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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

157-159

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Rocca, Samuel

Titel/Untertitel:

Herod’s Judaea. A Mediterranean State in the Classical World.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XI, 445 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. gr.8° = Texts and Studies in Ancient Judaism, 122. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-149717-9.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Das derzeitige große Interesse an Herodes dem Großen ist so erfreulich wie begreiflich, lassen sich an ihm doch gleichsam wie in einem Brennglas zentrale Fragen antiker Kulturgeschichte aus ganz unterschiedlichen Richtungen behandeln: die »Romanisierung« des Ostens und die Hellenisierung Roms in augusteischer Zeit, die Entstehung einer eigenständigen jüdischen materiellen Kultur und das Verhältnis zwischen Rom und dem Judentum, um nur einige Punkte zu nennen. Nachdem Manuel Vogel eine lang vermisste, wissenschaftlich verantwortete und gut lesbare Herodesbiographie in deutscher Sprache (Herodes. König der Juden, Freund der Römer, Leipzig 2002 [Biblische Gestalten 5]) und Ehud Netzer die Summe seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit herodianischer Architektur (The Architecture of Herod, the Great Builder, Tübingen 2006 [TSAJ 117]) veröffentlicht und sich mehrere Konferenzen mit dem Spannungsfeld herodianischer Herrschaft zwischen Rom und Jerusalem gewidmet haben (um nur zwei besonders wichtige Kongressbände zu nennen: N. Kokkinos [Ed.], The World of the Herods. Volume 1 of the International Confer­ence The World of the Herods and the Nabateans held at the British Museum, 17–19 April 2001, Stuttgart 2007, und D. M. Jacobson/N. Kokkinos [Eds.], Herod and Augustus. Papers Presented at the IJS Conference, 21st – 23rd June 2005, Leiden-Boston 2009), legt nun Samuel Rocca die erste »in-depth analysis of Herodian society« (1) vor. Das Buch beruht auf R.s Dissertation, angefertigt bei A. Baumgarten an der Bar Ilan-Universität.
Ganz im Einklang mit der neuesten Herodesforschung betont R. bereits in der »Introduction« (1–17): »the tie between Judaea and the surrounding Hellenistic world reached its peak in Herodian Judaea« (1 f.) und stellt sich programmatisch gegen eine Position, die das herodianische Judäa als ein Gebilde sui generis, eine von der umliegenden Welt abgeschlossene Region ansieht (3). Obwohl jüdischer Herrscher, bewunderte Herodes Alexander den Großen, die Verkörperung eines hellenistischen Regenten schlechthin, und Augustus als besonders nachahmenswerte Vorbilder. So sehr Herodes Klientelkönig Roms war, so sehr agierte er zugleich als Patron im Sinne hellenistischer Werte und blieb damit ganz hellenistischer Monarch. »I attempt … to anchor Herodian Judaea as firmly as possible within the surrounding Mediterranean world and therefore within the realities of Hellenistic Roman civilization in order to better understand its multi-faceted dimensions as part of the surrounding contemporary world, and not simply as an entity belonging to a Biblical – New Testament reality« (3). R.s Ansatz verdankt sich einem besonderen methodischen Zugang zu den Quellen. Statt Josephus, den »distorted mirror« (13, im Anschluss an C. Ginzburg) zu folgen, gründet R. seine Studie auf nichtliterarische Quellen, die realia, seiner Ansicht nach »free … from any relativism, anchored securely in reality« (14). Angesichts der Probleme und hermeneutischen Aufgaben, die archäologische Befunde oft genug aufwerfen, hätte man sich hier freilich genau dieselbe vorsichtige Skepsis gewünscht, die R. Josephus entgegenbringt. An der Gültigkeit der Hauptthese ändert R.s positivistischer Umgang mit den materiellen Quellen jedoch nichts.
Das Buch gliedert sich in acht gut aufeinander abgestimmte Hauptabschnitte, jeder einzelne materialreich und voll mit neuen, überraschenden und der Diskussion werten Einsichten. Im ersten Kapitel widmet sich R. der herodianischen Herrschaft, ihrer ideologischen Unterbauung aus jüdischen wie auch hellenistischen Motiven (»Herod the King: Royalty and Ideology of Power«, 19–63). Demnach gerierte sich Herodes als »neuer Salomo« ganz im Sinne eines judaisierten Alexander und ahmte das Vorbild seiner römischen Patrone nach, zuvorderst das des Augustus. Gleichsam als Nahaufnahme dieses Kapitels lässt sich das Folgende begreifen: In »The Court of King Herod« (65–131) untersucht R. den Hof des Herodes (»household«), sowohl was die Zusammensetzung aus Familie, Freunden und Funktionsträgern anbetrifft als auch die Paläste als Schauplätze inszenierter Herrschaft. Wiederum betont R. zahlreiche Ähnlichkeiten mit der domus des Augustus. Die Zusammensetzung der »Army of King Herod« (133–196), seine Feldzüge, Festungen und Militärkolonien sowie die Marine (»built to contribute to the military effort of the Roman Empire, not to hinder it«, 196) unterstreichen den militärischen Anspruch des Königs, verbunden mit der Sorge um die innere Stabilität seines Reiches. In »The Administration and Economy of the Herodian Kingdom« (197–247) behandelt R. die Herkunft und Einteilung der herodianischen Verwaltung, das Steuerwesen, die Einteilung des Landes in königlichen Besitz und privates Eigentum und die ökonomischen Ressourcen aus Handel, Handwerk und Landwirtschaft – alles Themen, die aufgrund der oft dürftigen Quellenlage in jüngster Zeit immer wieder sehr kontrovers diskutiert wurden. Ein Exkurs zu den Sprachen im herodianischen Judäa schließt sich an (vgl. dazu auch jüngst W. Eck, Latein als Sprache Roms in einer vielsprachigen Welt, in: Ders., Rom und Judäa. Fünf Vorträge zur römischen Herrschaft in Palästina, Tübingen 2007, 157–200).
In »The Ruling Bodies of Herodian Judaea« (249–279) untersucht R. die rechtliche Stellung des Herrschers in Judäa und Herodes’ Verhältnis zur einheimischen Oberschicht, ergänzt durch eine Diskussion der verschiedenen Instanzen (boule, ekklesia, synhedrion und außerjudäische Instanzen). Schwerpunkt des Abschnitts »The Cults of the Herodian Kingdom« (281–321) sind jüdische Einrichtungen (Tempelkult, herodianischer Neubau des Tempels und die Synagoge). Zugleich ruft das Kapitel in Erinnerung, dass Judäa keinesfalls allein von Juden bewohnt war und dass Herodes auch keinesfalls allein König der Juden war, sondern »König in Judäa« (so auch W. Eck im oben angegebenen Band). R. zeigt, dass die Religionspolitik des Herodes weder Produkt einer vermeintlichen Selbstzerrissenheit war noch den Charakter eines notgedrungenen Kompromisses besaß, sondern begreiflich ist auf dem Hintergrund des hellenistischen Königsideals. Das Kapitel »The Herodian City« (323–347) widmet sich im Wesentlichen der Entwicklung Jerusalems, verankert diese aber im Kontext der allgemeinen Urbanisierung Judäas und dessen Öffnung hin zum weiteren Mittelmeerbereich. Die Entwicklung Judäas »reflected that of the surrounding classical world« (347) und die herodianische Stadt »no matter where its influences derived from – the East or the West – was a supremely Mediterranean entity« (347). Das letzte Kapitel »Herod’s Burial« (349–378) untersucht die Inszenierung des Begräbnisses (Anleihen bei Alexander!) und diskutiert die Frage, ob Herodes in einem Sarkophag oder einem Ossuar beigesetzt war (Ersteres). R. erwähnt zwar die wahrscheinliche Entdeckung des Grabmals des Herodes durch E. Netzer im Sommer 2007, konnte sie aber nicht mehr wirklich in seine Erörterung einarbeiten, wie die Ausführungen zum vermutlichen Grab im Unteren Herodion (!) und zum Kenotaph außerhalb des Damaskustores zeigen. Eine allgemeine Zusam­menfassung schließt das Buch ab (»Final Conclusions«, 370–378), es folgen eine ausführliche Bibliographie und Register antiker Quellen, moderner Autoren und von Namen und Sachen.
Das Buch ist trotz manch kontroverser Einzelthese grundlegend für die zukünftige Herodesforschung. R. legt plausibel die zahlreichen Verbindungen zwischen der herodianischen Gesellschaft und Kultur, dem augusteischen Rom und der östlichen Mittelmeerwelt dar und überwindet häufig Kontrastpaare »Ju­dentum« oder »Hellenismus« bzw. »Romanisierung« oder »Hellenisierung«. In Zukunft sollte es nicht mehr möglich sein, das herodianische Judäa vor allem als Produkt interner Faktoren zu sehen und den breiteren Kontext auszublenden. Nicht zu vergessen ist freilich, dass die enge Verbindung des Herodes zur hellenistischen Welt keinesfalls von allen seinen Untertanen gutgeheißen wurde, sondern immer wieder heftigen Widerstand hervorgerufen hat (ein Aspekt, der bei R. für meine Begriffe etwas zu kurz kommt), doch ist auch solch antihellenistischer Widerstand nichts per se Judäisches, sondern kommt auch anderenorts vor (z. B. Ägypten) und stellt eine Eigenheit der sich rapide wandelnden und zusammenwachsenden Mittelmeerwelt dar. Dies scheint mir das stärkste Argument für R.s überzeugend vorgebrachte Hauptthese zu sein, wonach »a certain Mediterranean atmosphere pervades Herodian Judaea« (364).