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Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

38-40

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Sjöberg, Mikael

Titel/Untertitel:

Wrestling with Textual Violence. The Jephthah Narrative in Antiquity and Modernity.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Phoenix Press 2006. X, 251 S. gr.8° = Bible in the Modern World, 4. Geb. EUR 75,00. ISBN 978-1-905048-14-4.

Rezensent:

Michaela Bauks

Mikael Sjöberg legt mit dieser Studie eine exegetische Untersuchung des gesamten Jephtazyklus’ (Ri 10,6–11,7) vor, die sich – in ihrer bevorzugt synchronen Anlage – gleichermaßen um das Spannungsfeld von »Bibel als Literatur, Bibel in Literatur und Bibel in Kultur« bemüht. Unter Hinzuziehung gängiger moderner literaturwissenschaftlicher Ansätze verfolgt er – aus methodischer Überzeugung – einen eigenen Zugang, demnach er die Erzählung als »male feminist« liest, um sie bezüglich der Frage von »male and female gender« zu untersuchen. S. belässt es nicht nur bei der Lektüre der biblischen Überlieferung, sondern berücksichtigt in komparatistischer Analyse fünf weitere, recht disparate Überlieferungen des Jephtastoffs: die aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten stammenden Versionen aus F. Josephus Ant. 5.255.270; Pseudo-Philo LAB 39–40; das gleichnamige Oratorium von G. F. Händel (1751) und zwei literarische Beispiele, die aus dem 20. Jh. stammen, E. L. Grant Watsons Novelle »A Mighty Man of Valour« (1939) und A. Oz’ Kurzgeschichte »Upon this Evil Earth« aus dem Band »Where the Jackals Howl« (1981).
Äußerst erhellend ist die strukturalistisch orientierte Textanalyse, die S. vorlegt, da sie der Komplexität der Darstellung der narrativ wie auch theologisch schwierigen Erzählung Rechnung trägt und durchaus behutsam die verschiedenen Erzählzüge erhellt. Innovative Einsichten kann man dem Ansatz, wenn auch die Rekonstruktion mitunter mühsam ist, nicht absprechen.
So sind die vier analytischen Kapitel ähnlich strukturiert. Kapitel 1 (24–71) widmet sich dem biblischen Jephtazyklus in Ri 10–12, Kapitel 2 den beiden frühjüdischen Traditionen in Ps-Philo LAB 39–40 und Jos. Ant. 5 (72–118), Kapitel 3 dem Händel-Oratorium (119–148) und Kapitel 4 der Novelle von Watson sowie der Kurzgeschichte von Oz (149–201).
Die vier Kapitel untersuchen in enger Anlehnung an das Modell von G. Genette die Kategorien story in ihrer Komposition und mit ihren Handlungsträgern und Abläufen, und time (Zeitachse) entsprechend ihrer Anordnung und des Rhythmus von story und narrative sowie der Frequenz von Ereignissen. Es folgt eine Untersuchung der Erzählerperspektive (mood), die drei Typen der focalization (zero, external, internal) unterscheidet, ergänzt um die voice des Erzählers, die als intradiegetisch, extradiegetisch oder homodiegetisch näher zu differenzieren ist. Als weiteres Untersuchungsfeld sind die verschiedenen Charaktere der Erzählung in den Blick genommen.
S. verfolgt bewusst einen anderen Zugang als den historisch-kritischen, an dem man ihn folglich auch nicht messen sollte, obwohl er selbst immer wieder knappe Verweise vor allem auf literarkritische Beobachtungen gibt (besonders 26–30). Er sieht die logische Kohärenz der Gesamterzählung in dem Motiv des Sieges über die Ammoniter begründet (27.202), während die Opferepisode und die Ephraimiterepisode einen doppelten Epilog bilden (28.202). Dass diese Beobachtung zwangsläufig zu literarkritischen Überlegungen führt, deutet S. leider nur an.
Ohne Auswertung bleibt ebenfalls die Feststellung, dass die Erzählung auf zwei Ereignisketten basiert: Unter Aufnahme des typisch deuteronomistischen Schemas (vgl. Ri 2,11–23) geht es 1. um den Konflikt JHWH-Israel; 2. um die Richterbiographie Jephtas, bestehend aus der Vertreibung durch die Brüder, den ammonitischen Angriff, Jephtas Gelübde, das ephraimitische Massaker – wobei beide Stränge zu dem Thema »Sieg des Richters« hinführen (27 f.). S. folgert (29): »The issue of the internal unity of the narra­tive is also connected to the issue of its relationship to the larger text, namely, the book of Judges or to Deuteronomistic corpus.« Gegen eine Reihe angeführter Vorbehalte kommt er zu dem Schluss, »that all elements can be fitted to­gether. Simultaneously, tensions and incoherencies abound. Some parts of the story, the prologue and the epilogues, might even be broken off and read as minimal, separate stories« (30).
Hier bleibt S. hinter den durch die gängigen exegetischen Kommentare vorgegebenen Standards zurück.
Das zentrale Interesse der Studie ist jedoch ein anderes: »the ethic of interpretation« (Kapitel 5; 202–224), wobei der Fokus vom eruierten Grundthema der biblischen Erzählung, dem Am­mo­niterkrieg, wegführt zum »Wrestling with textual violence«, dem Ringen um textliche Gewalt, wie sie paradigmatisch in der Opfer­erzählung entfaltet und in bemerkenswerter Weise in der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte variiert, um eine Reihe Motive gekürzt oder auch um neue erweitert worden ist. – So verzichtet z. B. Händels Oratorium auf das Opfer infolge himmlischer Intervention, die zur Entbindung Jephtas von seinem Gelübde und zur Weihe der Tochter als Kultdienerin führt.
S. reduziert den Zyklus auf vier Motive, die allen Versionen gemeinsam sind: 1. die Verhandlungen Jephtas mit den Gileaditern; 2. Jephtas Gelübde; 3. der Sieg über die Ammoniter; 4. das Aufeinandertreffen von Vater und Tochter (203); woraus er durchaus treffend schließt: »It appears that the main concern of the extra-biblical texts is not the story itself ..., but rather the subject’s experience of the story’s static conditions« (203).
Daraus resultiert für alle Versionen eine Tragik, die bereits den ursprünglichen Text charakterisiert und in der anhaltenden Spannung von »story« und »narrative« ihre besondere Ausdrucksform findet. Die Spannung der biblischen Erzählung, ob Jephta oder aber Gott die treibende Kraft ist, wird – abgesehen von Pseudo-Philo – eindeutig in den menschlichen Bereich verwiesen. Auch nimmt der Erzähler in den Folgetexten (hypertexts) eine weitaus prononciertere Position ein (207).
Das Opferthema wird deutlich ins Zentrum gerückt und gemäß fünf verschiedenen »Strategien« (man könnte auch sagen: möglichen Reaktionen) neu bewertet: 1. Verurteilung; 2. Identifikation; 3. Verherrlichung; 4. Verfremdung; 5. Zensur. Die ersten beiden Strategien werden durch explizite Erzählkommentare zum Ausdruck gebracht, 3. und 4. entsprechen der Charakterisierung der Figuren. Zensur (5.) geht einher mit Kohärenzkriterien und ist an den Erzähler rückgebunden. Anhand dieser Strategien diskutiert S. auch das Problem der Leserperspektive (»interpretative strategies«; 216 ff.), welche angesichts der Komplexität der Erzählung von besonderem Interesse ist und durch feministische Lektüreansätze ausführlich reflektiert worden ist. Im Sinne einer »ethic of biblical interpretation« bevorzugt S. aber eine »multidimensional exegesis«, die berücksichtigt, »that plurality could be conceived of as ›meaning-producing dimensions‹ in any given text« (mit Verweis auf D. Patte; 220).
Als ideologisch motivierte Eisegese ist m. E. seine Charakterisierung Jephtas zu beurteilen, wonach »the sacrifice has little to do with Jephthah’s profession as a warrior, but that it distances him from femininity« (52). Hier bleibt er hinter seinem eigenen An­spruch der »multidimensional exegesis« methodisch und inhaltlich zurück. Im Übrigen widersprechen dieser seiner Einschätzung die von ihm nicht weiter berücksichtigten traditions- und religionsgeschichtlichen, wie letztlich auch die antiken wirkungsgeschichtlichen Befunde (vgl. dazu demnächst M. Bauks, Jephta’s Tochter. Traditions-, religions- und rezeptionsgeschichtliche Studien zu Ri 11,29–40 [FAT], Tübingen).
Doch diese Kritik schmälert den Eindruck nicht, dass die vorgelegte Studie wegen ihres innovativen Ansatzes auch den historisch-kritisch verpflichteten Exegeten wichtige neue Einsichten für das Verständnis der Jephtageschichte vermittelt. Das Literaturverzeichnis und ein Bibelstellen- und Autorenregister beschließen das Buch.