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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1194 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Auer, Alfons

Titel/Untertitel:

Zur Theologie der Ethik. Das Weltethos im theologischen Diskurs

Verlag:

Fribourg: Universitätsverlag; Freiburg-Wien: Herder 1995. 303 S. gr.8° = Studien zur theologischen Ethik, 66. Kart. DM 66,­. ISBN 3-7278-1010-6 u. 3-451-23881-0

Rezensent:

Götz Planer-Friedrich

Der Begriff "Weltethos" im Untertitel könnte Leser auf eine falsche Fährte setzen. Bis 1981 lehrte Alfons Auer an der Universität Tübingen theologische Ethik. Da liegt es nahe, eine Verbindung zu seinem langjährigen Fakultätskollegen Hans Küng herzustellen, dessen Projekt "Weltethos" auf einen breiten Konsens der Religionen und Kulturen über grundlegende Maßstäbe des Ethischen, eine Art ethische Weltkultur, hinausläuft.

Bei Alfons Auer hat die Wortverbindung von Welt und Ethik eine andere Ausrichtung. Das Weltethos ist für ihn ein "Ethos der Sachlichkeit". In der Betonung des geschichtlich Gewachsenen an der Ethik und der "Eigenwertigkeit" der Schöpfung sieht Auer keinen Widerspruch zur kirchlichen Lehre. Immer wieder ist er bemüht, gerade an den Texten des 2. Vatikanums nachzuweisen, daß die katholische Moraltheologie der geschichtlichen Entwicklung des Menschen und der Zunahme seiner Erkenntnisse und Erfahrungen viel Raum gibt. Auch die mit Zitaten belegte Berufung auf Thomas von Aquin weist ihn als aufrichtigen Lehrer seiner Kirche aus.

Dennoch entfernt er sich im Laufe der Zeit von einer immer rigider erscheinenden kirchlichen Lehrautorität "in rebus morum". Die Aufsätze zur theologischen Grundlegung der Ethik, die Dietmar Mieth und Adrian Holdegger ihrem Lehrer zum 80. Geburtstag zusammengestellt haben, stammen aus einem Zeitraum von 25 Jahren. Während der zweite Aufsatz zu "Humanum Vitae" noch um eine einvernehmliche Auslegung ringt, deutet sich doch dort bereits an, wo Auer die Grenzen lehramtlicher Moralanweisungen sieht. "So wird das sittliche Bewußtsein auch der Christen sich künftig kaum mehr durch einbahnige Lehrentscheidungen, sondern dialogisch bilden müssen." (48). Damit sollte er Recht behalten. Im letzten der dokumentierten Aufsätze aus dem Jahr 1992 wird das "unitarisch-hierarchische Grundverständnis von Kirche und Welt" als "mittelalterlich" bezeichnet (297) und ­ wenn auch in Frageform ­ die Kompetenz des kirchlichen Lehramts in Sachen Ethik unmißverständlich in Zweifel gezogen.

Damit nähert sich der Autor einem Verständnis evangelischer Sozialethik, die nicht Moraltheologie, sondern theologische Vertiefung einer humanen Lebensgestaltung sein will. Insofern muß theologische Ethik grundsätzlich auch jenen vermittelbar bleiben, die keine kirchliche Bindung (mehr) haben.

Ungewollt, aber unvermeidlich geht diese Öffnung der theologischen Ethik gegenüber der "Welt" zu Lasten einer exklusiven katholischen Ekklesiologie. Ungewollt deshalb, weil Auer es als eine hermeneutische Aufgabe der Fundamentaltheologie versteht, ethische Positionen der (katholischen) Kirche für den "Zeitgeist" zu erschließen, nicht etwa, sie als unzutreffend zu kritisieren. Wo sich immer mehr katholische Theologen in ihrer Lehrfreiheit eingeschränkt fühlen, entdeckt Auer immer noch Freiräume, die der geschichtlichen Fortentwicklung einer christlichen Ethik im Einklang mit der Ekklesiologie eine Chance geben.

Auer nimmt das Freiheitsbewußtsein des modernen Menschen ernst, der sich nicht mehr damit abspeisen läßt, daß seine ethischen Entscheidungen ein für allemal von der "physiologisch-biologischen Struktur" vorgeprägt seien, wie es die päpstlichen Verlautbarungen gerade in der Sexualethik nahelegen. Man spürt, daß dieser Moraltheologe die Menschen liebt, wenn er sie ethisch berät und nicht verurteilt oder verachtet, weil sie hehren Ansprüchen metaphysisch hergeleiteter ethischer Forderungen nicht genügen. Das schlägt sich selbst in der Sprache nieder und macht die Beiträge des Buches bei aller wissenschaftlichen Akribie gut lesbar.

Kurzum: ein in vieler Hinsicht auch für den protestantischen Rezipienten sympathisches Buch. Ethische Diskurse, die sich argumentativ auf den Dialog mit dem Zeitgeist einlassen, damit ganz unprätentiös ökumenisch sind und gleichzeitig bewußt auf den Fundamenten einer ecclesia catholica gründen. Seinen Schülern wird es nicht leicht fallen, all das auch in Zukunft beisammen zu halten.