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Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

101-102

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

[Link, Christoph]

Titel/Untertitel:

Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag. Hrsg. v. H. de Wall u. M. Germann.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XII, 1066 S. m. 1 Porträt u. 2 Abb. gr.8°. Lw. EUR 159,00. ISBN 978-3-26-148099-7.

Rezensent:

Hartmut Kreß

Die derzeitigen kulturellen Umbrüche und die religiöse sowie weltanschauliche Pluralisierung wirken in vielfältiger Hinsicht auf die Rechtsordnung und sogar auf die Verfassung zurück. Auch Fragen im Schnittfeld zwischen Rechtswissenschaft, Ethik und Theologie einschließlich Staatskirchen- bzw. Religionsrecht geraten in Bewegung. Diesem breiten Spektrum ist die dem Erlanger Staats- und Kirchenrechtler Christoph Link gewidmete Festschrift zuzuordnen.
Ein einführender Beitrag, verfasst von Axel Freiherr von Campenhausen, würdigt das Werk Christoph Links (3–17). In der Festschrift fällt der Beitrag von Martin Heckel über »Grundlagen der theologischen Fakultäten seit der Wende« wegen seines großen Umfangs sofort ins Auge (213–299). Heckel nimmt auf zahlreiche Dokumente und Argumente Bezug. Ihm zufolge führen hinsichtlich theologischer Fakultäten die beiden einschlägigen Grundrechte Religions- und Wissenschaftsfreiheit »zum gleichen Ziel« (240), so dass der Status quo, der derzeitige Rechtsstatus der Fakultäten, spannungsfrei legitimiert sei. Diese Einschätzung wird freilich kein Schlusswort sein können, das sich hinter die seit mehr als einem Jahrhundert geführten Kontroversen über theologische Fakultäten abschließend setzen ließe. Im Licht aktueller Entwick­lungen, etwa der erneut aufgebrochenen Spannungen zwi­schen katholischen Universitätstheologen und dem katholischen Lehramt, oder in Anbetracht der hochschulpolitischen Herausforderung, islamische Religionslehrer oder Religionskundelehrer adäquat auszubilden, zeichnen sich zurzeit neue Gesichtspunkte so­wie Konfliktlinien ab. Darüber hinaus wirken sich die Fort­entwicklungen des Hochschulrechts und die Umbrüche in der Universitätsstruktur auf den Status theologischer Fakultäten aus.
Anhaltender Reflexionsbedarf besteht bis heute – oder heutzutage sogar aufs Neue – für den Religionsunterricht. Daher ist es nützlich, dass das Sammelwerk hierzu mehrere Aufsätze enthält. Ein Beitrag geht auf den in Hamburg initiierten, von der Nordelbischen Kirche getragenen Religionsunterricht ein, der von vornherein interkulturell und interreligiös konzipiert ist und sich nicht allein an evangelische Schüler wendet (»Hamburger Modell«; hierzu Karl-Hermann Kästner, 301–315). Der Aufsatz lehnt diese Öffnung des evangelischen Religionsunterrichtes in teilweise ungewöhnlich scharfen Formulierungen ab, da sie sich mit Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht in Einklang bringen lasse. Sollten die Einwände zutreffen (was an dieser Stelle nicht zu erörtern ist), dann ergäbe sich freilich eine paradoxe Konsequenz: Die Verfassungsbestimmungen des Jahres 1949, die den Religionsunterricht stützen sollten, würden heutzutage dazu führen, Bemühungen um seine zeit-, kontext- und schülergemäße Fortentwicklung in die Defensive geraten zu lassen und ihn vor allem in säkularisierten oder kulturell heterogenen Großstadtregionen weiter zu marginalisieren. Davon abgesehen: Für die Debatten, die in der Bundesrepublik Deutschland zurzeit zum Religionsunterricht geführt werden, ist der Vergleich mit anderen europäischen Rechtsordnungen lehrreich. Einen allgemeinen Überblick gibt Christian Starck (483–499). Mehrere Artikel lenken die Aufmerksamkeit auf Österreich, wo der Religionsunterricht zu den »sensiblen Berührungspunkten zwischen Staat und Kirche« gehöre (Wilhelm Rees, 396). In manchen Punkten unterscheidet sich die österreichische Rechtslage von der deutschen (398; vgl. Richard Potz, 365). Österreich zeichnet sich insbesondere aber dadurch aus, dass man die islamische Religionsgemeinschaft schon 1912 staatlich anerkannte und den islamischen Religionsunterricht seit den 1980er Jahren zielstrebig ausbaut. In Deutschland wird dies erst jetzt ernsthaft diskutiert. Man sollte die Chance nutzen, die im Nachbarland hierzu gesammelten Erfahrungen aufzuarbeiten und kritisch auszuwerten. Problempunkte, die die Einführung und ggf. die Durchführung eines islamischen Religionsunterrichts erschweren, resultieren nicht nur daraus, dass sich die Binnenstrukturen des Islam mit denen der christlichen Kirchen kaum vergleichen lassen. Vielmehr stimmt es z.B. nachdenklich, dass in Österreich die Abmeldequote aus dem islamischen Religionsunterricht recht hoch ist und die binnenreligiösen Unterschiede zwischen Schiiten, Sunniten, Aleviten oder laizis­tisch geprägten Türken den Unterricht belasten (359.348). In anderer Hinsicht hat man in Deutschland im Übrigen vergleichsweise zügiger gehandelt als in Österreich, nämlich beim Ausbau eines Ethikunterrichtes. Hierin verhielt sich das südliche Nachbarland sehr zögernd (402). Der Sache nach sollte sicherlich nicht unterschätzt werden, welch hohe integrative Bedeutung dem Ethikunterricht in einer pluralistischen Gesellschaft zufällt.
Einige Hinweise mögen andeuten, dass das Sammelwerk weitere relevante Fragen aufarbeitet. Im Schnittfeld von Theologie und Rechtswissenschaft ist die Frage angesiedelt, ob Glaubenssätze sich verrechtlichen lassen und ob die Nichterfüllung von »Glaubenspflichten« oder des »Glaubensgehorsams« kirchenrechtlich sanktionierbar ist. In der katholischen Kirche hat die Verrechtlichung des Glaubens sogar noch zugenommen. Der diesbezügliche Aufsatz (Dietrich Pirson, »›Firmiter credentum est‹. Gibt es eine Rechtspflicht zum Glauben?«, 111–119) spricht einige der theologischen, ethischen und rechtlichen Probleme an, die hieraus resultieren. Die Festschrift enthält Beiträge zur Kultur-, Philosophie- und Rechtsgeschichte, z.B. zum Passauer Vertrag von 1552, der dem Augsburger Religionsfrieden vorausging – ein früher Beleg für die neuzeitliche Einsicht, dass anstelle der Religion die staatliche Rechtsordnung die Basis für eine befriedete Gesellschaft darstellt (Helmut Neuhaus, 751–765). Sie geht auf aktuelle Rechtsprobleme ein, etwa auf Deutungsprobleme des öffentlich-rechtlichen Status von Kirchen (Hermann Weber, 511–527), und auf innerkirchliches Recht, konkret auf das Arbeitsrecht in der katholischen Kirche. Dieses wird von Reinhard Richardi (143–158) zwar nicht kritisch kommentiert, aber informativ dargestellt. Insgesamt bietet die Festschrift in vielfacher Hinsicht Anregungen und Denkanstöße.