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Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

116-118

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Farnbacher, Traugott, u. Gernot Fugmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Johann Flierl (1858 bis 1947). Ein Leben für die Mission – Mission für das Leben.

Verlag:

Neuendettelsau: Erlanger Verlag für Mission und Ökumene 2008. 218 S. m. Abb. u. Ktn. 8°. Kart. EUR 12,00. ISBN 978-3-87214-524-6.

Rezensent:

Jobst Reller

Johann Flierl ist der eigentliche Pionier der bayerischen luthe­rischen Mission im heutigen Papua-Neuguinea. Wilhelm Löhe (1808–1872) begann zwar relativ früh mit der Ausbildung von Pfarrern für die Auswanderer in Nordamerika, die dann in der Arbeit unter Indianern zum Teil auch eine – wenn auch kurzlebige – Missionsaufgabe bekamen. Die eigentliche selbständige Missionsarbeit begann aber erst nach ihm. Johann Flierl, von einem Einsiedlerhof bei Sulzbach in der Oberpfalz stammend und von 1875 bis 1878 am Missionsseminar in Neuendettelsau ausgebildet, gelangte 1886 nach einer Zwischenstation in Australien bei den Dieri nach Finschhafen. Flierl ist somit einer der großen Pioniermissionare ohne akademische Vorbildung aus dem ländlichen Milieu auf der Linie eines Ludwig Ingwer Nommensen auf Sumatra u. a. Die heutige evangelisch-lutherische Kirche in Papua-Neuguinea geht auf Flierls fast 50-jähriges Wirken zurück.
Sein Wirken gehört in die neue Blütephase der deutschen Mission mit dem beginnenden deutschen Kolonialismus vergleichbar der Neukirchener und Bethelmission. Flierl selbst war sich der Verbindung mit der Kolonialbewegung bewusst, wies aber jeden Vorwurf unrechter politischer Instrumentalisierung der Mission zurück und kritisierte die Unterwerfung anderer Völker durch europäische Mächte. Dabei wurde ihm interessanterweise der Um­stand, dass die Mission erst nach der Besitzergreifung ins Land gekommen war, zum entschuldigenden Argument. Allerdings ha­be Papua-Neuguinea die väterliche europäische Hand gebraucht, um im Atomismus der Sippen- und Stämmegesellschaft überhaupt einen Anfang staatlicher Gewalt und des Friedens zu setzen, Errungenschaften von Kultur und Zivilisation zu erhalten (124). Die Mission erscheint als unparteiische Mittlerin, die das Beste von Regierung und Regierten förderte. Damit zeigt sich auch Flierls Zeitgebundenheit, wobei vor platten Simplifizierungen nur zu warnen ist. Der erste veröffentlichte Brief aus dem Jahr 1885 ist ein Zeugnis der Missionsfeindlichkeit der Kolonialgesellschaft, die am liebsten keine Missionare ins Land gelassen hätte, weil sich dies nicht »rechne«! Die Gemengelage erinnert in manchem an die An­kunft Ziegenbalgs und Plütschaus in Tranquebar knapp 180 Jahre zuvor (142).
Das Buch erschien aus Anlass von Flierls 150. Geburtstag. Im Kern macht es eine ursprünglich 1913 in Leipzig im Verlag von H. G. Wallmann erschienene und inzwischen vergriffene Schrift von Flierl wieder erhältlich (25–139): »In den Missionsdienst! Reisebriefe eines alten Missionars an seinen Sohn im Missionshaus«. Der meisterhafte Erzähler Flierl schrieb auf der zweiten Ausreise 1911 einen Rückblick auf Arbeit und Leben in der Mission und entwi­ckelte so zugleich anschaulich sein Verständnis der praktischen Aufgaben von Mission, eine Art praktische Missionstheologie, in der kein relevantes Thema von Ausbildung, Reise und Sprachelernen angefangen fehlt bis hin zur Predigt in Gesetz und Evangelium. Selbstverständlich sollte die Schrift auch als Ermutigung für seinen in ebendieser Ausbildung stehenden Sohn dienen. Einleitend wird immer wieder auch die Situation der Reise reflektiert, so dass sich die Texte gleichzeitig als Reisebericht spannend lesen lassen. Dabei ist Flierls Perspektive immer unmittelbar praktisch, versteigt sich nicht zu theoretischen Exkursen. Mit einem Schmunzeln liest man Bemerkungen über die Bedeutung von Turnen, Schwimmen und Laufen, genügend Schlaf und Ferien für die Vorbereitung zum Missionsdienst, aber auch eine Bemerkung wie die, dass in Hermannsburg anders als in Neuendettelsau die Verbindung von Missionshaus und Missionsgemeinde ganz anders gelinge (32 f.).
Neu und bisher nicht veröffentlicht sind ergänzend ausgewählte Briefe (141–201), die der verstorbene Archivar des Missionsarchivs Neuendettelsau Manfred Keitel bereits transkribiert und nummeriert hatte. Überreste aus dem lebendigen Geschehen werden mit dem wertenden, gewichtenden Rückblick kontrastiert. Das Gros der Briefe stammt aus dem Zeitraum von 1885 bis 1903: Brief 36 (17.12.1885) bis Brief 300 (6.10.1903). Zwei bereits an verschiedenen verstreuten Orten gedruckte Überreste, ein Brief aus dem Jahr 1904/5 und ein Halbjahresbericht über die Zeit vom August 1914 bis März 1915, also dem Beginn des Ersten Weltkriegs, runden das Bild ab.
Interessanterweise klingt in Letzterem das welterschütternde Geschehen kaum an, allenfalls die Übergabe der Polizeigewalt nach der auf der Missionsstation auf dem Sattelberg erlassenen Volksordnung an die Kolonialregierung wird ins Auge gefasst.
Flierl selbst hatte auf dem Sattelberg die Arbeit 1892 begonnen, »unter dem frechen und diebischen Bergvolk unter unendlichen Schwierigkeiten«. Missionar Christian Keyser hatte von Missionar Du[n]­can aus Metlakatla/Alaska die Idee dieser umfassenden Gesellschaftsordnung zur Bildung einer christlichen Sitte übernommen. Für Ehebruch war die Prügelstrafe vorgesehen. Auch hier liegen die Vergleichspunkte etwa zu Nommensens Arbeit auf der Hand. Flierl fragte sich, wie bei der Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt die geistliche Zuchtordnung noch erhalten bleiben konnte. Aber ebendiese – auch unter Vermischung weltlicher und geistlicher Gewalt – erschien dem Missionar in einer Vielstämmegesellschaft am ehesten als geeignet, die Schäden des Form- und Namenchristentums einer Volkskirche zu verhindern. Dabei ist Flierl sich des Problems, europäische Formen überzustülpen oder Ordnungen zu idealisieren, durchaus bewusst, will aber auch nicht einfach Formlosigkeit den Boden bereiten, sondern »eine elementare Gemeinde-, Kirchen- und Gottesdienstordnung« einführen, die für die spätere Entwicklung indigener Formen offen ist (201). Sehr bildhaft entsteht aus den Überresten in Flierls Briefen das Bild vieler kleiner »Corpora Christiana« auf den Missionsstationen, wie es als Gesamtvision in Europa das Mittelalter geprägt hat und mit der französischen Revolution zerbrochen ist, aber für den Entwicklungsstand der jungen Gemeinden unter den Bedingungen des Kolonialismus um 1915 sinnvoll erschien.
Die Briefe insgesamt bieten auch eine kleine Geschichte der Missionsanfänge. In den Briefen erwähnte Orte und Stationen der Rheinischen und der Neuendettelsauer Mission lassen sich mit Hilfe der beigegebenen Landkarten leicht auffinden. Beim Einlesen der Vorlage sind vereinzelte Fehler unterlaufen (auf S. 124, 6. Zeile von unten muss es z. B. wohl »Missionschristen« und nicht »Missionsschriften« heißen.) Das Büchlein, das verdienstvoll Flierl selbst zu Worte kommen lässt, wird abgerundet durch eine Einleitung, bzw. ein Nachwort der Herausgeber Traugott Farnbacher (203–218) und Gernot Fugmann (11–24). Alles in allem bleibt der Eindruck, dass es eher der Anfang eingehenderer Studien zu dieser Phase der Kirchengeschichte Neuguineas ist als das abschließende Wort. Zugleich wird exemplarisch die Schwierigkeit deutlich, unbestritten von ihrem praktischen Handeln her bedeutsame Missionare in rechter Weise für das Gesamte der Kirchengeschichte zu würdigen.