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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1381–1382

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Thomas, Günter, u. Andreas Schüle [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Luhmann und die Theologie.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006. IX, 236 S. gr.8°. Geb. EUR 44,90. ISBN 978-3-534-18246-6.

Rezensent:

Friederike Nüssel

Um die produktiven Impulse auszuloten, die christliche Theologie dem »Theoriecluster der Systemtheorie Niklas Luhmanns« (Vorwort) entnehmen kann, haben Günter Thomas und Andreas Schüle im Oktober 2003 mit Förderung der Fritz Thyssen Stiftung an der FEST ein Forschungssymposion einberufen, dessen Beiträge in dem vorliegenden Band der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dabei geht es, wie Bernd Oberdorfer zu Beginn seines Beitrages im Blick auf das Gesamtprojekt feststellt, »um wechselseitige Beobachtungen von Beobachtungen. Theologinnen und Theologen beobachten, wie Luhmann sie beobachtet, und fragen, was die Beschäftigung mit Luhmann austrägt für ihre Arbeit an konkreten theologischen Problemen« (107).

In der hilfreichen Einleitung stellen die Herausgeber zunächst Rezeptionsmodelle und Rezeptionsphasen dar, bieten sodann einen systematischen Einblick in Aufbau und Kerngedanken der folgenden Aufsätze und nennen schließlich einschlägige Literatur zur theologischen Rezeption Luhmanns.

Im ersten Teil wird in unterschiedlichen Hinsichten das Verhältnis von Theologie und Soziologie beleuchtet. Günter Thomas erörtert im Rekurs auf eine »Explikation des ›Redens Gottes‹ als zweiseitiges Re-entry« (15), wie »sich die Theologie die Kommunikation Gottes zum Menschen … im Geschöpflichen gedanklich vorstellig machen« kann (ebd.). Martin Laube konkretisiert das Verhältnis von Theologie und Soziologie in einer systemtheoretischen Relektüre der Christentumstheorie Trutz Rendtorffs. Carsten Pallesen rekonstruiert die Figur des autologischen Schlusses als Ausgangsbasis für eine »Theologie, die den Weltbezug der Religion im Horizont der Ambiguität wahrnimmt« (64).

Im zweiten Teil geht es um Luhmanns Beitrag zur Hermeneutik. Philipp Stoellger erörtert hier Luhmanns Um­gang mit Paradoxen und die anschließenden Möglichkeiten der Theologie. Henning Hupe kontrastiert die Textverständnisse von Luhmann und Derrida, wobei ihm »Derridas Text-Kontext-Modell dynamischer, offener und potentiell perspektivierungsfähiger« (103) erscheint als das binär codierte System-Modell Luhmanns.

Im dritten Teil geht es um »Luhmanns Beobachtergott und die Unterstellung unerschlossenen Sinns« (105). Bernd Oberdorfer setzt sich kritisch mit »Luhmanns funktionaler Rekonstruktion des monotheistischen Gottesbegriffs als ›Kontingenzformel‹« (107) auseinander. Andrea Nickel-Schwäbisch reflektiert im Rekurs auf Luhmanns Überlegungen zum Begriff des Teufels Luhmanns Umgang mit dem Verhältnis von Einheit und Differenz.

Der vierte Teil widmet sich der »Theorie funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung in der Ethik und der Praktischen Theologie« (127). Peter Dabrock beleuchtet hier die Bedeutung der Theoriefigur der Inklusion für den aktuellen Gerechtigkeitsdiskurs, Hans-Ulrich Dallmann erörtert das Verhältnis von Ethik und Religion nach Luhmann und Christoph Dinkel stellt Beobachtungen zur Bedeutung interaktiver Kommunikation für die christliche Religion an.

Schließlich wird im fünften Teil Luhmanns Theorie religiöser Evolution historischer Reflexion unterzogen. Dierk Stranitzke liefert einen Beitrag zur binären Codierung christlicher Religion aus exegetischer Sicht, Johannes Ev. Hafner rekonstruiert die Systemwerdung des Frühchristentums als Medienereignis und Andreas Schüle präsentiert Überlegungen zum Zusammenhang von Tora, Prophetie und Weisheit aus systemtheoretischer Perspektive.
Angaben zu den Autorinnen und Autoren sowie ein Stichwort­re­gis­ter beschließen diesen Band, der vielfältige Potentiale für eine weitere theologische Beschäftigung mit Luhmann herausstellt.