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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1379–1381

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kessler, Hans

Titel/Untertitel:

Evolution und Schöpfung in neuer Sicht.

Verlag:

Kevelaer: Butzon & Becker 2009. 221 S. 8°. Geb. EUR 17,90. ISBN 978-3-7666-1287-8.

Rezensent:

Hans-Dieter Mutschler

Rechtzeitig zum Darwinjahr erscheint das Buch über Evolution und Schöpfung des emeritierten Frankfurter Theologen Hans Kessler. Weil es auf jahrzehntelanger Vorarbeit beruht, gehört es nicht zu den editorischen Schnellschüssen, mit denen wir zurzeit überhäuft werden. Um es vorweg zu sagen: Das Buch ist solide, gut lesbar, nicht zu lang und trotzdem niveauvoll, Eigenschaften die man nicht so häufig zusammen antrifft. Im Übrigen sind die fünf Kapitel so konzipiert, dass man sie auch separat lesen kann.

Ein erstes Kapitel behandelt die Missdeutungen des Schöpfungsgedankens bei Kreationisten und harten Naturalisten. Das ›Intelligent Design Movement‹ behauptet z. B., dass die Biologie als solche den Gedanken eines Designs und damit eines Designers enthalten müsse, ein Gedanke, der in der Tradition der Physikoteleologie des 18. Jh.s steht. K. kritisiert die dieser Annahme zu Grunde liegende Identifikation des Natürlichen und des Technischen und steht nicht davon ab, in diesem Sinne auch Kritik an die eigene katholische Adresse, nämlich an Kardinal Schönborn, zu richten. Sein Lehrer, der damalige Kardinal Ratzinger, habe es schon vor 40 Jahren besser gewusst. Sodann kritisiert er die Gegenseite, nämlich die »atheistischen Fanatiker« wie Richard Dawkins oder Ulrich Kutschera. Geradezu erquicklich sind seine Bemerkungen zu Darwin, der gar kein Atheist war, sondern höchstens Agnostiker. Wissenschaftliche Weltbilder sollten weltanschaulich neutral sein, da sie keine Sinnvorgaben machen könnten.

Ein zweites Kapitel behandelt die Bedeutung biblischer Schöpfungstexte, die von gleichzeitigen Schöpfungsmythen abgegrenzt werden, weil sie keine Theogonie enthalten, keinen Handwerkergott usw. Die Einzelheiten über Sonderstellung des Menschen, bei gleichzeitigem Eingebundensein in die Natur, über Ursünde usw. sind Standard, während überraschend die Hinweise zur Geschichte des Evolutionsdenkens im Christentum sind, zurückgehend auf Gregor von Nyssa, Basilius den Großen usw. K. kann zeigen, dass das antievolutionäre Bibelverständnis eine neuere Erfindung ist.

Ein drittes Kapitel erklärt, weshalb der harte Naturalismus nach wie vor zu kurz greift und weshalb wir nach wie vor berechtigt sind, am Schöpfungsglauben festzuhalten. Zu diesem Zweck entwickelt er mit Berufung auf Werner Heisenberg eine ontologische Schichtentheorie der Wirklichkeit, die impliziert, dass eine reine, kausale Bottom-up-Erklärung nicht hinreichend sei. (Später wird er diese Schichtentheorie mit Aristoteles in Verbindung bringen.) Es folgt dann eine Kritik des Naturalismus mit Bezug auf gängige Topoi wie die Qualia-Diskussion, die Frage nach der Stellung von Mathematik und Axiologie, die Erkennbarkeit der Welt usw. Diese prinzipiellen Grenzen des Naturalismus lassen Raum für zusätzliche Deutungen. K. akzeptiert aber Kants Kritik an den Gottesbeweisen der theoretischen Vernunft, gibt allerdings zu bedenken, dass die unglaubliche Summe an Zufällen, die menschliche Existenz ermöglichen, ein gewisser Hinweis auf Gott sein könnte. Überhaupt sehen unsere kosmologischen Erklärungen unter der Voraussetzung seiner Existenz schlüssiger aus also ohne sie.

Ein viertes Kapitel entwickelt das christliche Verständnis von Gott, Schöpfung und Evolution. Dieses sei dialogisch, d. h. weder monistisch noch dualistisch. Im Sinn des Panentheismus geschehe alles weltliche Werden in Gott. Das dialogische Verhältnis Gottes zur Welt impliziere kein äußeres Machtverhältnis, sondern einen Gott, der lockt und ermutigt.

Ein fünftes Kapitel stellt die Evolution in den Rahmen des Schöpfungsglaubens und zeigt, wie die Evolution weit davon entfernt, dem Christentum ein besonderes Hindernis zu bieten, es eher erlaubt, die naturbedingten Übel einzuordnen, als dies in einem statischen Weltbild der Fall war. K. handelt über ›creatio ex nihilo‹ und ›creatio continua‹, wobei Letztere die Ebene sei, wo die Evolutionstheorie ins Spiel komme. Hier sei das Problem der Emergenz und des Entstehens von Neuem ungelöst. Wie kommt es zum Mehrwerden? Karl Rahner habe hier, im Anschluss an Teilhard de Chardin, eine Antwort mit seinem Konzept der »Selbsttranszendenz« gegeben, was mehr sei als »Selbstorganisation«. – Es folgen Gedanken zum leidigen Finalitätsproblem, zur Rolle des Zufalls usw. und durchaus nachvollziehbare Überlegungen, warum sich beides nicht ausschließe. Der volle Reichtum des Buches kann in einer solchen Übersicht allerdings nicht dargestellt werden.

Vielleicht nur eine einzige kritische Bemerkung: In dem Buch kommt leider die Metaphysik als vermittelndes Glied etwas kurz. Naturphilosophen wie Whitehead oder Rehmann-Sutter werden zwar zitiert, aber nicht in dieser Hinsicht. Auch führt K. das Selbsttranszendenzkonzept von Rahner nicht als rein philosophisches ein, wie es ursprünglich gemeint war (übrigens nicht von Teilhard inspiriert, sondern als Fortsetzung seiner Erkenntnismetaphysik in »Geist in Welt«). Rahner hat später Philosophie und Theologie vermischt, was nicht sehr überzeugend war. Das hindert aber nicht, dass man dieses Buch in der Summe uneingeschränkt empfehlen kann.