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Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

86-87

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Moltmann, Jürgen

Titel/Untertitel:

»Sein Name ist Gerechtigkeit«. Neue Beiträge zur christlichen Gotteslehre.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2008. 232 S. gr.8°. Kart. EUR 19,95. ISBN 978-3-579-08033-8.

Rezensent:

Reinhold Bernhardt

»Fortschreiten heißt immer, von neuem zu beginnen.« Diese Aussage stellte Jürgen Moltmann 1980 dem Band »Trinität und Reich Gottes. Zur Gotteslehre« voran, mit dem er die Reihe seiner »systematischen Beiträge zur Theologie« eröffnete. Seither hat er in diesen Publikationen zentrale Themen der Systematischen Theologie bearbeitet und ist dabei immer wieder zu den Grundfragen der Gotteslehre zurückgekehrt, um von dort aus neu zu beginnen.
Die in den »neue[n] Beiträge[n] zur christlichen Gotteslehre« zusammengestellten Aufsätze sind »in den letzten zehn Jahren im Bereich der Gesellschaft für Evangelische Theologie und der Zeitschrift Evangelische Theologie entstanden« (Vorwort). Sie kreisen um drei thematische Schwerpunkte, die dem Buch seine Struktur geben: um die Frage nach der Auferstehung Jesu Christi, nach dem Verständnis der Gerechtigkeit als grundlegender Wesensbestimmung, mehr noch: als Name Gottes, wie es der an Jer 23,6 angelehnte Titel des Buches besagt, und nach einer Theologie der Natur.
Zu Beginn (Teil I) nimmt M. eine historische und systematische Ortsbestimmung des Christentums vor, die den »Anfang der Wie­dergeburt der Kirche« (26) nach dem im Ersten Weltkrieg zusam­men­gebrochenen Kulturchristentum des 19. Jh.s skizziert, drei Paradigmen der Kirche – das theozentrisch-hierarchische, das chris­tozentrische und das charismatische – unterscheidet und für eine trinitarische Verbindung dieser Paradigmen in einer auf das Reich Gottes ausgerichteten Kirche plädiert. Die zukünftige Gestalt des Christentums liegt ihm zufolge in Gemeinschaften, die sich von der Gegenwart Gottes in der Schöpfung getragen wissen, sich um Christus als Personifizierung des schöpferischen Gotteswortes in der Welt (nicht nur in der Kirche) scharen und eine kosmische Spiritualität leben.
Der zweite Teil kreist um das Verständnis der Auferstehung Jesu Christi, die M. als Aufstand Gottes gegen die Ungerechtigkeit und Zerstörung der Schöpfung deutet. Er betont die Leiblichkeit der Auferstehung und die Identität des gekreuzigten mit dem verklärten Leib Jesu Christi. Darin liegt die Hoffnung auf Auferstehung für den individuellen Menschen in seiner Leiblichkeit begründet, in der die Identität der Person gewahrt bleibt. Sie ist eingeschlossen in die »Auferstehung des Lebens« (63), bei der das gesamte Gewebe des Lebendigen eine Neuschöpfung erfährt.
Im Zentrum des Bandes steht der dritte Teil, der aus vier Aufsätzen, einer Predigt und einer Meditation besteht. Immer wieder greift M. auf die rabbinische Schechina-Theologie zurück, die den Kristallisationspunkt seines theologischen Denkens darstellt. Er verbindet sie mit relationalen Denkfiguren und überbietet diese noch einmal durch den Perichorese-Gedanken. Sowohl die innertrinitarischen Beziehungen als auch die Beziehung zwischen den ›Naturen‹ in Jesus Christus als auch das Verhältnis von Schöpfung und Schöpfer wird be- oder besser umschrieben als gegenseitige Durchdringung von Aktinstanzen (Personen) und/oder als Bewohnen eines (Lebens-)Raums. Neben diesem ›weisheitlichen‹, an räumlicher Metaphorik orientierten Strang behauptet sich der ›prophetische‹, von Zeitvorstellungen geprägte Strang im Denken M.s, der in seinen Überlegungen zur Eschatologie und zur politischen Theologie maßgebend war und ist. In den Beiträgen besonders dieses dritten Teils kreuzen und überlagern sich beide Stränge immer wieder. So in M.s Kritik am Begriff »Monotheismus« im Sinne eines Monachianismus, dem er sein Plädoyer für einen »trinitarischen Monotheismus« gegenüberstellt, oder in seiner religionsgeschichtlich ansetzenden Überlegung zum Verständnis der Gerechtigkeit Gottes, die ihn zu einer Kritik der Vorstellung vom Gericht nach Werken führt. An ihre Stelle soll die »opferorientierte Erwartung rettender Gerechtigkeit« (125) treten.
Die beiden Beiträge des vierten Teils kreisen um die Beziehung zwischen Theologie und Naturwissenschaft. In beiden geht es um den Deuterahmen naturwissenschaftlicher Befunde, also um die Fragen nach dem naturphilosophischen und -hermeneutischen Paradigma, innerhalb dessen die Theoriebildung erfolgt. Ist es – im Blick auf die Darwinsche Evolutionstheorie – das Paradigma des »Kampfs ums Dasein« oder das der Kooperation in einem Beziehungsnetzwerk? Herrscht ein Reduktionismus vor, der vom ›Egoismus‹ der kleinsten Teile (etwa der Gene) ausgeht, oder ist die Vorstellung einer top-down-causation leitend, der zufolge die Ent­wick­lung komplexerer Lebensformen auf die Interaktion von Teilen, System und Systemumwelt zurückgeführt wird?
Im Anhang des Bandes sind Dissertationen über die Theologie M.s, Bibliographien, Festschriften und Diskussionsbände aufgelis­tet.
Die »neuen Beiträge zur christlichen Gotteslehre« bringen die Grundthemen der Theologie M.s in neuen Deklinationen zur Sprache. Früher gesponnene Fäden werden neu verwoben, akzentuiert und appliziert. Die Vorliebe für duale Denkmuster (wie »Geist des Lebens – Mächte des Todes«) ist geblieben und um weitere Anwendungen bereichert worden. Ich nenne nur die Gegenüberstellung des 19. Jh.s als »Zeitalter des Anfangs und des Fortschritts« und des 20. Jh.s als »Zeitalter der Vernichtungen und des Endes« (45) oder die Unterscheidung zwischen einer zur Gewalttätigkeit neigenden »utilitaristischen« und einer »natürlichen Hermeneutik der Natur« (174). Insgesamt gesehen bietet der Band ein Gebinde reifer Früchte der Theologie M.s; keine Summe, sondern einzelne »Beiträge«, in denen aber doch die Grundthemen seines Lebenswerks gebündelt zur Sprache kommen.