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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1391–1393

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Klie, Thomas u. Silke Leonhard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2008. 238 S. m. Abb. gr.8° = Praktische Theologie heute, 97. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-17-020562-8.

Rezensent:

Erhard Holze

Seit Silke Leonhard und Thomas Klie im Jahre 2003 mit dem Werk »Schauplatz Religion« die »Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik« vorgelegt hatten, ist es zu einer breiten konstruktiven und kritischen Rezeption und Diskussion dieses performativen Ansatzes gekommen. Der nun vorliegende Band setzt sich mit der vielfältigen Rezeption, Weiterführung und Kritik auseinander und ist in fünf Teile gegliedert: 1. Theorie, 2. Lehr- und Lernorte, 3. Erschließungsperspektiven, 4. Unterrichtspraxis, 5. Rezeption. Das Spektrum der von insgesamt 18 Autorinnen und Autoren (u. a. Silke Leonhard mit zwei sowie Thomas Klie und Bernhard Dressler mit jeweils drei Beiträgen) angesprochenen Themen reicht von der Theoriediskussion bis zur religionsunterrichtlichen Praxis und berücksichtigt auch Arbeitsfelder wie die Hochschuldidaktik, die Gemeinde- und die Konfirmandenarbeit. Insbesondere Bereiche wie Inszenierung, Körper und Sprachwelten werden dabei akzentuiert.

Bei dieser Theorie- und Praxisdiskussion handelt es sich um höchst anregungsreiche Beiträge. Dabei wird allerdings der von Bernhard Dressler und Thomas Klie konstatierte Befund, der Performanzbegriff sei längst zu einer Art »umbrella term« (226) geworden, voll bestätigt: Wann ist Religionsunterricht performant? Und wann ist er es nicht? Wie Silke Leonhard und Thomas Klie selbst konstatieren: »Diese performative Sichtweise in der Religionspädagogik ist im Prinzip nicht neu« (11)!

Vielfältige methodische Zugänge zu den Themen des Religionsunterrichts gibt es schon seit Langem; ständig werden sie weiterentwickelt, täglich werden sie angewendet: vom symboldidaktischen Arbeiten bis zu Kirchen(raum)erkundungen, von den vielen Formen des Rollenspiels und den verschiedenen Möglichkeiten der Bibeldidaktik bis zu meditativen Stilleübungen. Das Spektrum performativer und handlungsorientierter Elemente ist wohl in keinem Unterricht so weit gefächert und bewährt wie im Religionsunterricht.

Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, was an dem »Performativen Religionsunterricht« wenn schon nicht das Neue, so doch das Besondere ist. Die Herausgeber setzen sich mit den in den letzten Jahren vorgebrachten kritischen Fragen auseinander: Mit Godwin Lämmermanns Vorwurf, der Ansatz des Performativen Religionsunterrichts enthalte die Gefahr eines Rückfalls in die Katechetik bzw. in die Evangelische Unterweisung; mit Michael Domsgens Frage, ob es sich bei dem performativen Ansatz wirklich um mehr als um Methoden handele; mit Hanna Rooses und Dietrich Zilleßens Kritik an der Unschärfe des Performanzbegriffes; mit Christian Grethleins Vorwurf der Diffusität der Inhalte und der mangelnden Klarheit der Ziele. Aber überzeugend beantwortet werden die kritischen Anfragen nicht. Mitunter ist das Vokabular so konfrontativ, dass es einer sachlichen Klärung geradezu im Wege steht; wenn Dressler und Klie beispielsweise Lämmermann »einschnappende Reflexe« (215) und »Sottisen« (231) vorwerfen und seine Einwände gleich mehrfach als »absurd« bezeichnen (212.231).

Nachhaltig geprägt ist der Band nicht nur durch den strittigen Performanzbegriff, sondern mindestens ebenso sehr von dem Be­griff der »Probe«: Es geht um »Probeszenarien« (14), um die »Probebühne« (36), um den »probeweisen Vollzug« (45), um »Probedenken und Probehandeln« (212), um »probeweise Aufenthalte in religiösen Sprach- und Sinnwelten« (220) bzw. »in den Zeichen- und Sprachräumen der christlichen Religion« (221), mithin um »Probeaufenthalte in den Räumen der Religion« (224). – Probe ist immer ein Probieren und Prüfen. In der Lebenswelt gilt das für Probeabonnements, Theaterproben und Probeprodukte, für Stichproben wie für Blutproben. Probiere oder probe ich etwas, indem ich es für eine bestimmte Zeit auf die Probe stelle, prüfe ich es. Und am Ende der Probe wird bilanziert, ob sich das Probierte und Geprobte als tauglich, interessant und geeignet herausstellt, ob es sich gleichsam als probat erweist. Das gilt in der Schule nicht minder: Schülerinnen und Schüler vollziehen ständig Probehandeln und Probedenken. Während der gesamten Schulzeit machen sie unzählige Proben aufs sprachliche, musikalische, mathematische, historische und chemische Exempel. In allen »Zeichen- und Sprachräumen«, in allen »Sprach- und Sinnwelten«, die zum schulischen Fächerkanon gehören, halten sich Schülerinnen und Schüler als Prüfende, Entdeckende, Fragende, Lernende, Probierende auf. Fachspezifisch im Religionsunterricht kommt es fortwährend zu Probeaufenthalten: in Israel, Ägypten und Babylon, in Jerusalem, Athen und Rom, in Wittenberg und Barmen. Worin soll also bei dem unter dem Stichwort »Performative Religionsdidaktik« angestrebten »Probedenken und Probehandeln« das Novum oder Spezifikum bestehen? Dem Band nach geht es dabei vor allem um »Teilhabe an Vollzügen« und um das »Einüben in Vollzüge« (Dress ler/Klie, 219), um die aktive experimentelle »Teilnahme« (Klie/Dressler, 233).

Doch welche religiösen »Vollzüge« sind gemeint? Auch der Vollzug des Gottesdienstes oder des Segens oder der Taufe oder des Abendmahls? Dann bestünde trotz des verständlichen Bemühens um religionspädagogische Verschränkung von Außen- und Innenperspektive in der Tat die Gefahr, dass der Religionsunterricht wieder zu so etwas wie »Kirche in der Schule« würde. Um Missverständnis und Missbrauch zu wehren, müsste die etwas beiläufig erwähnte Differenzierung zwischen » Erschließung der christlichen Religion« und der »Einübung in die christliche Religion« (91) deutlicher herausgestellt, erhärtet und exemplifiziert werden.

Das angezeigte Buch enthält mithin viele theorie- und praxisorientierte Beiträge, die anregungsreich und für die weitere Dis­kussion um den (performativen) Religionsunterricht ein Ge­winn sind. Hinsichtlich der vielfach angesprochenen performativen Probevollzüge müsste aber deutlich gemacht werden, wo auch die Vollzugsgrenzen verlaufen. Damit die Freiheit und Integrität so­wohl der Schülerinnen und Schüler als auch der Religion(en) geschützt bleiben, kann die kritische Feststellung einer Autorin dieses Buches (Evelin Schwartz, 74) gar nicht ernst genug genommen werden: »Die Integration aus ihrem liturgischen Kontext ge­lös­ter Handlungen in den Religionsunterricht sehe ich mit … Skepsis: Der aaronitische Segen hat im Schulgottesdienst seinen Platz, nicht aber im Unterricht.«