Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

70-72

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Feiner, Shmuel

Titel/Untertitel:

Moses Mendelssohn. Ein jüdischer Denker in der Zeit der Aufklärung. Eine Biografie. Aus d. Hebräischen v. I. Yassur.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur) 2009. 222 S. m. 20 Abb. gr. 8°. Lw. EUR 24,90. ISBN 978-3-525-35097-3.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Mendelssohns Lebensgeschichte als die eines berühmten Berliner Juden zu verstehen, seinen Aufstieg zu einem der bekanntesten und bedeutendsten Philosophen der Aufklärungszeit und seinen Weg durch alle Anfeindungen seiner Zeitgenossen hindurch aufgrund seiner jüdischen Identität zu beschreiben, darum geht es dem israelischen Historiker Shmuel Feiner in seiner ursprünglich in hebräischer Sprache veröffentlichten Biographie. Im Gegensatz zu der umfangreicheren zeitnah erschienenen Monographie zu Mendelssohn von Dominique Bourel (2007) liegt der Schwerpunkt hier weniger auf der präzisen Beschreibung der philosophischen Entwicklung als auf der Biographie des Philosophen im historisch-politischen und sozialen Umfeld, wobei gelegentlich auch aufschlussreiche, nahezu anekdotenhafte Details das Dargestellte anschaulich machen und für eine bisweilen recht unterhaltsame Lektüre sorgen.
So beginnt F. das erste Kapitel, »Spaziergang unter den Linden«, mit einer von Mendelssohn selbst überlieferten Anekdote. 1780 wurde der bereits sehr berühmte Philosoph bei einem Abendspaziergang von Straßenjungen unter Steinwürfen beschimpft, beantwortete seinerseits den Ruf »Juden, Juden« mit »Menschen, Menschen«! Damit stimmt F. auf eine Grundspannung innerhalb der danach entfalteten Biographie ein, eine Spannung zwischen Anerkennung und Bewunderung des großen Denkers und Kränkung und Beleidigung. Beides sollte Mendelssohn ein Leben lang und darüber hinaus begleiten. Es entsteht der »Mythos Mendelssohn«, dem F. bereits im ersten Kapitel, ausgehend vom Begräbnis des Philosophen, nachgeht, hier entwickelnd, dass Mendelssohn als gesetzestreuer Jude Anerkennung als Aufklärer unter Aufklärern, als Philosoph unter Philosophen gesucht hat und dass seine Sti­lisierung als Vorkämpfer der Emanzipation sowohl von seinen Bewunderern als auch von seinen konservativen, ihn dämonisierenden Glaubensgenossen mitunter überzogen wird, ohne indes seine Bedeutung als herausragende Persönlichkeit für das moderne Judentum zu schmälern. Der zweite biographische Ab­schnitt »Von Dessau nach Berlin« zeigt vor allem Mendelssohns entscheidende Wende von der traditionellen rabbinischen hin zur philosophischen, den eigenen Kulturkreis überschreitenden Bildung. 1761 verweigerte Jonathan Eybeschütz Mendelssohn als einem Philosophen, der sich in der Literaturszene der nichtjüdischen Gelehrten in deutscher Sprache zu Wort gemeldet hatte, die rabbinische Approbation. Dabei genoss der Philosoph seit den Dessauer Jahren zunächst durchaus die traditionelle religiöse Ausbildung, deren Gegenstand vor allem der Talmud war. Aber neben seinem rabbinischen Lehrer David Fränkel, der bereits die Schriften des Maimonides in das religiöse Studium einbezog, waren weitere Begegnungen dafür verantwortlich, dass der junge Mendelssohn »aus einer in sich geschlossenen und exklusiven jüdischen Geisteswelt hin­über in die säkulare Welt der europäischen Kultur und Philosophie« wechselte.
Diesen »Kulturwechsel« beschreibt F. im folgenden Kapitel eingehender, wobei er auch auf die dem jeweiligen Lebensabschnitt entsprechenden Werke Mendelssohns eingeht. So beschreibt dieses Kapitel auch sein Hineinwachsen in die Gesellschaft der Aufklärer und Gelehrten. Dabei zeigt F. zudem, dass bereits bei der Veröffentlichung der ersten Zeitschrift »Kohelet Musar« (Prediger der Moral) aufgrund allein der modernen Art des Kommunikationsmittels der Konflikt mit der rabbinischen Elite vorgeprägt war. Mit dem Siebenjährigen Krieg, der Freundschaft mit Lessing, Mendelssohns Heirat und wiederum Ruhm und Enttäuschung beschäftigt sich das vierte Kapitel. Dabei arbeitet F. besonders eingehend das Verhältnis zu Fromet Gugenheim, Mendelssohns mit der traditionellen Form der Heiratsvermittlung brechende unabhängige, »der Stimme des Herzens« folgende Partnerwahl heraus. Man gewinnt sowohl einen Einblick in das Familienleben als auch in den Zu­sammenhang zwischen biographischen Ereignissen und philosophischen Entwicklungen, so zwischen dem Tod der ersten Tochter und dem »Phaedon«. Auch die Lavateraffäre als eines der dunkels­ten Kapitel in der Biographie des Philosophen wird im Sinne der erwähnten Spannung zwischen Anerkennung und Demütigung ausführlich ausgeleuchtet. Der Leser erlebt einen zornigen Mendelssohn, dessen Gemütsverfassung auch immer wieder durch Briefzitate belegt wird. Die Verweigerung der Bestätigung der Aufnahme in die königliche Akademie durch Friedrich II. bei gleichzeitigem Empfang durch einen sächsischen Minister gehört zu den Einzelheiten, mit denen F. seine Darstellung Mendelssohns als einer zerrissenen Persönlichkeit belegt. Besonders interessant ist die ausführliche Darstellung des »Begräbnisstreits« von 1772. Aufgrund medizinischer Erkenntnisse verfügte Herzog Friedrich von Mecklenburg-Schwerin eine dreitägige Aufbahrungsfrist für Verstorbene und machte damit die Einhaltung halachischer Vorschriften unmöglich. Während die meisten Biographien nur Mendelssohns moderne Position im Gegensatz zu den konservativen Rabbinern nennen, beschreibt F. ausführlich seine vermittelnde Position: Von seinen Glaubensgenossen als Autorität um Fürsprache gebeten, schreibt er einerseits in deren Sinne an den Herzog, empfiehlt andererseits die Anlage eines unterirdischen Gewölbes, in dem die Toten drei Tage vor der endgültigen Bestattung zu lagern seien, damit werde man beiden Seiten gerecht.
»Jerusalem« als bedeutendster Schrift und den letzten beiden Jahren des Philosophen mit der dramatischen Entstehungsgeschichte der »Morgenstunden« in der Auseinandersetzung mit Friedrich Heinrich Jacobi um Spinoza und dem Versuch, die Ehre seines 1781 verstorbenen Freundes Lessing zu retten, bilden den Abschluss des lesenswerten, mit 20 guten Abbildungen ausgestatteten Bandes. Allein die Angaben in den Anmerkungen und die Bibliographie könnten etwas komfortabler sein.