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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

159-161

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Torallas Tovar, Sofía, u. Klaas A. Worp

Titel/Untertitel:

To the Origins of Greek Stenography (P. Monts.Roca I).

Verlag:

Montserrat: Publicacions de l’Abadia de Montserrat; Consejo Superior de Investigaciones Científicas 2006. 272 S. u. XXIX Taf. m. Abb. gr.8° = Orientalia Montserratensia, 1. Kart. EUR . ISBN 84-8415-847-0 (Publicacions de l’Abadia de Montserrat); 84-00-08455-1 (Consejo Superior de Investigaciones Científicas).

Rezensent:

Reinhold Scholl

Der Titel suggeriert einen Beitrag zur griechischen Stenographie; dem ist aber nicht so, sondern der Buchtitel ist dem Werk H. J. M. Milne, Greek Shorthand Manuals: Syllabary and Commentary (GSHM), London 1934 geschuldet, in dem tachygraphisch geschriebene Wörter durch sog. Tetraden erläutert werden. Das sind vier zusammengehörende Wörter, die in einer ganz bestimmten Ordnung zu diesen stenographischen Abkürzungen als Erläuterungen zu finden sind. Publiziert wird hier eine in drei Kolumnen angeordnete umfangreiche Wörterliste, die aus sechs Unter­listen be­steht und die Teil eines größeren Codex’ aus der 2. Hälfte des 4. Jh.s n. Chr. ist
Editoren sind Sofía Torallas Tovar vom Institut für Philologie in Madrid, ausgewiesen in griechischer und koptischer Papyrologie und gleichzeitig verantwortlich für die Roca-Puig Papyrussammlung in Montserrat, sowie Klaas A. Worp, ein besonders für spätantike Papyri bekannter Spezialist und Professor für Papyrologie an der Universität Leiden.
Im 1. Kapitel (15–24) wird eine detaillierte kodikologische Be­schreibung dieses in den 50er Jahren in Kairo von Dr. Ramón Roca-Puig erworbenen Papyruscodex vorgelegt, zu dem 1973 weitere Fragmente durch Tausch mit der Bodmer Foundation in Genf hinzukamen. Auch ein Fragment in der Duke Library in Durham mit Ciceros Catilinaria gehört zum selben Codex. Die Herkunft des Konvoluts aus der Thebais kann nicht als gesichert gelten.
Der Codex besteht aus einer einzigen Lage von mindestens 28 Doppelblättern von ca. 12,3 cm Höhe und 11,4 cm Breite, wobei 26 erhalten und einzeln inventarisiert sind (Inventarnummern 126–178, 292 und 338). Der Inhalt setzt sich zusammen aus:
A: Inv. 128–149: S. 5–47: Catilinaria
B: Inv. 149–153: S. 48–56: Hymnus auf die Jungfrau Maria
C: Inv. 154: S. 57: Mythologischer Text
D: Inv. 154–157: S. 58–64: Anafora
E: Inv. 158–161: S. 65–71: Alkestis und lateinische Hexameter
F: Inv. 162–165: S. 73–80: über den Kaiser Hadrian
G: Inv. 166–178: S. 81–106: Wörterliste
Der Montserrat Codex enthält sowohl lateinische als auch griechische Texte. Der Codex, der von einem einzigen Schreiber stammt, wird der zweiten Hälfte des 4. Jh.s n. Chr. zugewiesen. Das Griechische ist ohne Akzente und Spiritus. Trema ist bisweilen gesetzt.

Die Editoren stellen Überlegungen zu dem antiken Besitzer dieses Codex an, der pagane Literatur, christlich liturgische Texte in Griechisch und Latein sowie die hier vorzustellende griechische Wörterliste enthält. Die im Codex enthaltenen Kolophone mit dem Namen Dorotheos lassen keine weiteren Hinweise auf den Besitzer zu. Aus dem Inhalt schließen die Editoren auf ein Mitglied des lokalen Klerus »belonging to a lively professional and scholarly tradition« (24).
Im 2. Kapitel (25–46) folgen allgemeine Bemerkungen zur Wörterliste mit ihren 2368 Einträgen, die meistens aus einem einzigen Wort bestehen. Einige Wörter sind doppelt oder dreifach aufgeführt. Die sechs Unterlisten sind alphabetisch angeordnet. Jede von ihnen ist – bis auf die erste – numeriert (von Beta bis Sigma). Sie beginnen jeweils mit Wörtern, die mit dem Buchstaben Alpha anfangen, und enden mit Wörtern, die mit Omega einsetzen. Die letzte Unterliste endet mit dem Buchstaben Sigma, der Rest fehlt. Substantive und Adjektive haben oft die Akkusativform, Verben stehen meist in der 3. Person Singular Präsens oder 2. Person Imperativ Präsenz oder in Partizipialform.
Über Hintergrund und Ziel der Wortliste steht im Codex selbst nichts. Es ist nach Auffassung der Herausgeber jedenfalls keine Wörterliste für irgendeinen antiken Autor, auch keine schulische Silbenübung, und sie diente auch nicht morphologischen Zwe­cken. Auf den ersten Blick könnte es ihrer Meinung nach eher eine Übung zum Erlernen unbekannter Wörter sein. Die Wörterliste hat viele Übereinstimmungen mit dem ins 5. oder 6. Jh. n. Chr. zu datierenden Lexikographen Hesych, weshalb die Editoren von einer gemeinsamen Vorlage ausgehen. Die Lösung finden sie in dem sog. Commentary des oben erwähnten Werkes GSHM, obwohl es durchaus Unterschiede gibt und beide nicht völlig identisch sind (31). Dieser commentary ist eine Art Vorlage für die Wörterliste. Beide Zeugnisse können sich gegenseitig ergänzen. Beide haben ihre Quellen in Schulübungen mit Sätzen und Halbsätzen sowie Proverbien zur Einübung von Wissen ähnlich den bekannten Sentenzen Menanders. Neben griechischen Rednern und Komödien ist auch die medizinische Literatur eine gute Quelle für diese Wort­listen. Im Anschluss werden kurz die phonologischen Besonderheiten der Wörterliste aufgezählt, die in der Mehrzahl der Niederschriftzeit geschuldet sind. Zum Ende des 2. Kapitels werden diejenigen Wörter aufgelistet, die nur in dieser Wörterliste und bei Hesych zu finden sind (45–46).
Das 3. Kapitel (47–74) bietet die diplomatische Umschrift der Montserrater Wörterliste und im Apparat dazu die korrekte und moderne Schreibweise bei denjenigen Wörtern, bei denen die Schreibweise des Codex von der Norm abweicht oder wenn Wörter nicht eindeutig, sondern mehrdeutig sind. Das 4. Kapitel (75-122) bietet eine Konkordanz der Montserrater Wörterliste mit Milns Edition GSHM, wobei letztere von den Editoren nochmals korrigiert wurde und somit nunmehr die maßgebliche Edition dieses Teils ist, und bisher publizierten stenographischen Papyri. Kapitel 5 (123-123) »Greek shorthand manual reconstruction« bietet eine Rekonstruktion bzw. Neuedition des Originaltextes des Commentary, und zwar der Tetraden 1-600, mit einer Übersetzung, im Wissen, dass auch andere Übersetzungen und Bedeutungen bei diesen bloßen Wortaneinanderreihungen möglich sind. Das Kapitel 6 (165-212) gliedert die Tetraden nach Inhalt, kommentiert sie in unterschiedlich umfangreicher Weise und gibt die jeweilige Wortnummer der Montserratliste an. Kapitel 7 (213-266) bietet dreispaltig in alphabetischer Reihenfolge die Montserratliste, daneben den modernen Lexikoneintrag, in der Regel aus LSJ, und die Hesychstelle.
Ein Literaturverzeichnis und farbige Abbildungen der gesamten Wörterliste und einiger Kolophone beschließen diesen Band, der für die Kultur-, Geistes- und Religionsgeschichte des 4. nachchristlichen Jh.s ein wichtiges Zeugnis darstellt. Die inhaltliche Mischung des Codex würde m. E. gut in die Zeit des Kaisers Julian passen, der mit seiner Religions- und Schulpolitik noch einmal eine Rückkehr zur paganen Paideia versuchte und somit auch die Christen zwang, sich mit der Frage der antiken Bildung neu auseinanderzusetzen, ein Aspekt, der nicht erwähnt wird.
Die Editoren haben mit der Wörterliste in P. Monts.Roca I ein Werk vorgelegt und gründlich kommentiert, mit dem man sich nun weiter beschäftigen kann. Gerade die Frage nach Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten in der Auswahl der Worte, möglichen gemeinsamen Vorlagen und Intentionen der Zusammensteller und/oder Abschreiber bedürfen noch weiterer Forschungen. Der Weg aber ist gewiesen. Für solche Fragestellungen werden in Zu­kunft neue Methoden und Hilfsmittel der automatischen Sprachverarbeitung und der Altertumswissenschaften, wie sie beispielsweise in dem Projekt eAQUA (Extraktion von strukturiertem Wissen aus Antiken Quellen für die Altertumswissenschaft: http:// www.eaqua.net) in Leipzig entwickelt werden, sicherlich gute Dienste leisten.