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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

171-172

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Becker, Jürgen

Titel/Untertitel:

Die Auferstehung Jesu Christi nach dem Neuen Testament. Ostererfahrung und Osterverständnis im Urchristentum.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. VIII, 307 S. 8°. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-16-149426-0.

Rezensent:

Werner Kahl

In dieser Monographie unternimmt es der emeritierte Kieler Neutestamentler Jürgen Becker, die Entstehung und Entfaltung des frühchristlichen Glaubens an die Auferweckung Jesu zu ergründen. Methodisch differenziert er dabei die Analyse der einschlä­gigen narrativen Evangelienpassagen von der Diskussion entsprechender Bekenntnisaussagen der Briefliteratur, zumal sie auf unterschiedliche Traditionsströme zurückgingen. Paulus wird aufgrund seiner Aussagen zum Kronzeugen des frühchristlichen Auferweckungsglaubens. Die Evangelien bieten spätere narrative Entfaltungen des Osterbekenntnisses.
B. widmet sich zunächst den Ostererzählungen der Evangelien. Hier kommt er zu einigen erstaunlichen Interpretationen: Dem Mk-Ev habe eine Passionserzählung vorgelegen, die von der frühjüdischen »Vorstellung der Entrückung von Märtyrern« geprägt und als solche bereits in der Vorlage mit der sich anschließenden Erzählung vom leeren Grab (Mk 16,1–8) verbunden gewesen sei. Mk habe sich im Wesentlichen an die Vorlage gehalten und somit gleichfalls den beschriebenen Vorgang verstanden als »Auferstehung Jesu als des leidenden Gerechten in den Himmel, also seine Entrückung« (20). Somit habe das Mk-Ev ursprünglich sinnvoll mit 16,8 geendet und weise auch keine Referenzen auf etwaige Ostererscheinungen Jesu auf. Der diese Interpretation eigentlich deutlich störende Vers 7 wird wie 14,28 der Redaktion zugeschrieben. Allerdings habe Mk mit diesen Einschüben die Leser »an den im Be­kenntnis festgehaltenen Osterglauben erinnern« wollen (11).
Mt habe seine Mk-Vorlage ohne Rückgriff auf ältere Ostertraditionen selbständig um Christophanien erweitert. Lk habe eine Mk-Version, die von unserem Mk-Ev etwas abweicht, benutzt und gleichzeitig auf eine »nicht literalisierte Variante der Passionserzählung« (62) zurückgegriffen, die als Langfassung auch dem johanneischen Kreis vertraut gewesen sei. So erklärten sich die Übereinstimmungen von Lk und Joh gegen Mk und Mt. Insgesamt beobachtet B. eine »narrative Expansion von Mk über Mt hin zu Lk und Joh« (62), wobei Lk das Mt-Ev genauso wenig kannte wie Joh die Synoptiker. Die verblüffenden Übereinstimmungen von Mt und Lk – und teilweise noch mit Joh – in ihren Ostererzählungen (vgl. zu Mk 16,8; alle Osterereignisse fallen auf den Ostertag; verborgene Epiphanie; Epiphanie vor Jüngerkreis) notiert B. zwar, lässt aber offen, wie es dazu kommen konnte, ohne die Möglichkeit auch nur zu erwägen, ob nicht doch direkte literarische Beziehungen dafür verantwortlich sein könnten. Eine solche will B. auch nicht für Lk 24,34 in Bezug auf 1Kor 15,3b–5 gelten lassen, und zwar mit dem nicht weit tragenden Argument, dass Lk »ausschließlich und allein 1.Kor 15,3b–5 heran(zieht), nicht aber den paulinischen Kontext« (50). Lk greife hier vielmehr auf vorpaulinische Tradition zurück.
Es ist vielleicht das besondere Verdienst dieser Monographie, dass B. auf die für Paulus und das Frühchristentum wesentliche Verbindung von Oster- und Geisterfahrung eindrücklich aufmerksam macht, indem er mit Paulus die Auffassung von einer »geistgewirkten Vision des Auferstandenen als Basisorientierung für das Verständnis der Ostererfahrung« (223) vertritt.
Damit ist m. E. ein wichtiges Korrektiv in bisherige exegetische und dogmatische Betrachtungen der Auferweckung Jesu eingetragen. Dieser von B. eingeforderte und an Paulusbriefen gewonnene Perspektivwechsel koinzidiert übrigens mit der sich in der Gegenwart im globalen Süden rapide durchsetzenden Charismatisierung des Christentums im Kontext primaler Religiosität, und er könnte in dieser Hinsicht bedeutsam werden. Allerdings sind nach Paulus Geisterfahrungen im Allgemeinen und Christophanien im Besonderen – das festzuhalten ist B. zu Recht theologisch wichtig – Resultat der Unverfügbarkeit und Selbsterschließung Gottes. Auf ein zweites wesentliches Moment weist B. in diesem Zusammenhang hin: Da Paulus der Auffassung ist, dass der ganze Mensch inklusive Seele und nicht nur sein Körper sterben muss und auf die Neuschaffung durch Gott angewiesen bleibt, ist menschliche Erkenntnis in Bezug auf die Vollendung immer nur Stückwerk.
B. bietet viele bedenkenswerte Beobachtungen, von denen nur einige hervorgehoben seien: Er arbeitet etwa die im antiken Judentum verbreitete Vorstellung einer Versammlung (für B. stets: Entrückung) der Seelen Verstorbener bei Gott als möglichen bzw., so B., wahrscheinlichen Verstehenshorizont neutestamentlicher Aussagen über Jesu Auferweckung heraus, wobei die Konsequenzen, die er daraus für das Verständnis von Mk 16 zieht, unhaltbar erscheinen; er weist mit überzeugenden, am Text gewonnenen Argumenten auf die Vorbereitung des Osterglaubens durch Jesus hin; und er nimmt die Annahme einer mehr oder weniger durchgängigen Charismatisierung des Frühchristentums als Kontext ernst, innerhalb dessen Ostererfahrungen und Christophanien zu verorten seien – ob diese Geistdurchwirktheit nun erst ihren Anfang bei der Ostererfahrung genommen hat, wie B. meint, oder ob sie für die Jesus umgebenden Jünger bereits zu seinen Lebzeiten vorauszusetzen ist, wäre zu diskutieren.
Die aufgrund sorgfältiger Textanalysen und synchroner Vergleiche gewonnenen Erkenntnisse werden in ihrer Bedeutung je­doch ständig durch äußerst fragwürdige überlieferungsgeschichtliche Konstruktionen unterminiert. Viele Schlussfolgerungen hinsichtlich der Entwicklung der narrativ überlieferten Oster­vorstellungen basieren auf willkürlich anmutenden literarkritischen Operationen und vermögen somit nicht zu überzeugen. Die damit gegebene Hypothetik schmälert den Wert des Buches erheblich. Die von B. verfolgte Vorgehensweise verdankt sich einer exegetischen Methodik, die zu Recht passé ist. Aus diesem Grund ist das Buch für Nicht-Theologen, die B. als Teil der Adressatenschaft ausdrücklich in den Blick genommen hat, denkbar ungeeignet. Durch das Ausblenden konträrer Positionen – der Fußnotenapparat ist bewusst auf ein Minimum an Referenzen beschränkt – sind sie der Möglichkeit enthoben, zwischen einigermaßen gesicherten Erkenntnissen und äußerst hypothetischen Konstruktionen zu unterscheiden.