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Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

21-23

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Die Heiligenkreuz-Bibel. Das Alte Testament neu übersetzt & kommentiert von Pater Augustinus Kurt Fenz.

Verlag:

Leipzig: St. Benno-Verlag 2008. 730 S. 8°. Geb. EUR 19,90. ISBN 978-3-7462-2628-6.

Rezensent:

Rolf Schäfer

Wie der Buchtitel und auch das auf dem Einband feierlich ins Bild gesetzte dunkle Chorgestühl im strengen romanischen Kirchenraum unmissverständlich zu erkennen geben, ist das anzuzeigende Werk in der altehrwürdigen österreichischen Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz entstanden. An der dortigen Philosophisch-Theologischen Hochschule – von Benedikt XVI. im Jahre 2007 zur Hochschule päpstlichen Rechts erhoben – lehrt F. seit 1963 bis auf den heutigen Tag das Fach Altes Testament und leitet gegenwärtig das Institut für Biblische Wissenschaften.
Die Bezeichnung des voluminösen Bandes als »Bibel« wird im Untertitel präzisiert als »Das Alte Testament neu übersetzt & kommentiert«. Dies weckt klare Erwartungen, die aber schon ein Blick auf die Inhaltsübersicht wieder dämpft. Hier fehlt nämlich einiges. Man vermisst zunächst die Psalmen, was vielleicht noch angehen mag, da diese ja schon 2007 unter dem Titel »Das große Buch der Psalmen« im selben Verlag separat erschienen sind. Es gibt aber weitere Lücken – Richter, Rut, Esra, Tobit, Judit, Ester, 1Makkabäer, Hohelied, Obadja, Nahum und Haggai –, und der knappe Hinweis »Auswahlbibel«, in der untersten rechten Ecke des Einbandes leicht zu übersehen, kommt nun in den Blick. Die ganze Tragweite dieses unscheinbaren Hinweises ist aber erst dem Vorwort zu entnehmen: Statt des auf dem Titelblatt versprochenen Alten Testaments (und sei es auch nur in Auswahl) hat man die »alttestamentlichen Lesungen der Sonn- und Feiertage der Lesejahre A B C« vor sich – keine kommentierte Bibel also, sondern ein kommentiertes Lektionar. Diesen Sachverhalt hätte der Rezensent gerne auch im Titel etwas klarer formuliert gesehen! An Bibeltext umfasst das Buch ein Florilegium von 166 alttestamentlichen Perikopen, laut Buchbeschreibung des Verlags die »Kerntexte des Alten Testaments«. Die Perikopen sind in biblischer Reihenfolge angeordnet (Zefanja allerdings erscheint ausnahmsweise vor Habakuk!) und jeweils mit einer Überschrift versehen, wie z. B. »Zehn Minimalforderungen« (Ex 20,1–17), »Aus Liebe erwählt« (Dtn 7,6–11) oder »Propheten­schick­sal« (Jer 20,1–13); diese Überschriften finden sich am Ende des Buches in einem zweiten, detaillierteren Inhaltsverzeichnis zu­sam­mengefasst, was eine gute und rasche inhaltliche Orientierung ermöglicht. Die Bibeltexte sind einspaltig halbfett gesetzt und mit dezenten Vers- und wenn nötig auch Kapitelziffern versehen. Der jeweils anschließende zweispaltig und mager gesetzte Kommentar hebt sich im Druckbild gut und übersichtlich vom Bibeltext ab.
Die Übersetzung der Bibeltexte erweist sich auf den ersten Blick als stilistisch uneinheitlich. Manche Perikopen wirken eher altertümlich und hebraisierend, andere hingegen deutlich moderner und sprachlich glatter. Bei näherem Hinsehen erkennt man rasch die Ursache dieses Phänomens: Es handelt sich nämlich genau genommen nicht um eine »Neuübersetzung«, wie auf dem hinteren Buchdeckel behauptet wird, sondern F. hat offensichtlich un­terschiedliche vorhandene Übersetzungen als Grundlage verwendet und diese anhand des hebräischen Textes bearbeitet. In den meisten Fällen griff er entweder auf die unrevidierte Fassung der Elberfelder Bibel oder auf die Einheitsübersetzung zurück, daher der starke stilistische Kontrast. Die Übersetzung der Perikopen aus Exodus stimmt in weiten Teilen mit der von Martin Noth in ATD 5 überein; überraschenderweise sind dabei z. B. in Ex 3,1–6 sogar die von Noth gesetzten Klammern stehen geblieben.
Die Übersetzungsvorlagen ändert F. an einzelnen Stellen so ab, dass sie dem hebräischen Text möglichst noch genauer entsprechen. Dazu entfernt er explizierende Elemente, ersetzt stellenweise freiere Wendungen durch wörtliche und entscheidet sich punktuell für eine andere Wortwahl. Außerdem wird das Tetragramm von ihm stets mit »Jahwe« wiedergegeben.
Dieses Verfahren lässt sich beispielsweise auf S. 683 am Text von Mi 5,1–4a gut verfolgen. Die Übersetzung von F. weicht vom Wortlaut der Einheitsübersetzung in folgenden vier Punkten ab: 1.) In V. 1 verwendet er statt »Gaue« den Begriff »Sippschaften«. 2.) Der Anfang von V. 2 lautet in der Einheitsübersetzung: »Darum gibt der Herr sie preis, bis die Gebärende einen Sohn geboren hat.« Das Subjekt »Herr« und das Objekt »einen Sohn« sind in der Einheitsübersetzung explizierend eingefügt und kommen deshalb in der Fassung von F. nicht vor, wohingegen er das einfache »bis« entsprechend der hebräischen Ausdrucksweise erweitert: »Darum gibt er sie preis bis zu der Zeit, bis die Gebärende geboren hat.« 3.) In V. 3 wird das stilistisch glattere »in der Kraft des Herrn, im hohen Namen Jahwes« bei F. zu »in der Kraft Jahwes, im erhabenen Namen Jahwes«. 4.) Ebenfalls in V. 3 wählt F. schließlich anstelle der freien Formulierung »Sie werden in Sicherheit leben« den Hebraismus »Sie werden wohnen«.
Ein weiteres markantes Beispiel ist Gen 21,2: Selbst den Wortlaut der unrevidierten Elberfelder Bibel (»Und Sara wurde schwanger und gebar dem Abraham einen Sohn ...«) stellt F. an dieser Stelle nochmals um, so dass die neue Fassung zwar nicht mehr der deutschen Syntax, dafür aber exakt der hebräischen Wortfolge entspricht: »Und schwanger wurde und gebar Sara dem Abraham einen Sohn ...«.
Welchen Gewinn der Leser von einer solchen Bearbeitung hat, bleibt allerdings dahingestellt.
Im Kommentar ist in aller Regel jedem Vers des Perikopentextes ein eigener, mit neuer Zwischenüberschrift versehener Abschnitt gewidmet. F. schöpft dabei offenbar aus einem reichen Schatz von Kenntnissen und Erfahrung, den er als Exeget und als Prediger in jahrzehntelangem Umgang mit diesen Perikopentexten gesammelt hat. Seine Erläuterungen bewegen sich durchaus auf verschiedenen Ebenen. Wo immer es ihm geboten scheint, beleuchtet er den geschichtlichen Hintergrund und die alttestamentliche Lebenswelt. Auf literargeschichtliche Erkenntnisse kommt er hingegen eher selten zu sprechen, was vielleicht in Anbetracht der aus ihrem literarischen Zu­sammenhang gelösten Perikopen nicht sonderlich verwundern darf. Zum überwiegenden Teil konzentriert sich F.s Kommentar auf die Bedeutung einzelner Begriffe und Formulierungen sowie auf die innerbiblischen Bezüge, wobei die neutestamentliche Perspektive (also die Wirkungsgeschichte der alttestamentlichen Texte) immer wieder klar im Vordergrund steht. Ihr ist oft eigens ein Abschnitt gewidmet, überschrieben mit »Bedeutung«, »Sinndeutung«, »Weiterführende Überlegungen« oder ähnlichen Formulierungen. Im Kommentar zu Ex 14 beginnen die entsprechenden Ausführungen mit dem Satz: »Die Nacht ... des Meerwunders ist für die Kirche das leuchtende, glückstrahlende Vorbild der Osternacht.«, gefolgt vom Hinweis auf Hebr 11,27–29. An solchen Stellen kommt der kirchliche Sitz im Leben sowohl der Perikopen als auch des Kommentars in besonderer Weise zum Tragen.
Die Heiligenkreuz-Bibel richtet sich ohne Zweifel nicht an ein theologisches Fachpublikum, sondern an eine kirchlich geprägte katholische Leserschaft. Dementsprechend bietet der Kommentar in erster Linie biblische und insbesondere neutestamentliche Perspektiven sowie stichwortartige Impulse. Jede Lesung bildet zu­sammen mit den jeweils anschließenden durchschnittlich etwa vier bis fünf Seiten Kommentar eine abgeschlossene Einheit. Nach Art und Umfang eignen sich diese Einheiten eher zur persönlichen Meditation oder als Anregung zur Vorbereitung einer biblischen Besinnung als zur zusammenhängenden Lektüre. Erwähnt sei abschließend der verblüffend niedrige Preis, der die Verbreitung des Werkes zweifellos fördern wird.
Angekündigt ist ein zweiter Band der Heiligenkreuz-Bibel, der Ende 2009 erscheinen soll. Er stammt ebenfalls von F. und wird bei etwa gleichem Umfang den neutestamentlichen Lesungen gewidmet sein.