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Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

75-76

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Held, Klaus, u. Thomas Söding [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Phänomenologie und Theologie.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2009. 151 S. 8° = Quaestiones disputatae, 227. Kart. EUR 22,00. ISBN 978-3-451-02227-2.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Die (wenigen) Texte aus der Spätzeit von Edmund Husserl, die der Philosophie der Religion gewidmet sind, verdienen größere Aufmerksamkeit, als sie bislang erhalten haben (vgl. aber jetzt Lee-Chun Loo, Die Gottesauffassung in Husserls Phänomenologie, Frankfurt: Peter Lang 2008). Klaus Held nimmt sie zum Anlass, in einem ursprünglich in Wuppertal gehaltenen Vortrag über eine »Phänomenologische Begründung eines nachmetaphysischen Got­tesverständnisses« nachzudenken (9–27). Für die Möglichkeit und für die Notwendigkeit eines solchen nachmetaphysischen Gottesverständnisses führt er vor allem zwei Argumente an: Einerseits gebe es die allen Menschen eigene Erfahrung »eines unüberwindlichen Mangels an Vermöglichkeit«, also die »Erfahrung unserer menschlichen Ohnmacht« (11), andererseits das ebenfalls bei allen Menschen zu findende »Urvertrauen ... in die Möglichkeit von Einstimmigkeit ... des eigenen Handelns mit dem Handeln von Anderen und ... zwischen antizipierter und realisierter Zukunft« (15). Vermöglichkeitsmangel und Einstimmigkeitsstreben seien die phänomenologische Basis für ein philosophisches Gottesverständnis diesseits der Metaphysik.
Gegen diese These macht von katholischer Seite her Thomas Söding (Phänomenologie als Herausforderung der Theologie. Versuch einer Antwort vom Neuen Testament aus: 28–51) bei aller Zustimmung in den Grundlinien mit Recht geltend, Gott sei doch nicht »nur ein Nothelfer«, und es sei nicht »nur der Mangel«, sondern »auch die Fülle ..., die nach dem Göttlichen fragen lässt« (42 f.). Damit kommt das Thema der Gabe und des zufallenden Guten in den Blick, das László Tengelyi (An der Grenze von Phänomenologie und Theologie. Neuere Bestrebungen in Frankreich: 133–151) in Auseinandersetzung vor allem mit Jean-Luc Marion ausdrücklich aufgreift.
Man hätte sich gewünscht, dass diese Einsicht in das Widerfahrnis des Guten auch von protestantischer Seite als Einwand gegen die Mangelargumentation Helds gesehen worden wäre. Doch Claus-Dieter Osthövener (Weltvertrauen und Gottvertrauen. Theologische Bemerkungen zu dem humanen Phänomen des Vertrauens: 106–120) setzt dessen Rekurs auf den Mangel den Verweis auf die »Fähigkeiten des Menschen« zu vertrauen entgegen, von denen aus das Gottvertrauen als »ein symbolisch überhöhter Gedanke« entwickelt werde; und obwohl er richtig sieht, dass Luther »die religiöse Eigenart« des Gottvertrauens »strikt von jedem innerweltlichen Vertrauen unterschieden hat«, meint er, das in neuprotestantischer Zuversicht »nicht so strikt nehmen [zu] müssen« (118 f.). Vertrauen in Menschen und Vertrauen in Gott seien strukturell dasselbe und nur dadurch unterschieden, »dass Gott als ein Wesen gedacht wird, das dieses Vertrauen niemals, seinem Wesen nach, enttäuschen kann« (119). Damit wird genau die Idealisierung vollzogen, der die Kritik von Husserl und Held gilt (25 f.). Kohärenter und theologisch wei­terführender sind da die Überlegungen von Johannes von Lüp­cke (Gott in seinem Wort wahrnehmen: 74–105), der im Rückgang auf Luther und Anselm von Canterbury das nachmetaphysische Got­tesverständnis in der evangelischen Theologie vom Gedanken der Selbstgebung her zu entfalten sucht: »Gotteserkenntnis ist für Lu­ther gebunden an das Wort, in dem sich Gott selbst gibt« (101). Denn: »Was Gott ist, erschließt sich nicht in der Verlängerung geschöpflicher Eigenschaften und Kräfte als deren höchste Steigerungsstufe« (95), und – so ist man versucht hinzuzufügen – gewiss auch nicht als idealisierende Überhöhung menschlicher Fähigkeiten.
Die Gegenlinie zu Helds Berufung auf Husserl macht Michael Böhnke (»Wege zu Gott ohne Gott«?; 52–73) im Rekurs auf die unterschiedlichen Phänomenologien der Gotteserfahrung bei Klaus Hemmerle und Paul Ricœur stark. Während der protestantische Philosoph Ricœur in der Außenperspektive verharre, betone der katholische Theologe Hemmerle methodologisch die Innenperspektive und mache so »aus der methodischen Anweisung Husserl [sic!] ›Zu den Sachen!‹ eine Forderung zur Innenansicht« (70). Gefordert sei nicht nur eine »Hermeneutik biblischer Texte« (72), die »an die Stelle des transzendentalen Subjekts die semantische Autonomie des Textes« setzt (58), wie bei Ricœur, sondern eine »Phänomenologie des religiösen Vollzugs ..., der ein theoretisches, ein ästhetisches und ein ethisches Moment umfasst« (68), wie Hemmerle es anstrebt. Peter Tawney (Wie Gott vertrauen?; 121–132) schließlich geht ausdrücklich auf Heidegger zurück und stellt heraus, dass dessen (frühe) Phänomenologie des »Bruchs«, der »Abkehr von der Welt« und der »Zukehr zu einem Glauben« (126), in ganz anderer Weise als Husserl und Held nicht auf Kontinuität, sondern auf Diskontinuität und Differenz setze. Das damit in den Blick gerückte Widerfahrnis eines radikalen Orientierungswechsels nötigt von einer Passivität zu sprechen, die sich nicht auf eine Rezeptivität oder Fähigkeit der Vernunft reduzieren lässt: Der »›Bruch‹ entzieht sich der ›Begründung‹. Er geschieht, oder er geschieht nicht.« (127) Ebendas wäre theologisch im Anschluss an Heideggers Bruch-Phänomenologie zu denken, aber dazu stößt keiner der hier vorgelegten Beiträge vor.
Der (leider schlecht lektorierte) Band bietet einen guten Einblick in die Probleme, die im Gespräch zwischen Phänomenologie und Theologie zur Debatte stehen. Dabei wird besonders deutlich, wie unterschiedlich diese Fragen im Anschluss an Husserl oder an Heidegger zu diskutieren sind. Dass diese Diskussion vorwiegend in der katholischen Theologie geführt wird, zeigt sich an den beiden protestantischen Beiträgen, die wie erratische Blöcke nebeneinander stehen, ohne dass auf sie in anderen Beiträgen Bezug genommen würde. Noch mehr verwundert freilich, wie identische Textpassagen von verschiedenen Autoren (Böhnke, 56, und Tengelyi, 134 f.) formuliert werden können. Der Geist der Gemeinsamkeit scheint hier unvergleichlich stärker zu sein als auf Seiten der protestantischen Kollegen.