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Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

45-47

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bauer, Thomas Johann

Titel/Untertitel:

Das tausendjährige Messiasreich der Johannesoffenbarung. Eine literarkritische Studie zu Offb 19,11–21,8.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2007. XI, 442 S. gr. 8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 148. Lw. EUR 98,00. ISBN 978-3-11-019550-7.

Rezensent:

Heinz Giesen

Wie ein Überblick über die Rezeptionsgeschichte der Millenniumsvision (I.) zeigt, war die Auslegung der Offb lange Zeit geprägt durch den zeitgeschichtlichen Hintergrund und dessen Wahrnehmung durch den jeweiligen Interpreten im Blick auf die Bedeutung für das Leben der Kirche und jedes Einzelnen. Dagegen ist die historisch-kritische Exegese bestrebt, die ursprüngliche Funktion und Bedeutung der Offb herauszuarbeiten. Im letzten Jh. trat die Frage nach dem historischen Hintergrund der Offb zugunsten der Frage ihrer bleibenden Aktualität zurück (II). Da es nach der Erkenntnis der Altertumswissenschaft unter Kaiser Domitian (81–96 n. Chr.) keine systematische Verfolgung gab, glaubt B. die Situation der Christen durch eine innergemeindliche Krise erklären zu können. In seiner Dissertation versucht er »die Funktion und Intention der Millenniumsvision sowohl (a) im Blick auf die Lebensbedingungen einer christlichen Minderheit innerhalb einer ihnen ablehnend begegnenden heidnischen Umwelt als auch (b) im Blick auf den inneren Zustand der Gemeinden zu bestimmen.« (44) Unvereinbare Spannungen und störende Wiederholungen, aber auch formal-stilistische und logisch-inhaltliche Kriterien machen nach B. Literarkritik notwendig (III.).
Die Millenniumsvision gilt zu Recht als Teil der »Sieben-Schalen-Vision« (15,1–22,9) (IV.). Nach B. bildet das Millennium den letzten Abschnitt der Geschichte zwischen der Parusie und dem Endgericht sowie der ihm folgenden Neuschöpfung. Offb 19,11–21,8 lasse allein die Forderung an die Gemeindemitglieder erkennen, sich angesichts einer tödlichen Bedrohung zu bewähren. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Offb sei vor allem in den Sendschreiben (Offb 1,9–3,22) sowie in der Funktion und der Bedeutung des Motivs des Zorns Gottes zu suchen. Der zweimalige Rückverweis auf Offb 13 (Motiv der Anbetung des Tiers und des Empfangs seines Prägemals und des Lügenpropheten [19,20; 20,4; vgl. auch 15,2–4]) liefere geradezu den Schlüssel für das Verständnis der Schlusskapitel der Offb.
B. weist die traditionelle Deutung des ersten Tiers auf den römischen Kaiser bzw. das römische Reich und des zweiten Tiers auf die kleinasiatische Priesterschaft des Kaiserkults zu Unrecht zurück. Richtig ist indes, dass das Tier den »Inbegriff der gottfeindlichen Weltmacht« darstellt, die sich immer wieder in der Geschichte materialisiert. Da der Verfasser auch das Heil der Neuschöpfung nur durch die Verweigerung von Kompromissen mit der paganen Umwelt samt ihrem Götzenkult für erreichbar hält, nehme er die Millenniumserwartung – wahrscheinlich aufgrund der Erwartung der Adressaten – auf und verbinde sie mit der ersten Auferstehung, der Fesselung des Drachen und dessen erneutem Loslassen. Die alleinige Teilnahme von Märtyrern am Millennium sei plausibel, da nach 13,15 alle treuen Christen getötet würden.
Die Millenniumsvision sei Bestandteil »einer vom Vf. programmatisch betriebenen Re-Apokalyptisierung der christlichen Zukunfts- und Heilserwartung in einer innerkirchlichen Kampfsituation« (289). Die kompromissbereiten Christen, gegen die sie sich wendet, könnten nicht als lax charakterisiert werden, da sie ihre Haltung theologisch-argumentativ durchdachten. Da es geradezu unmöglich war, sich im öffentlichen Leben vom paganen Kult fernzuhalten, begrenzt ein konsequentes monotheistisches Bekenntnis die sozialen Beziehungen notwendig auf die christliche Gemeinde. Deshalb sei davon auszugehen, dass die in paulinischer Tradition stehenden kleinasiatischen Gemeinden »von Anfang an keine vollständige Trennung vom alltäglichen Leben ihrer Polis kannten und praktizierten« (312). Ihnen standen Christen gegenüber, die jede Berührung mit dem paganen Kult zurückwiesen. Die Offb sei folglich eine innerkirchliche Kampfschrift, die kirchenpolitischen Interessen diene. Jeder christliche Lehrer, der auch nur eine formale Teilnahme am paganen Kult zulasse, gelte dem Verfasser als Lügenprophet (= zweites Tier). Um seiner Botschaft Erfolg zu verschaffen, sei er genötigt, »ein massives eschatologisches Drohszenario« aufzubauen (322). Der Anti-Enthusiasmus, Anti-Libertinismus und Antipaulinismus der Offb sei auf die Herkunft ihres Verfassers aus apokalyptischen Kreisen des palästinischen Judenchristentums zurückzuführen. Da er nicht zur Oberschicht gehört habe, hätte man ihn nicht nach Patmos verbannen können. Dazu passt die Annahme, er habe die Adressatengemeinden nicht ge­kannt und sein Name sei ein Pseudonym, wofür auch die Gattung Apokalypse spreche.
Abschließend fasst B. die Ergebnisse seiner Studie zusammen (V.): Das Millennium (20,4–6) liegt nach der Endschlacht (19,11–21) und der Fesselung des Drachen (20,1–3) und vor dessen erneuter Loslassung (20,7–10), dem Totengericht (20,11–15) und der Neuschöpfung (21,1–8). Die »tausend Jahre« liegen eindeutig in der Zukunft und können deshalb nicht die Zeit der Kirche meinen. Offb 20,4–6 verkünde ein zukünftiges, zeitlich begrenztes, irdisches Messiasreich, so dass allein die realistisch-endgeschichtliche Deutung textgemäß sei. Offb 19,11–21,8 drohe den Christen Kleinasiens den zweiten Tod an, wenn sie ihr Verhalten nicht ändern und sich radikal von jedem Kontakt mit dem paganen Kult lösen. Die Teilhabe am paganen Kult sei jedoch anders, als die Offb nahe lege, kein Abfall vom reinen Glauben, sondern nur ein Zugeständnis an den zunehmenden sozialen und politischen Druck so­wie Ausdruck des ererbten kulturellen Selbstbewusstseins gewesen, Teil der griechisch-hellenistischen Welt zu sein. »Die Johannesoffenbarung will ihre Leser/Hörer nicht mit dem irdischen Millennium trösten, sondern sie droht ihnen mit dem ›zweiten Tod‹ für den Fall, dass sie sich ihre Forderungen verschließen.« (395)
Die weithin neue Interpretation der Milleniumsszene fordert zu einigen kritischen Anmerkungen heraus. 1. Die zeitliche Einordnung des Millenniums zwischen Parusie und Neuschöpfung ist wenig wahrscheinlich, zumal für die Teilnahme am Millennium und an der Neuschöpfung dieselben Bedingungen gelten und die tausendjährige Herrschaft, an der nicht nur die Märtyrer, sondern alle treue Christen teilhaben, offenkundig kein Ende hat. Die Darstellung des Verfassers – Millennium und Neuschöpfung – entspricht den auch sonst zu beobachtenden Wiederholungen (vgl. vor allem die drei Plagenreihen). Er warnt auf diese Weise eindringlich davor, nicht dem Kaiser- und Götterkult zu verfallen. 2. Der zeitgeschichtliche Hintergrund wird zwar gut dargestellt, die Bedeutung des Kaiserkults jedoch unterbewertet. Nur so kann das zweite Tier einlinig auf die »Gegner« des Sehers gedeutet und die Offb als rein innergemeindliche Streitschrift charakterisiert werden. 3. Die Fehler in Syntax und Grammatik verdecken – wie B. einräumt – nicht den bewussten Gestaltungswillen des Verfassers. 4. Die Behauptung, seine Gegner wüssten sich durch die paulinische Tradition legitimiert, ist fragwürdig, da Paulus zwar den Genuss von Götzenopferfleisch erlaubt, aber keine Teilnahme an paganen kultischen Feiern (1Kor 10,14–25). Die Offb will keine Angst einflößen, sondern zum Glauben ermutigen, wie vor allem die Zusagen bereits gegenwärtigen Heils in der Briefeinleitung (1,4–6) und zu Beginn des apokalyptischen Hauptteils (5,9 f.), aber auch die sieben Makarismen unterstreichen.
Diese kritischen Bemerkungen sollen indes nicht verdunkeln, dass B. eine anregende Dissertation verfasst hat.