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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1401–1402

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bloomquist, Karen L. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Being the Church in the Midst of the Empire. Trinitarian Reflexions.

Verlag:

Minneapolis: Lutheran University Press 2007. 284 S. gr.8° = Theology in the Life of the Church, 1. Kart. US$ 18,00. ISBN 978-1-932688-33-7.

Rezensent:

Ralf Miggelbrink

Der von der beim Weltrat der Kirchen tätigen, US-amerikanischen Lutheranerin Karen L. Bloomquist edierte Band setzt das vom Lutherischen Weltbund initiierte Studienprogramm Theology in the Life of Lutheran Churches: Revisting its Critical Role fort, das der politisch-theologischen Geltendmachungen biblischer Verheißungen unter den Bedingungen der Globalisierung gewidmet ist. Globalisierung wird dabei wahrgenommen unter den Aspekten von Tod und systematischem Unrecht, des multireligiösen Pluralismus, wachsender Popularität charismatischer Spiritualität und wachsender ethischer Differenzen innerhalb des Luthertums (9).

Die 16 überwiegend nordamerikanischen Autorinnen und Autoren konturieren zunächst (1. Teil: 25–70) ihre Gesellschafts­analyse in dem Begriff des »Empire«: Mit dem Neoliberalismus der 1980er Jahre behaupten die USA als das jüngste Mitglied im imperial club der westlichen Nationen (34) die destruktive ökonomisch-politische Führungsrolle in der Welt. Die Unterschiedenheit der Kulturen wird im Namen einer religiös-politischen Ideologie der Einheit bekämpft, deren Profilierungsgegner der nicht-integrierbare Islam ist und deren Nivellierungspotenz sich in dem exzessiven Gebrauch der Formel Judaeo-Christian offenbart (29). Der 65-jährige Pfarrer William R. Strehlow (Genf) reflektiert in seinem Beitrag (55–67) den eigenen Weg heraus aus einem Christentum, das auch mit Hilfe Bultmannscher Entmythologisierung keine kritische Potenz gegenüber dem amerikanischen Militarismus der Vietnamkriegsjahre entwickeln konnte, hin zu einem Glauben, der die Unvereinbarkeit imperialistischer Herrschaftsansprüche mit der Wahrheit des dreieinen Gottes erkennt und sich statt in imposanten religiös-politischen Inszenierungen der Herrschaftsaffirmation realisiert in kleinen gatherings on the margins of the imperial society.

Im zweiten Teil (71–108) wird das »Zeugnis der Gemeinschaft« (confession of koinonia) als das Wesen der Kirche profiliert, das zugleich das deutlichste Zeichen des Widerstandes gegen die globale Entsolidarisierung ist. Der dritte Teil (109–148) erhebt als Ursachen dafür, dass die moralisch stärkende Kraft des Gottesgeistes im Christentum der Gegenwart nicht erfahren wird, die westlich theo­logische Tradition der innertrinitarischen Subordination des Geis­tes und die Privatisierung spiritueller Erfahrung. Mit dem vierten Teil (149–180) ist die zentrale theologische Intuition des Bandes erreicht: John F. Hoffmeyer (Pennsylvania) versteht die Konsumgesellschaft als culture of desire und stellt ihr die christliche Sehnsucht nach Gott gegenüber, die der Autor trinitätstheologisch deutet im Sinne der Transzendenz Gottes, zu deren positiven Erleben der begnadende Gottesgeist befähigt (149–162). Allen G. Jorgensen (Ontario) sieht in celebration of word and sacrament die lutherische Unterwanderung des totalen Anspruches globalisierten Gewinnstrebens und seiner Rationalität (175 ff.). Der fünfte Teil des Buches (181–208) ist mit zwei Aufsätzen der Kreuzestheologie gewidmet: Faith K. Lugazia (Minnesota) wendet sich gegen pfingstlerische Prediger, die persönlichen Wohlstand als Moment der Vergöttlichung des Gerechtfertigten deuten. Im afrikanischen Kontext werden sie zwar der dort notwendigen Wertschätzung phy­sischer und materieller Bedürfnisse gerecht (189), müssen jedoch wegen der entsolidarisierenden Wirkung ihrer individualisierenden Sicht des Heils kritisiert werden (191 f.). Für Denna Thompson (Minnesota) wird die kritische Kraft lutherischer Kreuzestheologie praktisch umgesetzt, wo Menschen sich im Geist der Freundschaft füreinander einsetzen und so die Vereinzelung des Menschen in der totalisierten Ökonomie durchbrechen (193–206). Ein sechster Teil des Buches widmet sich mit wiederum zwei Aufsätzen der öffentlichen Berufung der Kirche: Die Kirche als Sozialgestalt der Trinität ermöglicht eine Bindung, die Menschen befreit von der korrumpierenden Verhaftung mit dem »Empire« globaler Herrschaft (209–222). Ihre Vision weltweiter communio ist der Gegenentwurf zur weltweiten Dominanz (221–238). Der siebte und letzte Teil des Bandes (257–281) ist der Zurückweisung fundamentalistischer Ansätze im Protestantismus gewidmet: Das Sola-scriptura-Prinzip zielte auf die Ermächtigung der kirchlichen communio als Interpretationsgemeinschaft und darf nicht Legitimationsgrundlage für beliebige religiöse Führer werden (241–256). Eine öffentliche lutherische Theologie lebt aus einer Toleranz, die ihren kulturell-theologischen Wurzelgrund im Inklusivismus des göttlichen Recht­fertigungshandelns hat.

Die sieben jeweils durch zwei Aufsätze abgedeckten Teile des Bandes spannen einen breiten Horizont politisch-theologischer Selbstvergewisserung christlicher Gemeinden in bewusster Absetzung vom politischen mainstream auf. Sie liefern Beispiele für Theo­logie, die aus ihren eigenen Quellen schöpfend zur qualifiziert-kritischen Zeitgenossenschaft in der Auseinandersetzung mit zentralen Dogmen globaler Herrschaft befähigt. Der Begriff des em­pire hat dabei heuristische Kraft, leitet er doch dazu an, das Alltägliche aus der Perspektive seiner biblisch verbürgten apokalyptischen und monotheistischen Zurückweisung überhaupt erst als nicht-sein-sollend wahrzunehmen. Auf diese Weise wird das zutiefst Falsche und Böse an der politischen Gegenwart sichtbar gemacht. Auf der anderen Seite folgt die grundlegende hermeneutische Entscheidung für die Deutung der mächtigen ökonomisch-politischen Bewegungen der Gegenwart als gottwidrige Mächte einer perspektivischen Einengung. So erscheint es nicht als zufällig, dass die Gegenwirklichkeit des empire in der Gestalt kleiner Kommunitäten auftritt, deren Zusammenhalt sichernde Evidenzen resultieren mögen aus ihrer Gegnerschaft zum mainstream, dem sie so allerdings ex negativo verhaftet bleiben.

Hier liegt ein Grundproblem des gewählten Weges als hermeneutischer Weg, der als solcher die eigene Notwendigkeit nicht mehr argumentativ, sondern bestenfalls narrativ rekonstruiert. Lässt sich dieser state of art noch einmal übersteigen, so müsste es darum gehen, die biblischen Kategorien der Auseinandersetzung mit dem Mainstream nicht alleine aus einer kritischen Tradition zu beziehen und anhand biblischer Topoi zu plausibilieren, sondern diese Kategorien anthropologisch-philosophisch und theologisch zu begründen. Erst mit einer solchen Begründungsleistung würde die hermeneutische Verhaftung an ein empire, wenn es denn so mächtig und universal wie behauptet sein soll, überwindbar.

Einstweilen aber ist dieses Buch lesenswert, weil es insbesondere einer sehr vorsichtigen und insgesamt gesellschaftlich und politisch affirmativen Theologie zeigt, welche Erkenntnisse sich auf einem politisch-theologischen Weg der Kritik gewinnen lassen. Auch vermitteln die Beiträge in dem ihnen offenkundig zu Grunde liegenden Selbstbewusstsein der Theologinnen und Theologen eine Vorstellung davon, wie kraftvoll und souverän Kirchen in der kritischen Selbstpositionierung zum mainstream sich entwickeln und darstellen können.