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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1387–1388

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Luterbacher-Maineri, Claudius

Titel/Untertitel:

Adam Smith – Theologische Grundannahmen. Eine textkritische Studie.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Freiburg i. Br.-Wien: Herder 2008. 443 S. gr.8° = Studien zur theologischen Ethik, 119. Kart. 59,00. ISBN 978-3-7278-1608-6 (Academic Press Fribourg); 978-3-451-29659-8 (Herder).

Rezensent:

Volker Stümke

Diese in Fribourg (Schweiz) eingereichte, von Adrian Holderegger und Peter Ulrich begutachtete Dissertation analysiert das Konzept von Adam Smith, dem Vater des wirtschaftlichen Liberalismus. Methodisch handelt es sich um eine »textanalytische Studie« (12), die der »strukturalen Textanalyse« (16) von Manfred Titzmann verpflichtet ist und sich durch große Textnähe auszeichnet. Dementsprechend nehmen die »Primärtextuntersuchungen« vor allem der beiden Hauptwerke von Smith über 300 Seiten ein; sie werden eingerahmt durch einleitende Bemerkungen zu seiner Biographie, dem geschichtlichen und geistesgeschichtlichen Hintergrund (gut 70 Seiten), sowie durch einen Ausblick, der die Forschungsergebnisse in einen kritischen Diskurs mit dem gegenwärtigen Neoliberalismus überführt (30 Seiten).

Die Fragestellung ist dabei auf die theologischen Aussagen bei Smith fokussiert. Dazu unterscheidet der Vf. drei Textebenen: zunächst die »Ebene der empirischen Deskription«, zweitens eine »Natur- und Schöpfungsteleologie« und drittens eine geoffenbarte »Natur- und Schöpfungstheologie« (12). Dass Smith, dem Ansatz Newtons folgend, beobachtete Sachverhalte beschreibt, dürfte un­strittig sein. Inwiefern er auch theologische Aussagen tätigt und ob diese eher als deistisch oder als theistisch einzustufen sind, markiert das Interesse dieser Arbeit. Der Übergang von der Deskription zur zweiten Ebene (des Deismus) werde durch Kausalketten hergestellt, so dass Gott als diejenige Größe erscheine, welche die be­schriebenen Sachverhalte geordnet und zielgerichtet geschaffen habe. Werde dieser Gott darüber hinaus als persönliches Gegen­über vorgestellt, sei die dritte Ebene (des Theismus) erreicht.

Die exakte Arbeit am Text führt dazu, dass der Hauptteil der Arbeit mühsam zu lesen ist. Viele Details werden erörtert, um die Begriffskontur scharf zu erfassen, zahlreiche Redundanzen wirken ermüdend, sind aber wohl unvermeidlich, sofern Smith in manchen Sätzen mehrere zentrale Begriffe verwendet. Indem der Vf. mit der moralphilosophischen Schrift (Theory of Moral Sentiments) beginnt, eruiert er durchaus theologisch aussagekräftige Passagen. Das wirtschaftswissenschaftliche Werk (Wealth of Na­tions) ist diesbezüglich weitaus unergiebiger, hier hilft sich der Vf. mit der methodischen Prämisse, dass begriffliche Kontinuität anzunehmen sei: »Es wird unterstellt, dass sich Smith grundsätzlich daran erinnert, was er etwa mit Klugheit in der TMS [= 1. Hauptwerk] gemeint hat, wenn er von der Klugheit in WN schreibt« (316). Diese Voraussetzung wird durch zahlreiche Beobachtungen an den Texten erhärtet, so dass der Vorwurf eines Zirkels unberechtigt wäre.

Als Fazit hält der Vf. fest, dass Smith Gott als Wirkursache (Schöpfung) und Zielursache der Welt und der Menschen verstanden habe. Wie ein Uhrmacher habe Gott die Welt eingerichtet, so dass die Menschen den Dingen ihren »natürlichen Lauf« (399) lassen sollten, um so den von Gott gewollten und geplanten Fortschritt nicht durch Eigenmächtigkeiten zu verzögern. Das Vertrauen nicht primär auf die menschliche Vernunft, sondern auf die gute Ordnung der Welt begründe den Optimismus von Smith, der demzufolge dem De­ismus nahestehe. Smith arbeite mit »einer jedem Menschen einsichtigen, natürlichen Religion jenseits konfessioneller und geschichtlicher Ausprägungen« (401). Allerdings sei diese theologische Grundannahme für sein Konzept auch un­verzichtbar, weil er nur so das Vertrauen auf die Natur und ihre sinnvollen Einrichtungen herleiten könne. Die berühmte unsichtbare Hand sei nur eines von vielen Beispielen dafür, dass Gott eben nicht die Vernunft des Menschen, sondern das natürliche Zu­sammenwirken der Kräfte als Motor seiner Vorsehung eingesetzt habe.

Spannend sind vor allem die abschließenden Ausführungen, die Smith in ein Gespräch mit dem neoliberalen Wirtschaftsverständnis stellen. Zunächst konstatiert der Vf., es gebe bei Smith eine »Spannung zwischen Autonomie und Heteronomie menschlichen Handelns« (407), die daraus resultiere, dass er einerseits den natürlichen Lauf der Dinge als von Gott geplant verstehe, andererseits aber auch Forderungen an die Menschen richte, die sich nicht darauf beschränkten, der Natur nicht im Wege zu stehen, sondern auch das Befolgen von Regeln und die Ausbildung von Tugenden umfassten. Der Vf. bleibt leider beim Aufweis dieser Spannung zwischen deistisch gedachtem Gott und Ethik stehen, doch sie betrifft die Grundlagen der Ethik, so dass auch eine Wirtschaftsethik, die sich gegen den Neoliberalismus aufbaut und dabei auf die theologischen Grundannahmen von Smith modifiziert zu­rück­greifen will, vor diesem Problemfeld der menschlichen Mitarbeit zu stehen kommt.

Die folgende Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus beginnt mit hilfreichen Präzisionen. Der Vf. grenzt den Neoliberalismus nicht nur historisch vom »Paläoliberalismus« (408) ab, sondern führt zudem eine Binnendifferenzierung durch, indem er die aktuelle Strömung vom Freiburger Ordoliberalismus, dem soziologischen und dem evolutorischen Liberalismus abhebt. Seine Kritik am gegenwärtigen Liberalismus fußt auf der Beobachtung, dass hier der theologische Bezugspunkt entschwunden sei, so dass nunmehr »das ökonomische System selber naturrechtlichen Status« (410) erhalte. Man müsse, so laute das neoliberale Credo, nurmehr der Logik des Marktes folgen, insbesondere die Politik dürfe sich nicht dem darin angelegten Fortschritt in den Weg stellen. Gegen diese Position protestiert der Vf. mit Recht und klagt demgegenüber eine weitaus stärkere Gewichtung des Gemeinwohls ein. Aber das ist noch keine Lösung des Problems, das in der aufgezeigten Spannung liegt. Hängt der Ruf nach dem Gemeinwohl nicht gleichsam in der Luft, solange man naturalistisch postuliert, das Vorhandene (bei Smith die Natur, im Neoliberalismus der freie Markt) sei gut und fördere das Zusammenleben, und solange man die Menschen dementsprechend nur dazu auffordert, dieser Entwicklung nicht durch eigenmächtiges Handeln im Wege zu stehen? Erhält eine Ausrichtung am Gemeinwohl nicht erst dann hinreichendes Ge­wicht, wenn das eigenständige Handeln der Menschen (und somit die Ethik) konstruktiv in die Überlegungen einbezogen wird? Der Vf. unterstreicht mit A. Rich, dass die Wirtschaft »kein ehernes Naturprodukt, sondern ein geschichtliches Kulturerzeugnis« (425) sei – aber müssen nicht genau deshalb sowohl der theologische Be­zug wie die menschliche Mitarbeit be­dacht werden?

Gut gelungen ist der Nachweis, dass der Neoliberalismus seine theologischen (ehedem deistischen) Bezüge nicht geklärt hat. Für Smith war die Ausrichtung am Natürlichen und Gottgewollten Konsequenz seines Deismus; pointiert spricht der Vf. vom »Naturverständigen« (420). Der »Sachverständige« sei die säkularistische Variante dieser Figur, die kreatürliche Konnotation von Natur hat sich im »Sachzwang« verflüchtigt. Aber das durch den Gottesbezug oktroyierte Gewicht ist geblieben und führt zur Überhöhung wirtschaftlicher Argumentationen. »Mit Smith ist vielmehr zu betonen, dass Markt und Wettbewerb nicht Zwecke an sich, sondern Instrumente zur Erreichung eines anderen Zwecks, zur Verwirklichung einer lebenswerten Gesellschaft sein sollen. Smith lehrt uns hier, die Prioritäten richtig zu sehen« (426).