Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

108-110

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Wall, Heinrich de, u. Stefan Muckel

Titel/Untertitel:

Kirchenrecht. Ein Studienbuch.

Verlag:

München: Beck 2009. XLV, 367 S. gr.8° = Kurzlehrbücher für das juristische Studium. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-406-54304-3.

Rezensent:

Hanns Engelhardt

Das in der Reihe »Juristische Kurz-Lehrbücher« erschienene Ge­meinschaftswerk zweier angesehener Kirchenrechtslehrer steht in der Nachfolge des in derselben Reihe zuletzt 1983 in 5. Auflage erschienenen Kurzlehrbuchs des Kirchenrechts von Adalbert Erler, dem es in seiner Grundstruktur folgt: Begriff, Gegenstand und Bedeutung des Kirchenrechts – Geschichte des Kirchenrechts – Staatskirchenrecht – (römisch-)katholisches Kirchenrecht – evangelisches Kirchenrecht. Der Rezensent bedauert, dass die Vf. es nicht für angezeigt befunden haben, dieses Nachfolgeverhältnisses im Vorwort zu gedenken; immerhin hat das Erlersche Buch von der 1. Auflage (1949) bis zur 5. – und welches Kirchenrechtslehrbuch hat schon in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s fünf Auflagen erlebt – Generationen von Studenten die Tür zu einem vielen eher abseitig erscheinenden Rechtsgebiet aufgeschlossen.
Adalbert Erler war sich der Grenzen seines Buches wohl bewusst, wenn er noch in der 5. Auflage bescheiden vermerkte, beim evangelischen Kirchenrecht habe auf die Darstellung von Einzelheiten weitgehend verzichtet werden müssen und auch für die Kanonistik könne sein Buch »nur den Schlüssel zum äußeren Vorhof bieten« (VII). Das ist jetzt anders. Das neue Buch geht bei der Darstellung des positiven Rechtsstoffes in vieler Hinsicht weit über seinen Vorgänger hinaus. Das ist umso mehr zu begrüßen, als ein vergleichbar umfassendes Werk in jüngster Zeit nicht erschienen ist. Die bei Erler noch vom Motto des Buches bis zu seinem letzten Satz spürbare Leidenschaft für die Sache der Kirche, der einen Kirche, und ihrer rechtlichen Ordnung ist freilich deutlich zurückgenommen.
Die Darstellung der kirchlichen Rechtsgeschichte ist gegenüber dem Vorgängerbuch stark komprimiert – mit Recht, da für diesen Teil in derselben Reihe nun das Kurzlehrbuch von Christoph Link (ebenfalls in dieser ThLZ-Ausgabe rezensiert) vorliegt. Mit derselben Berechtigung tritt das Staatskirchenrecht im Verhältnis zum kirchlichen Recht zurück, weil dafür – ebenfalls in derselben Reihe – schon seit einiger Zeit das Kurzlehrbuch von von Campenhausen, in 4. Auflage ebenfalls von de Wall bearbeitet, vorliegt. Das Schwergewicht liegt daher auf dem positiven kirchlichen Recht.
Die Darstellung des römisch-katholischen Rechts fußt auf dem nun schon ein Vierteljahrhundert in Geltung stehenden Codex von 1983, der von Erler noch nicht berücksichtigt werden konnte. Sie ist gegliedert in drei Abschnitte über die »Grundlagen des katholischen Kirchenrecht« (sic!), »Recht nach der Lehre der Kirche« und »Besondere Bereiche des geltenden Kirchenrechts«. In dem Grundlagenabschnitt werden behandelt »Gegenstand und Quellen des kanonischen Rechts«, das »Verfassungsrecht der katholischen Kirche«, zu dem vor allem das Mitgliedschaftsrecht gezählt wird, und »Die hierarchische Organisationsstruktur der römisch-katholischen Kirche«. (Warum hier einmal von »katholischer« und einmal – m. E. richtiger – von »römisch-katholischer« Kirche gesprochen wird, will nicht recht deutlich werden.) Unter dem Titel »Recht nach der Lehre der Kirche« werden »Rechtsetzung und Rechtsanwendung im kanonischen Recht« sowie »Verbindliches Lehren in der katholischen Kirche« behandelt.
Die Darstellung des evangelischen Kirchenrechts ist von der Verschiedenheit der Quellen und der theologischen Beurteilung her viel schwieriger. Sie ist in vier Abschnitte gegliedert, nämlich »Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts«, »Die Gemeinde«, »Die Landeskirche« und »Die EKD und die Zusammenschlüsse von Kirchen«. In dem Grundlagenabschnitt behandelt de Wall die Grundlagenproblematik des evangelischen Kirchenrechts, Quellen und Methoden sowie das Mitgliedschaftsrecht.
Trotz des Bekenntnisses der Vf. zum »Geist der Ökumene« (V) kommen praktisch nur die römisch-katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen zu Wort. Weder die evangelischen Freikirchen noch die Alt-Katholiken treten in Erscheinung, ob­wohl ihrem Recht vielleicht Gesichtspunkte entnommen werden könnten, die über ihren engeren Bereich hinaus von Bedeutung sind. Die Orthodoxie wird bewusst ausgespart, weil »Gegenstand dieses Lehrbuches wegen seiner Bedeutung für Deutschland neben dem evangelischen Kirchenrecht allein das Kirchenrecht der römisch-katholischen Kirche« sei (12); dabei bleibt unberücksichtigt, dass es in Deutschland heute über 1,2 Millionen orthodoxe Kirchenmitglieder gibt, die zu einer Mehrzahl von Bistümern ge­hören, die wiederum (größtenteils) in der Kommission der Orthodoxen Kirche in Deutschland (KoKiD) zusammengeschlossen sind. Auch die Ökumenische Bewegung, bei Erler noch ein eigenes (abschließendes) Kapitel, ist zusammen mit einigen anderen nationalen, europäischen und weltweiten Kirchenverbindungen in dem Kapitel »Weitere Zusammenschlüsse und kirchliche Organisationen« versteckt; hier werden dem Ökumenischen Rat der Kirchen nur noch gerade einmal fünf Zeilen eingeräumt. Damit wird der besonders im Bereich des evangelischen Kirchenrechts noch immer anzutreffenden bedauerlichen Selbstbeschränkung des Blicks auf deutsche landeskirchliche Rechtsverhältnisse, die schon Schleiermacher mit Recht nachdrücklich kritisiert hat, eher Vorschub geleistet als entgegengewirkt.
Zu bedauern ist auch, dass beide Vf. sich nicht in der Lage gesehen haben, sich von der verbreiteten Praxis zu lösen, das Kirchenrecht nach dem Vorbild des staatlichen Rechts in Verfassungs- und Verwaltungsrecht zu gliedern und damit dem Organisationsrecht ein Übergewicht einzuräumen, dessen Angemessenheit man bezweifeln kann. Zentrum des kirchlichen Lebens sind die spezifisch kirchlichen Handlungen, Feier der Sakramente, Lehre und Mission, Diakonie bzw. Caritas. Ihnen dienen als persönliche und sächliche Mittel die Amtsträger und das Kirchenvermögen, für deren Bereitstellung wiederum die kirchliche Organisation erforderlich ist. Gerade die Regelung dieser zentralen Elemente des Kircheseins wird aber in den Abschnitten über »Besondere Bereiche des geltenden Kirchenrechts« (römisch-katholisch), im letzten Unterabschnitt von »Die Gemeinde« und im letzten Paragraphen über die Landeskirche (evangelisch) geradezu versteckt.