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Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

89-91

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wengert, Timothy J.

Titel/Untertitel:

Priesthood, Pastors, Bishops. Public Mi­n­istry for the Reformation and Today.

Verlag:

Minneapolis: Fortress Press 2008. IX, 141 S. 8°. Kart. US$ 16,00. ISBN 978-0-8006-6313-1.

Rezensent:

Sabine Hermisson

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Jones, Ian, Thorpe, Kirsty, and Janet Wootton [Eds.]: Women and Ordination in the Christian Churches. International Perspectives. London-New York: T & T Clark (Continuum) 2008. XIII, 242 S. gr.8° = T & T Clark Theology. Geb. £ 70,00. ISBN 978-0-567-03154-9.


Das allgemeine Priestertum aller Gläubigen ist ebenso ein Gemeinplatz lutherischer Theologie, wie die Ordination von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Jedoch stellen die beiden hier vorliegenden Untersuchungen diese Selbstverständlichkeiten in Frage oder rücken sie in ein neues Licht. So stellt Timothy J. Wengert seine Auseinandersetzung mit dem Priestertum aller Gläubigen unter die Überschrift »The Priest­hood of All Believers and Other Pious Myths«. Wengert ist Professor für History of Christianity am Lutheran Theological Seminary in Philadelphia (USA). Im Zentrum seines Forschungsinteresses stehen die Reformationsgeschichte und vor allem die lutherischen Bekenntnisse. In den vergangenen Jahren hat Wengert eine englische Übersetzung des Konkordienbuches mitherausgegeben und Arbeiten über Melanchthon vorgelegt ( Human Freedom, Christian Righteousness und Law and Gospel).
Der Band widmet sich nun dem lutherischen Amtsverständnis. Er ist aus einer Reihe von Vorträgen Wengerts hervorgegangen. Den Kapiteln 1 bis 3 zum Priestertum aller Gläubigen und zum Predigtamt liegen Vorträge auf Anfrage von kirchlichen Gremien in den USA, den Kapiteln 4 und 5 zum Bischofsamt Beiträge auf Anfrage des Instituts für Ökumenische Forschung in Straßburg zugrunde. Der jeweilige ursprüngliche Adressatenkreis bestimmt auch den Charakter der einzelnen Kapitel des Buches. Es ist Wengerts erklärtes Ziel, einige der wichtigsten Quellen zur Frage des Amtes aus der Anfangszeit der lutherischen Bewegung (1520–1545) neu zu erschließen und für die heutige Debatte fruchtbar zu machen. Dabei grenzt er sich deutlich von der in amerikanisch-lutherischen Gemeinden vorherrschenden Amtsauffassung ab und führt gegen diese seine Interpretation der reformatorischen Quellen ins Feld. Somit ergibt sich aus seiner Untersuchung indirekt auch ein aufschlussreiches Bild der gegenwärtigen Diskussion innerhalb der Evangelical Lutheran Church in America.
In den Kapiteln 1 und 2 richtet sich Wengerts Hauptpunkt ge­gen die Ableitung des Amtes aus dem Priestertum aller Gläubigen. Diese Ableitung laufe den Intentionen der Reformatoren zuwider. Grundlage für Wengerts Position ist eine Begriffsuntersuchung von Luthers Schriften, die ihn zu dem Ergebnis führt, dass der Ausdruck »das allgemeine Priestertum aller Gläubigen« und – so impliziert Wengert – auch die damit üblicherweise bezeichnete Vorstellung in Luthers Schriften nicht vorkommt. Er legt dar, dass diese Konstruktion erst in Speners Pia desideria anfänglich entwickelt und schließlich ab dem 19. Jh. in Luthers Schriften hineingelesen wurde. Dagegen betont Wengert den göttlichen Auftrag des Amtes und die Bedeutung der Ordination durch den Bischof.
In Kapitel 3 beschreibt Wengert die Endzeitperspektive der Reformatoren als Grund für das nur in Grundzügen ausgearbeitete Amtsverständnis. Die Kapitel 4 und 5 widmen sich der Rolle der Bischöfe. Dabei grenzt sich Wengert von den Positionen in der deutschen und amerikanischen Forschung ab, die die Reichweite des Bischofsamts relativieren, und entwirft von einer detaillierten Quellenanalyse her eine weiterreichende Bedeutung des bischöflichen Amtes.
Im Kern scheint sich die Untersuchung gegen die Neigung in amerikanisch-lutherischen Gemeinden zu richten, aus der Vorstellung vom Priestertum aller Gläubigen unmittelbar das Recht eines jeden Gemeindegliedes abzuleiten, Amtshandlungen zu übernehmen. Was Wengert in der Sache ablehnt, ließe sich daher vielleicht treffender als das »Pfarramt aller Gläubigen« bezeichnen. In der Ablehnung dessen kann Wengert mit breitem Konsens rechnen, wenn auch vielleicht nicht durch jedes amerikanische Gemeindeglied. Dagegen überrascht in seiner Argumentation, dass er den Weg über die gänzliche Ablehnung des allgemeinen Priestertums wählt, bei seiner Auslegung von CA 5 die Unterscheidung zwischen Predigtamt und Pfarramt explizit zurückweist und der Verweis auf das rite vocatus aus CA 14 erst relativ spät erfolgt.
Trotz der teilweise ausführlichen Interpretation reformato­rischer Quellen ist der Band leicht lesbar und auch für nicht theo­logisch gebildete Interessierte gut verstehbar. Das geht freilich bisweilen auf Kosten der Auseinandersetzung mit der bestehenden Forschung zum Thema. Insbesondere die Untersuchungen zum Priestertum aller Gläubigen und zum Predigtamt hätten von einer fundierten kritischen Würdigung der sonstigen Forschung sicher profitiert.
Angesichts der Veröffentlichung des Bandes Women and Ordination in the Christian Churches könnte man aus protestantischer Sicht fragen, ob die Thematik der Ordination von Frauen heute tatsächlich noch einer ausführlichen Erörterung bedarf. Man muss diese Frage aber bejahen – wenn der Horizont so weit gesteckt ist wie in der vorliegenden Untersuchung. Sie enthält Beiträge aus protestantischer, anglikanischer, römisch-katholischer und orthodoxer Perspektive und nimmt ihren Untertitel International Perspectives ernst, indem sie Frauen nicht nur aus Europa und Nordamerika, sondern auch aus Australien, Afrika, Ozeanien und der Karibik zur Wort kommen lässt.
Hervorgegangen ist der Sammelband aus einer Konferenz unter dem gleichen Titel, zu der 2006 rund 70 Frauen und Männer aus mehr als einem Dutzend verschiedener Denominationen und aus sieben Ländern auf Einladung der Universität in Manchester zusammengekommen waren. Er enthält die Vorträge, die im Rahmen der Konferenz gehalten wurden, und organisiert diese thematisch lose in 1. Theologische Perspektiven, 2. Historische Perspek­tiven und 3. Soziologische Perspektiven. Die Verfasserinnen der einzelnen Beiträge (es sind ausschließlich Frauen) kommen zum Teil aus der kirchlichen Praxis, zum Teil aus der theologischen, religionswissenschaftlichen und soziologischen Wissenschaft.
Im Einzelnen enthalten die Beiträge grundsätzliche theologische Auseinandersetzungen etwa mit der Diskussion um die Ordination von Frauen in der römisch-katholischen oder der orthodoxen Kirche, aber auch eine Fülle von Einzeldarstellungen, vom Weg zur Frauenordination in der Anglikanischen Kirche in den USA bis hin zur Rolle von Frauen in der protestantischen Kirche in Französisch Polynesien.
Insgesamt bietet der Band eine Fülle an Material zum Thema, wobei für Leserinnen und Leser aus dem deutschsprachigen Raum sicher nicht allen Beiträgen in gleicher Weise Relevanz zukommt. Dennoch ist vieles aufschlussreich und von Interesse, auch über den jeweiligen nationalen oder konfessionellen Hintergrund hinaus: etwa die Beobachtungen dazu, wie sich der kulturelle Kontext und die Positionierung der jeweiligen Kirchen in oder gegen diesen Kontext auf die Diskussion der Frauenordination ausgewirkt haben, oder die Auseinandersetzung mit dem ambivalenten Erbe des Kolonialismus und der Mission und deren Auswirkung auf die Stellung und Rolle von Frauen. Ergänzt werden die Einzelbeiträge durch Vor- und Nachwort der Herausgeber, die in instruktiver Weise den Band in die Reihe sonstiger Veröffentlichungen zum Thema einordnen und die Ergebnisse der Einzelbeiträge bündeln.