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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

169-170

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schütte, Wolfgang

Titel/Untertitel:

»Säet euch Gerechtigkeit«. Adressaten und Anliegen der Hoseaschrift.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2008. 239 S. gr.8° = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 179. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-17-020355-6.

Rezensent:

Jutta Krispenz

Die Arbeit ist die Druckfassung einer Dissertation, die an der Kirchlichen Hochschule in Bethel betreut von Frank Crüsemann ent­standen ist. S. will in ihr einen Zugang zur Hoseaschrift mit ihren mannigfachen Schwierigkeiten bahnen, indem er die Kommunikationsstrukturen der einzelnen Textabschnitte in den Blick nimmt. Im Vorwort erklärt S. sich gegen eine weitere Aufspaltung des Textes in unterschiedliche Stufen der Entstehung, um dann freilich sofort ein »Modell einer dreistufigen Genese« als Ergebnis seiner Untersuchung zu versprechen. Ein wenig kann das schon irritieren.
Die Leitlinie, der das Buch folgt, ist die Frage nach den jeweiligen Adressaten der einzelnen Texte in der Hoseaschrift. Ihr geht S. in den insgesamt sieben Kapiteln seiner Abhandlung nach. Ergänzt werden diese durch einen Anhang, der, neben einer Übersicht der behandelten Anreden, Textdifferenzen zwischen einzelnen alten masoretischen Handschriften dokumentiert, sowie ein Literaturverzeichnis und ein Stellenregister.
Die Untersuchung wird mit einer »Einleitung« eröffnet, in der S. sich der Leitfrage zuwendet, sodann über die Textzeugen handelt, um sich dann Fragen der Geschichte der Hoseaschrift in der Zeit zwischen dem Auftreten des Propheten Hosea im 8. Jh. und frühes­ten direkten Belegen für die Existenz der Schrift in Qumran zu widmen. Als Denkmodell für die Entstehung antiker Schriften verweist S. auf die Werke des griechischen Lyrikers Al­kaios, die sich in ähnlicher Weise wie die Hoseaschrift modernem Verstehen öfter entziehen. Auch schlägt S. vor, stärker mit »pluriformen Traditionen« (22) zu rechnen. In zwei weiteren Abschnitten gibt S. Rechenschaft über Methode und Vorgehensweise, um schließlich auf die Übersetzung der Hoseaschrift einzugehen. Auf diese Einleitung folgt in den Kapiteln 2–4 die Untersuchung der Texte, Kapitel 5 bietet sehr knappe »Kompositionsgeschichtliche Überlegungen zur Hoseaschrift«, in Kapitel 6 behandelt S. eine Reihe »Thematische[r] Fragestellungen«, das letzte inhaltliche Ka­pitel bietet eine »Rückschau«.
Die exegetische Grundlegung für S.s Arbeit erfolgt in den Kapiteln 2–4. In ihnen betrachtet S. zunächst explizit genannte »Gesellschaftliche Größen als Adressaten der Hoseaschrift«. Hier geht es um die Namen Ephraim, Israel, Juda und Samaria, ihre Beziehung zueinander und um ihre historischen Referenzen. Im dritten Kapitel widmet S. sich den mit »sie« bezeichneten Personen, also denjenigen, über die Hosea schreibt. S. versucht hier eine Rekonstruktion unter Einbeziehung von Texten aus der Amosschrift sowie durch die Archäologie gewonnener Erkenntnisse über die sozialen Verhältnisse zur Zeit des Hosea im Nordreich. Die anonymen Angeklagten der Hoseaschrift seien in der Oberschicht des Gebietes Ephraim zu verorten. Sie würden die in Samaria ansässigen Könige fernsteuern. Ephraim stehe in Hosea als »Inbegriff der haute volée« (67). Diese Sicht sei nur entweder aus der Zeit des Hosea verstehbar oder aber als spätere Fiktion zum Zweck der Verschlüsselung. Das vierte Kapitel ist den Anreden gewidmet, bei denen der Text keine Information über die Angeredeten gibt. Es sind dies die Anreden in der zweiten Person Singular oder Plural, S. nimmt auch Aussagen in der ersten Person hinzu, die als Zitate der Angeredeten eingeschätzt werden. Dass gerade solche Wechsel in der Kommunikationsebene zu den schwierigen Problemen im Verständnis der Hoseatexte gehören, spricht S. nicht an, die unterschiedlichen Ebenen von Kommunikation spielen generell keine explizite Rolle in seinen Überlegungen, er beantwortet die Frage, ob ein Zitat vorliege, jeweils aus dem Inhalt, ohne allgemeine Kriterien anzugeben. Bei den Anreden ist S. die Unterscheidung von Anreden einerseits und Apostrophen andererseits be­sonders wichtig. Unter Letzteren sind » unwirkliche An­rede[n]« (82) zu verstehen. Die Beziehung dieser Definition bei S. zu solchen Apostrophen, die sie als Hinwendung des Redners zu einem anderen, für den Leser überraschend auftauchenden Auditorium verstehen, wird aber so wenig klar wie die Be­deutung dieses Stilmittels im Hoseatext. S. verweist mehrmals auf die recht dürren Ausführungen in Heinrich Lausbergs »Ele­men­te[n] der literarischen Rhetorik«, die erstmals im Jahr 1949 erschienen. Auch bei den »›du‹-Anreden in Hos. 4–14« unterscheidet S. die Apostrophen von den anderen Anreden.
Die »›wir‹/›uns‹-Aussagen in Hos. 4–14«, die S. zwischen den »ihr/euch«- und den »du«-Aussagen behandelt, identifiziert er – teilweise im Einklang mit an­deren Exegeten – als Zitate, für Hos 7,5;12,5 sieht er diese Möglichkeit nicht. S. hält diese Aussagen für Zeugnisse aus der Zeit des Nordreichs: »… sie sprechen Menschen des Nordreiches oder die Flüchtlingsgeneration kurz nach dessen Untergang auf Gemeinsamkeiten ihres Lebens an« (100). Nun haben allerdings Aussagen in der ersten Person eigentlich nicht die Funktion der Anrede, sondern die der Kundgabe. An diesem kleinen Detail wird sichtbar, dass S. hier die Kommunikationsebenen des Textes nicht ausreichend reflektiert, die Aussage in der ersten Person und die Appellfunktion, die diese Aussage (möglicherweise) hat, liegen nicht auf derselben Ebene. Diese Reflexion holt S. auch dann nicht nach, wenn er »Die Kommunikation« in Hos 14,2–10 untersucht, stets bleibt die Argumentation einerseits bei der Ausdrucksseite, zieht dann aber andererseits aus diesen Beobachtungen immer wieder assoziativ wirkende Schlüsse auf die historischen Adressaten, die sich dem Leser nicht völlig erschließen.
Das exegetische Fundament der Arbeit, das besonders in diesem 4. Kapitel gelegt wird, leidet an zwei Schwächen: Zum einen würde die Fragestellung dringend eine solide textlinguistische Methodologie erfordern. Davon sind die Darlegungen bei S. weit entfernt. Es ge­nügt nicht, Phänomene mit einem Namen zu versehen, man müsste sie schon tiefer verstehen. Die zweite Schwäche ist die Syntax des biblischen Hebräisch. S. begegnet dem sprachlich schwierigen Text mit einer sehr holzschnittartigen Tempustheorie, nach der AK mit Perfekt, PK mit Präsens, AK cons. mit Futur, PK cons. (so bezeichnet S. die Form »weyiktob«!) aber wie PK mit Präsens übersetzt werden, Narrative werden mit Präteritum wiedergegeben. Die teilweise Un­verständlichkeit der so entstehenden »Übersetzungen« mag man noch als kongenial zum Hoseatext auffassen, die Wiedergabe der he­bräischen Tempora ist wegen dieser Vereinfachung der Syntax be­ein­trächtigt, öfter schlicht falsch. Diese grundlegenden Textent­schei­dungen werden von S. nicht diskutiert. So sind die Exegesen von einem Firnis aus grammatischen und methodologischen Un­genauigkeiten überzogen, der die Ergebnisse ins Ungewisse zieht.
Davon sind auch die abschließend behandelten »Thematischen Fragestellungen« betroffen. S. behandelt dort »Die Sicht von Hos 4–14 auf das Königtum«, fragt nach den »Leviten als Adressaten von Hos 4–14« und nach »Leviten, Hosea und Propheten«. Der thematische Abschnitt wird abgeschlossen durch einen Abschnitt, der »Die Hoseaschrift als literarisches Werk« betrachtet. S. diskutiert darin nicht die Hoseaschrift als schriftlich konzipiertes Werk mit einer bestimmten Struktur, das eine eigene fiktionale Wirklichkeit entwirft, sondern er diskutiert eine Theorie zur Verschriftlichung der Hoseaworte vor einem von ihm dargestellten sozialgeschichtlichen Hintergrund. Die ursprünglich in mündlicher Tradition verwurzelten Worte in Hos 4–14 seien in Analogie zur eingangs erwähnten alkäischen Lyrik zu verstehen. Wie in der griechischen Literaturgeschichte habe es auch in der Israels eine Entwicklung hin zur Schriftlichkeit literarischer Werke gegeben, die durch den Übergang zur Prosa markiert sei. Auch in diesen abschließenden Überlegungen findet sich sicher eine Reihe interessanter und überlegenswerter Gedanken zur Entstehung der Hoseaschrift. Allerdings muten diese Einsichten doch etwas intuitiv an, die Verbindung zu den Exegesen ist für den Leser nicht unmittelbar ersichtlich. Die »Rückschau« fasst die Ergebnisse der Arbeit auf zwei Seiten zusammen.
Das Buch stellt interessante Fragen, enttäuscht bei den Antworten aber letztlich, weil diese auf fragwürdiger grammatischer und methodologischer Grundlage gewonnen werden.