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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1190 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Geißler, Hermann

Titel/Untertitel:

Gewissen und Wahrheit bei John Henry Kardinal Newman

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1995. 224 S. 8° = Theologie im Übergang, 12. Kart. DM 69,­. ISBN 3-631-48837-8.

Rezensent:

Jörg Splett

Nach einer Einführung in Werk und Thema (1) situiert G. das Gewissen zunächst (2) in den drei Status der Heilsgeschichte, um dann (3) einige seiner Aspekte herauszuheben: Es ist eine naturgegebene, zu entwickelnde Anlage mit den beiden Seiten "moral sense" und "sense of duty", darin von transzendent-personalem Charakter. Die Kern-Kapitel gelten dem Verhältnis von Gewissen und natürlicher (4) sowie (5) offenbarter Wahrheit. Zum ersten geht es um Gewissen und Vernunft (welche nach dem Fall nicht immer ihre Grenzen wahrt), um Gewissen als Prinzip der Ethik wie der Religion; zum zweiten um Fehlformen und Schwächen des Gewissens, darum seine Angewiesenheit auf Offenbarung und kirchliche Leitung ­ wobei selbstverständlich das Gewissen keine Kompetenz über Fragen der Lehre besitzt (171). Eigens mit dem Gewissensirrtum befaßt sich Kap. 6: Würde und Verbindlichkeit des unüberwindlich irrenden Gewissens, Wege zur Überwindung des Irrtums und des Reifens in der Wahrheit.

Die Haupttexte aus "Grammar" und Norfolk-Brief bereichert G. mit Zitaten aus dem Gesamtwerk seines Autors (häufig in den Fußnoten der Originaltext). Auf diese Weise wird der Leser so umfassend wie zuverlässig informiert. Hilfreich dafür ist auch die Zusammenfassungen nach jedem der (drei bis vier) Kapitel-Abschnitte.

Die Arbeit ist wünschenswert klar "römisch" (ein Newman-Wort bezüglich Ward, Manning... erhält sogar das Prädikat "etwas zynisch",159) ­ gegen einen antirömischen Affekt, der sich inzwischen des Newmanschen "Toasts" geradezu (statt reflektierend) reflexhaft bedient. An Reflexion und Differenzierung läßt andererseits leider auch G. zu wünschen übrig.

Ohne Gewicht bei einem Satz wie "Ethik ist für ihn identisch mit Moral" (88 ­ gemeint ist "Moraltheologie") oder zur Frage von Beweis und Aufweis hinsichtlich der Gewissens- als Gotteserfahrung. Nicht so bei der Kontraposition von "autonom" und "theonom": Leugnen denn Auer und Böckle unsere Theonomie (oder sehen sie wenigstens von ihr ab)? Einmal (108) zitiert G. sogar den "Autonomie"-Text Röm 2,14 f., doch nur deutsch und ohne Gedankenanstoß für unsere Frage. Oder bezüglich Wahrheit (man liest förmlich das "sapit Kantianismum" des neuscholastischen Kodex dahinter): Sie bedeute (73) "die Wirklichkeit, wie sie ist"? Selbst für die veritas ontica müßte es heißen: "insofern erkennbar/erkannt". Problemnäher aber (veritas logica): "Erkenntnis/Behauptung, die der Wirklichkeit, wie sie ist, entspricht." So aber wäre ein "realistischer" Objektivismus schon überstiegen ­ ins Relationale (statt eines Abfalls in Relativismus): Rezeptivität bedeutet mehr als Passivität (ohne daß man gleich Kreativität wittern müßte). Und davon hätte nicht erst eine ergänzende (202) anthropologisch-psychologische Studie zu handeln.

Damit hängt die eigentümlich schematische Verteilung von "intellektuellem" und "emotional-voluntativem" Element zusammen ­ obwohl einmal (65) vom "Herzen" die Rede ist als gehörte das Emotionale nur zu letzterem, und als ginge es beim moral sense sozusagen um das Beschriftetwerden einer tabula rasa (unmittelbar statt vermittelt), nicht um ein Sich-Ergreifen-Lassen von der Qualität des Guten. Hier wäre wohl auch die Unterscheidung von Prinzip und Normen hilfreich (samt der hier wie bei Newman fehlenden von syntheresis und conscientia). Modischen Liberalismen und Subjektivismen aber hätte man m. E. weniger mit Abgrenzungssorge als mit einem unverkürzten Person-Denken zu begegnen.

Eine Fortführung in dieser Richtung käme m. E. gerade dem Grundanliegen des Vf.s wie seiner Schrift zugute: dem Gewissens-Ja zu Gott und seiner Wahrheit in der Kirche.