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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1301–1303

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Küchler, Max

Titel/Untertitel:

Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt. M. Beiträgen v. K. Bieberstein, D. Lazarek, S. Ostermann, R. Reich u. Ch. Uehlinger.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. XIII, 1266 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. gr.8° = Orte und Landschaften der Bibel, 4/2. Geb. EUR 99,00. ISBN 978-3-525-50170-2.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Wie sollte man ein derart gründlich erarbeitetes Buch von über 1200 Seiten, die Summe von mehr als 15 Jahren intensiver Arbeit einer ganzen Forschergruppe, auf so kurzem Raum angemessen rezensieren? »Jerusalem ist eine Stadt, mit der niemand zu Rande kommt. Setzt man einen Fuß auf ihren Boden, verspürt man die Vibrationen zahlloser heroischer Anfänge und dramatischer Tode. Sucht man nach ihrer Religion, wird man von ihren monotheistischen Gottheiten geradezu angefallen. Fragt man nach ihrer Geschichte, so trifft man die Jahrtausende, durch die man sich hindurcharbeiten muss, heute noch in ihren religi ösen Ansprüchen unvermindert an: … Schofarklang, Glockengeläut und Muezzingesang bilden so die dreifach monotheistische Melodie dieser Stadt, über deren guten und bösen Kindern stets wieder die Sonne Kanaans aufgeht!« (VII).

Mit seinem Jerusalembuch bietet uns Max Küchler ein Musterstück dessen, was die Aufgabe der so oft zu Recht und zu Unrecht gescholtenen, aber f ür die Theologie so notwendigen »biblischen Archäologie« insgesamt ist: »Dadurch kann erst jeder Zynismus vermieden werden, den das kontextlose Aneinanderreihen von j ü­dischen, christlichen und islamischen Einzeltraditionen letztlich auslöst und der Jerusalem zur Kulisse von allerhand religiösen Ab surditäten, spinnigen Außenseitern, tendenziösen Lokaltraditionen und theologischen Grabenkämpfen verkommen lässt« (IX). Das Buch will informieren und aufklären und ebnet so den Weg zu einem »aufgeklärten Umgang mit den Monumenten und Traditionen der Stadt« (IX). Nichts ist wichtiger als das!

Der Stil eines Reiseführers mit praktischen Hinweisen zur Erreichbarkeit und Topographie der einzelnen »sites« schafft einen ganz eigenartigen und oft erfrischenden Zugang zur Geschichte Jerusalems, der unbedingt komplement är zu den oft ereignisgeschichtlichen oder sachlich-beschreibenden Arbeiten gelesen werden sollte. Durch den Zusammenhang des Weges von X nach Y, den K. den Besucher inmitten allen erfolgreichen Strebens nach dokumentarischer Vollst ändigkeit und wissenschaftlicher Zurückhaltung bei der Frage nach dem »hier war es, wo...« führt, entstehen Verbindungen und Kontraste, die den unglaublich komplexen Charakter der Stadt deutlich werden lassen. Jerusalem ist ein Palimpsest, dessen einzelne oft sehr fragmentarische Zeilen K. durch minuti öse Beschreibung des relevanten archäologischen und textlichen Befundes und das Mitgehen mit früheren Besuchern in immer wieder erhellender Weise lesbar macht – im wahrsten Sinn des Wortes. Die Lektüre des Buches ist nicht nur für den wissenschaftlichen Leser, der zuverlässige Informationen zu einem bestimmten Ort oder topographischen Problem sucht, sondern auch für den gebildeten Genießer trotz aller Detailfülle und trotz des für einen Reiseführer angesichts von 20 kg Freigepäck eigentlich viel zu unhandlichen Umfangs nichts weniger als ein Genuss. K.s Liebe zur Stadt und zur Arch äologie, gepaart mit scharfer Beobachtungsgabe und feinem Humor (K. selbst nennt diese Haltung »aufgeklärte Begeisterung«) haben eine Prosa hervorgebracht, die stets gut lesbar bleibt und den Leser im Auge beh ält. Allein dafür ein Kompliment! Petitdruck hilft zuweilen, die unermessliche Menge an Details von den gr ößeren Zusammenhängen zu unterschieden, die kluge Aufteilung in Regionen sorgt dafür, dass der Besucher nicht im Gewirr der einzelnen Gassen und Häuser verlorengeht.

K. erschließt die Stadt in 14 Kapiteln (allein das »Ausführliche Inhaltsverzeichnis« umfasst nicht weniger als 40 Seiten!). Vom »Südosthügel« mit den kanaanitischen Anfängen und der Davidstadt (1–91) geht es über die »Mauern und Tore der Stadt« (92–124), den »Nordosthügel – Der Heilige Berg und seine Heiligtümer« (125–277), den »Archäologische(n) Park – Im Schatten der Heiligtümer« (278–310), den »Ost-West-Weg: Vom Löwentor zum Jaffator – Der christliche Querweg« (inklusive Via Dolorosa, Grabeskirche und Zitadelle; 311–517), die »Nord-Süd-Wege – Auf den Prachtstraßen der Antike« (518–537), »Das Armenische Viertel – Ein christliches Städtchen innerhalb der Stadt« (538–551), »Das Jüdische Viertel – Der Vierte Versuch« (552–601), den »Südwesthügel – Der christliche Sion« (602–669), »Das Kedrontal – Die Schlucht Jerusalems« (670–752), »Das Hinnomtal – Tod, Grab, Gericht und Hölle« (753–789), den »Ölberg – Die jüdisch-christliche ›Höhe‹ von Jerusalem« (790–942) zum »Norden der Altstadt – Höhlen und Gräber, Mauern und Straßen, Kirchen und Klöster im Vorfeld der Stadt« (943–1012), um schließlich »Im Westen der Altstadt – Teiche, Gräber, Klöster, Museen« (1013–1056) anzukommen. Jedes topographische Kapitel ist eine eigene Monographie, die Beschreibung jedes Ortes beginnt mit Berichten zu Lage, Name und Geschichte, bevor eine detaillierte »Besichtigung« vorgenommen wird, angefüllt durch Pläne, Zeichnungen und zahllose Schwarzweißfotos. Ergänzt werden die topographischen Teile 1–14 durch eigene Kapitel zu den »Drei große[n] Museen – Die biblisch-archäologischen Schatzhäuser Jerusalems« (1057–1095) und eine komprimierte »Geschichte Jerusalems – Ereignisse, Regenten, Bauten, Besucher« (1096–1139). Ein Anhang mit Texten und Bildern dient der Vertiefung (1140–1160), Verzeichnisse von Quellentexten, Abbildungen und Nachweisen (1161–1180), ein kombiniertes (!) Abkürzungs- und Literaturverzeichnis (1181–1209), ein kleines »Lexikon der Fachbegriffe« (1210–1215) und ein »Register der Orte und Traditionen« (1216–1224) erschließen den Band.
Mit dem Jerusalem-Band hat »Orte und Landschaften der Bibel« auch ein neues Format erhalten; die fast schon exponentiell angestiegene Datenmenge hat das zwingend notwendig gemacht. Im Vergleich zu den bereits 1982 (Band 2: Der S üden) und 1984 (Band 1: Geographisch-geschichtliche Landeskunde) erschienenen Teilen ist der Jerusalem-Band betr ächtlich erweitert und in einen religionsgeschichtlichen Band IV/1 (von O. Keel) und den vorliegenden topographischen Band IV/2 aufgeteilt worden. Dem Verlag ist zu danken, dass er das mit einem solchen Projekt heutzutage sicher verbundene wirtschaftliche Risiko nicht gescheut hat, und es ist zu hoffen, dass die Resonanz auf Band IV die Verlagsleitung auch ermutigen m öge, die Aktualisierung der beiden bereits erschienenen Bände auf sich zu nehmen.


Bis Spätsommer 2005 greifbare Daten konnte K. einarbeiten, da nach begann die Endredaktion. Die archäologische Arbeit in Jerusalem schreitet natürlich unaufhaltsam voran, wie z. B. die jüngsten Entdeckungen aus der Eisenzeit und der späthellenistisch-frührömischen Epoche in der sog. Davidsstadt zeigen. So sehr die Stadt Jerusalem denjenigen in ihren Bann schlägt, der sie erforscht und erwandert – sie bleibt jedem Besucher stets einen Schritt voraus. »Die Stadt zu beschreiben, endet stets im Fragment«, schreibt K., vielleicht stimmt das – ganz wie die Stadt: stets unfertig, aber unendlich reich. Tolle lege!