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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

165-166

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Redditt, Paul L.

Titel/Untertitel:

Introduction to the Prophets.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2008. XV, 404 S. gr.8°. Kart. US$ 26,00. ISBN 978-0-8028-2896-5.

Rezensent:

Aaron Schart

Paul Redditt hat eine Einführung in die Prophetie vorgelegt, die weder besondere Bibel- noch Sprachkenntnisse voraussetzt. Bei seiner Stoffauswahl orientiert er sich am christlichen Prophetenbegriff, nach dem auch Daniel und die Jeremia zugeschriebenen Klagelieder zur Prophetie gehören. Immer wieder geht er auch auf die neutestamentlichen Anwendungen alttestamentlicher Prophetien auf Jesus Christus ein, z. B. auf die Jungfrauengeburt nach Jes 7,14 (77 f.), den stellvertretend leidenden Gottesknecht (100–101) oder das Verständnis Jesu als des eschatologischen Davididen nach Mi 5,2–5a (280 f.).
In jedem Kapitel wird erstens das jeweilige Buch dargestellt, dabei werden auch die enthaltenen Gattungen und Grundprobleme des literarischen Wachstums besprochen. Zweitens wird nach dem historischen Propheten gefragt, auf den das Buch zurückgeführt wird. Drittens geht es um die theologischen Themen. Viertens werden ausgewählte anstößige Stellen erörtert. Fünftens folgt eine Zusammenfassung. Sechstens werden der Leserschaft ein paar Fragen aufgegeben, ehe endlich eine knapp kommentierte Literaturliste das Kapitel abschließt. Am Ende des Buches finden sich noch ein Glossar (377–383) und fünf Indizes (384–404).
Das 1. Kapitel »What is a prophet« (1–18) zeichnet das Phänomen der Prophetie mit wenigen Strichen in den altorientalischen Kontext ein. Ein schöner Abschnitt handelt von der Unterscheidung von wahrer und falscher Prophetie. R. arbeitet sehr gut heraus, dass das Alte Testament in dieser Frage keine definitive Antwort gefunden hat, die die Zeitgenossen gebrauchen könnten. Das Kriterium des Eintreffens des Vorhergesagten (Dtn 18,22) sei selbst im Rück­blick kaum handhabbar.
Der Teil über die »Major Prophets« beginnt mit einem Überblick über Methoden, die in der Prophetenforschung eingesetzt werden (21–52). Dann wird das Jesajabuch behandelt, zunächst nur Jes 1–39 (53–80). Als wesentliche Themen werden genannt: Gerechtigkeit im Umgang mit den Personen, die sich nicht selbst ihr Recht verschaffen können, z. B. die Witwen und die Armen; die Erwartung einer vernichtenden Niederlage Judas als Strafe YHWHs; die Ablehnung der Opfer; die Hoffnung, dass YHWH Juda nach der Katastrophe einen neuen, perfekten Herrscher schenken wird, der einen überlebenden Rest zu neuer Herrlichkeit führt; die Überzeugung, dass auch die Fremdvölker YHWHs Macht unterstehen. Diese Themen wurden durch die Einfügung der sog. Jesaja-Apokalypse (Jes 24–27) in einen eschatologischen Horizont gestellt. Obwohl R. sich denjenigen anschließt, die Jes 40–55 und Jes 56–66 als Deutero- und Tritojesaja unterscheiden, weist er auch auf deren thematische Verflochtenheit und die Einheit des Jesajabuches als Ganzes hin (105–107). In gleicher Weise werden auch die weiteren großen Propheten besprochen: das formal und literarisch uneinheitliche Jeremiabuch (poetische Sprüche, Episoden aus Jeremias Leben, Prosareden, Konfessionen; 109–131); das weitestgehend vom Propheten selbst verfasste Ezechielbuch (148–167) mit seinem ungewöhnlich detaillierten Verfassungsentwurf; und das weisheitliche und apokalyptische Teile umfassende Danielbuch (168–194).
Der Teil über die »Minor Prophets« beginnt, dem Trend der neueren Forschung entsprechend, mit einem Kapitel, das die Einheit des Zwölfprophetenbuchs thematisiert (197–208). R. spricht von den einzelnen Prophetenschriften als »collections« und reserviert den Begriff »book« für das Zwölfprophetenbuch als Ganzes (197). Zu den beherrschenden Themen zählt R. die Metaphorik von der Ehe zwischen YHWH und Israel, die das Buch rahme (Hos 1–3/Mal 2,10–16), den Tag YHWHs und das Bekenntnis zum gnädigen, aber auch strafenden Gott. Letzteres begegne in seiner vollen Form in Ex 34, 6–7, von den einzelnen Propheten des Zwölfprophetenbuchs würden aber jeweils nur Teile zitiert (Joel 2,13; Jon 4,2; Mi 7,18; Nah 1,2–3a). Erst wenn man alle Prophetenschriften addiere, ergebe sich die umfassende Wesensbestimmung YHWHs. Das Zwölfprophetenbuch wird dann in Dreierblöcken besprochen:
Die Propheten Hosea, Joel und Amos (209–248) würden davor warnen, dass YHWH sich von Israel »scheide«, wenn das Volk weiterhin an seinem »hurerischen« Treiben festhalte. Stichwortaufnahmen (besonders markant: die Wiederaufnahme von Joel 4,16 in Am 1,2) unterstützten die thematische Zusammengehörigkeit. Der zweite Dreierblock umfasse Obadja, Jona und Micha (249–283). Sie übernähmen im Kontext des Buchganzen die Schilderung der Strafaktionen YHWHs gegen Edom, Ninive und Juda, wobei Jona auf humorvolle Weise (261 f.) zugleich zeige, wie man der Strafe durch umfassende Reue entgehen könne. Der dritte Block, Nahum, Habakuk und Zefanja (284–314), thematisiere die Bestrafung Ninives, Babylons und Judas im Rahmen einer kosmischen Katastrophe (Zef 1,2–3), ende aber mit einer idyllischen Schilderung einer darauffolgenden neuen Zeit (Zef 3,8–20).
Der letzte Abschnitt des Zwölfprophetenbuchs umfasse Haggai, Sacharja und Maleachi (315–355). Obwohl Jerusalem und der Tempel wiederhergestellt würden, erfüllten sich die weitergehenden Hoffnungen der früheren Propheten auf eine völlig ungestörte Harmonie Gottes mit Israel, dessen Nachbarvölkern und der ganzen Schöpfung nicht. Das Zwölfprophetenbuch ende also zwiespältig und erwarte eine noch größere Zukunft. Insbesondere Sach 9–14 fungiere als »capstone of the Twelve« (342–344), insofern dieser vermutlich zuletzt ins Buch eingefügte Abschnitt YHWHs Königtum und Einzigkeit betone (Sach 14,9). Maleachi schließe das Zwölf-prophetenbuch mit dem Bekenntnis ab, dass YHWH Jakob liebe (Mal 1,2–3).
Im Schlussteil (356–376) werden die acht Hauptthemen der Propheten herausgestellt: Gott habe Israel erwählt, beanspruche als der einzige Gott Israels umfassende Zuwendung, welche Israel aber verwehre, was sich insbesondere daran zeige, dass Israel keine Gerechtigkeit verwirkliche; Gott schreite deshalb zu einer umfassenden Strafaktion, welche aber als Ausdruck des treuen Festhaltens Gottes an Israel verstanden werden müsse und auf eine grundsätz­liche Erneuerung Israels ziele. Diese Strafaktion werde, trotz partieller Restitutionserfahrungen, erst am Ende der Ge­schichte zum Abschluss kommen. Sodann wird die Entstehung der Prophetenbücher skizziert, wobei angedeutet wird, dass sie kaum unabhängig voneinander redigiert wurden. Endlich wird noch darauf eingegangen, wie das Neue Testament, der Habakuk-Kommentar aus der judäischen Wüste und Philo mit den Propheten umgegangen sind.
Insgesamt hat R. ein erfrischend zu lesendes Lehrbuch vorgelegt, das sich auf die allerwichtigsten Dinge beschränkt, um An­fänger nicht zu verwirren. Er votiert oft sehr behutsam für historisch-kritische Hypothesen, die in Deutschland niemand ernsthaft in­frage stellt, etwa für die literarische Uneinheitlichkeit des Jesajabuches oder den fiktiven Charakter der Jona-Erzählung, weil viele seiner Studierenden offensichtlich von einem vorkritischen Bibelverständnis herkommen. Etwas Besonderes an R.s Buch sind die Abschnitte, in denen er auf anstößige Dinge (»problems«) eingeht, und die Fragenkataloge am Ende jeden Kapitels. In beiden Fällen geht R. weit über die historische Sinnbestimmung der Texte hinaus und fordert mit bohrender Eindringlichkeit von den Befragten, sich über die theologische Relevanz der Bibel ihre eigene Meinung zu bilden.