griechische und die Erklärung jüdischer Ritualvorschriften auf eine Abfassung außerhalb Palästinas, z. B. in Kleinasien, wo die Petrus-Markus-Tradition (vgl. 1Petr 5,13) entstanden sein könnte (vgl. 242 f.). Broer hält es dagegen für wahrscheinlich, dass die erste Sammlung der Jesustradition in der »Nähe zum Ursprung und Zentrum der Jesusbewegung« und zum Judentum (vgl. Mk 7,1–15; 13!) bei gleichzeitiger Distanz zum Judentum (Erläuterung jüdischer Sitten!) entstanden ist, und plädiert für den syrischen Raum (vgl. 87).
Bei der Behandlung der markinischen Theologie spielt nach wie vor die 1901 von Wrede aufgestellte Theorie des Messiasgeheimnisses mit den Elementen Schweigegebote, Jüngerunverständnis und Parabeltheorie eine entscheidende Rolle (vgl. Schnelle, 252–255; Broer, 92–95; Pokorný/Heckel, 412–415; Ebner, 176 f.).
Schnelle erweitert seine Darstellung der theologischen Grundgedanken um ein etwas spröde wirkendes Kapitel über die Tendenzen der neueren Forschung (vgl. 255–260), Pokorný/Heckel um Exkurse über die Wunder und Gleichnisse Jesu sowie Ausführungen über den Begriff »Evangelium«, die Chris­tologie des Markus, das Thema Jüngerschaft und Nachfolge und das Liebesgebot, die mit insgesamt 45 Seiten den Rahmen einer Einleitung wohl überschreiten.
Einen neuen und interessanten Gesamtentwurf der markinischen Theologie legt Ebner ausgehend von dem Begriff »Evangelium« in Mk 1,1 vor, den er nicht als Gattungsbezeichnung versteht (vgl. 113–116, wonach es sich bei den Evangelien um die Gattung Bios/Vita handelt), sondern aus der römischen Kaiserideologie (vgl. die Inschrift von Priene) ableitet (vgl. 117–119.121 f.). »Neu und insofern tatsächlich ein Paradigma ist das MkEv deshalb, weil es erstmals Geschichten von Jesus, die schon längst im Umlauf sind, in das literarische Konzept einer Vita spannt und den Kampfbegriff Evangelium in dessen erste Zeile schreibt ... Das MkEv adaptiert die Form der propagandistischen Kaiservita auf Jesus von Nazaret.« (121) Als religionsgeschichtlichen Hintergrund verweist Ebner auf den Aufstieg des flavischen Kaiserhauses im Jahr 69 n. Chr., also kurz vor der Entstehung des Markusevangeliums: Den »›Evangelien‹ vom Herrschaftsantritt Vespasians als römischen Kaiser wird im MkEv das Evangelium vom Beginn der Gottesherrschaft, wie es von Jesus proklamiert wird, entgegengestellt« (175). Auf dieser Folie gewinnen verschiedene Erzählungen des Markusevangeliums eine neue Pointe: Die Wunder Jesu dienen nicht wie die Wunder Vespasians der Propagierung und Legitimierung seiner Gottessohnschaft, sondern der Manifestation des Anbruches der Gottesherrschaft (vgl. 176 f.). Die Forderung nach Statusverzicht in 10,42–45 zeichnet die christliche Gemeinde als Kontrastgesellschaft zur bestehenden römischen Gesellschaft mit ihrer Aufsteigermentalität (vgl. 177 f.). Der Kreuzweg Jesu stellt eine Erinnerung (Purpurgewand) an bzw. eine Perversion (Dornenkrone statt Lorbeerkranz, Geißelung statt Huldigung) des Triumphzuges Vespasians dar (vgl. 17 8f.). Das Nichtauffinden des Leichnams in 16,6 verweist auf die Entrückung Jesu in den Himmel und seine Apotheose.
Wie das eben behandelte Beispiel deutlich macht, bestehen zwischen den Einleitungen sowohl grundlegende Übereinstimmungen (so z. B. hinsichtlich der aufgenommenen Traditionen, der Gliederung, der Adressaten und der Abfassungszeit des Mk) als auch klare Unterschiede (so z. B. hinsichtlich des Schlusses, des Verfassers und des Abfassungsortes des Mk). Die Werke spiegeln damit die plurale Forschungslandschaft der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft wider. Die erneute Thematisierung und kritische Überprüfung traditioneller Thesen (so z. B. hinsichtlich des Verfassers und des Abfassungsortes des Mk) ist dabei vollkommen legitim.
Der sich in den Einleitungen abzeichnende Trend, der Theologie der jeweiligen Schriften ein größeres Gewicht beizumessen, dürfte von der studentischen Leserschaft begrüßt werden. Wie gerade das Beispiel des Markusevangeliums zeigt, lassen sich hierbei durchaus auch neue Wege einschlagen, die die Notwendigkeit einer Verbindung von historischer und theologischer Fragestellung unterstreichen und die theologischen Aussagen einer Schrift gerade zeitgeschichtlich profilieren.
Wünschenswert ist auf jeden Fall eine noch stärkere didaktische Aufbereitung der Werke durch Groß-/Kleindruck, Tabellen, Zu­sam­menfassungen, Karten, Zeittafeln und Glossare. Dagegen sollte der Umfang der Einleitungen auf keinen Fall weiter anwachsen. Ausdrücklich zu begrüßen sind die Initiative der Arbeitsgemeinschaft UTB und des Verlages Kohlhammer, den Dozenten und Dozentinnen Lehrmaterialien im Internet zur Verfügung zu stellen, sowie die sich abzeichnende Tendenz zu einer konfessionsübergreifenden Einleitung.