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Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

56-58

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Leppin, Volker

Titel/Untertitel:

Theologie im Mittelalter.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 184 S. gr.8° = Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen, I/11. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02516-9.

Rezensent:

Peter Walter

Die Zeiten, in denen das Mittelalter mit Ausnahme einiger »Vorreformatoren« evangelischen Theologen als negative Folie zur umso heller leuchtenden Darstellung der Reformation diente oder sie diese Epoche ihren katholischen Kollegen überließen, sind vorbei. Der Vf. des vorliegenden Werkes hält es gleichwohl für angebracht, in der Einleitung einiges Grundsätzliche über die Bedeutung der Theologie des Mittelalters für die evangelische Theologie bzw. über deren spezifischen Zugang zu Ersterer vorauszuschicken. Da der mittelalterlichen Theologie für die evangelische Theologie kein normativer Charakter zukommen könne, nähere sich diese jener primär historisch-deskriptiv.
Der vom Vf. damit angedeutete Unterschied zwischen einer eher evangelischen und einer eher katholischen Annäherung an die Theologie des Mittelalters – dort mehr historisch-deskriptiv, hier mehr systematisch-theologisch-normativ – erscheint mir als ka­tholischem Theologiehistoriker nicht unproblematisch, da jede Be­schäftigung mit einer vergangenen Epoche den historischen Abstand sowie die Fremdheit der damaligen Welt für uns heute berücksichtigen muss und den historischen Graben nicht einfach überspringen kann und darf. Das Körnchen Wahrheit allerdings sehe ich darin, dass die katholische Theologie, auch wenn sie die häufig naive Hochschätzung alles Mittelalterlichen in manchen kirchlichen Kreisen nicht teilt, bei aller Wahrnehmung historischer Diskontinuität doch stärker nach Kontinuität in Kirche und Theologie fragt als ihre evangelische Schwester, welche die Kontinuität primär im immer wieder neu möglichen und aufgegebenen Rückbezug auf das Zeugnis der Schrift gewährleistet sieht. Evangelische wie katholische Theologiegeschichtsforschung und -schreibung können sich treffen, wenn die eine wie die andere »nicht prinzipiell ausschließt, dass auch jenseits des eigenen Denkhorizontes der Gegenwart etwas richtig und angemessen gedacht wurde« (34). Die Beschäftigung mit dem Mittelalter kann dann die eigene Position relativieren und korrigieren, ganz so, wie es das unvoreingenommene ökumenische Gespräch vermag, mit dem als einem synchronen Geschehen der Vf. die diachrone Beschäftigung mit der Theologie vergangener Epochen vergleicht (ebd.). Die Theologie hat noch einen weiteren Grund, sich mit dem Mittelalter zu be­schäftigen – ist sie doch in dieser Epoche durch die Verbindung mit der Universität zu dem geworden, was bis heute ihre Gestalt be­stimmt zu einer Universitätswissenschaft, die zwar auf eigenen Voraussetzungen ruht, aber hinsichtlich der methodischen Strenge mit den anderen Wissenschaften wetteifern muss.
Das vorliegende Werk bietet denn auch die mittelalterliche Theologie nicht nach systematisch-theologischen Gesichtspunkten dar, sondern durchgängig orientiert an den Institutionen, an denen jene vom Früh- bis zum Spätmittelalter betrieben wurde, nämlich an von Bischöfen, Klöstern und Höfen unterhaltenen Schulen, ab dem Hochmittelalter vor allem an den neu errichteten Universitäten, und fragt nach den Auswirkungen auf die in diesen unterschiedlichen Kontexten gelehrte Theologie. Im Spätmittelalter kommt das neu erwachte Interesse an theologischen Fragen beim städtischen Publikum und bei politisch Verantwortlichen hinzu. So entsteht ein Gesamtbild, das die Veränderungen in Fragestellungen und Methoden im Verlauf einer tausendjährigen Epoche plausibel machen kann.
Das Werk ist durchweg gut lesbar geschrieben. Es verdient auch her­vorgehoben zu werden, dass signifikante, im fortlaufenden Text in deutscher Übersetzung wiedergegebene Quellenzitate in den Anmerkungen in der Originalsprache geboten werden. So bekommen die Studierenden, für die dieses Lehrbuch in erster Linie bestimmt ist, eine Vorstellung vom mittelalterlichen Latein bzw. im Falle des Dionysius Areopagita vom spätantiken Griechisch und lassen sich möglicherweise dazu animieren, solche Texte einmal in Gänze zu lesen.
Schade ist, dass die Quellensammlung »Fontes Christiani«, die neben patristischen auch zahlreiche mittelalterliche Texte in zweisprachigen Ausgaben bietet und mittlerweile in der 3. Reihe fortgesetzt wird, unter den »Quellensammlungen (und Übersetzungen)« (13) fehlt. Allerdings werden einzelne Bände wie der Römerbriefkommentar Abaelards unter den »Quellenangaben zu den wich­tigs­ten einzelnen Autoren« (13–15) aufgeführt.
In dieser Rubrik vermisse ich jedoch Autoren wie Boethius und Dionysius Areopagita, welche die mittelalterliche Theologie geprägt haben wie sonst nur noch die Bibel und Aristoteles und deren Werke in zuverlässigen Editionen nebst deutschen Übersetzungen vorliegen. In der Darstellung selbst werden die beiden natürlich angemessen berücksichtigt. Dagegen fehlen hier so interessante Gestalten wie Hildegard von Bingen (die die Zahl der wenigen in diesem Werk erwähnten Frauen vermehrt hätte), Richard von St. Viktor oder Raimundus Lullus. Alle drei waren Jacobus Faber Stapulensis, dem Zeitgenossen Luthers, so wichtig, dass er ihre Schriften edierte. Ein Werk wie das vorliegende, das durch die engen Raumvorgaben der Reihe bestimmt ist, muss jedoch auswählen, und es wäre ungerecht, von ihm die Vollständigkeit eines Lexikons zu erwarten, die der offene Titel »Theologie im Mittelalter« ja auch keineswegs suggeriert. Der Wert der Darstellung liegt gerade darin, dass hier in ebenso konziser wie differenzierter Weise Einblick gewährt wird in eine hoch spannende Welt, wie ihn nur ein Meister seines Faches geben kann. Eine Fülle von Literatur lädt zum Weiterarbeiten ein. Meines Erachtens wäre es hilfreicher, wenn die Literaturhinweise da geboten würden, wo die Probleme behandelt werden, und nicht zusammengefasst zu Beginn des Bandes (16–30) und wenn dieser auch durch ein Sach- und nicht nur durch ein Personenregister erschlossen wäre. Aber das sind Verbesserungsvorschläge für ein überaus empfehlenswertes Werk.