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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

172-174

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Blanton, Thomas R.

Titel/Untertitel:

Constructing a New Covenant. Discursive Strategies in the Damascus Document and Second Corinthians.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. X, 271 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 233. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-3-16-149207-5.

Rezensent:

Manuel Vogel

Die anzuzeigende Dissertation geht von der Beobachtung aus, dass »only two groups are known in antiquity to have made use of the Jeremianic phrase ›new covenant‹ in their own ideological constructions. These two groups are the Essenes and the early Chris­tians« (1). Aus dem reichhaltigen Quellenmaterial wählt B. die Damaskusschrift und den 2. Korintherbrief aus, und er konzentriert seine Untersuchung auf das Syntagma »Neuer Bund«. Bisherige Untersuchungen zum Thema kranken, wie er im ersten Teil der Einleitung (»Methodological Orientation«, 1–7) ausführt, an einer essentialistischen Interpretation von frühjüdischen und -christlichen Texten als Niederschlag zweier distinkter Religionen, nämlich einer »religion of ›works‹« und einer »religion of grace«. Stattdessen sei das frühe Christentum »as a Jewish sect« zu betrachten. Daraus ergibt sich: »The comparison between the Damascus Document and Paul is therefore not to be taken as a comparison between two ›religions‹, but as a comparison of two groups within the broader rubric of Judaism in the Second Temple period« (2).
In diesem Rahmen ist mit einer »correlation of textually encoded ideological expressions with the specific local situations within which they were produced« (4) zu rechnen, wobei die Rekonstruktion der »local situations« eine essentialistische Lektüre der Texte verhindern soll. Im zweiten Teil der Einleitung (»Sociology and Theology in a recent Study of Covenant«, 7–14) konkretisiert B. die Methodenfrage anhand einer nicht mehr ganz neuen Monographie (Ellen J. Christiansen, The Covenant in Judaism and Paul: A study of Ritual Boundaries as Identity Markers, Leiden 1995). Er gesteht der Verfasserin »sensitivity to Jewish-Christian relations« zu, da sie »Ju­daism and Christianity as partners in dialogue« auffasst (9). Gleichwohl konstruiere sie das Judentum als partikularistische, das Chris­tentum hingegen als universalistische Religion und verfalle damit den essentialistischen Gegensätzen, die B. zu überwinden trachtet (11). Sie stelle das enggefasste ethnische Bundesdenken des Judentums und den universalistisch entgrenzten Bundesbegriff des Paulus einander gegenüber, nicht bedenkend, dass der »Glaube« als Bedingung der Zugehörigkeit zum christlichen Bund seinerseits eine Unterscheidung trifft, die redlicherweise ebenfalls »partikula­ris­tisch« zu nennen wäre (12). Soziologisch herrscht, so B., zwischen antikem Judentum und frühem Christentum Gleichstand (13). Es folgen in je zwei Kapiteln je für sich eine Untersuchung der Damas­kusschrift (17–105) und des 2. Korintherbriefes (107–230).
Kapitel 5 (17–24) handelt die Einleitungsfragen zur Damaskusschrift ab, sodann die biblisch-jüdische Traditionsgeschichte zu »Bund« und »neuer Bund« (24–39), gefolgt von Einzelexegesen (39–70). Das 6. Kapitel über »The New Covenant in the Damascus Document« (71–105) ist den wenigen Stellen gewidmet, die ausdrücklich vom »neuen« Bund handeln (drei Belege in CD, ein Beleg in 1QpHab). Ausführlich wird die Chiffre »Damaskus« im Syntagma »neue berit im Lande Damaskus« und, damit zusammenhängend, die Frage nach den Anfängen der essenischen Bewegung (79–98) und der mutmaßlichen Rolle des Lehrers der Gerechtigkeit (98–101) diskutiert. Das Ergebnis lautet: Die Rede vom »Neuen Bund« dient dazu, »to legitimate Essene claims to priestly authority, in opposition to the Hasmonean high priesthood, and to legitimate Essene claims to authority in legal interpretation, in opposition to similar claims made by representatives of the Pharisaic sect« (104). Im Blick auf die bisherige Forschung gelte, dass alle Erklärungen zu kurz greifen, die diese »inter-sectarian polemic« nicht berücksichtigen. Unvermittelt wechselt Kapitel 4 zum 2. Korintherbrief. Nach Vorüberlegungen zur literarischen Einheitlichkeit des Briefes (107–109) geht es ausführlich um die Identität der Gegner (122–180). Sie unterhalten keine Verbindungen zur Jerusalemer Gemeinde (138), vertreten aber eine den Gegnern des Galaterbriefes vergleichbare nomistische Position: Der Geist befähige zum strikten Halten der Tora (176). Pneumatiker seien sie aber insofern nicht gewesen, als der Schluss von den paulinischen Geist-Manifestationen auf entsprechende Präferenzen der Gegner eine unzulässige »mirror-exegesis« (172) sei. Kapitel 5 stellt die paulinische Rede vom »Neuen Bund« in 2Kor 3 in einen weiten biographisch-theologischen Zu­sam­menhang (181–190) und unterzieht den Abschnitt 2Kor 3,7–4,6 als Bestandteil der Apologie 2,14–7,4 einer rhetorischen Analyse (191–203), um anschließend (»Paul and the New Covenant: A Dis­cursive Tour de Force«, 203–230) die paulinische und die angenommene gegnerische Position anhand mehrerer thematischer Un­terabschnitte zu profilieren. Eine Bündelung der Ergebnisse dieses Kapitels unterbleibt. Stattdessen rekapituliert B. in Kapitel 6 (»Conclusion«, 231–238) die zu Beginn der Studie formulierten methodologischen Vorentscheidungen und nimmt nochmals das Gespräch mit der bereits kritisierten Studie von E. J. Christiansen auf. Nur sehr kurz und skizzenhaft werden die Damaskusschrift und der 2. Korintherbrief miteinander verglichen (237 f.). Es folgen die üb­lichen Register und Verzeichnisse (239–271).
Die im Detail gründlich gearbeitete Studie erzeugt während und nach der Lektüre eine gewisse Ratlosigkeit. Es entsteht der Eindruck, als seien hier Vorarbeiten für eine Fragestellung publiziert worden, die zwar einleitend anklingt, die aber weder angemessen entfaltet wird noch wenigstens den Versuch einer Beantwortung erfährt. Der eingangs thematisierte (ja keineswegs neue) Para­dig­menwechsel von einer essentialistisch-dichotomischen Disso­zia­tion von antikem Judentum und frühem Christentum hin zu einer integrativen Sicht wird weder theoretisch fundiert noch auf die Texte vergleichend angewendet. Dabei wäre die religionsgeschichtlich und hermeneutisch spannende Frage, wie das Neue des paulinischen Christusglaubens so zu anderen frühjüdischen Theologien ins Verhältnis gesetzt werden kann, dass man nicht immer schon die Geschichte des frühen Christentums von ihrem Ende her als Gründungsgeschichte einer eigenen Religion liest, dringend zu be­arbeiten. Die von B. eruierten soziologischen Strukturanalogien zwischen der Trägergruppe der Damaskusschrift (den »Essenern«, wie B. sie nennt, vom holistischen Modell einer qumranischen Sektenliteratur ausgehend) und den paulinischen Gemeinden sind richtungweisend, jedoch nicht schon die Antwort oder auch nur ein Teil derselben. Sein eigener methodologischer Beitrag einer Analyse der »local situations« bezieht sich inhaltlich auf längst Bekanntes. Mit einem Wort: Das Buch ist nicht schlecht, aber es ist nicht fertig.