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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1383–1384

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Britton, Andrew, and Peter Sedgwic

Titel/Untertitel:

Ökonomische Theorie und christlicher Glaube. Übersetzung aus d. Engl. v. B. Bock.

Verlag:

Berlin-Münster: LIT 2008. 4, XXXIV, 307 S. 8° = Protestantische Impulse für Gesellschaft und Kirche, 5. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-8258-0162-5.

Rezensent:

Stefan Grotefeld

Seit Herbst 2008 hält die Finanzkrise die Welt in Atem und ihre Folgen dürften noch lange zu spüren sein. Im Zuge der Ursachenforschung war und ist viel von Gier die Rede, von Vertrauensverlust in Banker und Banken, und selbst sonst nicht zur Kapitalismuskritik neigende Zeitgenossen vertreten die Ansicht, wir hätten es nicht nur mit einer Finanz- und Wirtschaftskrise, sondern mehr noch mit einer System- oder gar Sinnkrise zu tun. So hat die Krise der Kirche und der christlichen Ethik eine gewisse Nachfrage beschert. Darauf deutet etwa die Resonanz hin, die das im Herbst 2008 veröffentlichte Buch Das Kapital: Eine Streitschrift aus der Feder des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx gefunden hat, in dem dieser sich aus theologischer Sicht mit Fragen von Wirtschaft und Ethik befasst. Dass das genuine Bedürfnis nach Orientierung, das die Krise geweckt hat, für die Kirchen sowohl eine Aufgabe als auch eine Chance darstellt, ist diesen durchaus bewusst: So hat Papst Benedikt XVI. im Sommer 2009 seine Sozialenzyklika Caritas in veritate veröffentlicht und auch der Rat der EKD hat sich zur gleichen Zeit mit einer Stellungnahme (Wie ein Riss in einer hohen Mauer) zu Wort gemeldet, nachdem er bereits im Jahr zuvor, kurz vor dem eigentlichen Ausbruch der Krise, seine Denkschrift Unternehme­risches Handeln in evangelischer Perspektive herausgegeben hatte.

Die Kontroverse, die diese Denkschrift hervorgerufen hat, hat freilich auch gezeigt, dass innerhalb der evangelischen Kirchen er­hebliche Differenzen und Unklarheiten im Hinblick auf die Beurteilung wirtschaftlicher Fragen bestehen. Abgesehen davon, dass man hier anders als auf katholischer Seite nicht auf eine etablierte Soziallehre zurückgreifen kann, hängt dies auch damit zusammen, dass die theologische Ethik sich seit etwa zwei Jahrzehnten vorrangig mit biomedizinischen Fragen befasst hat, während man der Wirtschafts- und Unternehmensethik weniger Beachtung schenk te. Hinzu kommt, dass die vorhandenen wirtschaftsethischen Studien häufig historisch ausgerichtet sind, während es an Untersuchungen fehlt, die einen umfassenden Vergleich von ökonomischem und theologischem Denken vornehmen.

Hier Abhilfe zu verschaffen, verspricht ein Buch, das 2003 zu­nächst in englischer Sprache erschien und das nun in deutscher Übersetzung in der von Gerhard Wegner herausgegebenen Reihe Protestantische Impulse für Gesellschaft und Kirche vorliegt. Verfasst worden ist es von Andrew Britton und Peter Sedgwick, einem Ökonomen und einem Theologen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, das Denkgebäude der Ökonomie mit dem der Theologie zu vergleichen, um auf diese Weise »zwei sehr verschiedene Beschreibungen von etwas, was dieselbe Wirklichkeit sein könnte, zu liefern und dann einander gegenüberzustellen« (3). Weil weder die Ökonomie noch die Theologie homogene Denkgebäude darstellen, sondern hier wie dort konkurrierende Schulen existieren, sehen sich die Autoren genötigt, auf beiden Seiten Einschränkungen vorzunehmen: Während sie, was die Ökonomie angeht, den Fokus sinnvollerweise auf die dominierende neoklassische Wirtschaftstheorie richten, erscheint die in theologischer Hinsicht vorgenommene Konzentration auf die Bibel demgegenüber problematischer: Zwar ist die Bibel dasjenige Dokument, auf das sich alle theolo­gischen Konzeptionen beziehen, doch führt diese Konzentration dazu, dass zwei sehr unterschiedlichen Epochen entsprungene Wirklichkeitsverständnisse miteinander verglichen werden, ohne dass die innerhalb der Theologie vorgenommenen Bemühungen, das biblische Wirklichkeitsverständnis mit seinen Implikationen für die jeweilige Zeit fruchtbar zu machen, systematisch berück­sichtigt würden.

Der Aufriss des vornehmlich an Theologen adressierten Buches orientiert sich an einem typischen Lehrbuch der neoklassischen Wirtschaftstheorie. Die einzelnen Kapitel sind so konzipiert, dass die Themen zunächst aus ökonomischer, dann aus theologischer Sicht erörtert werden, bevor beide Sichtweisen in einem dritten Abschnitt zueinander zu Beziehung gesetzt werden. B. behandelt auf diese Weise zehn Themenkomplexe: Fragen der Methodologie, solche der Entscheidungstheorie, Fragen nach Individualismus und Gruppenverhalten, das Konzept des Wohlergehens, Produktion und Wirtschaftswachstum, Arbeitsmarkt, Kapital und Akkumulation, Markt und Wettbewerb, Strategie, Emotionen und Spieltheorie sowie schließlich das Verständnis von Geschichte und die Idee des Gleichgewichts. Ausgehend von der im methodologischen Kapitel erarbeiteten These, dass sowohl die Ökonomie als auch die Theologie positive wie normative Aussagen machen, arbeiten die Autoren dabei vor allem die Differenzen zwischen den beiden Disziplinen hervor, wie bereits im zweiten Kapitel deutlich wird: »Dieses Kapitel«, so heißt es dort, »hat zwei völlig verschiedene Entwürfe des Begriffs Entscheidung dargelegt. Einer basiert auf Präferenzen, Nutzenmaximierung und Vernunft. Es [!] ist zutiefst individualistisch, wertfrei und ahistorisch … Die christliche Darstellung könnte unterschiedlicher nicht sein. Sie setzt ein anderes Verständnis von Vernunft und Geschichte voraus. … Entscheidungen werden innerhalb einer werte-vollen Tradition getroffen, innerhalb der alle Handlungen vom Streben nach Versöhnung und Frieden geleitet werden« (62). Diese Tendenz der Gegenüberstellung setzt sich in den folgenden Kapiteln fort, wenn etwa der christliche Gemeinschaftsgedanke dem ökonomischen Individualismus gegenübergestellt und einem utilitaristisch informierten ökonomischen Verständnis von Wohlergehen als Befriedigung von Präferenzen eine christliche Sicht entgegengehalten wird, die sich davon diametral unterscheidet, indem sie menschliches Wohlergehen mit substantiellen Konzeptionen von Nachfolge, Weisheit und Segen beschreibt. So berechtigt diese Gegenüberstellungen auch sind, so sehr fragt man sich zugleich, ob damit nicht entgegen der Absicht der Autoren (vgl. 11) doch bestimmte Aspekte und eine bestimmte Sichtweise des christlichen Ethos privilegiert werden und ob es daneben nicht auch andere gäbe, die nicht einfach fragwürdige Assimilationen des Christentums »an die herkömmliche Moral« (111) darstellen und die die Distanz zwischen Ökonomie und Theologie weniger unüberbrückbar erscheinen ließen.

Während in den ersten zehn Kapiteln die unterschiedlichen Denkweisen zumeist nebeneinandergestellt werden, bemühen sich die Autoren in den beiden letzten Kapiteln darum, diese stärker miteinander ins Gespräch zu bringen, indem sie fragen, inwiefern beide Disziplinen voneinander lernen können. Eine eigent­liche Verbindung von Ökonomie und Theologie scheint ihnen freilich nur möglich, sofern die Wirtschaftswissenschaft sich ihrer problematischen anthropologischen Voraussetzungen entledigt und ihre »exklusive Bindung an utilitaristische Ethik« aufgibt, d. h. »christlicher« (293) wird. – Trotz der problematischen Reduktion von Theologie auf biblische Exegese und von christlichem auf bib­lisches Ethos handelt es sich um ein interessantes Buch, das wegen seines breitgefächerten Ansatzes zahlreiche Problemanzeigen und Anregungen enthält, die bei der künftigen Auseinandersetzung der Theologie mit der Ökonomie Beachtung finden sollten.